Deutschland 2000 · 90 min. Regie: Stefan Ruzowitzky Drehbuch: Stefan Ruzowitzky Kamera: Peter von Haller Darsteller: Franka Potente, Benno Fürmann, Traugott Buhre, Holger Speckhahn u.a. |
Nachdem es mit den Beziehungskomödien schon seit längerem nicht mehr hinhaut, versucht sich der deutsche Film neuerdings an anderen Stoffen. Krimis und Gangstergeschichten – für deutsche Filmemacher normalerweise ein klassisches Fernsehgenre ohne echte Chancen im Kino – sollen nun den ersehnten Kassenerfolg bringen. Schaut man sich die Ergebnisse näher an, sind schnell ein paar plumpe Strickmuster erkennbar: Oft kommt ein Koffer vor, entweder mit Geldscheinen oder mit Drogen gefüllt. Dann eine Knarre. Zwei, drei unbedarfte Männer finden Koffer, Knarre oder beides, Gangster, einer davon mit Glatze, sind ihnen auf den Fersen. Frauen kommen auch vor, aber nur am Rande oder als kaum erreichbares Objekt der Begierde.
Gemessen an derartigen albernen Männerträumen, die man wenig varriert zu Dutzenden bei den Festivals von Berlin, München und Hof über die Leinwände flimmern sah, bringt Anatomie einiges Neue: Die Hauptfigur ist eine Frau, statt Pistolen kommen gelegentlich Skalpels zum Einsatz und statt der in einen Koffer verpackten Utopie des anderen Lebens marschiert das Glücksversprechen diesmal weitaus bürgerlicher daher: Ihr Medizinstudium möchte die strebsam-beflissene Paula (Franka Potente) gern abschließen, in Heidelberg (wie schön), und am Ende darf sie, die zunächst mit Männern nicht viel im Sinn hat, auch noch ihren Traumboy, den Geschichtstudenten Philipp (Holger Speckhahn) verarzten.
Mediziner scheint Regisseur/Autor Stefan Ruzowitzky (Die Siebtelbauern) nicht sehr zu mögen. Schon in der ersten Einstellung sieht man einen schmierigen Professor, der gegenüber seinen Studenten eindeutig-zweideutige Anspielungen macht, und Anatomie ist dort am Besten, wo der Dialog zurücktritt und knappe effektive Bilder das Makabere des ärztlichen Alltags auskosten. Später entpuppt sich ein großer Teil der Zunft zumindest in Heidelberg als Anhänger eines dubiosen Geheimbunds, den »Anti-Hypocratikern«. Ein paar besonders engagierte von ihnen morden »im Dienste der Forschung«; ihre Opfer sind Uni-Studenten – bis Paula all' dem auf die Schliche kommt. Zu allem Überfluß – drunter geht’s wohl in deutschen Filmen nie – sind die »Anti-Hypocratiker« natürlich auch noch in die verbrecherischen Medizin-Experimente der Nazizeit verstrickt. Sogar Paulas bewunderter Großvater war Mitglied in der okkulten Gang.
Was Ruzowitzky vorgeschwebt haben mag, ist offenbar eine deutsche Form des in den USA derzeit sehr erfolgreichen Highschool-Slasher-Genres. Tatsächlich fließen so viele Liter Kunstblut, wie man es in deutschen Filmen lange nicht gesehen hatte. Aber das ist dann auch schon die einzige Parallele zu Scream oder The Faculty. Um hier wirklich mitzuhalten, ist Anatomie viel zu lahm und behäbig, auch einfallslos inszeniert. Bei allem Bemühen um Originalität und dem lobenswerten Verzicht auf manch gewohntes Klischee deutscher Filme – ohne Suspense und Überraschungseffekte kann es nichts werden. Man fragt sich überdies, ob sich Franka Potente mit Auftritten wie diesem wirklich einen Gefallen tut. Allmählich beginnt die Aura von Lola zu verblassen.
(Eine geringfügig veränderte Fassung dieses Textes erschien auch in der Frankfurter Rundschau)