USA 2004 · 97 min. · FSK: ab 12 Regie: Dwight H. Little Drehbuch: Hans Bauer, Jim Cash Kamera: Stephen F. Windon Darsteller: Johnny Messner, KaDee Strickland, Matthew Marsden, Nicholas Gonzalez u.a. |
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Neckermann macht's möglich... |
Unsterblichkeit. Ewige Jugend. Nicht schlecht. Und besonders praktisch ist es natürlich, wenn man die Unsterblichkeit als Blume pflücken kann – wie in Anacondas: Die Jagd nach der Blut-Orchidee. Im Dschungel von Borneo soll diese Orchidee wachsen. Ihre Blüten enthalten eine Substanz, die bei Einnahme den Alterungsprozess unterbindet. Für eine Pharmafirma natürlich ein gefundenes Fressen, ein möglicher Milliarden-Gewinn. Ein Expeditionsteam wird in den Dschungel geschickt, die Zeit drängt. Bald ist Regenzeit in Borneo und dann ist der Fluss, der einzige Weg zur Wunderpflanze, unpassierbar.
Regisseur Dwight H. Little trat bisher vor allem durch Sequels in Erscheinung, etwa durch Free Willy 2 oder Halloween 4. Auch der neue Film ist eine Fortsetzung: von Anaconda, der 1997 ein Überraschungserfolg an den Kinokassen war. Statt Jennifer Lopez und Ice Cube quiecken und kreischen jetzt allerdings besonders mittelmäßige Schauspieler durch den finsteren Wald. Und anscheinend hat die auftragsgebende Pharmafirma für ihre Mitarbeiter ganz besondere Einstellungskriterien: Die Damen – die blonde und kühle Samantha Rogers (KaDee Strickland) und die dunkelhaarige und feurige Gail Stern (Salli Richardson-Whitfield), beides Spitzen-Wissenschaftlerinnen – sind schön wie der Dschungel bei Sonnenaufgang, die Herren allesamt durchtrainiert wie Olympioniken eines Kraftsports. Es gibt den obligatorischen Witzbold Cole Burris (Eugene Byrd), den charmanten Latin-Lover-Mediziner Ben Douglas (Nicholas Gonzalez), und – natürlich – den skrupellosen Geschäftsmann und Anführer der Gruppe Jack Byron (Matthew Marsden), der für Geld und Ruhm alles tun würde – auch seine Freunde in den Tod schicken.
In Borneo braucht die Abenteuerreise-Gruppe zuerst einen erfahrenen, ortskundigen Expeditionsleiter. Man findet ihn – natürlich – in einer Dorf-Spelunke: Er heißt Bill Johnson (Johnny Messner) und ist Besitzer des schlechtesten Schiffes der ganzen Gegend, der »Bloody Mary«. Manchmal trinkt er zuviel Alkohol, aber ansonsten ist Bill ist ein echter Teufelskerl, der, wenn es sein muss, auch Krokodile fertig machen kann. Er war mal bei den Special Forces. Insgesamt fahren dann acht Leute in den Urwald. Acht Leute, damit ein paar davon aufgefressen werden können.
Bald nach Beginn der Schiffahrt stürzt die »Bloody Mary« einen Wasserfall hinunter und zerschellt. Die Reisegruppe muss zu Fuß weiter, schikaniert von den fiesen Viechern des Dschungels: von Fliegen, die zwicken, von Spinnen, deren Bisse sofort lähmen. Und von den Riesen-Anacondas. Die Schlangen haben von der Orchidee genascht, wachsen deshalb immer weiter und sterben nicht. Der wildniserfahrene Kapitän gibt Tipps zum Überleben, die man ruhig in Stein meißeln darf:
Zusammenbleiben als Gruppe! Besser nicht alleine durch den Dschungel laufen! Halbverdaute Eingeborene liegen herum.
Als das erste Gruppenmitglied von einer Schlange gefressen wird, kommt es zum Streit über den Fortgang der Mission. Die Gruppe will raus aus dem Dschungel auf dem schnellsten Weg, der skrupellose Anführer Jack, der Materialist, nicht. Auf keinen Fall ohne die Orchidee. Jack verrät seine Kollegen und überlässt sie ihrem grausigen Schicksal. Dass so etwas passieren
wird, ist schon nach wenigen Filmminuten klar. Dass die Guten dann doch gewinnen, sowieso. Geschenkt.
Doch leider ist so gut wie alles so vorhersehbar wie ein Meisterschaftssieg von Real Madrid: Wer sich in wen verliebt; wann jemand wo gefressen wird; welche Gruseleffekte wozu verwendet werden. Spannend ist da nichts. Das Mitleid mit den Gejagten hält sich von Anfang an in Grenzen. Zu dumm und stereotyp ist ihr Gerede, zu unglaubwürdig ihr ständiges Mund-Aufreißen vor lauter Schreck. Technisch ist das alles ganz solide gemacht, nur wozu braucht man das alles? Für den einen netten Scherz vielleich, der trotzdem verraten sei: Als die Gruppe bis zu den Knien im Wasser durch einen Sumpf watet, summt Ben, um den Mädels ein bisschen Angst zu machen, die Filmmusik aus Der weiße Hai. Schwupp – und er ist weg. Gefressen von einer Schlange. Lustig.
1997 wehrte sich im Kinosaal eine kleine Gruppe Menschen – unter ihnen Ice Cube und Jennifer Lopez – erfolgreich gegen eine riesige Anakonda. Seitens der Kritiker hagelte es fast durchgängig Verrisse, allerdings stimmte die Kasse und so kam es, wie es kommen musste: Die Sequel-Maschine rollte an!
Das 25 Millionen Dollar teuere Sequel bietet einen, um es euphemistisch zu formulieren, klar strukturierten narrativen Rahmen – ist der Vorwärtsgang erst einmal eingelegt, kann nichts mehr das Fahrzeug stoppen.
Die Pharmaindustrie ist in Jubellaune: Der ehrgeizige Dr. Jack Byron (Matthew Marsden) erklärt seinen Geldgebern, dass er nur wenige Schritte von der Patentierung eines pflanzlichen Jungbrunnens entfernt ist. Eine seltene, nur jedes siebente Jahr blühende, Orchideensorte im tiefen Dschungel Borneos könnte der Schlüssel zu ewiger Jugend sein – der Profit für das Unternehmen wäre gigantisch. Augenblicklich bekommt Byron grünes Licht für eine Expedition und begibt sich mit seinem Team nach Borneo: Mit dabei sind seine Assistentin Sam Rogers (Kadee Strickland), der IT-Spezialist Cole Burris (Eugene Byrd), der Team-Arzt Douglas (Nicholas Gonzales) sowie Gordon Mitchell (Moris Chestnut), Finanzexperte, und Gail Stern (Salli Richardson-Whitfield), die seitens der Geldgeber als Expeditionsüberwachung mit an Bord ist. Vor Ort stellt man allerdings fest: Zur Regenzeit will niemand die Gruppe auf Flusswegen zum Zielort transportieren – einzig Bill Johnson (Johnny Messner), Exilamerikaner, ehemaliger Elitesoldat und Besitzer eines schrottreifen Kahns lässt sich gegen horrende Bezahlung als Skipper anheuern.
Doch die Fahrt verläuft nicht so einfach wie geplant. Der stete Regenfall sowie das Auftauchen von gigantischen, gefrässigen Riesen-Anakondas stellen die Gruppe vor ernsthafte Probleme. Nach dem ersten Todesfall droht auch teamintern der Kollaps – während Dr. Byron weiterhin am Ziel der Expedition festhalten will, möchte der Rest der Gruppe nach Hause zurückkehren. Der Konflikt droht zu eskalieren und gleichzeitig kriechen stets hungrige Reptile durch das Unterholz, welche nur auf einen Fehler der menschlichen Beute lauern.
»Nothing original, scary or witty.« (BBC Films). Wie wahr, wie wahr. Der in zwei Monaten auf den Fidschiinseln entstandene Streifen lässt wirklich alles vermissen, was einen Film zu einem unterhaltsamen Stück Zeitvertreib macht – von der Umsetzung künstlerischer Ambition kann sowieso keine Rede sein, aber das sollte nach einem Blick auf das Filmposter oder nach Sichtung des Trailers klar sein. Hätte man also nicht derart viel falsch gemacht, wäre ein zumindest halbgarer Entertainment-Faktor zustande gekommen.
»Help me! What did I do?« läßt der Streifen eine Filmfigur fragen – ähnlich geht es dem geneigten Kritiker, wenn er/sie im Dunklen mit diesem Machwerk allein gelassen wird. Man hat sich an zu vieles gewöhnt. Da ist der Klassenclown – er ist jung und schwarz, darf witzige Sachen sagen (fast alle beginnen mit: »Are you tellin' me that...«) und ... überleben. Der andere Schwarze ist nicht witzig – er verhält sich wie ein weißer Geschäftsmann. Er stirbt (– Bestrafung?). Überhaupt wirken alle »Wissenschaftler« dieses Films wie frisch aus der Mucki-Budde/Modell-Agentur gecastet.
Auch kann man sich über die fragwürdige Darstellung von Wissenschaft per se auslassen: abgesehen davon, dass jeder/jede Wissenschaftler/in der Gruppe erstaunlich, ja fast frivol, jung ist, ist die hauptsächliche Motivation keineswegs die Forschung. Viel eher schon beschreitet man den gleichen Weg wie zahlreiche Hollywood-Bad Guys diverser Action-Filme: Allein das Geld lockt! Mehrfach lassen sich die Figuren über den zu erwartenden Geldsegen aus, der medizinische Nutzen der
Pflanze (sollte man naiverweise verlängertes bzw. ewiges Leben angesichts des globalen Bevölkerungswachstums als »Nutzen« expressis verbis verstehen) bleibt hohle Argumentations-Staffage. Wahrlich: primum non nocere. Handelt es hier sich um ein Byproduct der Mentalität des gebührenfokusierten Uni-Systems der USA, mag da so mancher deutsche Student kritisch fragen?
Neben den mittlerweile, genreübergreifenden Schönheitskonventionen, denen man sich Hollywood gebeugt zu
haben scheint (jung und makellos), ist das Verhältnis zwischen amerikanischem Bootskapitän und seinem asiatischen Begleiter/Untergebenen zu beachten. Wer gibt Befehle? Wer beugt sich? Wer kennt den einheimischen Dschungel besser? Zarte, sich anbahnende Liebesbeziehungen (in diesem Fall zwischen Kapitän und der wissenschaftlichen Assistentin bzw. zwischen Finanzguru und Expeditionsüberwachungsdame) finden selbstverständlich innerhalb der eigenen Rasse statt: hier
hat jeder unter sich zu bleiben. Überhaupt kann man lediglich an einer einzigen Figur, nämlich der jungen Assistentin Sam, eine Charakterentwicklung in Ansätzen erkennen – wahrlich wenig. »Then things get stupid« (San Francisco Chronicle)
Fragen über Fragen drängen sich auf: Was macht die Figur des amerikanische Ex-Elitesoldaten im Dschungel? Will man uns eine Ankündigung durch die Blume machen? Sollen wir verstehen, dass das amerikanische Militär (alle neun Köpfe) der Hydra (des Terrorismus) nun im Dschungel Lateinamerikas (Dschungel sind Dschungel, egal wo!) die Häupter abschlagen will? Die sich im Dutzend paarenden Schlangen werden gegen Ende des Films unter einer Gerölllawine aus Stein und Erdmatsch begraben – soll hier puritanisch sexuelle Gruppendynamik bestraft werden? In der Agonie der verlaufenden Filmminuten bleiben solche in anderen, dynamischen Teilen des Gehirns ablaufende Denkprozesse respektive die Entwicklung solcher Fragestellungen nicht aus.
Die Umstellung von Animatronics auf CGI-Technologie ist kein (entgegen der Behauptung des euphorisch-gehaltenen Pressematerials) Gewinn für Anacondas: Die Jagd nach der Blut-Orchidee. Die Schlangen wirken steril und klinisch-kühl: zusammengenommen mit der Tatsache, dass sich alle Darsteller-Leistungen als austauschbar erweisen, hätte man ergo lieber echte Schlangen und CGI-Darsteller verwenden sollen. Gore-Hounds werden bitterlich enttäuscht – zwinkerte beim Vorgänger den Zuschauer noch ein halb-verdauter, gerade aus der Anakonda gefallener Jon Voight an, bleibt diesmal alles kinderfreundlich unblutig (siehe PG-13 Rating in den USA). Echte Schockmomente weiß der Film zudem nicht zu verzeichnen.
Die Kameraarbeit ist sauberer Durchschnitt – perspektivisch interessant gestaltet sich die Fallsequenz des Bootes den Wasserfall hinab, man erlebt diesen aus der Innenansicht des Gefährts. Die Vogelperspektiven auf die enormen Proportionen der sich schemenhaft knapp unter der Wasseroberfläche bewegenden Tiere ist zudem gelungen, auch wenn solche »establishing shots« ansonsten sträflich vernachlässigt werden. Die begleitende Musik ist unspektakulär – austauschbare Melodien sollen Dschungel-Flair vortäuschen.
Zu guter Letzt jedoch möchte ich es nicht versäumen, auf eine Skurrilität hinzuweisen: Anaconda hatte 1997 einen mittlerweile legendären Filmfehler zu bieten: ein rückwärts fließender Wasserfall. Diesmal hat man sich etwas Neues »ausgedacht« – das Boot des Teams fährt gepflegt den Fluss stromaufwärts. Plötzlich aber stellt man fest: Vorsicht, Wasserfall. Wenig später schon fällt das Boot diesen hinunter. Ohne Worte.