Deutschland 2015 · 107 min. · FSK: ab 0 Regie: Valentin Thurn Drehbuch: Sebastian Stobbe, Valentin Thurn Kamera: Hajo Schomerus Schnitt: Henk Drees |
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The lovin' spoonful |
Zehn Milliarden. Um die Zahl dreht sich hier alles. Denn wir werden nicht nur mehr, sondern auch immer älter und so werden es sehr viele von uns noch erleben, dass irgendwann gegen Mitte dieses Jahrhunderts zehn Milliarden Menschen auf unserer Erde leben.
Wie sollen die bloß alle satt werden? Und womit? Das sind die zentralen, bereits im Titel enthaltenen Fragen dieses Films. Er stammt vom Dokumentarfilmregisseur Valentin Thurn, der glücklicherweise in Personalunion auch
gleich noch Ernährungsaktivist und Bestsellerautor ist.
Thurn hat einen Hang zur Dramatisierung und anschaulichen Vereinfachung, was seinem Film zweifellos zugute kommt. So schlendert er zum Beispiel schon relativ früh in diesem Film über einen asiatischen Markt – und schiebt sich genüsslich eine große frittierte Heuschrecke in den Mund: O-Ton: »Jede Kultur hat ihre eigenen Speisen hervorgebracht. Heuschrecken, Grillen und Maden sind nicht jedermanns Sache. Aber vielleicht werden wir bald schon nicht mehr wählerisch sein können.«
Das klingt schon apokalyptisch, aber die kleinen Krabbler seien schließlich gesund und nahrhaft, macht der Regisseur deutlich, Heuschrecken hätten schließlich viel Protein, und überhaupt seien leckere Insekten eines von vielen politisch korrekten Ernährungsmodellen der mittelfristigen Zukunft.
Aber keine Sorge, dieser Film ist kein persönlicher Weltuntergangserlebnistrip, in dem sich der Regisseur im Stil von Michael Moore fortwährend selbst in Szene setzt.
Stattdessen geht es dem Regisseur mit einer gehörigen, aber nicht unangenehmen Portion Sendungsbewußtsein um die Frage des Titels: Wie sollen bei steigender Bevölkerung alle noch satt werden, und was hat das für Folgen? Für unsere Ernährungsgewohnheiten? Und für die Umwelt?
Valentin Thurn reist dazu durch die ganze Welt der globalisierten Nahrungsmittelindustrie. In einer Art Stationendrama geht es vom Bio-Landgut bei München zu einem indischen Geflügelzüchter, der seine Masthühner in Deutschland gekauft hat, von einem Großgrundbesitzer in Mosambik, der wie ein mittelalterlicher Sklavenhalter wirkt, in ein japanisches Labor in dem Salatsorten perfektioniert werden.
Eine schöne neue, also schreckliche Welt.
Aber so oder so werde die Ernährungskrise kommen. Thurn sucht verschiedene Experten auf, und lässt dabei durchaus diverse, widersprüchliche Sichtweisen zu Wort kommen. Zugleich gelingt des ihm, die Komplexität der diversen Aspekte seines Themas wiederum zu bündeln.
Unparteiisch oder gar neutral ist dabei die Perspektive aber keineswegs. Der Sprecher des Bayer-Konzerns zum Beispiel darf zwar ausgiebig zu Wort kommen, und ein Hohelied auf den Nutzen Hybridsaatguts singen. Doch dann bekommt er die visuelle Quittung in Form von Filmbildern die die desaströsen konkreten Folgen des Saatguts in einem indischen Reisbaugebiet zeigen. Hohe Erträge erzielen hier nicht die Bauern, sondern nur der deutsche Konzern.
Umwelt- und Zivilisationskatastrophen-Dokus sind ein boomendes Subgenre des Dokumentarfilms. So wurde ein Film wie Plastic Planet über das böse Plastik genauso zum Erfolg, wie der Fast-Food-Selbstversuch Super Size Me, wie Unser täglich Brot oder wie Taste the Waste von Valentin Thurn selber. Dort hat er sich mit unserer Wegwerfgesellschaft und der Perversion der weltweiten Nahrungsmittelvernichtung beschäftigt.
Solche Filme spielen sehr oft mit berechenbaren Reflexen: Sie befriedigen unseren Voyeurismus, unsere heimliche Lust daran, uns Sorgen zu machen, und sie kitzeln unser aller unterbewußtem Ekel vor manchen Realitäten unseres Wohlstands-Lebens, handele es sich nun um Schlachthäuser, Salat aus dem Reagenzglas oder verrottendes Brot auf der Müllhalde.
Dagegen setzen dann nicht weniger erfolgreiche Wohlfühldokus anderer Art auf das Bewusste, Nachhaltige, moralisch Anständige, Ästhetisierende: Da erklären dann Yoga-Köche und buddhistische Gärtner dem gestressten Europäer, wie er richtig isst, und verrunzelte Imker aus den Dolomiten oder braungebrannte peruanische Bauern, wo das Essen noch herkommt, das schmeckt und nachhaltig ist.
Valentin Thurns 10 Milliarden – Wie werden wir alle satt? hält auf diesem Feld Mittelkurs. Irgendwie müssen wir uns Sorgen machen, und irgendwie auch wieder nicht. Denn es ist schon alles arg kompliziert mit unserer Ernährung.
So ist dies ein Film, in dem man vieles lernen kann, und dabei keine Angst haben muss, dass einem am Abend das Essen nicht mehr schmeckt.