»Man muss überhaupt mal hinschauen!« |
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Anna Fischer in Barbara Alberts Die Lebenden | ||
(Foto: Real Fiction) |
Das Gespräch führte Rüdiger Suchsland.
artechock: Die Lebenden ist ein autobiographisch stark inspirierter Film. Was hat ihn ausgelöst?
Barbara Albert: [lacht] Ich habe an einem Film gearbeitet über eine junge Frau, die politisiert wird. Ich wollte einen Film machen über Verantwortung, Gewissen, auch über das heute grassierende Ohnmachtsgefühl. Über diese Arbeit bin ich auf meine Familiengeschichte gestoßen. Ich habe mir selbst Fragen über das Leben meiner Großeltern gestellt: Wo sie wann waren Ende des Krieges; was sie gemacht haben? Ich wusste es tatsächlich nicht. Was schon alle in der Familie wussten, war, dass mein Großvater in der SS war. Aber das war eben so – weiter wurde nicht gefragt. Niemand hat da gefragt.
Aber das Thema Schuld kommt in meinen Filmen oft vor und so habe ich mich dann auch nach der Schuld in meiner Familie gefragt.
Ich bin dann im Zuge der Recherche auf einen Schriftsteller in der Familie gestoßen, der in den 70ern meinen Großvater lange interviewt hat, und das Interview zu Romanen verarbeitet hat. Den habe ich getroffen und die Interviews gehört – das hat den Film komplett verändert. Diese Wahrheit über meinen Großvater hat diese Sita-Figur im
Film sehr verändert und viel anderes aus dem Film herausgeworfen.
Die Geschichte eines SS-Offiziers, seiner Schuld und seiner Verantwortung erschlägt andere Themen.
artechock: Die aktuelle Politik kommt in Deinem Film zwar vor, aber eher am Rande...
Albert: Die Frage danach: Wie handle ich heute? schwingt natürlich mit: Wenn ich die Geschichte meines Großvaters erzähle, dann kommt unweigerlich irgendwann diese Frage: Wie hätte ich mich verhalten? Was wäre meine Position gewesen? Weil das schon so mitschwingt, erschien es mir aber wirklich auch platt, das so eins zu eins ins heute zu übertragen und die Sita vor die Frage zu stellen: Soll ich heute Flüchtlinge retten? Soll ich politisch aktiv werden?
Trotzdem gibt es noch Relikte dieser frühen Drehbuchfassung, weil es mir schon sehr wichtig war, das heutige Europa vorkommen zu lassen, das ja nur so ist, wie es ist, weil es den Zweiten Weltkrieg gab, weil es die Verfolgungen und die Heimatlosigkeit gab – nur deswegen leben wir heute in Europa so, wie wir leben.
Die Ausgrenzung anderer, die Dichtmachung der Grenzen, diese „Festung Europa“ interessiert und beschäftigt mich schon sehr. Da wollte ich eigentlich viel mehr drüber machen. Aber ich habe gemerkt: Ich kann diese Themen nicht eins zu eins gegenüberstellen. Ich kann auch nicht die Judenvernichtung mit der Flüchtlingspolitik kurzschließen. Es geht einfach nicht.
Deswegen ist das nur als Relikt geblieben, als eine Skizze zum heutigen Europa. Auch
um die Sita in ihrem Umfeld zu begreifen. Von was für Themen und Fragen ist sie umgeben?
artechock: Untergründig ist das ja auch ein Film über das neue Europa: Es gibt Verweise auf den Mauerfall, auf den Blick der Jungen aus dem Westen auf den Osten; auf die Erfahrungen der Alten. Wir Jüngeren haben keine eigene Erfahrung, Opfer zu sein, Täter zu sein, gehungert zu haben... Beginnen wir diese Erfahrung gerade zu verlieren?
Albert: Ich befürchte wirklich auch, das wir das gerade verlieren: Die Erinnerung. Die Fähigkeit die Erfahrungen unserer Großeltern nachzuvollziehen. Auch deswegen wollte ich den Film unbedingt jetzt machen. Denn mir ist klar: Alle Menschen, die direkt etwas dazu sagen können, sterben bald.
Es macht einen Riesenunterschied, ob eine primäre Erfahrung weitergegeben wird, oder ob es eine Generation später ist. Allein schon der Unterschied wischen mir und meinen Nichten... – die haben meine Großeltern nicht gekannt und dadurch eine wahnsinnige Distanz zum Krieg. Das hat mit ihnen nichts zu tun.
Aber es macht uns Deutschsprachige aus, dass es diesen Bruch gibt, dass wir die Wurzeln nicht zurückverfolgen, sondern dass geschwiegen wird über den Krieg, den Nationalsozialismus und alles, was damit verbunden ist. Aber da die eigene Verwurzeltheit nicht zu spüren und zu wissen was passiert ist, nicht drüber zu sprechen – das erscheint mir als etwas irgendwie Abgekapptes. Deswegen glaube ich wirklich, dass es immer neu gefunden werden muss, für jede Generation. Anderen Nationen geht das übrigens nicht anders: Ich habe viele Gespräche geführt mit Russen oder Bosniern, die Kriegserfahrungen haben – da gibt es ein Tabu. Du sprichst da nicht mehr drüber. Da geht soviel verloren dadurch und das Verdrängte wird dann irgendwann wiederkehren. Entweder sie müssen selbst wieder etwas durchleben – hoffentlich nicht – oder sie setzen sich halt neu damit auseinander. Mir erscheint zum Beispiel jetzt die Auseinandersetzung mit dem Krieg und den Verbrechen der Wehrmacht – gerade gibt es ja wieder einen öffentlichen Diskurs aufgrund des ZDF-Dreiteilers »Unsere Mütter, unsere Väter« –, mit erscheinen diese Diskussionen da sehr naiv. Da geht es wirklich darum: Hat mein Großvater geschossen als Soldat? Das finde ich lächerlich: Jeder Soldat war beauftragt, Menschen zu erschießen, oder auf andere Weise zu töten.
Diese Naivität und diese fast schon unschuldige Frage danach erscheint mir absurd. Trotzdem muss es anscheinend so sein, und jede neue Generation muss und soll das auch fragen dürfen. Meine Haltung ist da auch vielleicht nicht angemessen. Eine naive Frage muss erlaubt sein.
Bei meinen Nichten war es schon so, als sie unter anderem durch meinen Film erfahren haben, was wirklich vorgefallen ist – das war ein Schock. Weil es unvorstellbar ist, das mit der eigenen Familie in Zusammenhang zu bringen. Dieses Schweigen löst – egal welche Schuld da war – in jeder Familie etwas aus.
Ich bin überzeugt, dass Tabus Auswirkungen haben in die nächste Generation; und dass mehrere Familienmitglieder, wenn sie sich dann um diese
Tabus und Familiengeheimnisse kümmern, wenn sie sich damit konfrontieren, dass das dann etwas sehr Gutes ist für die Familie und alle Nachkommen.
artechock: Geschichte ist eben etwas sehr Konkretes, nichts Abstraktes. Es waren immer irgendwelche Menschen, die geschossen haben, oder am Schreibtisch irgendwelche Dokumente unterzeichnet haben. Ich denke, dass die Frage, ob der Großvater geschossen hat, oder »nur« etwas unterschrieben hat, schon wichtig ist.
Aber Du hast eben gesagt: Das heutige Europa ist entstanden aus der Erfahrung des Völkermords, der Lager, der folgenden Teilung Europas... Muss dies jede Generation für sich selbst erfahren? Wie geht man damit um, damit das nicht nur eine Erfahrung ist, die wie ein Denkmal irgendwo im Raum steht?
Wie geht man damit heute um?
Albert: Ich war erstmals hier in Berlin 1987 und dann ab 1989 bis 1994 recht viel. Schon immer ist Berlin für mich wirklich auf bestimmte Art eine Stadt des Krieges. Man hat den Krieg sehr stark gespürt, und ich fand das auch sehr gut. Es ist ein Mahnmal, dass einem etwas konkret vor Augen führt, und zeigt – auch wenn das jetzt platt klingt –, dass man weiß, dass dies nicht mehr vorkommen soll.
Wenn ich jetzt mit meinem fünfjährigen Sohn durch die Stadt gehe, merke ich, dass ich darauf immer hinweise, dass ich da sehr wach und empfänglich bin für die Kriegsgeschichte. Daraus entstehen sehr spannende und interessante Gespräche. Fahr einfach am Anhalter Bahnhof vorbei, der nach wie vor eine Ruine ist. Warum schaut der so aus?
Wir dürfen unsere Geschichte nicht verlieren.
Und es ist besser, etwas zu erzählen, was spürbar ist, was physischer ist, worin es
wirklich um Menschen geht, die man vielleicht kennt, von denen man gehört hat, als wenn das später im Schulbuch irgendeine Jahreszahl ist.
artechock: Ja: Berlin ist immer noch „die Reichshauptstadt“... Aber die Einschusslöcher werden jetzt schön verputzt und es wird bunt angemalt. Man muss aber dafür sensibilisiert werden...
Albert: Genau: Man muss den Blick schärfen, sonst sieht man darüber hinweg. Aber ich war erstaunt, wenn man mit jungen Menschen Gespräche führt, dann hört man erst: »Ach, lasst mich in Ruhe, da weiß ich alles« – und wenn man nachfragt, dann merkt man, dass sie nichts wissen.
Diese „Reeducation“ – Wiedererziehung – hat es in Deutschland gegeben, in Österreich aber nicht. In Deutschland gab es auch eine viel
stärkere 68er-Bewegung und viel mehr Abgrenzung von den Tätern. Das gab es in Österreich im Kleinen zwar auch, aber trotzdem ist da eine Antihaltung und ein Desinteresse da, obwohl es eigentlich nicht so stark thematisiert wurde.
Mir selbst geht es allemal anders: Ich kann immer noch Bücher zu dem Thema lesen, und es ist mir nicht zuviel. Ich glaube auch nicht, dass ein Thema je auserzählt ist. Mich wundert auch, warum ich oft gefragt werde, warum und für wen ich jetzt diesen Film gemacht habe.
Wenn man einen Film über ein anderes Thema macht, wird auch nicht so stark gefragt, warum man es jetzt macht.
artechock: Dadurch, dass der Zweite Weltkrieg und die Nazi-Diktatur ein Blick in den Abgrund waren, sowohl des Menschlichen wie der eigenen Kultur, gibt es auch einen bestimmten, sonderbaren Effekt: Es wird fast zu einem Themenpark. Der Nationalsozialismus wird zu einem Genre.
Es gibt einen Voyeurismus und man kennt eigentlich die Figuren und die Handlungsstereotypen. Wie im Kasperltheater – es gibt den Polizist, es gibt das Krokodil – man kann aber immer neue Geschichten mit ihnen erzählen, indem man sie neu kombiniert.
Das Bewusstsein des Stereotypen, dieses Bewusstsein der Kombinierbarkeit, das Bewusstsein, dass ein guter Film hierüber eine zweite Ebene und eine Reflexion von innen erfordert, scheint mir in Deinem Film sehr präsent zu sein. Du hast genau überlegt, wie Du diese Stereotypen vermeidest: Du hast keinen Kostümfilm gedreht, Du zeigst Deinen Großvater nicht in irgendwelchen Erinnerungsflashbacks im Krieg oder Lager. Stattdessen suchst Du die Orte auf, so wie sie heute aussehen: Warschau, Auschwitz, Siebenbürgen. Du zeigst Deine Figur auch, wie sie Gedenkstätten aufsucht; Du zeigst: Erinnerung hat, wenn man sie ernst nimmt, etwas mit Aktenlesen und mit Faktenwissen zu tun, etwas mit Filmegucken zu tun. Du bringst Verfremdungselemente rein.
Kannst Du etwas über Deine Überlegungen erzählen? Hattest Du in dieser Vorgehensweise Vorbilder?
Albert: Ich glaube nicht an die Darstellbarkeit dieser historischen Ebene. Es war für mich nie die Frage, ob ich so etwas machen wollte.Es ist in unserer Generation auch ein Genre. Es ist eigentlich reißerisch und voyeuristisch. Spätestens als ich Schindlers Liste gesehen hatte, war für mich klar, dass das für mich nicht funktioniert.
Wenn ich diesen hergestellten, konstruierten Film vergleiche mit Berichten der tatsächlichen Zeitzeugen, dann ist das soviel klarer, wahrer, auch emotionaler. Ich hätte wirklich Hemmungen gehabt, diese historische Geschichte zu konstruieren, und nach einer Darstellungsweise für die Vergangenheit zu suchen. Ich glaube nicht daran dass ich damit der Wahrheit näher komme.
Und diese Frage – Wie komme ich der Wahrheit näher? – war mir schon wichtig.
Wobei mir klar ist: Es ist nicht möglich, eine Wahrheit zu erkennen. Deswegen habe ich Filter davor gestellt...
artechock: Ja, etwas Perspektivisches. Du zeigst eigentlich immer Perspektiven auf die Wahrheit, aber Du benennst die Wahrheit nicht...
Albert: Man kann die Wahrheit gar nicht sehen, weil dieser Filter des Mediums dazwischen steht. Etwa diese Videos, die sich die Sita anguckt: Erstmal erkennt man nicht alles, weil es auch rauscht, weil sich das Bild fast auflöst – fast wie die Erinnerung sich auflöst. Und man weiß auch nicht, ob es wirklich die Wahrheit ist, denn nur weil jemand vor der Kamera spricht, muss es ja nicht die Wahrheit sein.
Was mich interessiert hat, waren diese verschiedenen Ebenen: Auch die Schwarz-Weiß-Fotos. Lachende Frauen in Auschwitz... Das Interessanteste wäre es, die Rolle der Frauen zu beleuchten, als Partnerinnen der Täter, in Auschwitz. Das sind ganz spannende Figuren. Auch diese Schwarz-Weiß-Bilder sind wieder Filter. In letzter Zeit tauchen ja oft Farbfotos auf, die wir so erschreckend nahe finden und auch viel wirklicher. Weil wir es nicht schaffen, diesen Filter davor zu legen, ist es dann plötzlich gespenstisch nahe.
Ich wollte diese Filter im Film, weil ich auch da nicht an die Wahrheit glaube. Weil ich nicht glaube, dass es möglich ist, heute eine Wahrheit zu sehen und zu benennen. Ich finde es sehr schwierig, sich in eine Figur hineinzuversetzen, die damals gelebt hat. Denn sie hatte all das Wissen nicht, das wir heute haben. Und die Begeisterung für die Sache damals war auch viel naiver. Es kommt auch einmal vor, dass der Vater sagt: »Die waren naiv«. Es soll nicht entschuldigen: Aber es ist nicht vorstellbar: Wie hat sich jemand als 18-jähriger gefühlt. Wir können es nicht nachvollziehen.
artechock: Jede Generation hat ja auch ihre eigene Naivität – Sita, ihr Vater. Nur entschuldigt es nichts. Man muss doch daran festhalten, dass es moralische Grundsätze gibt, die auch universal sind, die man immer einfordern kann. Es gab ja auch damals Leute, die waren genauso alt – man muss auch nicht besonders gebildet dafür sein – und die haben sich anders verhalten.
Dann ist doch die zentrale Frage: Warum tut der eine dies, der andere jenes? Obwohl sie in der gleichen Situation sind. Ich glaube auch, dass es so etwas wie Freiheit gibt. Und es gab sogar Menschen, die haben eher ihr eigenes Leben geopfert, als andere umzubringen – was man von niemandem verlangen kann, aber wenn es geschieht, dann findet man das richtig.
Albert: Absolut. es gab ja auch SS-Offiziere, die sich in Auschwitz umgebracht haben, weil sie das Mordhandwerk nicht tun wollten.
artechock: Eben. Und dann ist ja auch die Frage: Warum sind die meisten Opfer ohne Widerstand ins Lager gegangen? Und warum haben sich manche gewehrt, obwohl es erfolglos war? Claude Lanzmann hat einen Film darüber gedreht, dass es in Sobibor einen erfolgreichen Aufstand im Lager gab, der Erfolg hatte, und bei dem Hunderte freigekommen sind. Es war sehr riskant. Also: Was macht ein Mensch, um das auf sich zu nehmen?
Albert: Aber mein Film geht schon um einen Menschen, der von der Idee überzeugt war. Was mich manchmal ärgert, ist, dass manche Menschen sagen: Unvorstellbar! Die haben da musiziert. Die hatten Spaß da. Diese Behauptung des Unvorstellbaren – das ärgert mich fast. Denn wenn man nur ein paar Berichte darüber liest, dann weiß man, dass dort sehr perfide den SS-Leuten vermittelt wurde, dass sie dieses Opfer bringen müssen. Sie müssen das Opfer bringen für den Endsieg und für eine bessere Welt. An dieses Ideal haben sie geglaubt.
Es war ihnen durchaus bewusst, was sie gemacht haben, aber es wurde dargestellt als ein Opfer. Das war eben der Trick: Dass die Täter sich als Opfer fühlen. Das hat mich interessiert: Auch der Großvater im Film ist eigentlich der Heimatlose, der sich als Opfer fühlt, der etwas verloren hat. Nicht nur Jugend und Heimat, er glaubt, ihm wurde da auch sein Leben gestohlen.
Aber er war damals Täter und hat gemordet – aber das ist ihm überhaupt nicht bewusst. Da spaltet er auch etwas ab. Das ist verständlich, wenn man mehr weiß über posttraumatische Symptome. Das war für ihn wirklich ein anderer Mensch, der gemordet hat.
Tragischerweise ist es für mich nachvollziehbar, dass mein Großvater musiziert hat, dass er sich als sensibel darstellt – und trotzdem hat er erschossen. Es ist wichtig zu verstehen, wie das System
gearbeitet und operiert hat. Sonst tun wir immer so, als hätte es mit uns nichts zu tun.
artechock: Eigentlich ist immer wieder in Deinen Antworten eine autobiographische Dimension erkennbar. Ist ziemlich alles aus eigenen Erfahrungen geschöpft, oder wo beginnt die Fiktionalisierung?
Albert: Es gibt zwei Figuren, die sind sehr nahe an realen Vorbildern: Die Großvater-Figur, und dieser Onkel, der Schriftsteller ist. Der Dieter Schlesack, der dafür das Vorbild ist, möchte ich nicht gleichsetzen. Aber er hat viel zu dem Thema gearbeitet. Er hat ein sehr erfolgreiches Buch geschrieben: „Capresius, der Auschwitzapotheker“. Er hat in seiner Familie SS-Offiziere gehabt. Das ist einfach eine familiäre Belastung,
die er verarbeitet hat – ein sehr spannender Schriftsteller.
Man kann schon sagen, dass Sita ein Alter Ego von mir ist. Aber alles, was sie erlebt, sind konstruierte Geschichten.
Wie immer in meinen Filmen gibt es Anlehnungen an Momente die ich erlebt habe. Aber der Film ist nicht mein Tagebuch. Und es ist auch nicht so, dass ich den Film aus therapeutischen Gründen gemacht hätte. Das glaubt zwar niemand, aber ich erzähle in allen meinen Filmen etwas, das mit mir zu tun hat.
Bei einer Autorenfilmerin ist das so. In diesem Fall wird allerdings mehr gefragt, warum.
»Warum Auschwitz?« haben Leute gefragt, warum nicht ein anderes Lager? Ich spüre, dass es der Film manchen Leuten schwer macht, ihn zu sehen, weil es mit ihren eigenen Geschichten zu tun hat. Der Film ist aber auch für andere ein Anstoß, mit Menschen zu sprechen, die noch leben.
Ich habe den Film nicht gemacht, um Menschen aufzuklären, aber wenn so etwas passiert, ist es schön.
artechock: Der Onkel sagt: Alle wollen immer die Wahrheit wissen? Glaubst Du denn, dass die Wahrheit erlöst, oder ist vielleicht die Suche die Erlösung?
Albert: Genau! Sita sucht ja fast verzweifelt nach einer Wahrheit. Was will sie eigentlich, was erwartet sie sich davon? Möchte sie, dass der Großvater schuldig ist, oder unschuldig? Ich glaube wirklich, dass es um die Suche geht.
Tabus und Familiengeheimnisse lähmen immer. Man kann auch erst aktiv sein Leben ergreifen und Verantwortung für andere übernehmen, wenn man das abgearbeitet hat.
artechock: Um des Teufels Advokat zu spielen: Kann man das denn überhaupt: Abarbeiten? Ist das nicht eine Illusion, dass man irgendwann einen Zustand der Freiheit von der Vergangenheit herstellen könnte? Hat nicht vielleicht Verdrängung auch eine therapeutische Funktion? Haben wir nicht mit einer Dialektik von Vergessen einerseits, Erinnern andererseits zu tun?
Albert: Man muss überhaupt mal hinschauen. Ich glaube, dass das Schweigen krank macht. Dass das Nicht-wahrhaben-wollen viel schlimmer ist, als das Zugeben von Schuld. Mir ging es selbst so: Ich habe mal erfahren dass es einem besser tut, wenn man Schuld zugibt, und sich der eigenen Schuld stellt.
Fortsetzung folgt...