100 Dinge

Deutschland 2018 · 111 min. · FSK: ab 6
Regie: Florian David Fitz
Drehbuch:
Kamera: Bernhard Jasper
Darsteller: Florian David Fitz, Matthias Schweighöfer, Miriam Stein, Hannelore Elsner, Wolfgang Stumph u.a.
Mit der Aller­welts­formel unserer Gegenwart

Wider­stand als Event

»Manche Menschen ändern sich nie.«
- Hans Wein­gartner, Die fetten Jahre sind vorbei

Keine Frage, Florian David Fitzs 100 Dinge ist auch ein poli­ti­scher Film. Denn wie sollte man nicht politisch zu denken anfangen, sieht man sich den Vorspann zu 100 Dinge an, in dem ironisch und salopp die letzten hundert Jahre erzählt werden. Und zwar aus der Perspek­tive des statis­ti­schen Bundes­amtes, das vor einigen Jahren nüchtern bekanntgab, dass der durch­schnitt­liche West­eu­ropäer vor über 100 Jahren nicht mehr als 100 Dinge besessen hätte, heut­zu­tage hingegen rund 10.000 Gegen­s­tände sein Eigen nennt.

Da Fitz davon auszu­gehen scheint, dass nicht einmal Menschen, denen perfekte Verdrän­gungs­me­cha­nismen in die Wiege gelegt wurden, mit diesem Wissen, das ja unser Streben nach Glück im Kern hinter­fragt, einfach so jonglieren können, überführt er die düstere 100er-Arith­metik des statis­ti­schen Bundes­amtes in eine locker-leichte und nach­denk­liche, jedoch 100-prozen­tige Buddy-Komödie, ein Genre, für das sich Fitz bereits in seinem letzten Film Der geilste Tag, bei dem er ebenfalls für Drehbuch, Regie und Haupt­rolle verant­wort­lich war, entschieden hatte. Auch damals spielte Matthias Schweig­höfer an seiner Seite und ging es um exis­ten­zi­elle Fragen. Und auch in 100 Dinge verkör­pern Fitz und Schweig­höfer Freunde, die eigent­lich keine Freunde sein dürften, da sich Charakter und Sehn­süchte der beiden Prot­ago­nisten Paul (Florian David Fitz) und Toni (Matthias Schweig­höfer) nicht stärker vonein­ander unter­scheiden könnten. Ist es in Der geilste Tag aller­dings eine Krankheit, die sie bindet und zu Bezie­hungs­ar­beit zwingt, ist es in 100 Dinge ein Berliner Startup-Unter­nehmen, das beiden gehört und an ein Facebook-ähnliches Unter­nehmen verkauft werden soll.

Doch um die 100 Kalauer voll­zu­ma­chen, die eine Fitz/Schweig­hö­fer­pro­duk­tion ja auch bedeuten und über Bezie­hungs­ar­beit allein nicht zu erreichen sind, gibt es in 100 DINGE das zentrale Plotmotiv einer Wette, die Paul und Toni in der Hitze des Verkaufs­ge­fechts und gegen­sei­tiger Vorwürfe einge­gangen sind: 100 Tage müssen sie ohne jegliche Dinge (also Besitz) auskommen, dürfen sich aller­dings an jedem neuen Tag einen Gegen­stand ihrer Wahl zurück­holen. Der Verlierer muss dem Gewinner seine Firmen­an­teile über­schreiben.

Da beide wett­kon­form nackt und ohne Wohnungs­in­ventar starten und es außerdem Winter in Berlin ist, lässt sich leicht ausmalen, welche Dinge Paul und Toni als erstes auf ihre Liste setzen, um das Motiv von nackt durch ein winter­li­ches Berlin laufenden Männern nicht allzu sehr über­zu­stra­pa­zieren und um heraus­zu­finden, was wirklich wichtig ist im Leben. Da es aber gleich­zeitig neue Hürden braucht, um das hohe Komödien- und Gag-Tempo zu halten, werden schnell zahl­reiche Neben­fi­guren platziert: Paul Zucker­mann (Artjom Gilz), der Chef des ameri­ka­ni­schen Käufer­un­ter­neh­mens, über den das übliche Facebook-Bashing abge­wi­ckelt wird, und dann natürlich Pauls Mutter (Hannelore Elsner), sein Vater (Wolfgang Stumph) und seine Oma (Katharina Thalbach), über die die DDR-Vergan­gen­heit der Freund­schaft zwischen Paul und Toni erzählt werden. Und das, was der Sozia­lismus natürlich nicht war: eine Welt von 10.000 Dingen.

Doch wo es eine Vergan­gen­heit gibt, braucht es natürlich auch eine Zukunft. Da Paul und Toni mit Frauen anschei­nend nie sonder­lich viel Erfolg hatten – nicht verwun­der­lich bei ihrer beider aller­dings völlig unter­schied­lich aufge­stellten Sehnsucht nach dem ewigen Kind – taucht deshalb Lucy (Miriam Stein) auf, die beide glei­cher­maßen faszi­niert. Der Witz, mit dem diese Zusam­men­füh­rung und ihre konse­quent-spora­di­schen Tren­nungen vollzogen werden – hat aller­dings wenig von der Radi­ka­lität, mit der Jan Henrik Stahlberg vor einem Jahr mit Fikke­fuchs versucht hat, Gender- und Bezie­hungs­ste­reo­typen zu hinter­fragen. Vielmehr inter­es­siert Fitz das ganz indi­vi­du­elle, private und histo­ri­sche Elend seiner Drei­ecks­be­zie­hungs­be­tei­ligten.

Je mehr diese ménage à trois ins Zentrum der Geschichte rückt und mit der Wette verschwur­belt wird, desto mehr stellt Fitz nun auch wieder die Frage nach dem Sinn unserer spät­ka­pi­ta­lis­ti­schen Gesell­schaft, ohne dabei aber wirklich über den Event­cha­rakter des geleis­teten Wider­stands und eine realis­ti­sche Poli­ti­sie­rung hinaus­zielen zu wollen. Denn am Ende ist es dann doch mit der Aller­welts­formel unserer Gegenwart getan: privates Glück mit dezenter Sehnsucht nach einer besseren Welt, radikale Hand­lungs­an­wei­sungen uner­wünscht.

Damit stellt 100 Dinge – viel­leicht unab­sicht­lich – eine sehr spannende Frage: wie ist es eigent­lich um unseren Wider­stand gegen die Miseren unserer Gegenwart bestellt? Befinden wir uns nicht nur politisch, sondern inzwi­schen auch auf privater Ebene auf dem Höhepunkt einer Restau­ra­tion, die uns der Film hier mit komö­di­an­ti­schem Bonbon­pa­pier verpackt vorführt: Wider­stand nur noch als Event, Liebe statt Kampf? Mit dem SUV in den Biomarkt einkaufen fahren statt ohne Doppel­moral konse­quent Verzicht zu üben?

Denkt man an die jüngste (Film-) Geschichte, also einfach mal 14 Jahre zurück, denke ich an Hans Wein­gart­ners großar­tige Die fetten Jahre sind vorbei (2004), der in seiner Drei­ecks­be­zie­hungs- und Wider­stands­sehn­sucht so viel Ähnlich­keiten mit 100 Dinge hat und dann doch so unter­schied­lich ist wie Paul und Toni, so gibt es wohl nur eine Antwort.