11.09.1997

Ein Alptraum

Blutverschmierter Fernseher aus FUNNY GAMES
Funny Games

Michael Haneke spricht über Funny Games

Die Welt wird immer brutaler. Egal ob im Kino oder in den Nach­richten. Der öster­rei­chi­sche Regisseur Michael Haneke zeigt in Funny Games, wie zwei Jugend­liche eine Feri­en­haus­sied­lung heim­su­chen und grundlos eine Familie quälen – bis zum Tode.
Zur Zeit des Münchner Filmfests: Michael Jackson gastiert gerade ebenfalls im Baye­ri­schen Hof und scheint den Kunst­filmer zu verfolgen: Schon in Cannes weilte er nebenan. Haneke bezeichnet sich als großen Musik­lieb­haber und aktiven Dilet­tanten am Klavier. Draußen kreischen die Fans. Schon sind wir beim Thema Popkultur

Das Gespräch führte Stefan Gimpel

artechock: Sehen Sie sich MTV an? Die beiden Sadisten nennen sich „Beavis & Butthead“.

Michael Haneke: Ich schau mir Video­clips an. Die sind technisch gut gemacht. Ich will nicht gegen die Jugend pole­mi­sieren. Die Jugend ist die Zukunft und sie hat immer recht.
Aber die Kultur sagt natürlich etwas aus über das Selbst­ver­s­tändnis dieser Gene­ra­tion.

artechock: Wie waren die Reak­tionen bisher?

Haneke: In Cannes waren nur inter­es­sierte Fachleute. Ich bin neugierig, wie das Action­pu­blikum ihn aufnimmt.
Im Film als Ware geht es nicht um das Leiden der Opfer, sondern um das Vergnügen der Täter, als wäre Gewalt eine geile Sache. Diese schuld­lose Mittä­ter­schaft wird von uns auch gut bezahlt, ist aber eine Gefahr für die Gesell­schaft. Dagegen will ich ein Bewußt­sein schüren, was man sich da eigent­lich täglich reinzieht. Der Film will provo­zieren. Die Leute beschweren sich wie bei meinem älteren Film Benny’s Video, daß sie verge­wal­tigt würden.

artechock: Werden dadurch die Grenzen des Brutalo-Kinos nicht erweitert, da die Darstel­lung extrem nahe geht?

Haneke: Ich glaube, daß das Leiden der Opfer bei mir mehr abschreckt. Und was wäre die Alter­na­tive? Man muß das Risiko eingehen, von irgend­wel­chen Geis­tes­kranken mißver­standen zu werden, ein Sadist, der Schnee­witt­chen kennt und jemanden umbringen will, spritzt das Gift in den Apfel und gibt ihn seiner Oma. Aber das Problem wird hier umgedreht, kein Mensch regt sich über normale Action auf, versuche ich das zu thema­ti­sieren, kommt der Vorwurf »Darf man das so zeigen?«

artechock: Der Voyeur wird nicht befrie­digt.

Haneke: Ich kann auch nicht mit faschis­ti­schen Mitteln einen anti­fa­schis­ti­schen Film machen. Bei mir läuft das Spiel mit dem Zuseher: »Du bist der, der das sehen will und sogar die Bilder produ­ziert«

artechock: Ist Ihr Ziel erreicht, wenn die Leute flucht­artig die Vorstel­lung verlassen ?

Haneke: Über­spitzt formu­liert: Wenn jemand rausgeht, hat er den Film nicht nötig. Ich schau mir selten Action­filme an, weil sie mich tödlich lang­weilen, wenn, dann nur aus profes­sio­nellen Gründen. Das Normal­pu­blikum wird drin­bleiben, sonst würden sie nicht reingehen.

artechock: Spüren sie keine Faszi­na­tion ?

Haneke: Nein. Ich sah mir gern Pulp Fiction an, weil es ein bril­li­anter Film ist, von einem hoch­in­tel­li­genten Mann, der sein Fach beherrscht.

artechock: An den reini­genden Effekt von Gewalt glauben Sie nicht? Sie lassen dem Zuschauer keine Chance. Die Bestra­fung der Täter bleibt ja aus.

Haneke: Nach Auschwitz kann man nicht mehr so tun, als wäre die Welt in Ordnung zu renken. Heute ist der einzige Weg, einem das Problem so stark auf die Brust zu drücken, daß er gezwungen ist, den Sprung zu tun.
Im Kino werden nur Beru­hi­gungs­pillen verab­reicht, die 90-Minuten-Lösung als fromme Lüge, nur um Geld zu verdienen.

artechock: Glauben Sie an gezeigte Gewalt zum Abre­agieren ?

Haneke: Höchstens unmit­telbar. Aber die Verharm­lo­sung ist viel schäd­li­cher.
Das alte »Brot und Spiele« funk­tio­niert nicht mehr, daß man dem Volk seinen Adre­na­lin­or­gasmus schenkt, halte ich für eine sehr kurz­schlüs­sige Legi­ti­mie­rung.

artechock: Wollen Sie die Thematik weiter­führen ?

Haneke: Der nächste Film handelt von etwas ganz anderem. Im Moment habe
ich keine Idee, nachdem ich den weiteren Schritt, die Rolle des Zusehers in Vorder­grund zu rücken, hier vollzogen habe.

artechock: Letzte Frage: Was würden Sie auf die einsame Insel mitnehmen.?

Über­spitzt formu­liert: (Lacht) – Weiß ich nicht – ich denke, das ist sehr über­heb­lich. Das muß jeder für sich entscheiden. Doch, ich weiß es, aber ich sage es nicht.