Animals – Wie wilde Tiere

Animals

Belgien/F 2021 · 92 min. · FSK: ab 18
Regie: Nabil Ben Yadir
Drehbuch:
Kamera: Frank Van den Eden
Darsteller: Soufiane Chilah, Gianni Guettaf, Serkan Sancak, Lionel Maisin, Vincent Overath u.a.
Hauptfigur in Nöten
(Foto: Dropout)

Zu Tode filmen

Nabil Ben Yadirs Animals rekonstruiert ein homophobes Hassverbrechen und traumatisiert mit seiner Drastik – und der Schuld, die das Medium auf sich lädt

Ein Film wie Animals passt nicht so recht zum Zeitgeist. Queeres Kino hat sich zuletzt immer wieder Mühe gegeben, neue Geschichten zu erzählen, Norma­lität neu zu denken und abzu­bilden. Das meint vor allem auch: Queere Figuren von Erzähl­mus­tern zu befreien, die ihre vermeint­liche Anders­ar­tig­keit allein mit Leid und Konflikt konno­tieren. Nun kommt Nabil Ben Yadir daher und inter­ve­niert mit einem eben­sol­chen Leidens­nar­rativ. Eine neue Norma­lität, die Aussicht auf ein tole­ran­teres Mitein­ander rückt bei ihm in weite Ferne. Das Utopische wird zerfressen von weiterhin wirkender Diskri­mi­nie­rung, von domi­nanz­kul­tu­rellen Struk­turen. Yadirs neuer Film ist desil­lu­sio­nie­rend, anklagend. Seine Hoffnung ist allein eine auf Läuterung durch Verstö­rung. Dafür müssen wir der homo­se­xu­ellen Haupt­figur in die Kata­strophe folgen, verur­sacht durch ein reak­ti­onäres, homo­phobes Umfeld. Als Vorlage diente dem Regisseur dabei der reale Mord an einem Muslim im belgi­schen Lüttich 2012.

Allein der Titel ist eine Ansage: Animals. Tiere. Und anima­lisch geht es zu in diesem Film. Insbe­son­dere der halb­stün­dige Mittel­teil ist im Grunde genommen nicht ansehbar in seiner Gewalt­tä­tig­keit. Nabil Ben Yadir zieht seine True-Crime-Geschichte als Tripty­chon auf. Gerahmt von zwei Festi­vi­täten, die das Alltä­g­liche aufbre­chen und zugleich dessen Krisen verdichten. Über­schattet von dem bereits ange­spro­chenen Mittel­stück, in dem der Film seinen eigenen Blick­winkel aus den Angeln hebt. Gaspar Noés Irré­ver­sible war etwa ähnlich vorge­gangen. Nicht nur in der vergleichbar expli­ziten Darstel­lung und Dauer des Abscheu­li­chen. Auch im Umgang mit einer Gewalt­se­quenz als Zentrum und zeitliche Zäsur, um die sich das gewis­ser­maßen vertausch­bare Vorher und Nachher wie eine finstere Spirale drehen.

Gefängnis Fami­li­en­feier

Zu Beginn irrt die Kamera zusammen mit Brahim (Soufiane Chilah) durch das Haus, in dem gerade Mutters Geburtstag gefeiert wird. Brahim ist schwul und in seiner konser­va­tiven, musli­mi­schen Familie ungeoutet. Von den wenigen, die davon wissen, erfährt er bereits Anfein­dungen oder Warnungen. Zwischen schei­ternden Annähe­rungen, Versteck­spiel und Flucht, Tradition und Aufbe­gehren entfaltet sich diese erste halbe Stunde. Jedes Gespräch scheint eska­lieren zu können, das Unaus­ge­spro­chene, die vertuschten Span­nungen in der Familie vergiften die Luft. Dichter, drückender wird das Unbehagen, auch dank der nervösen und intimen Kame­ra­ar­beit, die in langen, laby­rin­thi­schen Einstel­lungen den Prot­ago­nisten verfolgt. Zitternd, dicht aufge­drängt, immer wieder den Fokus suchend, als fürchte sie, ihn aus den Augen zu verlieren.

In diesem ersten Drittel, dem stärksten des Films, zeigt Nabil Ben Yadir immense Klasse, ein Bild seiner Haupt­figur und ihrer Nöte zu zeichnen. Weil sich deren Empfin­dungen in die beklem­mende Form einschreiben und weil Yadir in seinen Beob­ach­tungen mit großer Sensi­bi­lität arbeitet, obwohl bereits alles verloren scheint. Wenn Brahim das Haus der Familie verlässt, einen Blick zurück­wirft, wässrig schim­mernde Augen, dann zeugt das von einer gewissen Größe in der Zurück­hal­tung, mit der solche bedeu­tungs­vollen Momente in Szene gesetzt sind. Nur um wenig später in Gewalt und Terror zu gipfeln. Im städ­ti­schen Nacht­leben wird Brahim zu einer Gruppe Machos ins Auto steigen – und mitten im Nirgendwo gefoltert, ermordet.

Plötzlich sind da keine charak­ter­li­chen Bezie­hungen, Konflikte und möglichen Lösungen mehr, nur noch rohe Gewalt. Und die Film­bilder werden ebenso rohe Gewalt. Animals verharrt zunächst noch Seite an Seite mit seinem Prot­ago­nisten. Schläge auf seinen Körper werden Schläge gegen die Kamera. In einem Koffer­raum sitzt der Entführte und wartet auf seine Peiniger und die Kamera wartet mit ihm, immer länger und länger. Vergan­gen­heit und Zukunft verlieren an Bedeutung, da ist lediglich das unmit­tel­bare sadis­ti­sche Spiel mit dem zuge­rich­teten Körper im Hier und Jetzt, dem jede Persön­lich­keit, jede Privat­sphäre, jede Sprache schwindet. Bis nur noch ein krea­tür­li­ches, nacktes, schrei­endes Spiel­ob­jekt im Gras liegt. Dazu verengt sich das 4:3-Format der Bilder weiter als zuvor, zieht die Fesseln straffer.

Albtraum im Smart­phone-Format

Und da passiert es: Yadir wechselt doch tatsäch­lich in die Perspek­tive der Täter, die sich im Hochkant-Handy­format auf verschie­dene Blick­winkel aufspaltet. Der Raum, den sie sich erobern, verschwimmt zum pech­schwarzen Unort, der nur noch punktuell von den Lampen der Smart­phone-Kameras erhellt wird, mit denen die Mörder ihre grausame Tat filmen. Viel­leicht ist diese abrupte Kehrt­wende eine geeignete Konse­quenz, um in ein Reflek­tieren zu geraten. Plötzlich drängt das Mediale so in den Vorder­grund, dass es auf den Prüfstand gestellt werden muss. Viel­leicht ist die anfangs herauf­be­schwo­rene Empathie mit der Haupt­figur, dem späteren Mordopfer, nur ein fanta­sie­render Trug­schluss des Kinos, das Mitleiden des Publikums in sicherer Distanz eine anmaßende Behaup­tung. Das True-Crime-Genre, also das Ausbreiten und Adap­tieren realer Verbre­chen, wie es auch Animals vollzieht, begibt sich schließ­lich oft genug in die Schutz­zone geheu­chelter Empathie und Erkun­dungs­freude, wo meist vor allem Sensa­ti­ons­lust herrscht.

Während eine Figur, ein zum Leben erweckter Mensch, also in der ulti­ma­tiven Auslö­schung gezeigt wird, haben sich Film und Publikum längst die Hände schmutzig gemacht, so zeigt es zumindest der Regisseur. Das fixierte Filmbild raubt dem Opfer die letzte Würde. Nur krankt Animals daran, dass dieser Kipp­mo­ment kaum entlohnt für die Qualen, die man als Zuschauer auf sich nehmen muss, um die ganzen 90 Minuten durch­zu­stehen, weil er, gelinde gesagt, nicht sonder­lich durch­dacht erscheint. Zu lose ist Yadirs filmische Meta­re­fle­xion mit der beab­sich­tigten Publi­kum­st­rau­ma­ti­sie­rung verflochten.

Der Täter hat das letzte Wort

Wenn Animals schon das Filmen als Mord­werk­zeug ausmacht, dann dürfte da kein Stein mehr auf dem anderen bleiben! Dann müssten auch die Quali­täten des Anfangs noch einmal ganz neu betrachtet und sortiert werden. Doch genau das fehlt diesem Drama: das Gespür für die vielen Ebenen des Spiels, das Verhan­deln der eigenen Mecha­nismen. Dafür bleiben die Fikti­ons­schranken trotz der gebro­chenen Blicke felsen­fest, bleibt das Schau­spiel durch und durch psycho­lo­gisch und patho­lo­gi­sie­rend, ist die Zurschau­stel­lung der Gewalt allein natu­ra­lis­tisch, um als frag­wür­dige Schock­the­rapie für die Anpran­ge­rung toxischer Männ­lich­keit zu dienen. Sie funk­tio­niert emotional in ihrer Abschre­ckung, diese Form der Gewalt­dar­stel­lung, aber sie dringt nicht zum letzten Schritt durch, in die Maschi­nen­räume ihres medial konstru­ierten Albtraumes, zu denen Yadir die Tore aufstößt.

Die größte Gewalt, die der Regisseur seinem zu Tode gequälten Prot­ago­nisten schließ­lich antun konnte, war, dann auch noch das abschließende Film­drittel einer der Täter­fi­guren zu über­lassen. Dieser fade Eindruck in der Verknüp­fung der drei Einzel­ka­pitel schmerzt am meisten. Ein Kreis soll sich da schließen. Wieder trifft sich eine Party-Gesell­schaft. Mitten­drin: der Mörder mit blutender und zuckender Hand, dem sich die Tat ins Körper­ge­dächtnis einge­schrieben hat. Ein weiteres Mal geht es um verkrus­tete Norm­struk­turen, um die patri­ar­chale Ordnung, nur im neuen Umfeld. Die Folgen dessen hat man kurz zuvor auf heftigste Weise erleben können.

Niemand wird der Haltung des Regis­seurs am Ende wider­spre­chen wollen: der Kritik an zerstö­re­ri­schen Idealen, Grup­pen­dy­na­miken und Geschlech­ter­ste­reo­typen. Und natürlich ist der familiäre Kreis die Keimzelle im Kleinen, an der sich solche verqueren, unheil­brin­genden und über­kom­menen Struk­turen deutlich ablesen lassen. Doch nach allem, was Animals dem Publikum audio­vi­suell zumutet: Dass Yadir diese Art der Chro­no­logie wählt, dem Täter das letzte Wort, die letzten Blicke lässt, ja, ihm insze­na­to­risch sogar ähnlich empa­thisch in seiner Misere begegnet wie dem ermor­deten Brahim zu Beginn – das ist eigent­lich unver­zeih­lich.