USA 1997 · 124 min. · FSK: ab 16 Regie: Wolfgang Petersen Drehbuch: Andrew W. Marlowe Kamera: Michael Ballhaus Darsteller: Harrison Ford, Gary Oldman, Glenn Close, Wendy Crewson u.a. |
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Harrison Ford als schlagfertiger US-Präsident |
Sie sind hinter uns her. Offensichtlich plant Wolfgang Petersen der Filmkritik auf ähnliche Art und Weise den Garaus zu machen, wie dies Helmut Kohl mit der politischen Satire in diesem Land geglückt ist: Der Oggersheimer hat es stets verstanden, derart groteske Realitäten zu schaffen, daß die Satire nur noch beschreibenden Charakter hatte, und sich dennoch einer unerklärlich hohen Beliebtheit zu erfreuen. Wie es scheint, gelingt Herrn Petersen mit Air Force One Vergleichbares.
Wer sich noch an den unsäglichen Moment in Independence Day erinnert, in dem der Präsident höchst persönlich in den Kampfflieger steigt, um den fiesen Aliens zu zeigen, daß man so mit Amerika nicht umgehen kann, und wer es wagt, sich eine zweistündige Reihung solcher Momente vorzustellen, bekommt ungefähr eine Ahnung davon, was dem Publikum bei Air Force One bevorsteht.
Harrison Ford ist der Präsident der Vereinigten Staaten von Amerika. Das ist ohnehin schon gut, weil das gesamte Publikum ja sowieso Harry sich seit langem als Vater oder als Vater seiner zukünftigen Kinder wünscht, und die Frauen bei ihm stets feuchte... Augen bekommen. Diesmal werden aber auch gestandenen Männern die Knie weich werden, denn Harry ist nicht einfach nur irgendein Präsident der USA, er ist der BESTE Präsident, den die USA je hatten – ach was sag ich, der ALLERBESTE,
den sie sich in ihren feuchtesten Träumen auch nur vorstellen kann:
Harry läßt kasachische Diktatoren vom CIA festnehmen. Harry hält Reden, in denen er dem internationalen Terrorismus aber dermaßen das Fürchten beibringt, daß man schon fast Mitleid bekommt mit dem armen, kleinen internationalen Terrorismus. Harry tut dies gegen den Rat seiner kleingläubigen Berater – »It was the RIGHT thing to do!«. Harry hat sich in Vietnam die Medal of Honour verdient und dabei nicht
das itzi-bitzi-kleinste Trauma eingefangen. Harry ist ein prima Vater. Harry liebt seine Frau, und wenn der Film ihm ein bißchen mehr Zeit ließe, dann würde er uns beweisen, wie lange und toll er das kann. Harry hat ganz klein angefangen. Harry guckt gerne Football. Denn Harry ist, ganz tief drinnen, einer von uns. Alle fünf Minuten fragt Harry besorgt »Where’s my family?«.
Und da kommen dann so russische Terroristen daher und entführen seine Präsidentenmaschine, eben die Air Force One. Einfach so, ohne zu fragen, und mit Mithilfe eines verräterischen Präsidentengehilfen. Weil sie General Radek, den kasachischen Diktator, wieder freipressen wollen. Na, da is' Harry aber sauer.
Und weil sonst keiner so gut ist wie er, muß er die bösen Männer alle selbst erschießen und dabei flugs die Welt vor der Rückkehr des Kommunismus bewahren. Schade daß
alles so schnell gehen muß, sonst könnte er nebenbei noch einen Impfstoff gegen AIDS entwickeln.
Spätestens nach der Hälfte der Laufzeit möchte man sich einfach nur noch bücken und schreien: »Oh Mann, Harry, ramm' ihn mir rein, denn Du bist SO GUT!!!«
Damit man auf gar keinen Fall ins Grübeln gerät, bemüht sich der Film dabei aufs Trefflichste, für den gebeutelten Präsidenten kein moralisches Dilemma aufkommen zu lassen, daß sich nicht innerhalb von zehn Minuten ohne den geringsten Rückstand eines schlechten Gewissens dadurch lösen läßt, daß man einen der Bösen erschießt.
Und selbst die physikalische Welt kann vor der Überlegenheit des Amerikanischen nicht standhalten. Als Harry einen Draht durchzuschneiden hat, ihm
aber die Information fehlt, welcher der richtige ist, und welche das Flugzeug abstürzen lassen würden, genügt ein kurzer Blick auf die Farben: rot, weiß, blau und gelb. Keine Frage, »I'll stick with the red-white-and-blue«, es muß der gelbe sein, und der isses auch.
Den Film plump zu nennen wäre, als würde man den Atlantischen Ozean mit dem Adjektiv »feucht« bezeichnen; Elefanten mit Vorschlaghämmern sind subtiler. Alles ist so überdeutlich, so dick aufgetragen, so über-mega-hyper-superpatriotisch, und Jerry Goldsmiths Musik orgelt so hysterisch heroisch, daß der Film immer kurz davor steht, in seine eigene Parodie umzukippen, und in seiner offen zur Schau gestellten, geballten Blödheit schon beinahe wieder etwas Subversives
bekommt.
Nicht mal als Thriller taugt Air Force One viel; er hat viel leeres Tempo und Spannungshuberei zu bieten, aber was ihm völlig fehlt sind Intelligenz, Raffinement, Originalität und Witz.
Was den Film gerade noch vor dem totalen Absturz bewahrt (außer der vergnüglichen Tatsache, daß er für die Verwendung der »Internationalen« brav Tantiemen zahlt) sind Dean Stockwell, William Macy und, allen voran, Gary Oldman. Stockwell als Verteidigungsminister und Macy als General zu besetzen hat schon fast etwas Verrücktes; ständig wartet man darauf, daß der eine anfängt, »Candy Coloured Clown They Call The Sandman« anzustimmen, und der andere in tiefstem Minnesota-Akzent
Gebrauchtwagen feilbietet.
Gary Oldman hat seinen osteuropäischen Akzent aus Bram Stoker’s Dracula (das waren noch Zeiten für Gary!) wieder ausgegraben, und er spielt den Bösewicht so genial melancholisch und verführerisch, und er hat solch sichtliche Freude daran, Harry zu quälen, daß er bald die Sympathien des denkenden Teils des Publikums auf seiner Seite hat.
Die Botschaft des Films aber ist deutlich: Es muß ja so GEIL sein, Amerikaner zu sein. Wahrscheinlich schaut Bill Clinton sich den Film in seinem privaten Vorführraum im Weißen Haus täglich fünfmal an und holt sich dazu einen runter.
Deshalb ein kleiner Vorschlag an die Bundesregierung: Wo das mit dem Haushalt jetzt eh' schon nicht mehr hinzukriegen ist, kann man doch mal $100 Mio. locker machen und Herrn Petersen zurückbeordern, um für sein Heimatland einen ähnlichen Film zu
drehen – Die Kanzlermaschine, oder so. Darin erschlägt dann Helmuth Kohl böse SPIEGEL-Journalisten und die gesamte PDS mit einem Pfälzer Saumagen. Dann klappt’s auch wieder mit den Wahlen.