08.01.2009

Im Land der ausgeträumten Träume

Ferrari vor Seelenlandschaft
Ferrari vor Seelenlandschaft

Michael Klier über das Kino, die Sehnsucht nach Unbekümmertheit, deutsche Filmmänner, die weder albern-pubertär noch tiefschürfend-ernste Problemfilm-Männer sind, und über seinen neuen Film Alter und Schönheit

Das Plakat zum Film Alter und Schönheit verspricht eine Komödie, wie viel­leicht auch der Titel, und jeden­falls die Besetzung mit Darstel­lern wie Armin Rohde, Peter Lohmeyer und Henry Hübchen. Man sollte sich davon aber nicht täuschen lassen: Seit Anfang der 90er-Jahre ist der 1943 geborene Berliner Regisseur Michael Klier (Heidi M., Farland) einer der wenigen echten Unab­hän­gigen und subver­siven Geister im deutschen Film. Sein neuer Film, der einmal den viel schöneren Arbeits­titel Ferrari 49 hatte – so etwas ist in unseren heutigen düsteren Zeiten marken­ge­schützt und darf nicht verwendet werden – ist wie alle seine Filme eine Grat­wan­de­rung: Zwischen Ernst und Unbe­fan­gen­heit, zwischen unheim­li­cher Leich­tig­keit und »deutscher Tiefe«.
Mit Michael Klier sprach Rüdiger Suchsland.

artechock: Michael Klier, Du bist (und auch wieder nicht) ein Spät­zünder im deutschen Kino. Deine ersten Spiel­filme als Regisseur hast Du jeden­falls erst ab Ende der 80er Jahre gedreht, also mit Mitte 40. Trotzdem hast Du in den zwanzig Jahren zuvor immer schon Filme gedreht – kannst Du erzählen, was das für Filme waren? Und der Nach­wuchs­preis beim Filmfest München 1989? Warst Du da noch Nachwuchs? Oder inwiefern?

Michael Klier: Zum Nachwuchs habe ich nie gehört. Der Preis vom Filmfest München war damals glaube ich noch gar kein Nach­wuchs­preis. Das Wort wurde noch nicht verwendet, um Filme­ma­cher zu klas­si­fi­zieren. Das war glaube ich eher später der Versuch, den deutschen Film mit einer Idee vom ständigen Jungsein zu koppeln, warum auch immer.
Bevor ich ange­fangen habe Spiel­filme zu drehen, habe ich ein paar Kurzfilme gedreht. Dann hin und wieder Dokus oder Kurz­por­träts über Leute wie Rossel­lini, Truffaut, Godards Kame­ramänner oder Henri Alekan, und viele andere. Ich habe sie bewundert – und inter­viewt. Manchmal habe ich Stunden an Material gedreht, so wie im Falle von Rossel­lini. Er hat mich in seinem Vacel Vega (von dem es nur 500 Stück, hand­fer­tigt, auf der ganzen Welt gab) durch Rom gefahren, ich habe ihn zum Friseur begleitet, und so, und am Schluss hatte die eigent­lich film­enthu­si­as­ti­sche Film­re­dak­tion beim WDR nicht einmal 20 Sende­mi­nuten dafür frei. Viel­leicht bringen wir einige von diesen Sachen davon demnächst auf DVD heraus oder stellen sie in Youtube.
Mein Problem war, dass ich nie einen starken Ehrgeiz als Filme­ma­cher entwi­ckelt habe, es gab Phasen, da exis­tierten Dinge im Leben, (wie z.B. Vereins­fuß­ball zu spielen oder in anderen Ländern zu leben) die damals offenbar reiz­voller für mich waren. Viel­leicht ist das der Grund, warum ich nur relativ wenige Film vorzu­weisen habe. Jetzt habe ich mir Clint Eastwood ein bisschen zum Vorbild genommen- Er macht immer noch viele Filme und je älter er wird, desto besser ist er...

artechock: Ein Ferrari und ein kurzer Schwarz­weiß-Film über einen Mann und dessen Ferrari-Träume spielt in Alter und Schönheit eine Rolle. Wer es wissen will, kann auch noch wissen, dass der alte Film von Dir stammt, und aus den späten Sech­zi­gern ist. Und dass der Arbeits­titel zu Alter und Schönheit hieß Ferrari 49. Was hat es mit dieser Verbin­dung über die Zeiten für eine Bewandnis? Wie verhalten sich beide Filme zuein­ander?

Klier: Heute wirkt der kurze Film von damals wie Nostalgie einer verschwun­denen Zeit. Ein junger Typ stellt sich hin und sagt, mein Traum ist ein Ferrari. 30 Jahre später hat er den Ferrari, aber jetzt bedeutet die Erfüllung nichts mehr. Viel­leicht hat es zu lange gedauert, ihn zu erfüllen oder es war ein falscher Traum. Es gibt wahr­schein­lich viele falsche Träume. Aber es geht viel­leicht auch gar nicht so sehr darum, ob die Träume richtig oder falsch sind, sondern um die Energie, die Träume frei­setzen. Und so gesehen, können sie ziemlich viel Energie frei­setzen. Ein kurzer Film über einen Traum und ein langer über einen ausge­träumten Traum. Wir leben ja in einer Zeit der ausge­träumten Träume, (ob große oder kleine), und der sich buchs­täb­lich häufenden Alpträume. Der kurze Film zeigt aber auch noch etwas anders in Bezug zum langen Film. Eine Art Unschuld des Blicks auf die Welt, eine Art Welt­ver­trauen in das Leben und auch in das Kino. Ein Welt­ver­trauen, das es heute nicht mehr gibt. Der lange Film weiß das, die »Risse« sind überall zu sehen. Der kurze Film handelt von der stür­mi­schen Unbe­fan­gen­heit eines jungen Mannes und eines Stils zu filmen, der lange Film von einem Inne­halten, einem Anhalten, der kurze Film ist, wenn man so will, Aktion, der lange, Reflek­tion, auch der Prot­ago­nisten. Nun könnte man Alter und Schönheit auch als eine Metapher für das Kino an sich betrachten. Das Kino selbst ist nicht mehr jung, es wird gerade von etwas Anderem abgelöst, von dem wir noch nicht wissen, ob es je alt werden wird und eine dem Kino vergleich­bare Schönheit wird bieten können.

artechock: Kannst Du diesen Gedanken vom Welt­ver­trauen in das Leben und auch in das Kino, das es heute nicht mehr gäbe, das verloren sei, noch ein bisschen erläutern, auch Ursachen benennen?

Klier: Aber viel­leicht ist die Idee der Unschuld des Blicks und des Welt­ver­trauens auch eine roman­ti­sche Idee, die aus dem Konzept der heilen Welt entspringt oder nur eine Illusion, die man hegt, wenn man jung ist. Oder viel­leicht hat das auch mit der Idee der ewigen Jugend zu tun, was auch ein bisschen der Mythos der Romantik oder der Nouvelle Vague ist. Trotzdem gibt aber auch heut­zu­tage immer wieder Filme, wo man etwas sieht, wie man es bisher noch nicht gesehen hat, etwas das buchs­täb­lich unberührt aussieht – wie gele­gent­lich bei asia­ti­schen Filmen.

artechock: Das Kino, das wir beide mögen, die „Nouvelle Vague“, war ja nicht jung, sondern im Gegenteil gewis­ser­maßen altklug, jeden­falls auf langen Tradi­tionen und Tradi­ti­ons­be­wusst­sein aufbauend. Trotzdem war es unschuldig. Oder es schien so, eigent­lich gelang es Godard und Truffaut, Unschuld zu simu­lieren und künstlich, bewusst herzu­stellen. Trifft diese Über­le­gung zu? Könnte man sagen, dass der Nouvelle Vague jenes seltene Kunst­stück gelang, Mytho­logie, Sinn­lich­keit und Vernunft zu versöhnen, also „die Ideen ästhe­tisch zu machen“ wie’s Hegel genannt und Schiller schon in etwa gedacht hat?

Klier: Ich glaube die fran­zö­si­schen Filme­ma­cher waren vor allem von einer Art Selbst­ver­s­tänd­lich­keit getragen, sie haben ihren Energien freien Lauf gelassen, und fühlten sich nicht begrenzt, sie haben derart viel auspro­biert und herum­ex­pe­ri­men­tiert, was ihre Filme so lebendig gemacht hat. Sie waren verspielt, naiv und für Regis­seure super­in­tel­li­gent zugleich. Sie haben sich berauscht, am Kino, den Frauen, an Schönheit, am Wider­spruch. In der Zeit in der sie damals Filme gemacht haben, da gab es keine großen Krisen, keine emotio­nalen Desaster, keinen Medi­en­terror, kein Hinter­fragen von allem. So gesehen, kommt aber richtig harte Wirk­lich­keit in diesen Filmen auch nicht vor. Ob das ein Manko ist, weiß ich nicht.

artechock: Handelt es sich bei der von Dir erwähnten verlo­renen Unschuld des Blicks Deiner Ansicht nach um einen Erkennt­nis­fort­schritt oder um eine Hand­lungs­läh­mung oder gar um beides zugleich?

Klier: Schwer zu sagen, es gibt zu viele Krisen, die das Vertrauen unter­mi­nieren, emotio­nale Krisen, gesell­schaft­liche Krisen. Der Zweifel als Lebens­ge­fühl ist ja sehr stark geworden. Die Konti­nuität ist in Frage gestellt, die Dinge verschwinden zu schnell, und das hängt damit zusammen, dass der Markt immer Neues durch­setzen will. Und die Über­trei­bungen von allem, JEDER über­treibt quasi, was auch immer er vertritt oder reprä­sen­tiert. Das Exzess­hafte überall... Sehen und Fühlen kommt da nicht mehr mit, es verwei­gert sich im besten Fall dagegen.

artechock: Alter und Schönheit kann man ja verstehen als Film über die Gene­ra­tion des Jahrgangs 1949. Die werden im kommenden Jahr 60 Jahre alt, und sind damit überdies genau so alt wie die Bundes­re­pu­blik. Eine »goldene« Gene­ra­tion, für die es immer gut lief, immer aufwärts… Jetzt zeigen sich nicht nur »natür­liche« Alters­er­schei­nungen, auch Haarrisse im von ihnen etablierten und gelebten Fort­schritts­mo­dell sind unüber­sehbar. Ist es überhaupt richtig, Deine vier Männer­haupt­fi­guren als Gene­ra­tion zu begreifen? Oder geht es Dir darum gar nicht? Kann man sagen, dass diese vier von Dir einer­seits als emotional geschei­tert gezeigt werden, Du ihnen aber doch – bis auf den Lohmeyer-Charakter –, die Chance eines Neuan­fangs gibst? Warum haben Sie, warum hat diese Gene­ra­tion noch Grund zum Opti­mismus?

Klier: Was mich immer sehr gewundert hat, war, wenn ich ehemalige Freunde von früher wieder getroffen habe, die eigent­lich gute Typen gewesen sind, voller Ambi­tionen, mit einer mehr oder weniger guten Art, die Dinge zu sehen – wie sehr sich verändert hatten und plötzlich einen Typus Mann verkör­perten, der sie früher hätten nie sein wollen. Sie hatten alle mehrere Frauen gehabt, Kinder mit dieser oder jener Frau, immer wieder das gleiche Muster von Zusam­men­leben wieder­ho­lend, Trennung, neue Frau, neue Kinder und so fort. Das Auffal­lendste dabei war, dass es wie eine Pflich­ter­fül­lung aussah, was sie da in ihrem Leben uner­müd­lich taten. Dieses uner­müd­liche Tun, dass ist es, dem meine Prot­ago­nisten im Film schließ­lich auch zum Opfer gefallen sind. Ich glaube schon, dass es in Deutsch­land ganze Gene­ra­tionen von Männern sind, die dieser (Fort­schritts-) Uner­müd­lich­keit folgen, insbe­son­dere jene, die in den Zeiten des Wirt­schaft­wunder groß geworden ist. Es ist weniger Opti­mismus als Uner­müd­lich­keit, was sie antreibt. Aber ihre große Sehnsucht ist die Unbeküm­mert­heit. Unbeküm­mert­heit, nach der die Deutschen sich so sehnen, wie man bei der letzten Fußball-WM gesehen hat.
Diese Unbeküm­mert­heit werden meine Prot­ago­nisten aber erst erlangen, wenn sie ihre Uner­müd­lich­keit aufgeben. Egal wieviel Chancen auf einen Neuanfang ihnen geboten werden. Und in den langen Sequenzen im Bungalow gelingt ihnen das ja, und dann kommt für ein Moment ein verlo­renes Lebens­ge­fühl auf, das etwas Erlö­sendes hat. Es löst sie, so zu sein, es macht sie weich und offen und plötzlich werden die mehr oder weniger vom Alter gezeich­neten Gesichter dieser ange­strengten Männer auf eine gewisse Weise schön. Das hat ja auch etwas Opti­mis­ti­sches, dass dies möglich ist.

artechock: Du meinst es vermut­lich anders, aber ist das, was Du mit »Sehnsucht nach Unbeküm­mert­heit« andeutest, Deiner Ansicht nach etwas besonders typisch Deutsches? Mögli­cher­weise ein Nach­kriegs­zeit­phä­nomen, die Sehnsucht also nach einer Welt ohne mate­ri­elle Not und (seiner­zeit »ameri­ka­ni­scher«) Freiheit? Oder vieleicht auch umgekehrt typisch deutsch im Sinne einer kulturell länger­fristig wirksamen Kraft: Sehnsucht nach einer »neuen Zeit« gehört ja von Romantik über Jugend­be­we­gung bis hin zu den 30er Jahren zu sich wieder­ho­lenden deutschen Phäno­menen. Und leider lag selbst im Russ­land­feldzug 41 so 'was Unbeküm­mertes, Sehn­süch­tiges… Also: Gehören Uner­müd­lich­keit und Unbeküm­mert­heit nicht auf bizarre Weise zusammen? Suchten die Deutschen bei der WM 2006 nicht diese Unbeküm­mert­heit mit Uner­müd­lich­keit? Liegt nicht in beidem auch etwas Unreifes? (Nicht dass ich es jetzt besser wüsste oder täte…)

Klier: Ich glaube, das Verlangen nach Unbeküm­mert­heit hat besonders damit zu tun, sich irgendwie aus dem Joch zu befreien, in das sich die Deutschen kulturell und mental seit langer Zeit gespannt haben. Aber aus eigener Kraft scheint ihnen das nicht recht zu gelingen.
Es bedurfte, wie von Dir gesagt, der ameri­ka­ni­schen Kultur, ihrer Musik, ihrer Filme, und so weiter, aber auch der Entde­ckung anderer Lebens­weisen, südlicher ange­sie­delt, wo die Deutschen nach dem Kriege anfingen, hinzu­fahren, um Urlaub zu machen und dort gesehen haben, wie andere leben. Da haben sie gemerkt, dass ihnen etwas Wichtiges fehlt und so gelang es ihnen sich ein bisschen zu lockern in den letzten Jahr­zehnten. Einen Lebenstil der Unbeküm­mer­heit gibt es aber in Deutsch­land deswegen nicht.
Und was die besagten deutschen, erwach­senen Männer betrifft, so treten sie in deutschen Komödien, und zwar vom Anfang an, immer albern pubertär auf, und so gesehen hat ihre Unbeküm­mer­heit immer wieder was ziemlich Unreifes.
Es war mir sehr wichtig, die vier Männer in meinem Film nicht pubertär agieren zu lassen, was sehr schnell passieren kann, wenn man nicht aufpasst. Es war aber auch glei­cher­maßen wichtig, sie nicht zu ernst, zu tief­schür­fend zu zeichnen, deutsche Problem­film-Männer aus ihnen zu machen, mit ihren zutiefst frus­trierten Gesich­tern.
Im Kleinen ist Unbeküm­mert­heit viel­leicht eine Art Loslassen, und was sie im Großen bedeutet, naja, das soll sich jeder selber fragen. Dass sie sich gegen­seitig bedingen können, ja und nein. Uner­müd­lich­keit hat auf jeden Fall etwas Zwangs­haftes an sich. Ich befürchte, wir Deutschen lieben Krisen. Das ganze Volk bräuchte mal eine Art kollek­tiver »Tiefen­ent­span­nung«, in allem, sonst werden wir wahr­schein­lich nie locker werden.

artechock: Du hast gesagt, man könnte Alter und Schönheit auch als »eine Metapher für das Kino an sich betrachten.« Wenn das Kino von etwas abgelöst wird: Von was?

Klier: Vom digitalen Filme­ma­chen. Von einer Art Klon des Kinos. Aber viel­leicht ist es ja auch eine Befreiung, weil Filme­ma­cher jetzt etwas Neues entdecken, vom System her ist es ja eher etwas Kleines, in dem aber viel Potential steckt. Viel­leicht leidet es unter einem Mangel an Sinn­lich­keit, die die Film­bilder auf Zelloluid per se in sich tragen. Man muss nur drauf achten, dass es nicht zu glatt und zu kalt bleibt, es kommt darauf an, dem Ganzen Leben einzu­hau­chen.