Alles ist gut

Deutschland 2018 · 94 min. · FSK: ab 12
Regie: Eva Trobisch
Drehbuch:
Kamera: Julian Krubasik
Darsteller: Aenne Schwarz, Andreas Döhler, Hans Löw, Tilo Nest, Lisa Hagmeister u.a.
Komplexer als gemeinhin üblich

Stärke als Schwäche

»Den Abgrund erkunden zwischen der unge­heuren
Wirk­lich­keit eines Gesche­hens in dem Moment, in dem
es geschieht, und der merk­wür­digen Unwirk­lich­keit, die
dieses Geschehen Jahre später annimmt.«

- Annie Ernaux, Erin­ne­rung eines Mädchens

Alles ist gut, der Debüt-Film von Eva Trobisch, scheint auf den ersten Blick nur ein weiterer, stiller, fast unschein­barer Film des neuen deutschen Kinos zu sein, doch schon während des Sehens und fast mehr noch nach seinem Ende entfaltet Trobischs Film eine immense Kraft. Dazu trägt sicher­lich nicht nur die große schau­spie­le­ri­sche Leistung von Aenne Schwarz bei, sondern auch ein kluges Drehbuch und eine über­zeu­gende Insze­nie­rung, die das Thema Verge­wal­ti­gung im bekannt-beruf­li­chen Umfeld erheblich komplexer erzählt, als es gemeinhin üblich ist, und es vor allem glaub­würdig mit der detail­lierten Schil­de­rung eines langsam erodie­renden Bezie­hungs- und Berufs­all­tags verknüpft.

Inter­es­sant an Trobischs Film, der inzwi­schen nicht nur den Regie­preis in der Kategorie »Neues Deutsches Kino« auf dem dies­jäh­rigen Filmfest München gewonnen hat, sondern auch in Locarno als bestes Debüt ausge­zeichnet wurde, ist vor allem, dass Trobisch sich von der klaren Täter-Opfer-Polarität distan­ziert, die durch die #MeToo-Debatte fast zum Paradigma geworden ist, was sicher­lich auch daran liegt, dass Alles ist gut vor #MeToo entstanden ist.

Trobischs Ansatz funk­tio­niert vor allem deshalb so über­zeu­gend, weil sie ihrer Haupt­prot­ago­nistin Janne (Aenne Schwarz) genauso vorbe­haltlos auf der Spur bleibt wie die fran­zö­si­sche Autorin Annie Ernaux ihrem eigenen Ich, das sich erst mehr als fünfzig Jahre später der eigenen »Erin­ne­rung eines Mädchens« stellt: »In meiner Erin­ne­rung kann ich kein Gefühl finden, geschweige denn einen Gedanken. Das Mädchen auf dem Bett nimmt an dem Geschehen teil, mit ihr passiert etwas, was sie eine Stunde zuvor nicht für möglich gehalten hätte, mehr nicht.«

So ergeht es auch Trobischs Janne, die deshalb auch gar nicht von Verge­wal­ti­gung sprechen will, als es nach einem Fest mit ihrem entfernten Bekannten Martin (Hans Löw) in ihrer eigenen Wohnung zu einem erzwun­genen Geschlechts­ver­kehr kommt. Zum einen, weil sie als selbst­be­wusste Frau unter aufge­klärten Freunden diese Realität schlichtweg nicht für möglich hält – das Gespräch mit ihrer Mutter, gleichsam eine gelungene Miniatur gene­ra­ti­ons­über­grei­fenden femi­nis­ti­schen Diskurses, zeugt davon – , aber auch um ihre Rolle als selbst­be­wusste Frau nicht gegen die Rolle eines »schwachen« Opfers eintau­schen zu müssen.

Trobisch folgt in diesen Szenen konse­quent dem Ansatz der austra­li­schen Femi­nistin Germaine Greer, die 1995 im »Guardian« schrieb, dass die Behaup­tung, dass eine Verge­wal­ti­gung eine Frau „ruiniere“, allein die männlich-dominante Perspek­tive darstelle und die Bedeutung des Penis überhöhe. Am 23. Mai 2018 fügte Greer dieser Position in einem umstrit­tenen Interview auf Channel 4 hinzu, dass jene Frauen, die sich dennoch durch einen derar­tigen Angriff „zerstört“ fühlen, Lügen geglaubt hätten, wer und was sie seien.

Alles ist gut diffe­ren­ziert diese Perspek­tive noch einmal aus, als Janne über einen neuen Job als Lektorin Martin plötzlich als Kollegen und Freund des Chefs neben sich stehen sieht. Vor allem hier gelingt Trobisch eine fast schon uner­träg­lich intensive Insze­nie­rung. Denn indem sie Janne nicht nur das Gesprächs- und Sühne­an­gebot des Täters von sich weisen lässt, sondern auch die feine Balance Jannes gegenüber ihrem Chef, der sich durch seine eigene Bezie­hungs­krise als alter Fami­li­en­freund zunehmend grenz­wertig an sie lehnt, skizziert, zeigt Trobisch das fast schon unmög­liche Rollen­port­folio auf, das Janne bedienen muss, um auf beruf­li­cher wie auch privater Ebene bestehen zu können.

Trobisch zieht die Stell­schrauben ihres Plots im Verlauf aller­dings noch weiter an, an einigen Stellen viel­leicht ein wenig zu stark – ich denke hier vor allem an das sich zunehmend in den Vorder­grund drängende Opfer­nar­rativ ihres Chefs und an Jannes Schwan­ger­schaft – wodurch die zuneh­mende Abwärts­be­we­gung und Ausweg­lo­sig­keit in Jannes Leben immer wieder etwas zu forciert wirkt und dementspre­chend auch Germaine Greers Ansatz eine Verge­wal­ti­gung zu »verar­beiten«, verworfen wird.

Gleich­zeitig gelingt es Trobisch dadurch, aufzu­zeigen, wie scheinbar irrele­vante Faktoren, die „unnormale“ Komple­xität des ganz „normalen“ Lebens, zu irra­tio­nalem Handeln führen, an dem unsere auf diese Komple­xität nicht vorbe­rei­teten Rechts­sys­teme regel­mäßig versagen – und eine Aufar­bei­tung, wie im Fall von Annie Ernaux, von Zufällen oder einfach nur vom Lauf der Zeit abhängt.