25.08.2011

»Das Infra­ge­stellen der Dinge ist etwas, was mich sehr inter­es­siert.«

Zwei Frauen mit Koffern
The Woman in Red: Meret Becker

Ein Gespräch mit Meret Becker anlässlich ihres neuen Films Fliegende Fische müssen ins Meer

Beim Inter­view­termin hat sie eine Sonnen­brille mit herz­för­migen Gläsern dabei – Lolita lässt grüßen: Meret Becker – Schau­spie­lerin, Musikerin, Artistin – spielt seit jeher mit den klas­si­schen Kindfrau-Topoi. Und wirkt immer so, als wäre sie eigent­lich im Stummfilm oder im fran­zö­si­schen Kino viel mehr zuhause als in der heutigen deutschen Film­land­schaft.
Doch auch wenn ihr auf der Leinwand zu selten Gele­gen­heit geboten wird, ihr Talent wirklich ange­messen zur Geltung zu bringen, so nimmt sie sich zumindest die Freiheit, mit ihrer Rollen­wahl immer wieder zu über­ra­schen und dabei aus mancher Neben- eine heimliche Haupt­figur zu machen.

In der Dramödie Fliegende Fische müssen ins Meer hat sie endlich wieder eine Haupt­rolle – eine Frau, die nie geschafft hat, erwachsen zu werden: Roberta, allein­er­zie­hende Mutter von drei Kindern dreier unter­schied­li­cher Väter. Sie wohnt in einem Schweizer Grenzdorf am Rhein, impro­vi­siert ihr Leben von Tag zu Tag, rutscht von einer unglück­li­chen Affäre in die nächste. Und überzieht den Bogen schließ­lich so, dass das Jugendamt droht. Woraufhin ihre Kinder – allen voran die 15-jährige Nana (Elisa Schlott), die wahre Erwach­sene im Haushalt – auf die Suche nach einem passenden Mann als stabilen Anker für Roberta gehen.

Das Gespräch führte Thomas Willmann.

artechock: Mutter­rollen stehen bei Schau­spie­le­rinnen tradi­tio­nell ja nicht so hoch im Kurs, weil sie für gewöhn­lich nicht sonder­lich inter­es­sant sind. Das kann man bei Roberta aber wirklich nicht sagen, oder?

Meret Becker: Nee, das kann man nicht sagen! Ich fand es eher toll, dass mir so eine heiße Braut anver­traut wurde. (Lacht)

artechock: Zeigt sich da auch ein allge­meiner Trend? Wo Mütter im Film früher fast immer einfach gütig und weise waren, scheinen sich in letzter Zeit komplexe, konflikt­be­la­dene Mütter auf der Leinwand und in Büchern zu häufen...

Becker: Ja, klar. Das ist inzwi­schen ja bei allen Rollen so. Es hat sich bei allen einfach generell etwas geändert in ihrer sozialen Stellung – ob Männer, Frauen, jung, alt, ganz egal. Eine Frau von 60 war früher eine Oma. Das ist wirklich nicht mehr so. Meine Mutter [Monika Hansen, Anm. d. Red.] geht ganz, ganz streng auf die 70 zu – und man müsste ihr ein Schild dran kleben, dass man das merkt. (Lacht)

Natürlich wird es immer schwerer, sich neu in den Rollen zu finden – oder besser: Die müssen erst erfunden werden. Man denkt immer: »Ja klar, ist doch gar kein Problem! Ich mach einen Beruf, ich krieg ein Kind, ich mach dies, das...« Hallo, das ist ein Problem! (Lacht) Und zwar ein ernst­haftes. Und das baden als aller­erstes natürlich mal wieder die Kinder aus, ist ja klar. Das muss man erstmal lernen. Und das wird ein paar Gene­ra­tionen dauern, glaube ich. Wäre toll, wenn man die schon als Vorbild hätte – aber das hat man noch nicht so richtig. Da muss man leider noch ganz schön ackern.

artechock: Bei aller Liebens­wür­dig­keit: Gibt es Momente, wo Sie Roberta gerne mal packen und schütteln würden?

Becker: Das Scheitern finde ich natürlich einen liebens­werten Zug. Weil, dass man sich da nicht zurecht­findet – oder generell nicht zurecht­findet im Leben –, das kann ich schon nach­voll­ziehen. Dass man es allein­er­zie­hend mit drei Kindern nicht einfach hat, kann ich nochmal nach­voll­ziehen. Und dass sie sich auf die Hinter­läufe stellt und bemüht, das finde ich natürlich ganz, ganz toll.

Wo man sie schütteln will, ist einfach ihr Egoismus. Überhaupt nicht ihre Kinder sondern nur sich zu sehen. Wie sie sich da irgendwie durch­ru­dert durch ihr Leben – und dass ihre Kinder da mitrudern müssen, das sieht sie nicht. Weil sie in der Hinsicht nicht erwachsen geworden ist. Da möchte man sie ganz heftig... abwat­schen. (Lacht)

artechock: Roberta ist ja sozusagen das wahre Kind in dem Film...

Becker: Ja, das kenne ich natürlich auch. Da muss man sehr aufpassen, wenn man Kinder hat. Oder auch wenn man zum Beispiel mit Kindern dreht. Ich habe auch die Tendenz, mit den Kindern zu spielen, andauernd rumzu­blö­deln. Und dann merk ich: »Oh, jetzt müssen die sich aber wieder konzen­trieren!« Da muss ich manchmal selber aufpassen, dass ich vorbild­haft bleibe und sage: »Nee, wir bleiben in der Konzen­tra­tion!« Aber einfach, weil ich die selber schwer halten kann. (Lacht)

artechock: Obwohl der Film stilis­tisch sehr über­zeichnet und um Skur­il­lität bemüht ist, wirkt die Figur der Roberta in Ihrer Darstel­lung sehr real. Wie sind sie mit diesem Spagat umge­gangen?

Becker: Ich hab so eine Tendenz: Wenn einer sagt »Das macht man so!«, dann tendiere ich dazu, andersrum zu laufen. (Lacht) Oder wenn einer denkt »Der macht jetzt bestimmt so...«. Dann sag ich: »Äller­bätsch, nein, ich mach aber so...« Das ist zum einen ja schon ein bisschen die Figur der Roberta. Damit versuche ich aber auch viel­leicht, einem Klischee zu entgehen. Ein gewisses Maß an Klischee ist ja auch gut, da kann man Sachen gut einordnen. Das ist wie Genre. Aber immer wieder zu über­ra­schen und vor allem das Infra­ge­stellen der Dinge ist etwas, was mich sehr inter­es­siert. Was dann viel­leicht gut funk­tio­niert in so einem bewusst klischeerei­chen Film – weil ich darum dann auch sehr kämpfe. Oder [die Regis­seurin] Güsin [Kar] das dann sehr schätzt. Und auch annimmt.

Klar, das ist schon eine Grat­wan­de­rung. Das weiß man natürlich, diesen Abgrund, der sich da auftut. Das Über­zeich­nete ist ja dazu da, dass man den Abstand zu sich selber findet. Und es muss ja trotzdem so sein, dass ich mich mit der Figur iden­ti­fi­zieren kann – sonst brauch ich die nicht zu erzählen. Wenn ich da nicht ab und zu sage: Ja, das ist jetzt schon sehr heftig – aber ein bisschen kenn ich das schon... (Pause) Da war man sich schon sehr bewusst drüber. Und da muss man dann kucken: Wo ist das glaubhaft, wo ist es nicht glaubhaft? Oder wo muss ich vorsichtig sein, dass sie nicht total unsym­pa­thisch wird und zu hart?

Und auf der anderen Seite muss ich sie an anderen Stellen total heftig da rein­ras­seln lassen. Man will die nicht andauernd entschul­digt wissen. Das find' ich furchtbar.

artechock: Was wird in Ihren Augen nach dem in dieser Hinsicht offenen Ende des Films aus Roberta und dem gutmü­tigen, in sie erfolglos verliebten Kirchen­mu­siker Karl? Kommen sie zusammen?

Becker: Ich glaub nicht, dass sie ein Paar werden. Das wäre ja so, als würde man sagen: Der Hunger kommt mit dem Essen und die Liebe kommt mit der Zeit. Das glaub ich nicht. Freunde bleiben sie – würde ich jetzt behaupten. Aber ich weiß es nicht. Eigent­lich soll man ja den Film zumindest nicht weiter festlegen. Weiter­spinnen kann ihn ja jeder. Also wenn ich jetzt unbedarft vor mich hinspinnen würde, würde ich sagen: Die werden kein Paar. Roberta ist weiter in dem Chor. Und mit Hilfe von viel­leicht auch Karl und vielen anderen wird sie... Sie muss ja noch zwei andere Kinder groß­ziehen.

artechock: Wird sie sich ändern?

Becker: Ja. Das hat sie ja ange­fangen, und ich glaube, das macht ihr sogar Spaß. Weil, Erfolgs­er­leb­nisse sind ja das, was einen weiter­treibt. Das merkt sie deutlich. Und dass eins ihrer Kind sozusagen fruchtet, dass es einen Traum­beruf lernt, den es immer machen wollte – ich glaub, das ist schon ein dolles Gefühl.

artechock: Wieviel Persön­li­ches steckt in der Figur? Sie kommen aus einer Künst­ler­fa­milie, sind allein­er­zie­hende Mutter, kennen da ja also auch unkon­ven­tio­nelle Konstel­la­tionen.

Becker: Ja, da gibt’s schon Paral­lelen. Dieses Nich­torten von Grenzen. Das man nicht genau weiß, wo die Grenze ist. Das kenne ich schon sehr genau. Und da arbeite ich tatsäch­lich sehr dran. Das beinhaltet auch, sich zu entscheiden. Zu sagen: »Das mag ich, und das finde ich gut oder richtig – und das mag ich nicht.« Und eben nicht: »Es geht doch alles! Wieso? So kann man es machen, man kann’s aber auch so machen... Auch in Ordnung.« Das kann man natürlich so sehen, aber das ist schwierig. Und grade wenn man Kinder hat, ist das sehr schwierig. Das kenne ich. Aber natürlich bemühe ich mich, da nicht so wahn­sinnig auf die Kacke zu hauen wie die Roberta. (Lacht)

artechock: In manchen Szenen wirkt das Verhältnis zu Ihrer Film­tochter Elisa Schlott sehr spontan, impro­vi­siert. War das so?

Becker: Es gab immer so ein paar kleine Sequenzen, wo die Bilder sehr klar fest­ge­legt waren. Da haben wir für jedes Bild ange­fangen, etwas zu erfinden. Wobei das auch wieder eine relative Spezia­lität von mir ist. (Lacht) Ich mach das einfach gerne. Und dann mache ich dann da eben irgend­etwas, und Elisa findet das dann schön und muss sehr lachen – und das entsteht dann tatsäch­lich. Aber dann gibt’s auch wieder zum Beispiel einen Dialog, den wir natürlich ein paarmal gemacht haben. Das haben wir manchmal am Anfang eher aus einer Impro­vi­sa­tion raus gezogen – wo ich auch gedacht habe »Mann, mach die Kamera einfach an!« Aber die war dann eben nicht an. Und dann kommt die Technik, mit der wieder was nicht stimmt, und dann muss man’s zehnmal machen, und dann ist es am Ende doch eine gespielte Szene.

artechock: Wie waren generell die Dreh­ar­beiten? Grad für Sie als Erz-Berli­nerin in der Schweiz?

Becker: Ich hab schon öfter in der Schweiz gedreht. Ich mag ja die Natur sehr gern, und das Land auch. Es war eigent­lich ganz schön. Weil, das Hotel war so geil! Wir haben in einem Spa gewohnt. Wo man auch Kran­ken­gym­nastik machen kann und solche Sachen. Mit Warm­was­ser­quellen. Und nachts sind wir da als Team manchmal heimlich in den warmen Pool einge­bro­chen. (Lacht)

artechock: Sie sind in munterem Wechsel sowohl in Groß­pro­duk­tionen wie Inde­pend­ent­filmen zu sehen. Gibt es für Sie da Unter­schiede?

Becker: Das ist gar nicht das, wo ich in erster Linie hinkucke. Ich kucke natürlich, dass es sich recht­fer­tigt, wenn ich meine Tochter für Dreh­ar­beiten hinter mir lasse. Das muss sich schon so recht­fer­tigen, dass da auch der Schorn­stein raucht in irgend­einer Form. Vor einigen Jahren war es sehr modern nicht zu sagen »Wir drehen Lowbudget«, sondern »Wir drehen Nobudget«. Da muss ich sagen: Wenn ich meine Arbeit mache, dann macht ihr als die Produ­zenten bitte auch eure und sorgt dafür, dass es wenigs­tens Lowbudget wird. Ansonsten ist das finan­ziell unab­hängig. Da geht’s wirklich um die Projekte. Und da gibt’s verschie­dene Gründe, was mich daran reizt.

artechock: Was hat Sie an Kokowääh gereizt?

Becker: Das hab ich jetzt geahnt, dass Sie darauf kommen... (Lacht) Da war das tatsäch­lich ganz banal Til [Schweiger]. Weil ich mag den – also als Kerl. Ich finde, der funk­tio­niert super im Film. Ich bin jetzt gar nicht ein großer Fan von allen seinen Filmen. Es gibt zwei, drei, die ich wirklich sehr süß, sehr schön finde. Generell habe ich aber natürlich großen Respekt davor, dass einer das alles überhaupt irgendwie wuppt. Und ich glaube, er hat immer das Gefühl, dass man ihm diesen Respekt nicht zollen will. Und das ist bei mir dann schon wieder so: Wenn einer erwartet, dass ich rückwärts aus der Tür renne wenn er anklin­gelt, weil er Til Schweiger heißt, dann irrt er sich. (Lacht) Dann renn ich mit offenen Armen auf ihn zu. Das reizt mich dann.

artechock: Und gibt es von der Arbeit her für Sie Unter­schiede zwischen Groß- und Inde­pen­dent­pro­duk­tionen?

Becker: Ja, klar, das macht Unter­schiede. Das macht Unter­schiede im Service, ganz einfach... (Lacht) Also wieviel ist da von dem, was wir brauchen? Wie gut kann ich etwas herstellen? Aber das heißt nicht unbedingt immer, dass es schlechter ist, wenn’s kleiner ist. Gerade zum Beispiel bei der Anzahl von Team­mit­glie­dern. Je mehr das aufge­fächert ist, umso kompli­zierter wird es, finde ich. Aber das ist eine Frage des Könnens. Ich hab ja auch mal bei Spielberg gedreht...

artechock: Die schönste Szene in Munich...!

Becker: Danke­schön! Das war auf jeden Fall ein Knaller, muss ich sagen. Das war einfach toll, den Luxus zu sehen, der da herrscht. Da muss ich sagen: Doch, da hab ich Bock drauf. Das find ich echt geil. Wenn’s einer kann! Und Spielberg kann das. Der verkrampft sich deswegen nicht. Im Gegenteil – der nutzt das. Der spielt!

artechock: Ein abschließende Frage – zu Ihrer Musik. Sie haben unlängst in Berlin ein neues Programm vorge­stellt. Wird es dazu endlich wieder eine neue CD geben?

Becker: Es gibt etliche Stücke, die momentan in Schub­laden verweilen... Was heißt »in Schub­laden«! Also die noch in meinen Fingern und in mir verweilen. Und es gibt welche, die werden in dem Programm aufge­führt. Aber die gibt’s noch nicht auf CD, weil das Programm noch nicht fertig ist. Dieses Programm ist eine Entwick­lung zu einem Programm! (Lacht) Weil ich aber nicht jedesmal warten will, bis ich ein Programm fertig habe, ein ganzes Monster sozusagen, performe ich einfach weiter. In kleinerem Rahmen. Und find das schön.

artechock: Wir danken für dieses Gespräch!