Anemone

USA/GB 2025 · 126 min. · FSK: ab 12
Regie: Ronan Day-Lewis
Drehbuch: ,
Kamera: Ben Fordesman
Darsteller: Daniel Day-Lewis, Sean Bean, Samantha Morton, Samuel Bottomley, Safia Oakley-Green u.a.
Anemone
Ein hemmungslos pathetischer Schlechtwetterfilm...
(Foto: Universal)

Der verschollene Star

Daniel Day-Lewis kehrt nach acht Jahren auf die Leinwand zurück und spielt in Anemone einen geplagten Vater inmitten der Naturgewalten

Warum wurde Daniel Day-Lewis eigent­lich so vermisst? Ein begna­deter Schau­spieler ist er. Darauf können sich viele einigen, aber was zeichnet sein Spiel, seine Technik eigent­lich aus? Allzu lang hat der angeb­liche Ruhestand des Darstel­lers nicht gehalten. 2017 gab der mehrfache Oscar-Preis­träger seinen Rückzug aus der Branche bekannt. Nun feiert er sein großes Comeback in einem eher unschein­baren Film.

Viel­leicht ist es die Unbe­re­chen­bar­keit, die Day-Lewis in seinen Rollen so faszi­nie­rend auszu­spielen weiß. Auch in Anemone verkör­pert er seine heim­ge­suchte Vater­figur so, dass man ihn gleich in mehrere unter­schied­liche Genres verpflanzen könnte und seine Darbie­tung würde in jedem einzelnen funk­tio­nieren. Day-Lewis beherrscht eine Kunst der irri­tie­renden Blicke und der Verschlos­sen­heit, die jederzeit in den nächsten tränen­rei­chen Gefühls­aus­bruch, eine brutale Selbst­dis­zi­pli­nie­rung und Selbst­ver­leug­nung oder aber die völlige Wut kippen könnte. In Anemone bedient er all das zugleich, gebündelt in einer Rolle: einen Psycho­thriller, ein Fami­li­en­drama und einen Horror­film.
Das passt gut zu dem Drehbuch und der ganzen Insze­nie­rung des Films, die sich selbst nicht so ganz auf ein Genre oder eine klare Richtung festlegen wollen. Das Jonglieren mit Motiven und vagen Andeu­tungen kommt immer wieder vom Weg ab, sobald man glaubt, die Handlung habe nun endlich zu sich gefunden und ihr Innerstes offenbart. Das ist manchmal Segen und Fluch zugleich für den etwas träge mäan­dernden ANEMONE. Dass der Film inter­na­tional so durch­wachsen ankommt, erstaunt wenig. Sehens­wert ist er dennoch.

Vater und Sohn vereint

Daniel Day-Lewis hat das Drehbuch gemeinsam mit seinem Sohn Ronan geschrieben. Letzterer hat auch die Regie geführt und legt damit sein Lang­film­debüt vor. Anemone entspinnt seine Handlung aus einer Wieder­ver­ei­ni­gung, bei der es zu einem Gipfel­treffen der Hoch­karäter kommt: Sean Bean und Daniel Day-Lewis. Jem (Bean) begibt sich auf die Reise in die Wälder, wo sich sein Bruder Ray (Day-Lewis) einst hin verkro­chen hat. Seine Familie hat er verlassen. Eine schwere Schuld lastet auf ihm, die nun zur Sprache gebracht und verhan­delt werden soll.

Der Film setzt dabei auf eine doppelte Struktur: Die Gescheh­nisse in den Wäldern werden gespie­gelt von denen der Daheim­ge­blie­benen. Hier rückt vor allem Rays verlas­sener Sohn in den Mittel­punkt, der von seinem Onkel groß­ge­zogen wurde und bis heute unter den zerrüt­teten fami­liären Verhält­nissen leidet. Die Flucht des leib­li­chen Vaters hat eine Wunde in den Alltag gerissen, die immer noch schmerzt und in eine Abscheu umge­schlagen ist.

Anemone nimmt sich viel Zeit, die inneren Erfah­rungen und Umtriebe seiner Charak­tere nach außen zu tragen. Zaghaft setzt sich ein Bild zusammen, was ihnen in der Vergan­gen­heit wider­fahren ist. Es geht um Miss­brauch, Hass, aber auch um die Gewalt der jüngeren irischen Geschichte, in die Ray und letztlich seine gesamte Familie verwi­ckelt sind. Eine Ahnung dessen nimmt bereits eine langsam vorbei­zie­hende Abfolge von Kinder­zeich­nungen am Anfang vorweg, die sich auf schaurige Weise verwan­deln und irgend­wann gemalte Flammen auf der Leinwand lodern lassen.

Das gibt inhalt­lich, liegen die Geheim­nisse erst einmal ausge­breitet auf dem Tisch, nicht allzu viel her, an dem sich das Publikum reiben oder über das man länger nach­denken könnte. Dafür ist dann doch alles recht simpel ausfor­mu­liert und gestrickt, welches Unheil die Familie so ausein­an­der­ge­rissen hat. Und ANEMONE braucht ewig, viel zu lange, um besagten Figuren diese Einge­ständ­nisse und Wahr­heiten aus der Nase zu ziehen. Der Film zwingt einen lange dazu, die frostige Stimmung, das Schweigen und den ange­stauten Frust zwischen den Charak­teren auszu­halten und das ist genauso stra­pa­zie­rend, wie es womöglich klingt.

Düsteres Natur­spek­takel

Mitreißend wird Ronan Day-Lewis‘ Film immer dann, wenn er voll und ganz die Natur­bilder wirken lässt. Und genau das ist Anemone vor allem: ein visuelles Natur­spek­takel, ein hemmungslos pathe­ti­scher Schlecht­wet­ter­film, der sich auch nicht scheut, seinen unter­kühlten, vor Schmutz und Nässe trie­fenden Natu­ra­lismus mit fantas­ti­schen Elementen und Wunder­erschei­nungen aufzu­bre­chen. Irgend­wann entladen sich die Span­nungen in einem Hagel­sturm mit riesigen Eisklötzen, die wie eine biblische Plage auf das Land herab­don­nern.

In den eindrucks­vollen Bildern verschmilzt die Hütte des Einsied­lers mit dem umlie­genden Wald. Der geflohene Vater fristet dort zwischen Baum­wip­feln sein tristes Dasein. Daniel Day-Lewis gibt nicht nur eine Rolle. Er ist ebenso der verschol­lene Star, den man in der Wildnis versteckt hat und dessen myste­riöser Aura man sich nun zu nähern versucht. Im Fluss schwimmt irgend­wann ein riesiger toter Fisch wie eine unheil­volle Warnung. Ein leuch­tendes Monstrum erscheint in einer Vision in der Land­schaft.

Anemone liebt solche bedeu­tungs­schweren Bilder, die manchmal selbst nicht so recht zu wissen scheinen, wohin sie den Film eigent­lich treiben wollen, aber sie kreieren dennoch eine mitreißende, bedroh­liche ästhe­ti­sche Zwischen­welt, die von einem Gewit­terg­rollen, einem Regenguss, einer finsteren Wolken­front zur nächsten führt. So, als würde das Ende der Welt an der Aussöh­nung dieser gebro­chenen, wort­kargen Menschen hängen.