»Manchmal muss man einfach einen traurigen Song hören« |
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Tim Key in The Ballad of Wallis Island | ||
(Foto: Universal) |
Die lebende Desert Island Disc: Ein verschrobener Lotto-Millionär lockt sein Folksinger-Idol Herb McGwyer auf seine einsame Insel für ein Privatkonzert. Und insgeheim für den Versuch einer Reunion mit seiner musikalischen wie privaten Ex-Partnerin.
The Ballad of Wallis Island ist im Gewand einer Wohlfühl-Komödie ein Film über Schmerz, Einsamkeit und das Feststecken
im Leben. In einer Hauptrolle und als Co-Autor: Tim Key, einer der originellsten Köpfe der aktuellen BritCom-Szene. Der Film eröffnete das Filmfest München 2025. Zu diesem Anlass trafen wir Tim Key und Regisseur James Griffiths. Der Text ist eine Montage aus den einzeln geführten Gesprächen.
Das Gespräch führte Thomas Willmann
artechock: Wenn Geld keine Rolle spielen würde – wen würden Sie für ein Privatkonzert anheuern?
James Griffiths: Wenn alle noch am Leben wären, würde ich liebend gerne Crosby, Stills, Nash & Young aus der Woodstock-Zeit wiedervereinen. Diese Harmonien! Die Beach Boys wären bei mir auch ganz weit vorne. Aber auch da ist freilich jüngst einer verstorben.
Wenn’s drum geht, Leute zusammenzubringen, die noch am Leben sind, dann würde ich Simon & Garfunkel nehmen. Das wäre glaub ich ein gutes Konzert.
Tim Key: Wenn Geld und Tod keine Rolle spielen? Okay. Dann müssen es die Beatles sein!
artechock: Und wenn der Tod ein Hindernis wäre? Was ja sein könnte...
Tim Key: Ja, was sein könnte. (Lacht) Dann würde ich gern Dolly Parton sehen.
artechock: Oh, interessante Wahl! Und Mr. Griffiths, wen würden Sie wählen unter Leuten, die aktuell in einer Besetzung aktiv sind?
James Griffiths: Ich bin ein riesiger Radiohead-Fan. Und ich liebe es, Thom Yorke zuzuschauen. Ich halte ihn für einen der großartigsten Performer, die ich je live erlebt habe. Mit denen einen Privat-Gig zu haben wäre ziemlich krass.
artechock: Und glauben Sie, dass so eine reine Privatvorstellung wirklich eine Freude wäre?
Tim Key: Nein, ich denke, das wäre einfach nur seltsam. Ich würde nicht gern, wie es im Kontext des Films geschieht, einen Koffer voller Geld aushändigen. Ich denke, das ergäbe eine sehr seltsame Dynamik. Charles im Film scheint damit kein Problem zu haben. Er glaubt: Nachdem die finanzielle Transaktion erledigt ist, sind sie zwei Menschen auf Augenhöhe, die einfach ein paar nette Tage miteinander verbringen. Charles hat alles überhaupt nicht weiter durchdacht. In der Realität hätte ich das immer im Hinterkopf: Ich habe der Person das ganze Geld gegeben, und sie verbringen ihre Zeit nur mit mir, weil sie müssen.
James Griffiths: Ja, ich fände die Situation eher peinlich, unangenehm. Ich hätte gern zumindest meine Familie dabei. Ein paar Leute um mich wären schon nett. Auch für die Menschen, die da auf der Bühne stehen. Das stell ich mir sehr schwer vor, wenn man nur ein kleines Publikum hat. Als Live-Act nimmt man ja auch die Energie des Publikums auf.
artechock: In fiktionalen Filmen über angeblich weltberühmte Musik-Stars ist deren Musik selten wirklich überzeugend. In The Ballad of Wallis Island aber glaubt man total, dass es Herb McGwyer und Nell Mortimer gibt, und dass sie mit diesen Songs bekannt wurden. Wie ist Ihnen das gelungen?
James Griffiths: Tom Basden [der Herb McGwyer spielt] schreibt seit 20 Jahren Songs. Wir haben schon den Kurzfilm zusammen gemacht. [The one and only herb mcgwyer plays wallis island, 2007.] Einige Songs sind auch aus dem Kurzfilm übernommen. Als es dran ging, daraus einen Langfilm zu machen, hat Tom dieses Oeuvre um Nells Anteil erweitert. Im Kurzfilm gab es nur McGwyer. Daraus wurde McGwyer-Mortimer. Die Musik erzählt viel von ihrer Backstory – den verschiedenen Phasen, die sie gemeinsam durchlaufen, die Anzahl an Alben, die sie veröffentlicht haben. Als Tom und ich über die Musik gesprochen haben, war es uns enorm wichtig, dass es sich anfühlt, als könnte dieser Musiker existieren, aber man habe noch nicht von ihm gehört. Ich wollte, dass die Band authentisch genug ist, dass wenn man 2014 auf Spotify gesucht hätte, man da ein McGwyer-Mortimer Album hätte entdecken können. Es musste ein Musikstil sein, der hinreichend underground ist, dass er nicht ins allgemeine Bewusstsein gedrungen ist. Der aber auch eine sehr starke Fanbasis hat. Wie die Acts Anfang der 2000er, für die ich viele Musikvideos gedreht habe. Die es nicht in die Charts geschafft haben – die aber dennoch viel Musik veröffentlich haben und auf Tour unterwegs waren.
Tim Key: Als Tom und ich den Kurzfilm schrieben, kam der Moment, wo’s drum ging, die Songs zu komponieren. Und ich erinnere mich, wie ich damals meinte: »Nun, eventuell müssen wir uns dafür einen echten Profi-Musiker suchen.« Und Tom war so: »Nein, kann ich schon selber machen.« Und ich: »Vielleicht...« Und er: »Nein, kann ich, definitiv.« Und ich wusste, dass er gut war, weil er damals Comedy-Songs geschrieben hat. Aber als er dann den ersten Song für den Kurzfilm schrieb... Das war ein entscheidender Moment. Wo klar wurde: Wow, wir können für den Kurzfilm einen völlig glaubwürdigen Folksinger erschaffen. Ohne das hätte der Kurzfilm nicht funktioniert. Als es dann an den Langfilm ging, war das schon ein wichtiger Baustein, der feststand. Dass Tom die Songs schreiben würde. Und dann ist er noch so viel weiter gegangen als im Kurzfilm. Er hat, glaub ich, zwei, drei Songs aus dem Kurzfilm übernommen. Dann hat er fünf, sechs Songs benutzt, die er im Lauf der letzten 15 Jahre geschrieben hatte. Nicht für den Film, sondern über die Liebe, sein Leben, solche Sachen. Die schweben da im Film umher. Und als wir den Langfilm schrieben, hat er ein paar Songs maßgeschneidert, welche die Beziehung zwischen Herb und Nell im Lauf des Filmes beleuchten. Das macht dann etwa ein Dutzend Songs. Und die sind nicht einfach innerhalb von einem Monat für den Film entstanden. Das ist die Arbeit eines Lebens. Was wir unmöglich für einen Film hätten erschaffen können – außer halt dadurch, dass wir vor 18 Jahren den Kurzfilm gemacht haben, und Tom in einem Geist weitergemacht hat, der irgendwie parallell ist zu der Musiker-Figur, die er im Film spielt. Wir haben für den Film quasi gratis die Arbeit eines ganzen Lebens bekommen. Man kann sowas freilich halbwegs nachahmen. Aber es ist sehr, sehr real, wenn die Jahre sich ansammeln. Der Film steht und fällt damit, ob man glaubt, dass das ein tatsächlicher Musiker ist. Man kann jetzt wirklich das Album kaufen – und es ist wunderschön. Es ist nicht nur glaubhaft. Es ist offensichtlich seine Musik, und sie ist fantastisch.
artechock: Tim, Sie spielen gern Charaktere, die auf einer Ebene eine gewisse Autorität genießen – wie Charles durch sein Geld. Die aber im Zwischenmenschlichen heillos überfordert und unterlegen sind.
Tim Key: Ich kann nicht genau sagen, wo dieser Typus herkommt. Aber Tom und ich waren zusammen in einer Sketch-Comedy-Truppe. Und wir haben einfach sehr viel Material geschrieben. Von circa 2004 bis 2007 waren wir unglaublich produktiv. Mit unseren Karrieren ging nichts voran. Und da war es das Beste, dass wir einfach enorm viel geschrieben haben. Wir haben permanent experimentiert, jeder einzelne Sketch war eine neue Figur. Drei Seiten Dialog, die wir dann auf der Bühne aufführten. Und wir bekamen ein Gespür dafür, welche davon funktionierten und welche nicht. Und darunter war wohl auch der Archetyp für meine Filmfigur Charles: Ein Typ, der keinen Aus-Schalter hat. Der einfach redet und redet und redet. Ich erinnere mich an Sketche mit mir und Tom, die in dieser Art waren. Und als uns der Plot des Kurzfilms einfiel, waren da zwei Charaktere, die sehr gut ineinander greifen: Ein Typ, der sich selbst sehr ernst nimmt und seine Ruhe braucht. Welcher auf einen Mann trifft, der nichts richtig durchdenkt und der jede Stille mit dem unablässig sprudelnden Schwall an Schmarrn füllt, der aus seinem Mund kommt. Das fühlte sich sofort nach einer Konstellation an, die man wunderbar schreiben konnte.
artechock: Können Sie etwas mehr erzählen über die Reise vom Kurz- zum Langfilm?
James Griffiths: Als wir den Kurzfilm drehten, hatten wir einfach Freude an der Dynamik zwischen Fan und Künstler, und wie die sich anfühlt. Die Unbeholfenheit, Verlegenheit daran, und wie daraus viel Komik entsteht. Wir haben dann drüber geredet, daraus eine Langfilmversion zu machen, einfach weil wir kreativ so eine gute Zeit hatten bei der gemeinsamen Arbeit an dem Kurzfilm. Der Kurzfilm war schon immer die Sache, auf die wir am
stolzesten waren. Egal, was und wieviel wir seither gemacht hatten. Es wurde mit der Zeit recht schmerzhaft, dass wir noch immer keine Langversion gemacht hatten. Das hat uns alle gejuckt.
Aber wir sind alle in unterschiedliche Richtungen, haben unser eigenes Ding gemacht. Tim sein Standup, Tom als Schreiber und Performer, und ich bin in die USA und hab jede Menge TV-Pilotfilme und Serien gedreht. Erst Covid hat uns dann alle gezwungen, das zu unterbrechen.
Und wir haben uns
zusammengehockt und dachten, der Kurzfilm könnte ein guter Ausgangspunkt sein, wo wir uns auf eine Insel verkriechen könnten, in eine Covid-Bubble, und im gemeinsamen Lockdown einen Film machen. Das war der Start des Schreibprozesses. In Wirklichkeit hat es dann einige Jahre gedauert, tatsächlich den Film zu drehen. Aber das hat uns die Hauptfigur erschlossen und die Dynamik, die zum Antrieb des Kinofilms wurde.
Tim Key: Bei dem Kurzfilm fühlte es sich gut an, zwei Leute zu haben, die wirklich nicht zusammen sein sollten, ohne einander aber nicht auskommen. Das ist ein klassisches Sitcom-Muster. Auch wenn’s nur für drei Tage ist. Als wir darauf für den Langfilm zurückgriffen, wollten wir schauen, was passiert, wenn wir diese Beziehung über anderthalb Stunden durchhalten könnten. Und dann noch andere Figuren dazu kommen. Aber die beiden Charaktere hatten was... – mehr, als wohl manch andere Figuren, die wir über die Jahre erfanden.
artechock: Es ist einer der seltenen Fälle, wo die Langfilm-Version wirklich etwas zu bieten hat, was der Kurzfilm nicht besser auf den Punkt bringt. Was sicher auch an den 18 Jahren liegt, die dazwischen vergangen sind...
James Griffiths: Ja. Die kreative Reise hätte anders ausgesehen, wenn wir den Langfilm bald nach dem Kurzfilm gemacht hätten. Das hätte sich sogar beinahe ergeben. Aber damals hätten wir nicht den gleichen Film gemacht. Wir hätten keinen Film über die Vergangenheit machen können, ohne eine Vergangenheit zu leben. Emotional steckt in dem Film sehr viel von dem, was wir alle durchlebt haben.
Tim Key: Ja. Darum hat es 18 Jahre gebraucht. Der Kurzfilm hat zwei Sachen erreicht. Zum einen war er abgeschlossen und fühlte sich sehr stimmig an. Aber zum anderen schien er wie etwas, zu dem wir zurückkehren sollten. Und ich glaube, weil da beides zugleich war, sind wir drei, vier Jahre nicht auf ihn zurück gekommen. Woraus sieben, acht Jahre wurden. Und allmählich wuchs das, so dass nach zehn Jahren das Gefühl da war, vielleicht sollten wir uns die Sache nochmal vornehmen. Nach 12 Jahren war da vielleicht mal eine konkrete Idee. Nach 15 Jahren war Griff [James Griffiths] wieder im Lande, und es kam in Bewegung. Ich erinnere mich an die ganzen Gespräche mit Tom, wo ich gesagt hab: »Aus dem Stoff einen Kinofilm zu machen, wäre meine absolute Priorität. Dafür würde ich alles andere hinschmeißen.« Und er meinte: »Ja, ist bei mir genauso. Aber das bringt nichts, wenn wir kein Drehbuch haben.« Es blubberten immer mal so Ideen herum – aber schließlich gab es den Moment, wo wir beide Zeit hatten und wirklich das Drehbuch schrieben. Und es ist echt erstaunlich, dass wir beim Schreiben nicht wirklich verstanden haben, was darin steckte. Wir waren glaube ich beide sehr zufrieden mit dem Skript. Aber erst, seit der Film gezeigt wird, und wir Interviews geben, versteht man selbst so richtig, worum es darin eigentlich geht. Wir dachten ursprünglich, der Hauptunterschied sei, dass wir nun Nell im Film hatten und damit diese Beziehung. Aber seit wir den Film gemacht haben glaube ich, dass der entscheidende Unterschied der ist, dass wir älter sind. Und unsere Figuren seit zehn Jahren an einem Punkt im Leben feststecken. Das war nie im Gespräch, wenn wir überlegt haben, worum’s in der Langversion gehen soll. Das haben wir nie im Pub diskutiert. Wir haben das rein als Plotpoint diskutiert: Was wäre, wenn es ein Duo war, und Charles hat sie beide auf die Insel gelockt, ohne dass sie voneinander wissen. Wenn ich den Film jetzt betrachte, dann ist das nicht einfach ein Plotpoint. Da ist ein Vibe, eine gewisse Energie bei der es ums Feststecken im Leben geht. Eine Menge Bausteine waren schon am rechten Platz in dem Kurzfilm. Nur das Alter nicht. Und beim Alter muss man einfach nur warten. Und es wird kommen.
James Griffiths: Ja, das hat eine ganz andere Energie, wenn man sich mit 40, 50 wiederfindet, nicht wahr? Wo man zurückblickt und sich fragt: »How did I get here?« Um es mit den Talking Heads zu sagen. Man hat diese Momente, wo man sich denkt: Keine Ahnung, wie ich hierher geraten bin. Und man in der Vergangenheit hängen bleiben kann. Es ist enorm wichtig, die Schritte zu unternehmen, um die Vergangenheit anzuerkennen, sich aber weiter voranzubewegen. Das ist hoffentlich, was die Charaktere auf der Insel erfahren.
artechock: Im Kurzfilm kann man noch eher glauben, dass Charlie noch ein drittes Mal im Lotto gewinnen könnte. Im Alter gehen solche Chancen allmählich aus...
James Griffiths: Ja, genau. Je älter man wird, umso kostbarer wird einem diese letzte Chance, noch irgendwie wirklich Dinge zu ändern. Das geschieht im mittleren Alter, dass man sich denkt: Vielleicht ist jetzt die Zeit, mich nochmal ganz anders zu orientieren. Insofern war es der richtige Zeitpunkt für das Ensemble, die Autoren und mich, den Film zu machen.
artechock: Gut, dass Sie gewartet haben!
Tim Key: Das müssen wir uns immer wieder selber einreden... (Lacht)
artechock: Sie waren vom Kurzfilm her wohl schon eine recht eingeschworene Film-Familie. Wie haben Sie die Neuankömmlinge integriert?
James Griffiths: Das war tatsächlich sehr einfach. Weil alle Leute, die an Bord des Films kamen, einfach wunderbare, großzügige Schauspieler und Menschen waren, die jede Menge Neugier und Offenheit mitbrachten und wirklich in der Welt involviert sein wollten, die wir zu schaffen versuchten. Ich denke, viel davon geht auf eine Liebe zu Tom und Tim und ihrer Arbeit zurück. Carey [Mulligan] war ein großer Fan von Tims und Toms Arbeit und der Late Night Poetry Shows. Und Sian [Clifford] kennt sie freilich aus den Comedy-Kreisen. Alle haben den Tonfall und die Art Film kapiert, die wir machen wollten. Drum war es sehr leicht, sie in die Gruppe zu integrieren.
artechock: Was ist Ihre Rolle als Regisseur, wenn die Autoren auch die Hauptdarsteller sind?
James Griffiths: Da wir uns schon so lange kennen, haben wir einfach sehr viel gegenseitigen Respekt für unsere Rollen. Ich bin kein Autoren-Regisseur, insofern gibt’s da für mich keinen Konflikt. Ich bin zufrieden damit, meine Rolle anzunehmen, den Weg zu weisen und mich um das visuelle Geschichtenerzählen zu kümmern, um den Tonfall, den Look, das Gesamtgefühl. Und ihnen dann zu erlauben, am Set ganz Schauspieler zu sein.
Wenn
sie ans Set kommen, dann lassen sie sehr diszipliniert ihre Schreiber-Seite zurück und konzentrieren sich ganz auf ihre Rolle als Schauspieler. Wenn man Leute von einem Kaliber wie Carey, Sian und Akemnji am Set hat, dann muss man als Schauspieler echt voll auf der Höhe, voll präsent sein.
Und ich gestatte ihnen den Raum, am Set kreativ zu bleiben.
Ich schau den Beiden echt gern zu. Mein Job ist es, am Monitor zu sitzen und mich zu fragen: Glaub ich das wirklich? Bringt das die
Geschichte wirklich voran?
artechock: War es schwer, die richtige Balance aus süßeren und herberen Noten zu finden?
James Griffiths: Das ist ziemlich schwer. Viel davon geschieht schon in der Entwicklung. Wir lassen uns viel Zeit damit, den ganzen Stoff zu hinterfragen und sicherzustellen, dass alle Figuren in die richtige Richtung gehen. Dass wir die Geschichte vom Tonfall auf die richtige Weise erzählen. Viel davon steckt im Buch, wo Tom und Tim, wenn es zu sentimental wird, mit einer Pointe gegensteuern. Aber es bleibt ein totaler Drahtseilakt – aber das finde ich auch aufregend.
Tim Key: Ich glaube, Tom und ich sind beide recht intuitive Schreiber. Und wir wussten von gewissen Bausteinen, dass sie im Film sein würden. Die Dialoge haben wir recht flott geschrieben. Der ganze Humor steht da also schon drin. In den Regieanweisungen gibt es dann diese kleinen Denkpausen... Wir finden beide die Vorstellung interessant, dass oft Menschen andere zu schnell abtun, abschreiben. Wir mögen beide, dass Herb sofort Charles abschreibt, und vielleicht auch das Publikum ihn für einen bloßen Hanswurst hält. Und dies dann im Verlauf des Films allmählich zu wandeln, und einen merken zu lassen, dass er ein Mensch ist, mit Gefühlen und einer Vergangenheit... Nachdem wir die erste Fassung fertig hatten, haben wir dauernd geschaut, wie vordergründig im Mix seine Vergangenheit sein sollte. Wir wollten rüberbringen, dass er verheiratet war etc. – aber dem Publikum auch nicht mit dem Vorschlaghammer kommen. Das ist eine delikate Angelegenheit, und sie hängt meiner Meinung nach zum Teil am Skript, zum Teil an der schauspielerischen Darstellung und dann zum Teil an den Entscheidungen, die man beim Schnitt trifft. Es gibt da diese Szene, wo das alles ein bisschen mehr ausbuchstabiert wird, wo ich mit Carey rede, während wir spazierengehen. Und das fand ich interessant: Bei der Szene hatte ich befürchtet, dass sie etwas plump werden könnte. Aber Careys Darstellung... Sie ist so gut darin, Wärme und Mitgefühl auf der Leinwand zu kommunizieren. Und das macht die Szene rund.
artechock: Improvisieren Sie viel am Set, oder halten Sie sich ans Drehbuch?
James Griffiths: Wenn wir loslegen, ist das Drehbuch sehr stimmig. Und wir sind sehr diszipliniert darin, zuerst das ganze Skript in den Kasten zu kriegen. Danach kann man kreativ werden. Dann geht es für mich darum, ihnen die Gelegenheit zu geben, spielerisch zu sein und neue Optionen, zusätzliche Elemente in einer Szene zu finden. Aber ich merke schnell, wenn Dinge zu selbstverliebt werden oder mich aus der Geschichte reißen. Die Jungs sind aber sehr gut darin, mit den Improvisationen den Figuren treu zu bleiben. Und wir haben das Glück, dass Tims Figur jemand ist, der unglaublich wortreich und etwas willkürlich ist und nicht aufhört zu reden. Da kann man ziemlich viel reinwerfen und immer noch das Gefühl haben, dass das Charles' Welt ist.
artechock: Wo haben Sie gedreht? Und wieviel Drehtage hatten Sie?
James Griffiths: Wir haben in Pembrokeshire an der Südküste von Wales gedreht. Und wir hatten 18 Tage. Was sehr wenig Zeit ist. Wir hatten viel wechselndes Wetter, das »Vier Jahreszeiten an einem Tag«-Wetter von Wales. Regen, Sonnenschein, Wolken – und dann noch die Gezeiten. Der Dreh war sehr herausfordernd, physisch anstrengend und sehr schnell. Aber wir hatten eine Crew von Leuten, mit denen ich zum Teil seit 20 Jahren zusammenarbeite. Alle ziehen in die selbe Richtung. Man spürt die Eigendynamik. Das hat eine Energie, die sich glaub ich auch auf die Leinwand überträgt. Wenn ich gewusst hätte, dass der Film so ein großes Publikum findet, hätte ich vermutlich fünf Tage und ein paar Millionen Dollar Budget mehr verlangt. Aber auch wenn ich all die Sachen sehe, die ich anders machen würde, scheint das Publikum mit seinem frischen Blick sich nicht dran zu stören. Insofern bin ich zufrieden.
artechock: Was bereuen Sie am meisten, nicht in den Kasten bekommen zu haben?
James Griffiths: Ich glaube, für mich sind das die Szenen im Meer kurz vor dem Konzert. Wir haben nicht den richtigen Wellengang gehabt. Wir wollten unruhigeres Meer. Uns schwebte etwas leicht anderes vor. Und ich glaub, wir haben uns grad so durchgemogelt. Aber beim Filmemachen hat man immer Sachen, die man sich anders vorgestellt hat als das, was man letztendlich bekommt. Ich glaube, wenn ich den perfekten Film gemacht hätte, würde ich vermutlich in Rente gehen. Und das wollte ich auch nicht.
artechock: Und selbst dann würde man mit Abstand befinden: Das war nicht perfekt...
James Griffiths: Ja. Das ist Teil der kreativen Reise, dass man immer Gelegenheit entdeckt zu lernen, zu wachsen und besser zu werden in dem, was man tut.
Es ist auch ein Handwerk. Jedesmal, wenn man etwas macht, lernt man etwas Neues. Einen Film zu machen, verzeiht nichts. Das ist nicht wie mit Fernsehen, das irgendwo so im Äther rumschwebt. Ein Film bleibt einem das ganze Leben. Insofern ist da ein bisschen mehr Druck...
artechock: Hätten Sie den Langfilm in jüngeren Jahren gedreht, wäre vermutlich auch die Versuchung größer gewesen, Herb und Nell wieder zusammenzubringen, oder...?
James Griffiths: Ja. Aber wir alle waren überzeugt, dass es sehr wichtig war, dass sie nicht wieder zusammenkommen. Dass es dabei mehr um die Gefühle ging, die Herb auf Nell projiziert, als das, was für die beiden wirklich richtig ist.
Wenn Nell auf der Insel ankommt, ist sehr klar, dass sie einfach nur das Konzert absolvieren und mit ihrem Ehemann wieder verschwinden will. Aber es ist seltsam, wie wir als Menschen immer von anderen
verlangen, dass sie sich verbiegen, um unsere Wünsche zu erfüllen...
Tim Key: Nells Ehemann ist ein netter Kerl. Aber das ist egal, weil er durch Herbs Augen immer ein Monster sein wird und ein Typ, der nicht mit Nell zusammen sein sollte. Egal was er tut: Wie er ein Sandwich isst, wie er sein Glas am Wasserhahn füllt. Wenn man Herb erwischt, wie er ihn dabei anschaut, ist das immer: Der Typ ist ein Arschloch! (Lacht)
Tim Key: Es ist eine sehr persönliche Geschichte für mich, weil ich eine Scheidung durchgemacht habe. Und es gab Zeiten, wo ich verzweifelt wieder mit meiner Frau zusammenkommen wollte. Sie war diejenige, die Nein sagte. Was ich sehr schwierig fand. Und es fiel mir schwer, darüber hinweg zu kommen. Diesen Aspekt des Films empfinde ich als sehr persönlich. Dieses Gefühl, etwas zu wollen, von dem man vermutlich weiß, dass es nicht gut ist für einen. Und die Person sagt einem, dass es nicht mehr das Richtige ist für einen. Und trotzdem steckt man da fest. Kommt nicht drüber hinweg.
artechock: Auch das ist Lebenserfahrung, die seit dem Kurzfilm hinzu kam...
James Griffiths: Ja. So schmerzvoll die Erfahrung war... Das ist das Schöne an der Kunst, dass man solche Gefühle ein wenig erkunden kann, über seine Entscheidungen nachdenken und zurückblicken kann.
Und der Film ist voller Schmerz. Auch wenn es eine wirklich nette Komödie ist und man das Kino beschwingt verlassen kann. Aber da steckt eine Menge Schmerz drin. Speziell in Charlies Figur.
Uns war wichtig, dass man den ganzen Film über
glaubt zu wissen, wer Charlie ist, weil er einfach keine Pause macht. Aber genau in den Momenten, wo er aufhört zu reden, erkennt man den wahren Charles unter dieser Rüstung von Humor. Ich glaube, das ist eine wahrhaftige Beobachtung über Menschen.
In diesen stillen Momenten spürt man wirklich den Schmerz, die Verwundung. Er muss diese Momente durchmachen, damit sein Leben wieder vorangeht. Er muss diesen Schmerz annehmen und verarbeiten. Und das hat er noch verweigert. Die Musik
erlaubt ihm das.
So geht’s mir auch mit Musik. Manchmal muss man einfach unbedingt einen traurigen Song hören, wenn man traurig ist. Wenn jemand traurig ist, sagen Leute immer: Leg einen fröhlichen Song auf, der wird dich aufmuntern! Für mich stimmt das Gegenteil. Ich will lieber dieses Gefühl wirklich erfahren, eine Weile darin zubringen und mich dann hindurch, wieder heraus zu bewegen.
artechock: Ich liebe das Detail, dass Charles einen extrem guten Aufschlag hat – aber keinen Ball übers Netz zurück bekommt. Weil er Tennis immer nur alleine spielt. Das ist zugleich so lustig und sooo traurig...
James Griffiths: Das entstand aus einer Beobachtung davon, wie es sein muss, ganz allein zu leben. Das war Tom und Tims Idee. Und wir wollten auch eine Szene, in der die beiden Figuren sich ein bisschen näher kommen, die nicht plump war, sondern mit etwas Witz.
Tim Key: Das ist das Schöne daran, wenn man einen Lang- statt einen Kurzfilm schreibt. Man kann ihn mit diesen ganzen kleinen Dingen bevölkern. Solche Sachen zu erzählen macht uns Freude. In der Szene könnten auch VFX zum Einsatz gekommen sein... (Grinst)
artechock: Sie haben den Ball nicht selber geschlagen?
Tim Key: Ich hab den Ball so hart geschlagen, wie ich konnte. Ich hab alles für die Szene gegeben. Aber ja, es musste einfach sehr schnell wirken, drum...
artechock: Tim, Sie sind Autor, Schauspieler (u.a. in MICKEY 17), Stand Up Comedian. Zu einer Rolle muss ich aber unbedingt fragen: Was genau machen Sie als »Task consultant« bei der genialen Gameshow TASKMASTER?
Tim Key: Nun, manchmal geh ich mit Alex Horne [Erfinder, Produzent und Co-Moderator von TASKMASTER] in den Pub. Es ist einer der tollsten Jobs. In der ersten Staffel war ich als Kandidat dabei. Ich und Alex sind beste Freunde. Drum hat er mich nach der ersten Staffel gefragt, ob ich das machen würde. Bei der zweiten Staffel hab ich mir nur noch vielleicht einen Task ausgedacht und mir Alex’ Ideen angehört. Bei der dritten Staffel sind wir in den Pub und er erzählte mir seine Task-Ideen und ich sagte: »Fantastisch!« (Lacht) Und seit ungefähr der fünften Staffel mache ich eigentlich fast gar nichts mehr. Es ist ein Ehrentitel. Wenn Alex je irgendeine Frage haben sollte, ruft er mich an. Aber eigentlich steh ich nur noch in den Credits.
artechock: Und Sie schreiben auch wunderbar eigenwillige Gedichte. Haben Sie jetzt schon welche über München geschrieben?
Tim Key: Noch nicht. Werde ich aber noch, während ich hier bin. Ich hab inzwischen ein paar Gedichtbände geschrieben. Und der letzte war über L.A., heißt »L.A. Baby!« und erscheint bald. Ich weiß noch nicht, was der nächste wird. Aber der darauf wird dann übers Reisen sein. Ich hab Gedichte in Prag, New York, Australien, Lettland, der Slovakei geschrieben. Also ja, während ich hier bin, werde ich ein paar Gedichte schreiben, die dann vermutlich in ungefähr zwei Jahren in ein Buch kommen.
artechock: Wir freuen uns drauf und danken für das Gespräch!