»Es dreht sich alles um Verstörung im Rahmen unserer Wahrnehmung« |
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Kirsten Stewart und Olivier Assayas am Set von Personal Shopper in Oman |
Olivier Assayas neuer Film Personal Shopper kommt jetzt in Kino.
Das Gespräch führte Rüdiger Suchsland
artechock: Sie haben in Ihrem Film eine Referenz auf Victor Hugos Interesse für Spiritismus...
Olivier Assayas: Das ist sehr bekannt in Frankreich. Hugo hat während seines Exil in Jersey spiritistische Sitzungen veranstaltet, mit Tischerücken und solchen Dingen. Er hat sehr klare eindeutige Transkripte der Seancen angefertigt, das liest sich wie ein Logbuch. Das wurde erst vor ein paar Jahren veröffentlicht. Da steht alles drin: Wer war da? Wer sagte was?
Ein faszinierendes Dokument denn er hat das alles offensichtlich sehr ernst genommen. Victor Hugo hatte „Gespräche“ mit großen Männern der Vergangenheit: Shakespeare, Moliere, Jesus Christus. Auch mit abstrakten Wesen wie dem »Geist der Tragödie«
Wenn man nicht ernsthaft glaubt, dass man mit den Toten kommunizieren kann, dann ist das eine außergewöhnliche Innenansicht in das Unterbewusstsein und die Phantasien eines großen Autors des 19.Jahrhunderts. Denn er erfand in gewissem Sinn die „ecriture automatique“. In gewissem Sinn verband er das Geisterthema mit der Zukunft seiner Gattung.
Die Texte wirken wie etwas, das auch 100 Jahre später hätte geschrieben werden können. Hinzu
kommt: Es war nicht auf eine Publikation angelegt. Also: Warum sollte man das alles vortäuschen?
Er und seine Gruppe glaubten daran, dass sie sich mit den Toten verbinden würden.
artechock: Ich vermute Sie würden sich selbst als Agnostiker bezeichnen...
Assayas: Ja.
artechock: Wie erklären Sie so etwas? Kann man sagen: Mittels Geisterglaubens bringt man sich selbst in einen gewissen Zustand jenseits der Welt der Vernunft. Man kann das auch mit Psychoanalyse tun, mit Drogen...
Assayas: Wenn man Drogen braucht, um in sich etwas zu entfesseln, ist das in Ordnung. Warum nicht? Das ist ein Teil der literarischen Kultur nicht nur in Europa. Ja absolut.
Aber was ich sage: Es ist alles eine Frage der Wahrnehmung. Es gibt einen Teil der Wahrnehmung, den wir kontrollieren und einen anderen, den wir nicht kontrollieren. Der hat etwas mit unserem Unterbewußten zu tun. Das ist im Prinzip das, was bereits Sigmund
Freud sagte.
Ich glaube in diesem Film geht es auch darum, die Psychoanalyse zurück ins Zentrum des Filmem
artechock: In Personal Shopper gibt es einen Erzählstrang, der sehr rational ist. Aber eine Weile kann man auch annehmen, das hier ein Geist über SMS kommuniziert. Ich saß im Kino und dachte: Wow! Was macht Assayas jetzt?
Assayas: Das ist natürlich irgendwie abstrakt. Aber es ist eine Abstraktion, die unglaublich präsent in unserem Leben ist. Wir alle kommunizieren mit Leuten, die wir nicht kennen. Ehrlich gesagt: Ich mache so etwas nicht. Aber sehr viele Menschen kommunizieren aus sehr verschiedenen Gründen mit Leuten, die sie nicht kennen – oft sind es sexuelle Gründe.
Maureen fragt das Wesen auf der anderen Seite mehr als einmal »Bist du eine
Frau oder ein Mann?« Und sie bekommt nie die Antwort. Denn es gibt im Internet dieses komplexe Spiel mit sexuellen Identitäten. Man weiß nie, ob das Wesen auf der anderen Seite echt ist oder fiktiv. Das finde ich faszinierend. Das ist eines der faszinierendsten Elemente, wie das Internet und Digitalisierung unsere Wahrnehmung ver ändern.
artechock: Aber als Filmemacher zeigen Sie uns ja das Geisterhafte. Wir sehen die Geister im Haus, wir sehen schwebende Gläser. Oder wie würden Sie beschreiben, was Sie da mit uns machen?
Assayas: Nun es geht immer um Verstörung im Rahmen unserer Wahrnehmung (i.O.: »It’s all about disturbance within the framework of our perception«). Was wir „Geister“ nennen, sind vor allem Projektionen von etwas, das in unserem Inneren geschieht. Wir benutzen diese Bilder. Zum Beispiel: Sie sind in einem leeren einsamen Haus in der Mitte eines Waldes in der Nacht. Es ist in uns angelegt, dass wir uns dann fürchten.
Aber was uns da erschreckt, wovor wir Angst haben, ist nichts, was da draußen passiert, sondern etwas, das in unserem Inneren geschieht.
Was mich interessiert hat, ist, Bilder zu finden für das Unterbewusstsein meiner Hauptfigur Maureen.
Das heißt: was wir auf der Leinwand sehen ist mehr oder weniger eine Subjektive... Eine Darstellung ihrer Imagination...
Assayas: Es ist eine Form des Positionswechsels. Wir sind konstant mit ihr. Der Film ist sehr sehr stark ein Film über Einsamkeit, übers Alleinsein. Die ganzen anderen Figuren existieren fast nur in der Form, in der Maureen mit ihnen kommuniziert. Ja: ab und zu müssen wir uns in ihrer Innenwelt aufhalten.
artechock: Haben Sie etwas Ähnliches bereits in ihrem letzten Film Die Wolken von Sils Maria gemacht?
Assayas: Ja. Genau. Ich denke, in diesem Film bin ich einen kleinen Schritt weiter gegangen. Aber den größten Teil des Weges bin ich bereits in meinem vorherigen Film gegangen.