20.11.2003

»Es geht um Bilder für die Ewigkeit«

Laura Harring
Laura Harring

Hollywood-Darstellerin Laura Elena Harring über ihren neuen Film The Poet, die Arbeit mit David Lynch und europäische Badewannen

Als man Laura Elena Harring erstmals auf einer europäi­schen Leinwand sah, war dies eine Über­ra­schung: die unbe­kannte Darstel­lerin spielte eine Doppel­rolle in David Lynchs Meis­ter­werk Mulhol­land Drive.
Jetzt ist Harring in The Poet zu sehen.

Mit Laura Elena Harring sprach Rüdiger Suchsland

artechock: The Poet war ihr erster Film in Europa. Wie war die Erfahrung? Was war anders, als in den USA?

Laura Elena Harring: Es war eine wilde Erfahrung. Ich mochte die Leiden­schaft aller Betei­ligten, man hatte wirklich das Gefühl, das alle an einem Strang zogen. Der Arbeits­pro­zess und die ganze Haltung haben gestimmt. Die Film­ge­werk­schaften in den USA sind sehr mächtig. Hier hatte man eher den Eindruck, dass sich jeder mit dem ganzen Projekt iden­ti­fi­ziert.

artechock: Was glauben Sie, woher kommt dieser Unter­schied? Steckt etwas Grund­sätz­li­ches dahinter?

Harring: Ich denke schon, dass es grund­sätz­liche Unter­schiede gibt. In Europa gibt es mehr Lebens­qua­lität. Die Leute genießen das Leben; sie machen länger Ferien. Es gibt nur Arbeit, Arbeit, Arbeit, Arbeit, Geld, Geld, Geld, Geld. Hier heißt es eher: Ich will heute nicht arbeiten, ich will auf diese Party gehen. Man versteht hier das Leben besser zu leben.
Man kann das sehr gut am Beispiel der Bade­wannen zeigen: Hier sind sie groß genug, damit der ganze Körper hinein­geht. In Amerika sind sie zu klein für den Körper – als ob das unwichtig wäre... Man nimmt sich dort nicht die Zeit für Luxus Die Saunas hier haben zusätz­liche Becken für Heiß- und Kalt­wasser, haben Platz, um dort Zeit zu verbringen...

artechock: Aus europäi­scher Perspek­tive erscheinen die USA tradi­tio­nell eher als das Land der Freiheit und des besseren Lebens...

Harring: Ja, in Bezug auf Auto­bahnen. Aber nicht in den wichtigen Dingen...

artechock: Wie zum Beispiel Bade­wannen...

Harring: Ja! Überhaupt die Bade­zimmer. Und die Leute trinken ihren Kaffee aus Porzellan, nicht aus Papp­be­chern. Die Lebens­qua­lität ist höher, es gibt mehr Kultur, mehr Geschichte, mehr Tradition – ich finde das wunderbar.
Die Leute hier sind wirklich an Schönheit inter­es­siert, sie ziehen sich hier auch besser an – obwohl der ameri­ka­ni­sche Einfluss voran­schreitet. Wenn man in Nacht­clubs geht, trifft man auch ganz viele Frauen in Jeans.

artechock: Das hört sich an, als ob Sie zur Europäerin geworden sind?

Harring: Nun, ich war ja früher bereits in Europa: Ich habe ein Jahr in einem Internat in der fran­zö­si­schen Schweiz verbracht, kann ein bisschen fran­zö­sisch. Ich hatte eine spanische Mitbe­woh­nerin auf meinem Zimmer. In der Zeit habe ich viel über Europa gelernt.

artechock: Hier­zu­lande sind Sie durch David Lynchs Mulhol­land Drive populär geworden. Haben denn Sie den Film verstanden?

Harring: Ich denke schon. Er ist sehr tief. Ich habe zwei Inter­pre­ta­tionen. Die Erste: Was man sieht ist definitiv Teil eines Traums. Dianes Traum. Das komplette Gegenteil der Realität. Als sie aufwacht, ist sie in einer fötalen Position. Am Ende sieht sie sich selbst. Sie konstru­iert meine Figur als eine Hilflose, eine, die sie braucht. Zwischen­durch gibt es ein paar kurze Einbrüche der Wirk­lich­keit: Etwa die Szene, in der ich sage: »Ich kann Dich nicht sehen.« Der Aschen­be­cher mit seinen verschie­denen Posi­tionen ist ein Schlüssel zum Ganzen.
Meine zweite Inter­pre­ta­tion: Das, was linear gesehen am Anfang steht, ist der Moment, an dem Diane einen Killer bezahlt, um mich zu töten. Und im Folgenden liege ich im Koma.
Das sind meine zwei Versionen. Ich bin sicher, es gibt viele mehr.

artechock: Lynch selbst hat ja 12 verschie­dene angegeben... Wie hat er Ihnen Ihre Rolle erklärt?

Harring: Wir haben ja in drei Abschnitten gedreht. Sie wissen viel­leicht von der Vorge­schichte: Es sollte ursprüng­lich der Pilot zu einer TV-Serie werden.

artechock: Wie reagiert man, wenn – ohne sonder­lich berühmt zu sein – plötzlich David Lynch bei einem anruft?

Harring: Wir können ganz ehrlich sein: Ich war völlig unbekannt. Sie riefen mich früh morgens an: »David Lynch will Sie sehen.« Das war zu plötzlich, ich hatte Termine, musste sagen: »Ich kann nicht, ich komme morgen.« Am nächsten Tag fuhr ich hin, und hatte auf dem Weg einen Auto­un­fall, weil ich so aufgeregt war. Ich kam am ganzen Leib zitternd in seinem Studio an. Als ich das dann der Assis­tentin erzählte, lachte sie und antwor­tete: Wissen Sie, in der ersten Szene hat Ihre Figur einen Auto­un­fall. Von da an hatte ich ein sehr gutes Gefühl. Es war wie ein Omen. Als Lynch und ich uns kurz darauf das erste Mal sahen – ich war völlig unge­schminkt –, schaute er mich an, und sagte: »Gut.« Als ob er hypno­ti­siert wäre: (haucht) »Gut. Gut. Gut.« Er hat etwas in mir gesehen, was über mein Aussehen hinaus­ging, eine Vision von mir. Er hat durch mich diese Lein­wand­wand­figur erfunden. Lynch ist ein Instinkt­mensch, der sich nicht durch Einwände von Studios und anderen Leuten verun­si­chern lässt.

artechock: Wie ist Lynch als Regisseur?

Harring: Er ist ein Künstler, ein „Auteur“. Seine Filme sind europäisch: er lässt sich Zeit. Ein Zuhörer. Er läßt sich inspi­rieren: Als er hörte, dass ich Latein in der Schule hatte und Spanisch kann, fügte er noch eine kurze Passage in das Drehbuch ein, in der ich Spanisch sprechen musste. Manche Kritiker hielten diese Szene später für zentral, aber es war »nur« ein spontaner Einfall.
Seine Anwei­sungen waren fast immer meta­pho­risch. Er sagte zum Beispiel: »Versuch wie ein kleines Kätzchen zu laufen« – und ich wusste genau was er wollte: Sanft, geschmeidig, verfüh­re­risch. Das war perfekt. Er sagte nicht: »Mach auf einen klas­si­schen Hollywood-Glamour­star, auf Ava Gardner, auch Rita Hayworth.« Und seine Kame­ra­be­we­gungen sind eigent­lich sehr ähnlich: Sanft, geschmeidig. Er hat etwas Beson­deres, Einma­liges. David hat eine Vision, ein ganz klares Bild vor Augen.

artechock: Er ist auch ein großer Frau­en­re­gis­seur...

Harring: Er liebt Schau­spieler. Er ist sich ihrer Probleme, ihrer Aufgaben und der Schwie­rig­keiten ganz genau bewusst. Lynch inter­es­siert sich für die Persön­lich­keit seiner Darsteller. Wir haben ausführ­lich über meine Vergan­gen­heit, meine Zeit in Indien und über Philo­so­phie gespro­chen. Er will die dunklen Seiten entdecken und für seine Filme nutzbar machen. Und für Lynch lässt man sich einiges gefallen, was man für einen Mr. XY nicht täte, läßt sich wie von einem Vampir aussaugen [lacht] – aber das Ergebnis ist nicht der Tod, sondern die Ewigkeit, große Kunst. »Mull­hol­land Drive« ist ein Meis­ter­werk, brilliant orches­triert.

artechock: Hat Sie die Erfahrung mit David Lynch zu drehen, verändert? Als Schau­spie­lerin?

Harring: Ich denke schon. Ich habe so viel von ihm gelernt. Ich habe begriffen, dass es im Film um Bilder geht, um Images, Zeichen. Diese muss man als Film­schau­spieler erzeugen – um psycho­lo­gi­sche Genau­ig­keit, charak­ter­li­chen Realismus geht es weniger. Als wir den Unfall drehten, sagte er beispiels­weise zu mir: »Geh wie eine zerbro­chene Puppe.« Um solche Bilder geht es. Wenn sie nicht vom Regisseur kommen, muss sie der Darsteller schaffen. Und nur wenige Regis­seure sind so präzise.

artechock: Aber als Darstel­lerin müssen Sie die Bilder auch verstehen...

Harring: Ja, schon. Aber ich erinnere mich an einen Moment, als Naomi Watts und ich uns anschauten, und einfach still waren: »Whow!« Ich wusste nicht was ich sagen sollte, es kam mir alles dumm vor. Mein Charakter ist ein bisschen sado­ma­so­chis­tisch. Es war wirklich krank. Aber krank auf eine gute Weise.

artechock: Was haben Sie eigent­lich gemacht, bevor Sie Schau­spie­lerin wurden?

Harring: Ich war eine Hippie: Vege­ta­rierin, Peace + Love, ich arbeitete als Sozi­al­ar­bei­terin in Indien, und habe dort Bäume gepflanzt. Aber alles, was ich in meiner Freizeit im Kopf hatte, waren Filme. Ich bin dort ins Kino gegangen und habe drei Filme hinter­ein­ander gesehen. Dann lebte ich eine Weile auf den Phil­ip­pinen. Dort hat man mir angeboten, in Filmen mitzu­spielen.

artechock: Sind Sie als Darstel­lerin ein „First-Taker“, eine Frau für die erste Aufnahme, oder brauchen sie viele Versuche vor der Kamera?

Harring: Der dritte ist der magische! Bei der dritten Aufnahme bin ich meistens am besten. Doch wie viele Aufnahmen man braucht, hängt ja auch vom Regisseur ab. Kubrick hat, wie es heißt immer mindes­tens 12, 15 Aufnahmen gedreht.

artechock: Werden Sie wieder mit Lynch arbeiten?

Harring: [Lacht] Er schreibt gerade. Und ich habe das gute Gefühl, dass da eine Brünette mit im Script steht.