Deutschland 2012 · 96 min. · FSK: ab 12 Regie: Stefan Schaller Drehbuch: Stefan Schaller Kamera: Armin Franzen Darsteller: Sascha Alexander Gersak, Ben Miles, Trystan Pütter, John Keogh, Timur Isik u.a. |
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Gefangen am Zaun: Murat Kurnaz |
Der Titel von Stefan Schallers Abschlussfilm an der Filmakademie Baden-Württemberg wirkt wie eine Anklage. Und ist genauso gemeint. 5 Jahre Leben basiert auf der Geschichte des Deutsch-Türken Murat Kurnaz, der von 2001 bis 2006 von den US-Behörden gefangen gehalten wurde und einen Großteil dieser Zeit im berühmt-berüchtigten Internierungslager Guantanamo verbrachte. Ein Schicksal, das für viele Menschen unbegreiflich erscheinen muss. Ein persönliches Martyrium. Und gleichzeitig der Beleg für die Entmenschlichung der westlichen Welt im Kampf gegen den Terrorismus des 21. Jahrhunderts. Genau diese Doppelperspektive dient als Richtschnur für Schallers Drama. Der Regisseur und Drehbuchautor will sowohl das unglaubliche Leiden eines jungen Mannes veranschaulichen wie auch die Ausmaße eines perversen »Rechtssystems« in den Blick nehmen. Das unterstreicht einmal mehr der vielsagende Titel seines Werks. Denn während das von Murat Kurnaz verfasste Buch über seine Gefangenschaft »Fünf Jahre meines Lebens« heißt, belässt es der Film bewusst bei einer allgemeinen Formulierung.
Im Zentrum der Handlung steht Kurnaz' Anfangszeit in Guantanamo. Harte und schonungslos realistische Bilder führen den Zuschauer in das unmenschliche Leben im US-amerikanischen Gefangenenlager ein. Die Soldaten sind wenig zimperlich, beleidigen die Inhaftierten ohne ersichtlichen Grund und wenden oft auch dann Gewalt an, wenn die Gefangenen ihren Anweisungen Folge leisten. Wir sehen Menschen, die wie Vieh in staubigen Käfigen sitzen und einer ungewissen Zukunft entgegen schauen. Obwohl diese Bilder aus Nachrichten und Zeitungen fast vertraut scheinen, stellt sich sehr schnell ein durchdringendes Gefühl der Beklemmung ein. Kann eine westliche Demokratie so mit Verdächtigen umgehen?
Schaller beschränkt sich nicht nur auf den offensichtlichen, den direkten Schrecken Guantanamos. Auch symbolisch weist er immer wieder auf den grausamen Lageralltag hin. Besondere Bedeutung kommt in diesem Zusammenhang einem kleinen Leguan zu, der durch das Abflusssystem in Murats Zelle kriecht. Die Echse wird zum Verbündeten des jungen Mannes und gibt ihm zumindest etwas, woran er sich festhalten kann. In einer feindlichen Umgebung ist es ein Tier, das eine humane Bindung möglich macht. Deutlicher kann man die menschenverachtenden Prinzipien Guantanamos nicht unterstreichen.
Das Herz des Films bildet schließlich ein dramaturgisch zumeist konventionell entfaltetes, dennoch packendes Duell, das die Logik hinter Guantanamo und dessen abnormale Funktionsweise unmissverständlich offen legt. Dabei steht Murat Kurnaz dem amerikanischen Verhörspezialisten Gail Holford gegenüber. Der Beamte will dem Gefangenen ein Geständnis abringen und befragt ihn deshalb in zermürbend-quälenden Gesprächen über die Gründe für seine Reise nach Pakistan. Holfords gespielte Freundlichkeit ist umso erschreckender, führt man sich die gezielten Manipulationen vor Augen, die der Regierungsvertreter einsetzt, um die standhaften Unschuldsbeteuerungen des Inhaftierten zu brechen. Bezeichnend ist hier vor allem die Sequenz, in der Holford vermeintlich Murats Freilassung veranlasst. Der Gefangene wird zu einem Hubschrauber gebracht, darf diesen sogar besteigen, nur um kurz darauf von den Soldaten wieder herausgezerrt und grundlos niedergeknüppelt zu werden. Dem britischen Schauspieler Ben Miles gelingt es, die unterschiedlichen Facetten dieses bürokratischen Teufels stets glaubwürdig zum Ausdruck zu bringen. Freundschaftliche Verbundenheit, herablassende Arroganz und absolute Gefühlskälte wechseln mitunter binnen weniger Einstellungen und sind einmal mehr Beleg für das rücksichtslose Gebaren der US-Regierung im Umgang mit den Gefangenen.
Die Schuldfrage an sich spielt im Verlauf dieses Psychoduells eine untergeordnete Rolle. Darüber können auch die in die Verhörszenen eingestreuten Rückblenden nicht hinwegtäuschen, in denen Murat dem Beamten von seinem Leben vor der Verhaftung erzählt. Auch wenn Schaller hier zeigt, dass der Gefangene nach der Ermordung eines guten Freundes in eine Sinnkrise verfällt, sich plötzlich dem islamischen Glauben zuwendet und dabei zumindest in Kontakt mit zweifelhaften Personen kommt, sieht der Zuschauer letztlich nur einen verunsicherten Menschen, der seinem Leben eine neue Richtung geben will. Die ambivalente Haltung des Films ist nicht weiter verwunderlich, schließlich konnten bis heute keine handfesten Beweise für die angeblichen terroristischen Verstrickungen des Deutsch-Türken gefunden werden. Weshalb der junge Mann 2006, nach fünf Jahren Gefangenschaft, entlassen wurde.
Um das Ausmaß der menschenunwürdigen Behandlung in Guantanamo spür- und erlebbar zu machen, geht Hauptdarsteller Sascha Alexander Geršak insbesondere im letzten Drittel des Films an seine körperlichen Grenzen. Abgemagert und ständigem psychologischen Terror ausgesetzt durchschreitet der von ihm gespielte Murat Kurnaz in der Isolationshaft buchstäblich die Hölle auf Erden, wobei der Regisseur dankenswerterweise auf allzu melodramatische Stilisierungen verzichtet. Je länger der Gefangene sich den Manipulationen Holfords widersetzt, umso deutlicher tritt hervor, worum es Schaller vor allem geht. Guantanamo ist längst kein Raum mehr, der an Begriffe wie Wahrheit oder Gerechtigkeit gebunden ist. Die Inhaftierten haben letztlich keine Chance auf eine faire Behandlung, denn allein ihre Gefangennahme »verurteilt« sie dazu, schuldig zu sein. Das, was zählt, ist ein Geständnis. 5 Jahre Leben zeigt diese unglaubliche Pervertierung rechtsstaatlicher Prinzipien in schonungsloser Offenheit und ist damit auch ein Appell für die seit langem überflüssige Schließung des Lagers. Angesichts der aktuellen Berichte über umfangreiche Hungerstreiks unter den Gefangenen bleibt zu hoffen, dass die US-Regierung ihre Verfehlungen endlich erkennt und handelt. Das hatte Barack Obama immerhin schon im Wahlkampfjahr 2008 versprochen.