Belgien/F 2004 · 90 min. Regie: Stéphane Vuillet Drehbuch: Stéphane Vuillet, Pedro Romero Kamera: Walther van den Ende Darsteller: Carmen Maura, Ingeborga Dapkunaite, Jacques Gamblin, Raphaëlle Molinier u.a. |
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Miguel und Tochter Laura |
Schon wenn die Namen der Schauspieler beim Vorspann aus dem Nachthimmel wie Sternzeichen heraus leuchten, wird klar: das Schicksal bestimmt die Geschichte von 25 Grad im Winter. »Sie haben mich ausgesucht«, will die geheimnisvoll schöne Sonia den zweifelnden Miguel überzeugen, als sie nach einer gefährlichen Nacht auf der Flucht vor den Grenztruppen am Morgen in sein Auto stolpert – und damit beide in einen Tag der großen persönlichen Entscheidungen führt.
Regisseur Stéphane Vuillet, dessen Debütfilm 25 Grad im Winter bereits 2004 im Wettbewerb der Berlinale zu sehen war, ist ein Reisender. Einer, der die Verlassenheit als wichtiges biographisches Thema bezeichnet, um das nun auch seine Filme kreisen. Auf der Suche nach einer Filmhochschule verschlug es Vuillet einst nach Belgien. Die Hochschule wollte ihn nicht, aber er blieb trotzdem. Nach ein paar Kurzfilmen hat er gemeinsam mit dem befreundeten Schauspieler Pedro Romero das Drehbuch zu 25 Grad im Winter geschrieben.
Auch die Figuren, deren Leben dieser Film nun auf wunderbare Weise zusammen führt, sind von Migration geprägt. Allen voran Miguel und seine Tochter Laura, eine Kleinstfamilie, die ohne Mutter auskommen muss, weil diese in Amerika ihr Glück sucht. Dafür ist die rüstige Oma Abuelita sofort zur Stelle, wenn Laura sich in der Schule eine Platzwunde einfängt. Als Abuelita dann im Krankenhaus ihren Sohn Miguel wegen dessen mangelnder Fürsorge zu recht weist, macht sie dies im wütenden Spanisch, der Muttersprache der eingewanderten Familie. Derweil die gepflasterte Laura unbemerkt in einem Aufzug verschwindet, nach einigen Minuten ebenso unbemerkt wieder zwischen die beiden Streitenden tritt. Nicht nur ein feiner Humor, sondern auch eine beruhigende Sicherheit bestimmen den Film.
Abuelitas anderer Sohn Juan ist erfolgreicher, hat das Organisieren vom Unterwegssein zu seinem Beruf gemacht, und lässt für sein Reisebüro auch Miguel Botendienste machen. Bei einer dieser Fahrten ist Miguel am Flughafen die rettende Zuflucht von Sonia, die von der Einwanderungsbehörde gesucht wird. Ein paar Ohrfeigen und Unfälle sind nötig, bis Miguel von der Ukrainerin schließlich fasziniert ist und beide sich zusammen mit Mutter und Tochter auf die Suche nach Sonias Mann machen, der schon vor Jahren nach Brüssel gegangen war. Im Sprachgewirr von Französisch, Spanisch und Russisch verstehen sich die vier schnell ganz ausgezeichnet. Die Sehnsucht der Immigration teilen sie auch ohne Worte. Dass Sonia in den Medien als flüchtige Ausländerin gesucht wird, quittiert die herrlich eigensinnige Carmen Maura als Abuelita mit einem erbosten Anruf beim Sender: Sonia sei sehr nett und keineswegs kriminell! Die Spur ihres Mannes führt sie währenddessen aus Brüssel heraus, immer näher ans Meer, wo sich nicht nur für Sonia die Konstellationen nochmals gründlich ändern.
Mit 25 Grad im Winter hat Vuillet einen packenden Autorenfilm gemacht, der nur wenige Figuren braucht, um Ankunft und Abschied lebendig zu machen, mit all ihren Hoffnungen und Nöten. Er braucht gerade so viele, wie in ein Auto passen. Denn während die spanische Gitarre immer sanfter spielt, dazu ein Sänger immer nachdenklicher an die iberische Heimat erinnert, schickt Vuillet seine neu gefundene Familie in ein klassisches Roadmovie. Mal halten starre Blicke mit poetischer Präzision die Suchenden fest, dann nimmt wieder eine Handkamera die Verfolgung auf. Im Auto erinnert die stille Verlorenheit an Wim Wenders, am Strand die aufgeregte Dramatik an François Truffaut. Dass in der fulminanten Schauspielerriege um den Franzosen Jacques Gamblin als Miguel mit Carmen Maura auch eine alte Diva von Pedro Almodóvar auftritt, zeugt nicht nur von Vuillets Liebe für die Leidenschaft und die leidenschaftlichen Schauspieler dieses Regisseurs. Mit dessen Filmen hat 25 Grad im Winter ebenso den Mut zur ungenierten Komik gemein. Auch wenn das Schicksal an diesem ungewöhnlich warmen Wintertag in Brüssel deutlich entspannter daher kommt, als jemals beim spanischen Enfant Terrible.