Berühmt wurde sie als blonde Prostituierte mit unsäglicher
Piepsstimme in Woody Allens MIGHTY
APHRODITE - eine Rolle, für die sie mit dem Oscar ausgezeichnet
wurde. Daß mit dieser schauspielerischen Leistung ihre Bandbreite
lange noch nicht ausgereizt war, hat sie seither reichlich
bewiesen: Vom aufwendigen Horror-Thriller (MIMIC)
und Action-Spektakel (THE
REPLACEMENT KILLERS) über die Teenie-Komödie (ROMY
AND MICHELLE'S HIGH SCHOOL REUNION) bis zu anspruchsvollen
Indie-Projekten Paul Austers (BLUE
IN THE FACE; LULU
ON THE BRIDGE) hat die Tochter des namhaften Charakterdarstellers
Paul Sorvino (CRUISING, GOODFELLAS, NIXON) kaum ein Fach ausgelassen.
Diese Woche startet Irwin Winklers AT
FIRST SIGHT mit Mira Sorvino in der Hauptrolle. Aus diesem
Anlaß war die Schauspielerin unlängst in München, wo Rüdiger
Suchsland die Gelegenheit zum Gespräch nutzte.
Artechock: Mira Sorvino, Sie sitzen
hier und kauen Schokolade. Sind Sie so auf Süßes versessen, oder ist
die für Ihre Nerven?
Sorvino: Naja, das bringt mich nochmal hoch, nach
einem langen Tag. Ich komme gerade aus London, dort habe ich auch
Interviews gemacht, und noch heute Abend geht's weiter nach Rom.
Das ist jedenfalls 'ne gute Entschuldigung fürs Schokoladeknabbern,
finden Sie nicht?
Sind Sie zum ersten Mal in Deutschland
?
Für die MIGHTY APHRODITE-Tour vor fast drei
Jahren war ich schon einmal hier.
Wann werden Sie wieder filmen?
Kommenden Sommer. Aber davor habe ich auch zu
tun. Ich helfe gerade dabei, einen kleinen Independent-Film in New
York zu produzieren.
Sie sind ja auch Associate Producer in
AMONGST FRIENDS. War das Ihr erster Produzentenjob überhaupt?
Nein, das war das zweite Mal. Es gibt da
einen Dokumentarfilm, bei dem ich mitgearbeitet habe. Ich weiß aber
noch nicht einmal, ob mein Name auf dem Abspann läuft. Aber ich
hab's gemacht, zumindest die halbe Arbeit. Der Film hat etwas mit
meiner Abschlußarbeit [Mira Sorvino hat einen B.A. in "East Asian
Studies" von der Harvard University; d.Red.] über "Racial conflict
in China" zu tun, die ich damals gerade fertiggemacht
hatte.
Wie hat sich Ihr Leben
verändert, seit Sie den Oscar für MIGHTY APHRODITE bekommen
haben?
Ich wurde berühmt [Lacht]. Auf einmal hatte
ich viel mit der Presse zu tun, was vorher nie der Fall war. Ich
hatte vorher nur 6 Filme gemacht, und für keinen mußte ich wirklich
Pressearbeit tun. Auf einmal saß ich nun in Hotelzimmern, um mit
einer Kamera vor der Nase vor einem halben Dutzend Fremder über
meine Gefühle und mein Leben zu reden. Also diese ganze
Geschichte, eine öffentliche Person zu werden, war etwas sehr
Merkwürdiges für mich. Außerdem gab es natürlich für mich
plötzlich viel bessere Angebote, höhere Gagen und Zugang zu
besseren Regisseuren. Aber heute denke ich manchmal, daß meine
Karriere auch ohne den Oscar die gleiche geworden wäre. Ich hätte
ungefähr dieselben Filme gemacht, und stünde heute auch etwa an dem
Punkt. Vielleicht jedenfalls.
Wo steht denn eigentlich Ihr Oscar?
Zwei Jahre hatte ich ihn in einer Schublade.
Ich war etwas beschämt, und wollte ihn nicht im Wohnzimmer irgendwo
stehen haben, und dann die Leute sagen hören: Schaut nur, wie sie
angibt. Aber dann habe ich gedacht, daß das auch blöd ist, zumal er
da verlorengehen könnte. Heute steht er in meinem Schlafzimmer
zwischen den ganzen Kuscheltieren, die ich noch aus meiner Kindheit
aufgehoben habe.
Was bedeutet es Ihnen, eine Schauspielerin
zu sein? Wollten Sie das immer werden?
Ja, seit ich fünf Jahre alt bin. Für mich
bedeutet Schauspielerin zu sein, daß ich mich in den Spuren meines
Vaters bewege. Und ich versuche, auch dessen Vorstellungen zu
erfüllen, davon, was es heißt, eine echte Künstlerin zu sein, und
sein Handwerk zu beherrschen, seine Integrität zu bewahren. Und
seinen eigenen Fähigkeiten so zu dienen, daß man sie auf den
möglichst hohen Standard bringt.
Warum haben Sie sich für AT FIRST SIGHT
entschieden. Mochten Sie schon immer solche klassischen
Love-Stories?
Ja, ich hatte schon immer eine Schwäche für
Romanzen. Und bei diesem Drehbuch gefiel mir auch die Komplexität,
die der Romanze gegeben wurde, durch den ganzen Grundansatz, das
Sehen als etwas ganz Neues zu betrachten, als etwas das man nicht
hat, und dann neu bekommt. Ich hätte nie geglaubt, das es so etwas
geben könnte: daß die Fähigkeit zu Sehen nicht etwas wäre, was das
Gehirn sofort leisten kann, sobald die Augen in Ordnung sind.
Das war interessant. Oliver Sacks sagte uns, daß es in den
vergangenen 200 Jahren nur etwa 20 Personen gab, bei denen es zu
diesen Fehlfunktionen kam, die der Film beschreibt. Einige von
ihnen hatten eine so schwere Zeit, daß sie sich umgebracht haben.
Weinen Sie oft im Kino?
Das hängt davon ab. Ich bin schon eher eine,
die weint. Sie hätten mich am Ende von TITANIC sehen sollen.
Vielleicht finden Sie das nur pathetisch. Aber ich saß da fast 10
Minuten, und konnte nicht aufstehen. Mich hat das an meinen 10
Geburtstag erinnert. Es gab eine Party, und wir haben uns alle KING
KONG angesehen. Und ich war so traurig, daß der Gorilla tot war.
Alle haben gelacht, und Witze gerissen. Das war auch so eine Art
Verletzung.
Sind sie eine Romantikerin, oder doch eher
eine Realistin?
Ich denke beides. Ich bin schon realistisch,
aber ich wünsche mir die Welt so romantisch wie möglich.
Das ist ziemlich romantisch. Wie war denn
die Arbeit mit Val Kilmer? Der gilt ja eher als schwieriger Typ.
Er ist großartig, sehr intelligent, sehr
professionell, sehr bei der Sache, er wollte, daß der Film so gut
wie möglich wird. Val hat einen sehr trockenen Humor. Oft ist er so
subtil, daß die meisten gar nicht merkten, daß er Spaß macht. Wenn
man das einmal begriffen hat, dann liegt man den größten Teil des
Tages am Boden, weil er sich eigentlich andauernd über irgendetwas
lustig macht. Es macht viel Spaß, und ich denke er hat seine Sache
sehr gut gemacht.
Ist es für eine Frau im heutigen Hollywood
immer noch mühsam, die richtige Rolle zu finden?
Oh ja !
Warum?
Wissen Sie, es gibt einige wenige gute
Rollen, und alle wolle sie haben. Und es gibt viele gute
Schauspielerinnen, manche von Ihnen sind Riesenstars, die kriegen
was sie wollen. Es ist hart. Jeder erkennt Gold, wenn er es sieht.
Sie selbst sind ja von der Rolle des
-pardon- "dummen Blondchens" in MIGHTY APHRODITE mittlerweile ins
Fach der toughen harten Killerlady gewechselt, wenn man an
REPLACEMENT KILLERS denkt, oder an MIMIC. Steht jetzt wieder ein
Wechsel an, zur romantischen Liebhaberin?
Nein, eine Rolle die mich sehr interessiert,
ist Jeanne d'Arc. Das ist meiner Ansicht eine der größten Rollen,
die es historisch tatsächlich gegeben hat. Eine große machtvolle
Geschichte. Aber ich denke ich möchte grundsätzlich mehr -sagen
wir- klassische Sachen spielen, mit emotionalem Gewicht, mehr Lady
als Girl.
Wie wichtig ist Ihnen Ihre akademische
Ausbildung?
Ich weiß nicht, ob sie mir in meiner Karriere
konkret etwas hilft, aber ich habe eine größere Perspektive: Wenn
alles morgen vorbei sein sollte, kann ich zurückgehen, bei meinem
Professor anklopfen, und -hoffentlich- zur Uni zurückkommen, und
meinen Master machen. Und ich habe das Akademische geliebt. Ich
denke nicht, daß es mein Ding ist, lebenslang zu forschen, und
meine Zeit in Bibliotheken zuzubringen. Das wäre mir zu einsam.
Aber ich habe es geliebt. Es war nicht meine wahre Natur, aber ich
könnte sicher zurückgehen, wenn ich wollte.
Wann lebten Sie in China?
Vom Juni 1988 bis Februar 1989, in
einer sehr interessanten Zeit, drei Monate vor Tian-Nan-men.
Was würden Sie machen, wenn Sie plötzlich
erfahren würden, daß sie erblinden?
Ooh, ich glaube ich würde an irgendeinen
wunderschönen Ort gehen, den ich noch nie gesehen habe. Und ich
würde mir alle Gesichter derjenigen genau ansehen, die ich liebe.
Um sie in mein Gedächtnis einzubrennen.
Da Sie Dokumentarfilme gemacht haben:
Früher war das sehr angesehen, heute kaum noch. Sehen Sie eine
Chance, daß Dokumentarfilme es irgendwann wieder auf die
Kinoleinwand schaffen könnten?
In Festivals bestimmt. Aber ich bin nicht
sicher, ob Leute das im Kino sehen wollen. Die möchten unterhalten
werden, und Dokumentarfilme sind nicht unbedingt unterhaltend. Ein
paar natürlich schon.
Sie und Val Kilmer sind sich im Film sehr
nahe gekommen. War das schwierig? Haben Sie sich irgendwie
vorbereitet?
Nun, der Regisseur hat das Team ein paar
Wochen vor Drehbeginn zusammengeführt, und wir alle haben gemeinsam
am Buch gearbeitet und Eislaufen trainiert. So konnten wir uns
kennenlernen. Ich habe mich also nicht gleich am ersten Drehtag
nackt auf den Massagetisch gelegt, und mir von einem totalen
Fremden den Rücken massieren lassen, nein.
Sie haben ja offenbar ein sehr gutes
Verhältnis zu Ihrem Vater. Gibt er Ihnen noch Ratschläge?
Ja immer noch. Er ist eine sehr kluge Person.
Ich denke, wir werden zusammen spielen, in der Adaption eines
Stückes. Und dann wollen wir irgendwann "King Lear" machen.
Würden Sie denn für einen Geliebten ihr
ganzes Leben ändern?
Ja, natürlich. Aber wenn einer einseitige
Opfer fordert, ist das kein gutes Zeichen für die
Beziehung.
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