»Die Firma wird zu einer dritten Person, die in einem Zimmer haust« |
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Die Buddenbrooks |
Der in Gelsenkirchen geborene, in Recklinghausen und Marl aufgewachsene Regisseur Heinrich Breloer (66) hat bisher über 40 TV-Filme gedreht. Gemeinsam mit Co-Autor Horst Königstein ist er der Begründer des Dokudramas im deutschen Fernsehen – einer halbdokumentarische Mischform aus Filmdokumenten, Interviews und Spielszenen. Die meisten dieser vielfach prämierten Filme handeln von der neueren deutschen Geschichte: Barschel, Das Todesspiel (1998), sowie Speer und Er (2005). Seit Breloer aber 1959 als Schüler Alfred Weidenmanns Buddenbrooks-Verfilmung gesehen hatte, wurde die Familie Mann sein persönliches Lebensthema. Nach einem frühen Film nach dem Roman „Treffpunkt im Unendlichen“ von Thomas-Manns Sohn Klaus, drehte Breloer 2001 das TV-Dokudrama Die Manns – Ein Jahrhundertroman, für den er einen US-Grammy erhielt. Breloers neue Buddenbrooks-Verfilmung kostet nach offiziellen Angaben mindestens 16,2 Millionen Euro (vermutlich noch weit mehr) und ist damit die zweitteuerste Bavaria-Produktion seit Wolfgang Petersens Das Boot – der ebenfalls als „Amphibienfilm“ mit dem Fernsehen koproduziert wurde, und bald in verlängerter Form als Zweiteiler im Fernsehen zu sehen sein wird.
Das Gespräch führte Rüdiger Suchsland
artechock: Heinrich Breloer, Sie haben auch das Drehbuch zum Film geschrieben. Notwendigerweise wurde der fast 800-seitige Roman gekürzt und bearbeitet. Nach welchen Kriterien?
Heinrich Breloer: Letztlich und erstlich mit großem Respekt vor Thomas Mann. Es sollte Thomas Mann drin sein, wenn Thomas Mann draufsteht. Ich kenne natürlich die vorhergehenden Verfilmungen, auch die von Thomas Manns Tochter Erika betreute, gewusst, dass man auch Generationen verdichten und umstellen darf. Das war sozusagen mal erlaubt worden. Ich hatte vom Fernsehen die Vorgabe, zweimal 90 Minuten zu liefern, vor allem aber eine
Kinofassung um die 145 zu machen. Das heißt: Man musste es enorm verdichten. Eine so kurze Fassung hat es zuvor nicht gegeben.
Der Kern mussten die drei Generationen sein: Konsul Jean und seine Frau, die Kinder Thomas, Tony, Christian, und der Sohn von Thomas: Hanno, der ein Künstler wird. Es musste sichtbar sein die Kerngeschichte, die Thomas Mann erzählt: Eine vitale Kaufmannsfamilie, die immer sensibler wird, und dabei gleichzeitig immer mehr an Vitalität verliert – diese
gegenläufige Entwicklung. Das war immer klar.
artechock: Es ist ja auch die Geschichte eines Handelshauses…
Breloer: Das ist es, was ich von mir aus deutlicher herausgelesen habe, als andere: Es ist die Geschichte eines Handelshauses. Eines Handelshauses, dessen Aufstieg und Verfall Thomas Mann ja beschreibt. Im 19. Jahrhundert, in dem die Menschen in einen wilden Strudel von Ereignissen gerissen wurden, durch eine Kombination von einem dynamisch werdenden Kapitalismus, der auf eine industrielle Revolution traf. Die Landesgrenzen und Handelshemmnisse fielen immer mehr weg, 1871 die Gründung des Deutschen Reiches, die Lübecker, die vorher klein und fein für sich gewirtschaftet hatten, in einem gewissen Trott, mit Gottvertrauen, hatten nun mit Hamburg riesige Konkurrenten. Das lief schon seit langem an – plötzlich war der Markt geöffnet von Hamburg bis München. Die hatten Angst, in die Zollunion einzutreten – aber jemand sagte ja: »Je größer der Markt, desto größer die Chancen.« Ich habe auch dieses Credo, das Vaterunser des Kapitalismus eingefügt: »Das Geld will sich vermehren. Geben Sie ihm Raum und Gelegenheit.« Um auch deutlich zu zeigen, dass die Menschen mit diesem Problem: Wie kann ich hier mithalten? Wie kann ich erfolgreich sein, überleben und trotzdem anständig bleiben? Probleme mit Ängsten und Chancen, wie wir sie eben auch haben – wir sind in einer industriellen Revolution, das ist der Computer und die Biotechnik, bei gleichzeitiger globaler Öffnung der Märkte mit ganz großen neuen Konkurrenten hineingeraten, und wir erleben gerade in diesen Tagen den zweiten Satz: »Je größer der Markt, desto größer die Chancen.« Punkt, Punkt: »Und die Risiken.« Die wir ja auch haben. Das geht immer nur beides zusammen zu haben. Und wir sehen aber, das jetzt die Menschen etwas gelernt haben. Wir sind sozusagen in der Krebsforschung, Onkologie etwas weiter, und die Menschen können etwas genauer gucken, und die Steuerungsinstrumente auch global versuchen zu drehen
artechock: Aber alles hängt am Vertrauen, der eigentlichen Währung des Kapitalismus…
Breloer: Ganz genau! Heute herrscht dasselbe Problem, wie im 19. Jahrhundert! Der Konsul verliert ja auch das Vertrauen. Man verliert das Vertrauen in die Firma, sie wird scheel auf der Börse angesehen, sie sind im Abstieg, und der Erfolg schwindet dem Thomas aus der Hand, er hat nicht mehr die Kraft, er glaubt nicht mehr an sich, er hat kein Vertrauen zu sich selber. Vor all dem stehen wir auch. Als ich das las vor drei, vier Jahren beim
Schreiben war mir ja klar, in welcher Zeit wir leben – da habe ich also diesen Teil, stärker nach vorne geholt, den Thomas Mann angedeutet hat.
Denn als sein Vater nach einer kurzen Krankheit starb, als er 14 Jahre alt war, und Thomas Mann da stand, der »leuchtende Stern« war durch einen Blasenkrebs weg, da war er freigesetzt, und konnte sozusagen sich als Schriftsteller ausbilden, konnte lesen, das Geld des Vaters hat ihn noch lange verfolgt, der Scheck war immer bei ihm, und er
hatte sich für den Handel nicht interessiert, hat ihn sich über Briefe erklären lassen. Und diesen Hinweisen bin ich mehr und mehr nachgegangen, und hab die Börse wieder aufgebaut. Wenn dort steht: »Er wirkte nur noch dekorativ am Ende« Oder: »Er fühlte den kalten Blick auch der Freunde« – weil ein Wechsel war geplatzt. Der Gebrüder Westphal, was zur Folge hat, das Grünlichs Schulden fällig gestellt werden. Weil man Angst hat, dass die Firma nicht mehr fähig ist zu zahlen. So kommt
eine Kettenreaktion zustande. Wenn man das auf wirtschaftlichem Gebiet sich überlegt: Was war ein Wechsel in der Zeit? – Der war schon diskontiert worden von der Bank; er musste ihn also zurückgeben – Dann versteht man dieses Handelsgeschehen etwas mehr.
Das wollte ich auch deutlicher zeigen, um nicht so sehr einen putzigen Familienfilm zu machen. Wie das der Film in den 50er Jahren war – wo das ganze Geld, der Handel draußen blieb. Und es nur um Herz und
Schmerz ging.
Hier in meinem Film merkt man deutlich, was es hieß, wenn Tony sich verliebt in einen Studenten, der im Vormärz einer demokratischen Verbindung angehört, »gefährliche Demokraten« sagte man, und der Vater verbietet es ihr und sagt: »Dir kommt es zu, einen Kaufmann zu heiraten.« Und das wird der Grünlich sein – der genau als Betrüger sich entpuppt. Tony muss den Gesetzen der Firma sich unterordnen. Der Firma dienen. Die Firma wird in dieser Familie zu einer
unbekannten dritten Person, die in einem Zimmer haust. Das bewusst so deutlich herausgearbeitet: Das Chronikzimmer. Wo schon die Ahnen zu dir sprechen. Die Tiefe der Geschichte zeigen: Du bist nicht allein. Du bist Glied einer Kette. Andere waren vor Dir da. Man schuldet auch den Vorfahren, das Geschäft weiterzuführen. Du kannst nicht nach dem leben, was Du gerade mal für Glück hältst. Und das versteht man dann alles besser, wenn die Firma und das Wirtschaftsgeschehen gezeigt wird
– das waren zum Beispiel Kritierien bei der Auswahl und bei der Gestaltung des Drehbuchs.
artechock: Das Buch hat ja den Untertitel: „Verfall einer Familie“. Wie aktuell ist dieses Verfallsthema, die Decadence, der Untergang, das sich ja durch das ganze Werk von Thomas Mann zieht? Thomas Mann schrieb den Roman im „Fin de Siecle“ – als Europa sich seiner selbst überdrüssig fühlte. Man kann ja sagen, dass Europa sich – auch jenseits aller aktuellen Krise und allem Ökonomischen – heute wieder in einer ähnlichen Lage befindet: Leben wir in einer Zeit, in der vielleicht auch eine geistige Wachablösung stattfindet, und die europäische Kultur in ihrer Führungsrolle relativiert wird?
Breloer: Nehmen wir doch mal Thomas Mann als Analogie, und übertragen das. Thomas Mann hat dieses Thema durchgespielt am Material seiner Familie und seiner Heimatstadt: Eine vitale Stadt, vitale Vorfahren werden lebensschwächer, aber gewinnen an Sensibilität. Werden dadurch skrupulöser. Thomas Buddenbrook sagt: Ich bin nicht mehr so hart im Handeln. Ich kann nicht mehr Härte antun und Härte austeilen – und geht daran zugrunde. Diese Themen kennen wir. Das wir als Konkurrenten auch hart auftreten müssen. Aber wir sind nett zu jedermann und verlieren vielleicht auch das eine oder andere Geschäft. Weil wir einen moralischen Kodex haben. Das heißt aber noch nicht, dass man nicht auf hohem Niveau trotzdem handlungsfähig ist. Er hat sich auch zum Teil in Hanno dargestellt: Das ist seine Schulzeit. Der Junge, der gar nicht mehr lebensfähig ist. Der nicht mal mehr Pianist werden will. So hätte er sein können. Aber Thomas Mann war nicht so. Er war aus dem selben Holz wie sein Vater. Er war ein bürgerlicher Schriftsteller. Morgens um neun saß er im Kontor: Unser täglich Blatt gib uns heute.
Und hat sein Leben, seine Erfahrungen verarbeitet, hat sich frisch gehalten am Nachmittag, ging früh ins Bett, und hat mit der Verfallsgeschichte den Grundstock zu einem Millionenvermögen gelegt. Er war überhaupt nicht derjenige, der aufgeben würde. Er hat die Kinder von Hagenström als rauflustige Burschen dargestellt, die seinen kleinen Hanno untertauchten. Er spielt die Dekadenz durch: Er könnte das sein. Er war gefährdet, als er Schopenhauer las, wie Thomas – »So liest man nur einmal im Leben« sagte er. Aber dann schrieb er eben die „Buddenbrooks“. Und danach, sagte Heinrich Mann, »hab ich ihn nie wieder im Leben leiden sehen.« Weil das war der Erfolg der Geschichte. Und die ganze Todesromantik, die hier ja noch da ist, die ja auch noch im »Tod in Venedig« da ist, die wird ja im »Zauberberg« mehr und mehr zurückgedrängt. Man soll dem Tod keine Herrschaft über das Leben einräumen. – das ist der zentrale Satz im »Zauberberg«. Und Hans Castorp verabschiedet sich von der Gefangenschaft durch Krankheit und durch Liebe in diesen verzauberten sieben Jahre. Das heißt: Andere, in Lübeck und der neuen Zeit, wo die Buddenbrooks zugrundegehen, weil sie die Kraft nicht mehr haben, wie es ja in manchen Familien geschehen ist – das die auslaugen. Andere wie Hagenström steigen auf: »Meine Familie platzt aus allen Nähten. Ich brauche Raum.« so kommt er mit seinem Pelzmantel in das Buddenbrook-Haus und übernimmt es. So wie die Buddenbrooks selber vorher von den Rathenkamps das Haus übernommen hatten, die auch bankrott gegangen waren. Der Kreis hat sich einmal geschlossen.
Und Deutschland, während die Buddenbrook-Familie verfällt, hat einen unglaublichen Aufstieg. Die Mischung aus industrieller Revolution, Kapitalismus, neuen Finanzprodukten und Gesetzen wie denen für eine Aktiengesellschaft bringen Deutschland zu einer unglaublichen Blüte. In wenigen Jahren wird ein Netz von Eisenbahnen über Deutschland gezogen, Wasserstraßen, stählerne Schiffe, man kann mit einem Segler in fünf Tagen über die Ostsee aus Lübeck. Das
Kapital schlägt sich immer schneller um. Eingesetzt in 1000 Sack, nach vier Tagen zurück: Mit Gewinn verkauft. Ein riesiges Tempo und riesige Vermögen wird geschaffen. Ich spreche nicht über die Opfer der Industriellen Revolution: Die Arbeiter – politisch korrekt muss man sein und einen Blick darauf wenden – die auch ihre Opfer gebracht haben, aber es wurden auch unglaublich viele Arbeitsplätze geschaffen, und das Land kam in Schwung.
Das war ja eine ungeheure positive
Entwicklung, die dann mit dem ersten Weltkrieg so schrecklich zum Stoppen kam aus politischen Gründen, nicht aus marktwirtschaftlichen ist das System im ersten Weltkrieg gescheitert.
In den 20er Jahren ist dann der Grundstein für die nächste Katastrophe gelegt worden. Und erst mit den 50er Jahren haben wir dann wieder so eine Strecke des Aufstiegs erlebt. So ist es bis heute: Ich sehe so viele intelligente, strebsame, energische türkische Mitbürger – die machen tolle
Geschäfte, die denken gar nicht daran, schlapp zu machen.
artechock: Das sind also die neuen Buddenbrooks? Die Döner-Händler, die zu Millionären werden?
Breloer: Das kann man sagen, ja! Eher noch die Hagenströms, die kräftigen Nachfolger. Aber auch die Gesellschaft insgesamt könnte schnell wieder erstarken. Wir sind nunmal global verbunden. Wir lesen jeden Tag unglaubliche Geschichten: Wenn eine deutsche Bank eine U-Bahn in Amerika lahmlegt, und die Lehrer ihre Pensionsfonds verlieren, das ist ein System von Dominosteinen, die schnell Kettenreaktionen auslösen können. Wir brauchen eben heute auch Welt-Regierungen und – Gesetze, wie man das in Deutschland auch hatte im späten 19. Jahrhundert, nachdem die Kleinstaaten aufgelöst waren.
artechock: Sie sind dann also näher dran am späten Thomas Mann, der sich von Schopenhauer zu Nietzsche bewegt hat, und eher an eine natürliche Kreisbewegung – oder sprechen wir von Evolution – geglaubt hat: Alles was oben ist, muss fallen, und von unten kommt das Lebendigere, Kräftigere, aber auch Primitivere nach – die Hagenströms eben…
Breloer: Also ich weiß nicht: Protestant war er ja auch. Ich glaube, dass Thomas Mann von den Nazis politisiert wurde, indem er sich positionieren musste, dazu gezwungen wurde – sozusagen Königliche Hoheit kam herunter vom Thron, gab sich eine Verfassung und verteidigte nun die Demokratie. Sogar die soziale Demokratie wie er das nannte. Da ist er politisch geworden, Da musste er sich mit alldem befassen, und hat
selbstverständlich Hitler als persönlichen Feind angesehen. Thomas Mann war der große moralische Gegenspieler gegen Adolf Hitler auf der Welt. Das verdanken wir ihm. Und am Ende seines Lebens wird Thomas Mann glaube ich mehr eine Zukunftshoffnung gehabt haben, dass die Aufklärung, die Menschheit, der Fortschritt doch weitergeht.
So würde ich es eher sehen, als das wie in den Buddenbrooks, in den frühen Jahren ein Kreislauf da ist – von der Schopenhauerschen
Philosophie beeinflusst: Die ewig daseiende Kraft, die zurück fließt ins große Ganze. So ist der philosophische Hintergrund der Buddenbrooks vielleicht gedacht von Thomas Mann nach der Philosophie von Schopenhauer. Das kommt ja auch vor, weil es solche Familien gibt. Der Roman ist darum auch sofort in ganz Europa verstanden worden.
In Prag, in Budapest, in Wien, in Paris, in London hatte man solche Familien, die drei, vier Generationen stark sind, und dann durch falsche Ehen,
aber auch durch sensiblere Kinder nicht mehr in der Lage sind, weiter Geschäfte zu machen.
artechock: Also Wohlstand verfeinert auch. Führt zur Kunst, die ja – zumindest bei Thomas Mann – dem Leben auch immer entgegen gestellt ist, und schwächt die Fähigkeit zum handeln, zum Geschäfte machen…
Breloer: Ja. Man kann nicht mehr so brutal sein, wenn man sich in andere Menschen einfühlen kann. Vielleicht wäre ein Vorfahre der Buddenbrooks noch über einen Bettler auf der Straße drübergefahren und hätte gesagt: Was macht der Mann auf der Straße? Aber Thomas Buddenbrook wäre ausgestiegen, Hanno hätte geweint.
Da haben wir uns alle natürlich verändert, und in Familien sieht man das auch: Mein Vater war ja auch Geschäftsmann, der war
ein harter Hund. So hätte ich nie mit den Angestellten reden können, wie ich ihn erlebt habe.
Wie er aufgepasst hat, dass keiner an der falschen Stelle raucht, keiner rumsteht. »Melde mir einen!« hat er gesagt, »den schmeißen wir raus.« Den konnt' ich doch nicht melden!
artechock: Sie haben ja schon ein bisschen angedeutet, womit sich Thomas Mann identifiziert hat.
Breloer: Probeweise.
artechock: Ja. Klar. Man interpretiert. Womit haben Sie selbst sich am meisten verbunden gefühlt? Ich hatte den Eindruck, dass Sie sich ein bisschen weg von Tony, ein bisschen hin zu Thomas bewegt haben…
Breloer: Es wechselt mit den Jahren beim Lesen. Wenn man kleiner ist, ist es der Hanno – weil ich auch immer erwischt wurde. Dann war es der Christian. Ich war eher der Bruder Leichtfuß, mein jüngerer Bruder ist der Kaufmann. Er ist auch ein sehr erfolgreicher Kaufmann geworden. Wir hätten auch Feinde sein können fürs Leben. Aber wir konnten uns verständigen. Ich habe viel von ihm gelernt, nicht allein, den Wirtschaftsteil der Zeitung
zu lesen. Thomas Mann hat viel von sich in alle Figuren gelegt. In den Bruderkonflikt die Beziehung zu Heinrich.
Ob das jetzt beim Drehbuch eine Rolle spielt? Ich habe das mit den Augen eines Zuschauers erzählt: was will er wissen? Ich habe versucht, die stabile Tony zu einer Hauptfigur zu machen. Ich habe sie nicht so eine dumme Gans sein zu lassen. Ich habe versucht, Gründe für ihr Verhalten zu finden. Dass der Vater Stellvertreter Gottes ist, das versteht man heute kaum noch. Sie hat
natürlich auf Verlangen des Vaters eine Zwangsehe geführt, wie heute noch in manchen türkischen Familien. Da staunen wir. Der Thomas ist natürlich eine zentrale Figur, weil er das Geschäft weiterführt. Aber Tony ist, finde ich, gleichrangig neben ihm. Mit all ihren Eskapaden und Wünschen. Sie ist natürlich zweimal weg – und relativ schnell zurück, weil die Ehen sich als Irrtum entpuppen.
Auch sie will dem Ansehen der Firma helfen, denn das Ansehen der Firma ist auch Kredit: Wie
stehst Du da? Ist die Familie gut verheiratet? Man muss sich gerade halten. Man muss sein Leben der Firma unterordnen, die das alles verlangt, um der nächsten Generation diesen Vorsprung an Kapital, Geschäftspartnerschaften weiterzugeben. Aber auch diese Innere Ausstattung weiterzugeben: Das Wissen damit umzugehen, Fleiß. Was den protestantischen Kaufmann auszeichnete, war dass er der ideale Kapitalist war. Nix mit gemütlich in Bayern sitzen – »München is koa
Geschäftsstadt nicht« sagt der Permaneder. Sondern: Früh aufstehen, sein Geld investieren, Leistungsethiker sein. Vor dem Buddenbrook-Haus steht: »Der Herr sieht es voraus«. An der Wand steht links die Uhr – die Zeit, die drängt –, rechts das Füllhorn der Waren.
Ich bin ja nur ein gelernter Protestant – ich bin katholisch erzogen – deswegen weiß ich nicht genau, wie sich ein Protestant fühlt. Diese innere Ausstattung musst Du weitergeben: Schnell sein. Und
das alles geht bei Christian ja nun gar nicht mehr.
artechock: Was für ein Publikum haben Sie vor Augen? Was muss es mitbringen? Unterscheidet es sich im Kino und im Fernsehen?
Breloer: Das Publikum muss gar nichts mitbringen, außer seiner Lebenserfahrung und einer gewissen Neugier. Diesen Film kann jeder verstehen. Das mag man mir vielleicht vorwerfen, dass ich keinen Experimentalfilm gedreht habe, dass ich Schauspieler wirklich so anziehe, wie eine reiche Familie sich anziehen musste, dass ich den Glanz zeige, dass ich das in großen Bildern zeige. Das alles wird jeder verstehen, weil jeder seinen Platz in der
Familie hat. Da wird jeder sich auch irgendwo einordnen können. Und mit diesen sympathischen Buddenbrooks, die so liebevoll geschildert werden, auch dem Hintergrundspersonal geht man doch gerne mit, selbst wenn es am Ende ins Grab geht.
Daneben gibt es andere Geschichten, die tiefere Spuren erzählen: Die vom Verfall: Woran merkt man, dass einer schon sensibel ist? Was bedeutet es, wenn die Firma Gewalt über die Leute nimmt? Wieviel Druck liegt auf einem Menschen?
Die »Buddenbrooks«
sind ein Volksbuch. Das deutsche Hausbuch, von vielen Generationen immer wieder gelesen. Und wenn ich möchte, dass die Deutschen wieder zum Buch greifen, kann ich das auch durch einen Film machen, der populär erzählt, wo dann die Menschen sagen: Von denen möchte ich mehr wissen, und kommen dann auf die unnachahmlich freundliche Erzählweise von Thomas Mann, und lasse mich dadurch gefangen nehmen. Es ist ein ganz anderes Medium. Und Thomas Mann hat auch immer sich dagegen gewahrt, dass die
Filme mit den Büchern verglichen werden.
Im Prinzip glaube ich, dass alle seine Verfilmungen schlechter sind, als die Romane – bei Heinrich Mann ist es umgekehrt.
Ich will, dass es jeder verstehen kann: Der Fernsehzuschauer – Fernsehen ist ein episches Medium, das jeden Tag erzählt, in Fortsetzungsgeschichten. Das kann man im Kino nicht. Das ist mal probiert worden mit dem Buddenbrooks-Film, der 200 Minuten lang war. Mit einer Pause. Das wäre heute unvorstellbar.
Also: Da kann jeder mit seiner Lektüre in den Film hineingehen. Der Kenner wird seine Dialoge wiederfinden. Interpretiert von unserer Schauspieler-Generation. Die wir kennen, oder kennenlernen: Ich habe versucht, nicht die deutsche Fernsehfamilie zu besetzen, sondern wo immer es ging, überraschende Besetzungen zu haben, mit Theaterschauspielern zu besetzen.
artechock: Zum Filmischen: Es gibt Bilder, die sind klar Kino, es gibt aber auch Bilder, die sind klares Fernsehen. Das könnte man auch im Kino anders erzählen. War die Umstellung aufs Kino für Sie schwierig? Was hatten sie für Vorbilder?
Breloer: Na klar: Das ist mein erster Kinofilm. Aber man muss ja was riskieren. Man hat ja einmal nur im Leben die Chance. Wir haben intensiv die großen Kinobilder gesucht. Beim Kino herrscht ein großes Drehtempo. Ich habe aber nicht eine Minute gedacht: Dies ist jetzt Kino, das ist Fernsehen. Denn jenseits dieses schulmäßigen Abfragens – Totale? Close-Up? – ist das, was ich immer versucht habe, auch bei früheren Fernseharbeiten,
ist doch, eine Intensität zu erzeugen. Durch Nähe zu Schauspielern. Und genauso muss ich im Kino arbeiten. Mit welchen Mitteln ich das mache, ist egal. Das Entscheidende ist die Intensität. Wobei das Publikum im Kino im dunklen Raum sitzt, wo die Welt versinkt, und man sich in eine fremde Welt begeben kann, wo man ein Lebensspiel hat, wo man weinen und lachen kann, und wo man etwas erlöst wieder nach Hause geht. Aber man ist sehr dicht bei ihnen.
Zuhause ist das Zimmer hell. Fernsehen
ist mehr ein Aufklärungsmedium. Aber das kleine Kino zuhause wird immer größer. Deshalb musste ich keine Fernsehfilme machen.
Ich habe das Beste gegeben, was ich kann. Ich wollte eine klassische Erzählweise. Dabei setze ich aufs Bildungsbürgertum: Der Film ist meine Verbeugung vor Thomas Mann. In einer konservativen Erzählweise, wenn man so will. Ich war das dem Mann und dem Roman schuldig.
Das von Breloer zu seinem Kino-Debüt verfasste Buch „Buddenbrooks“ (348 S.) erscheint bei S. Fischer (22,90 €). Ebenfalls lesenswert im gleichen Verlag: Hans Wißkirchen, (Hrsg.): „Die Welt der Buddenbrooks“ (208 S., 19,90 €), ein bilderreicher Band über das Verhältnis zwischen Roman und seinem realen Handlungsort Lübeck.