Die Welt wird immer brutaler. Egal ob im
Kino oder in den Nachrichten. Der österreichische Regisseur Michael
Haneke zeigt in FUNNY GAMES, wie zwei Jugendliche eine
Ferienhaussiedlung heimsuchen und grundlos eine Familie quälen - bis
zum Tode. Zur Zeit des Münchner Filmfests: Michael Jackson
gastiert gerade ebenfalls im Bayerischen Hof und scheint den
Kunstfilmer zu verfolgen:Schon in Cannes weilte er nebenan. Haneke
bezeichnet sich als großen Musikliebhaber und aktiven Dilettanten am
Klavier. Draußen kreischen die Fans. Schon sind wir beim Thema
Popkultur -
Artechock: Sehen Sie sich MTV an? Die beiden Sadisten nennen sich
Beavis & Butthead.
Haneke: Ich schau mir Videoclips an. Die sind technisch gut
gemacht. Ich will nicht gegen die Jugend polemisieren. Die Jugend
ist die Zukunft und sie hat immer recht. Aber die Kultur sagt
natürlich etwas aus über das Selbstverständnis dieser Generation.
Wie waren die Reaktionen bisher?
In Cannes waren nur interessierte Fachleute. Ich bin neugierig,
wie das Actionpublikum ihn aufnimmt. Im Film als Ware geht es
nicht um das Leiden der Opfer, sondern um das Vergnügen der Täter,
als wäre Gewalt eine geile Sache. Diese schuldlose Mittäterschaft
wird von uns auch gut bezahlt, ist aber eine Gefahr für die
Gesellschaft. Dagegen will ich ein Bewußtsein schüren, was man sich
da eigentlich täglich reinzieht. Der Film will provozieren. Die
Leute beschweren sicn wie bei meinem älteren Film "Bennys Video",
daß sie vergewaltigt würden.
Werden dadurch die Grenzen des Brutalo-Kinos nicht erweitert,
da die Darstellung extrem nahe geht?
Ich glaube, daß das Leiden der Opfer bei mir mehr abschreckt. Und
was wäre die Alternative? Man muß das Risiko eingehen, von
irgendwelchen Geisteskranken mißverstanden zu werden, ein Sadist,
der Schneewittchen kennt und jemanden umbringen will, spritzt das
Gift in den Apfel und gibt ihn seiner Oma. Aber das Problem wird
hier umgedreht, kein Mensch regt sich über normale Action auf,
versuche ich das zu thematisieren, kommt der Vorwurf "Darf man das
so zeigen?"
Der Voyeur wird nicht befriedigt.
Ich kann auch nicht mit faschistischen Mitteln einen
antifaschistischen Film machen. Bei mir läuft das Spiel mit dem
Zuseher:"Du bist der, der das sehen will und sogar die Bilder
produziert"
Ist Ihr Ziel erreicht, wenn die Leute fluchtartig die
Vorstellung verlassen ?
Überspitzt formuliert:Wenn jemand rausgeht, hat er den Film nicht
nötig. Ich schau mir selten Actionfilme an, weil sie mich tödlich
langweilen, wenn, dann nur aus professionellen Gründen. Das
Normalpublikum wird drinbleiben, sonst würden sie nicht
reingehen.
Spüren sie keine Faszination ?
Nein. Ich sah mir gern "Pulp Fiction" an, weil es ein brillianter
Film ist, von einem hochintelligenten Mann, der sein Fach
beherrscht.
An den reinigenden Effekt von Gewalt glauben Sie nicht? Sie
lassen dem Zuschauer keine Chance. Die Bestrafung der Täter bleibt
ja aus.
Nach Auschwitz kann man nicht mehr so tun, als wäre die Welt in
Ordnung zu renken. Heute ist der einzige Weg, einem das Problem so
stark auf die Brust zu drücken, daß er gezwungen ist, den Sprung zu
tun. Im Kino werden nur Beruhigungspillen verabreicht, die
90-Minuten-Lösung als fromme Lüge, nur um Geld zu verdienen.
Glauben Sie an gezeigte Gewalt zum Abreagieren ?
Höchstens unmittelbar. Aber die Verharmlosung ist viel
schädlicher. Das alte "Brot und Spiele" funktioniert nicht mehr,
daß man dem Volk seinen Adrenalinorgasmus schenkt, halte ich für
eine sehr kurzschlüssige Legitimierung.
Wollen Sie die Thematik weiterführen ?
Der nächste Film handelt von etwas ganz anderem. Im Moment habe
ich keine Idee, nachdem ich den weiteren Schritt, die Rolle des
Zusehers in Vordergrund zu rücken, hier vollzogen habe.
Letzte Frage:Was würden Sie auf die einsame Insel
mitnehmen.?
(Lacht) - Weiß ich nicht - ich denke, das ist sehr überheblich.
Das muß jeder für sich entscheiden. Doch, ich weiß es, aber ich
sage es nicht.
Das Interview führte Stefan Gimpel
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