18.07.2019

»Du kannst mich morgen töten, aber lass mich heute bitte noch meinen Film beenden!«

Abdisalam _Aato
Abdisalam Aato (li.) auf einer Veranstaltung mit somalischen Jugendlichen in Mogadischu, im Juli 2019
(Foto: Abdisalam Aato)

Abdisalam Aato, der große, kreative Entrepreneur des neuen somalischen Films, über seine Jahre in den USA, seine Arbeit in »Somaliwood« und seine Entscheidung, zurück nach Somalia zu gehen, um dort unter Lebensgefahr Filme zu drehen.

Das Gespräch führte Axel Timo Purr

Die ersten Filme in Somalia waren Wochen­schauen, die während der italie­ni­schen Kolo­ni­al­zeit in „Italie­nisch-Soma­li­land“ gezeigt wurden. Beflügelt durch eine reiche orale Erzähl­tra­di­tion entstanden nach der Unab­hän­gig­keit (1960) die ersten Spiel­filme. Mit der Gründung von Film­fes­ti­vals und der Somali Film Agency im Jahre 1975 begann sich die soma­li­sche Filmszene schnell zu etablieren. Vor allem Musicals, die so genannten „Riwaa­yados“ verhalfen der soma­li­schen Film­in­dus­trie zu großen Erfolgen und holten erstmals auch inter­na­tio­nale Co-Produ­zenten ins Land.
Mit dem Ende der Herr­schaft von Siad Barre 1991 und dem einset­zenden Bürger­krieg, dessen Nachwehen bis heute zu spüren sind und eine radikale Isla­mi­sie­rung großer Teile des Landes zur Folge hatte, verlegte sich die soma­li­sche Film­in­dus­trie auf die Produk­tion in der Diaspora. Vor allem Columbus (Ohio) wurde durch Abdisalam Aato ein Film-Hub, der schnell unter dem infor­mellen Begriff „Soma­li­wood“ bekannt wurde. Es entstanden Slasher Thriller, Culture-Clash-Action-Komödien und auch animierte Filme.
Abdisalam Aato, 1976 geboren, wuchs in Moga­di­schu auf. Wegen des begin­nenden Bürger­kriegs floh seine Familie in den frühen 1990ern nach Kenia und migrierte drei Jahre später von dort in die USA. Nach einem Media-Studium in Georgia zog er 2001 nach Columbus, arbeitete als Radio­spre­cher, schrieb Dreh­bücher und gründete seine Produk­ti­ons­firma „Olol Films“ und legte damit den Grund­stein für die Wieder­ge­burt des soma­li­schen Films. Sein erster Film Rajo (Hoffnung) war eine vergleichs­weise große Produk­tion mit Hubschrauber- und Luxus­li­mou­si­nen­ein­satz. Es folgten weitere Filme wie Gabar Haloo Doono (2004), Xaaskayga Araweelo (2006) und 2011 Ambad (Link zum Trailer), die alle in enger Zusam­men­ar­beit mit seiner Frau entstanden. Durch seine Arbeit als Medien-Berater der soma­li­schen Regierung kehrte Aato seit 2013 immer wieder nach Somalia zurück, gründete dort das ARTCH Art and Crea­ti­vity House of Somalia, eine Stiftung, die sich für die Wieder­be­le­bung von soma­li­scher Kunst und Krea­ti­vität einsetzt und arbeitet seit einem Jahr an seinem neuen Film, über dessen Entwick­lung er regel­mäßig auf Twitter infor­miert.

artechock: Bislang gibt es relativ wenig Infor­ma­tionen über „Soma­li­wood“, etwa im Guardian aus dem Jahr 2015, der Samatar Haji getroffen hatte.

Abdisalam Aato: Haji war mein Produk­ti­ons­de­si­gner und da ich keine Zeit hatte, hat der Guardian das Interview mit ihm gemacht. Für die Filme bis dahin hatte ich sowohl Regie geführt als auch die Dreh­bücher geschrieben. Ich wollte immer ein Filme­ma­cher sein. Seit ich mich erinnern kann und das war, als mein ältester Bruder mich zum ersten Mal in Moga­di­schu in ein Kino mitnahm und ich völlig faszi­niert war. Ich konnte gar nicht glauben, was ich dort sah. Ich war in einer anderen Welt. Von diesem Zeitpunkt an hörte ich nicht mehr auf Filme zu gucken, zu lieben, zu genießen, über sie nach­zu­denken. Ich war acht oder neun Jahre alt und dachte die ganze Zeit darüber nach, irgend­wann selbst einen Film zu machen. Das ging soweit, dass ich beim Hören von Musik meine eigenen Film­se­quenzen vor Augen sah. Nach dem Bürger­krieg verließen wir Somalia, flohen nach Kenia, wo ich einige Zeit als Flücht­ling lebte, dann ging es mit viel Glück weiter in die USA. Und da wusste ich dann auch, dass mein Traum irgend­wann wahr werden würde. Ich las und lernte alles über Filme, was es zu lesen und lernen gab. Ich war ein einsames Kind, hatte nie einen besten Freund, was in unserer soma­li­schen Kultur eigent­lich ein Unding ist, da hat jeder einen besten Freund. Aber wenn ich mir Filme ansah, dann brauchte ich keine Freunde, denn die Filme waren meine Freunde.

artechock: Aber es war dann sicher­lich doch etwas anderes von den Filmen zu träumen als sie dann zu reali­sieren...

Aato: Na ja, es ja nicht nur schwer, einen Film zu schreiben und ihn dann zu drehen, sondern noch einmal besonders schwer, wenn man Somalier ist. Das fängt ja schon bei unserer Sprache an, in der es kein Wort für Film gibt. Und das Wort für Kino haben wir der italie­ni­schen Sprache entliehen, also „Cinema“. Als Somalier musst du an alles denken, das Schreiben, das Filmen und dann natürlich daran, woher du das Geld bekommst, du musst irgendwie an Schau­spieler kommen, alles nicht selbst­ver­s­tänd­lich und hundert Mal schwerer als in jedem anderen Land, denke ich. Denn wie sie viel­leicht wissen, sind Somalier sehr gläubig und sehr streng in ihrem Glauben. Wenn du ihnen sagst, dass du einen Film machst, bekommst du richtige Probleme. Warum willst du einen Film machen, das ist doch haram (Anm. der Red.: Alles, was nach der Schariia »verboten, unver­letz­lich, heilig, geheiligt, verflucht, fluch­be­laden« ist). Ich überlege mir also eine Geschichte, das kann Monate dauern, manchmal ein Jahr. Und wenn die Zeit reif ist, beginne ich mit dem Schreiben. Dann suche ich nach Geld­ge­bern und erhalte viel Hilfe von der Familie, meinen Eltern, meinem Bruder, der die meisten meiner Filme produ­ziert hat.

artechock: Gibt es ein Grund­thema in ihren Filmen, ein wieder­keh­rendes Motiv?

Aato: Mein erster Film war Rajo („Hoffnung“), in dem es darum ging, ein anderes Leben zu leben. Ich habe dort die erste Gene­ra­tion von Migranten porträ­tiert, all die Probleme, die sie durch­leiden. Und dabei ist es auch geblieben. Alle meine Filme spielen in den USA, in allen geht es um die erste Gene­ra­tion von Diaspora-Somalis und ihre Geschichten. Der „Culture-Clash“, die unter­schied­li­chen Lebens­stile. Ich bin ja auch erste Gene­ra­tion und als ich ein Teenager war, war einfach alles anders für mich. Mir hat natürlich geholfen, dass ich gelesen habe und viele Filme gesehen hatte, ich wusste also, was mich erwartet. Aber die meisten Somalis, die in die USA migrierten, wussten das nicht. Und es gibt viele Geschichten darüber, traurige und lustige, verrückte Geschichte. Aber jetzt bin ich wieder in Somalia und richte meinen Blick wieder auf das, was hier passiert, auch auf dem Land. Wir haben hier so viele Geschichten und die möchte ich alle erzählen.

Filmplakat RAJO
Film­plakat zu Rajo (»Hoffnung« 2006) (Plakat: ololfilm.com)

artechock: Wie vertreiben Sie ihre Filme? Auf Portalen als Stream oder als DVD?

Aato: Das ist der Teil des ganzen Prozesses, den ich am meisten hasse. Denn wie ich schon sagte, haben Somalis kein Gefühl dafür, was Filme sind, was dahinter steht. Das bedeutet dann ganz einfach, dass jedes Mal wenn ich einen Film release, eine DVD produ­ziere, die meisten Somalis, die ich kenne, aber nicht ans Kaufen denken, sondern lieber ans Kopieren, die totale Piraterie. Weshalb ich eigent­lich immer einen Verlust mache. Ich meine, sie mögen mich, sie unter­s­tützen mich im Vorfeld des Films, aber wenn es an den Vertrieb geht… Der letzte meiner Filme, der in einem Kino gezeigt wurde, das war 2009. Danach haben wir anderes versucht, aber um ehrlich zu sein, immer mit Verlust. Dabei sehen sie es sich gerne an, aber dafür zahlen? Wir verkaufen die DVDs hier in den USA, schicken sie nach Kanada und nach England. Von dort bringen Somalis sie dann in die übrigen Länder Europas, in denen ein paar Somalis leben, nach Holland und Schweden, und von dort kommen dann auch Gelder. Und letztlich habe ich von Verkäufen in Neusee­land gehört ohne auch nur die geringste Ahnung zu haben, wer sie dahin expor­tiert. Das sind natürlich haupt­säch­lich Kopien. Hier in Somalia versuche ich es gerade anders, will mit einem Verleih zusam­men­ar­beiten, um endlich einmal ohne Verluste am Ende dazu­stehen. Ich möchte damit auch erreichen, dass nicht nur Somalis meine Filme sehen, sondern dass es darüber hinaus geht, andere Kulturen viel­leicht auch ihren Spaß an meinen Filmen und unserer Kultur haben. Und wir haben so viele irre Geschichten! Wir sind Geschich­ten­er­zähler, waren das immer: traurige, fröhliche, verrückte Geschichten, die verrückter als verrückt sind. Aber dazu muss ich jetzt einen neuen Weg gehen, inshallah!

artechock: Wann haben sie begonnen Filme zu drehen?

Aato: Mit Rajo, wie vorhin schon erwähnt, das war 2003. Und all die Verrückt­heit, die da invol­viert war, davon könnte man gleich noch mal einen Film machen. Das war ja gleich nach dem Bürger­krieg. Damals hörten die Leute höchstens mal Musik oder sahen ein Musik­video. Oder es gab ein Thea­ter­s­tück, mit drei Akten, das abgefilmt wurde. Es war ein Traum, der sich erfüllt hatte, als ich mit den Dreh­ar­beiten begann. Um ehrlich zu sein, wusste ich sehr wenig, und dachte, es würde alles leicht sein. Aber gleich mitten im Dreh brach plötzlich alles über mir zu zusammen. Schau­spieler hörten einfach auf. Einen fragte ich, was das solle, er habe doch noch vier Szenen zu drehen und er sagte, dass er religiös sei und das nicht mehr machen könne und bat im gleichen Atemzug darum, alle Szenen mit ihm zu löschen. Völlig verrückt. Ich musste alles umschreiben, neue Leute suchen, wirklich schlimm. Von dem Geld, was ich mit meinem ersten Film immerhin verdiente, inves­tierte ich in den nächsten Film und den übernächsten.Beim zweiten Film lief dann alles schon viel besser, weil ich wusste, mit wem es überhaupt möglich war zu arbeiten.

Filmplakat GABAR HALOO DONOO
Film­plakat zu Gabbar Haloo Donno (»find Him a Wife«, 2004) (Plakat: odolfilm.com)

artechock: Wie kommen Sie denn dann an ihre Schau­spieler, wenn die Reli­giö­sität Ihnen da immer wieder einen Strich durch die Rechnung macht?

Aato: In unserem Umfeld, also dem soma­li­schen, gab es damals, als wir anfingen, keine Berufs­schau­spieler. Wir hatten immer nur berühmte Sänger, die natürlich wussten, wie man eine Rolle verkör­pert, weil sie halt singen konnten. Du musstest ihnen nur sagen, dass das hier kein Theater ist, sondern ein Film. Die Dialoge sind anders, vor allem werden sie anders einge­bracht. Heut­zu­tage gibt es profes­sio­nelle Schau­spieler, auch wenn es nicht sonder­lich viele sind. Wir haben in Somalia oder der Diaspora keine Schau­spiel­schulen. Also gehe ich auf die Leute zu, denn irgendwie will ja jeder Schau­spieler sein, und teste sie, lasse sie Passagen aus dem Drehbuch sprechen. Dann nehme ich ein paar Leute aus meinen alten Filmen, denn da weiß ich ja, was geht, aber natürlich auch nicht zu viele. Unsere Film­in­dus­trie ist jung und klein und hart. Drehorte zu finden, Gelder zu bekommen, die reli­giösen Klippen zu umschiffen, alles ist schwer. Und über­ra­schend. Irgend­wann kam mal eine meiner Schau­spie­le­rinnen aus einem älteren Film zu mir, die mich darum bat, sie aus dem alten Film zu löschen, weil ihr Bruder den gerade gesehen hätte und sich aufgeregt habe. Und auch heute noch passiert es mir immer wieder, dass junge Schau­spieler von ihren Familien gezwungen werden, nicht mehr weiter­zu­ma­chen, nicht zum nächsten Dreh zu kommen. Meine Hoffnung ist, dass durch inter­na­tio­nale Aner­ken­nung, also durch die Zusam­men­ar­beit mit einem Verleih, auch das leichter wird.

artechock: Sie sind vor einiger Zeit zurück nach Somalia gegangen, um dort Filme zu drehen. An was arbeiten Sie dort genau?

Aato: Diese Frage mag ich, das ist eine aufre­gende Frage. Der Film, den ich hier drehen will, handelt von einem alten Mann, einem Kriegs­ve­teran, der sich entschieden hat, allein zu leben. Er stammt von einer der kleinen Stämme Somalias, einem, mit dem Somalis norma­ler­weise nichts zu tun haben wollen. Einer dieser Außen­seiter-Stämme, da gibt es hier einige. Er wird dann angeklagt einen der Teenager umge­bracht zu haben, die seine Toma­ten­farm ange­griffen haben. Die großen Stämme entscheiden deshalb, seinen Sohn umzu­bringen zu lassen, um Gerech­tig­keit zu üben. Der alte Mann bietet Geld, Kamele an, wir nennen das „Mag“, dann sein Leben: „bringt mich um, statt ihn“. Doch weil er einem niederen Stamm angehört, wollen sie sein „schmut­ziges“ Geld nicht. Er schickt seinen jungen Sohn weg, um ihn zu schützen, doch ausge­rechnet jetzt kommt sein älterer Sohn ihn besuchen. Und das Drama nimmt seinen Lauf. Das ganze spielt in einer kleinen, weit abge­le­genen Stadt. Ich möchte mit dieser Geschichte aber nicht nur von den Schwie­rig­keiten erzählen, die unsere Kultur hat, sondern auch von ihrer Schönheit. Und vor allem von dieser Tragik durch vermeint­liche Gerech­tig­keit Unge­rech­tig­keit zu erzeugen. Denn ich glaube, dass wir vor Gott alle gleich sind, jeder Somalier egal welchen Glaubens und auch das möchte ich formu­lieren und damit natürlich auch ein Tabu brechen, denn über diese schrei­ende Unge­rech­tig­keit traut sich sonst niemand zu sprechen, weil sie auch ständig passieren, genau wie die Geschichte meines Film, die auf einer wahren Geschichte basiert, die ich so gehört habe, hier in Somalia. Der Arbeits­titel heißt übrigens The Old Man’s Tomatoes & The Tribe.

Filmplakat ARAWEELO
Film­plakat zu Xaaskayga Araweelo (2006) (Plakat: odolfilm..com)

artechock: Teil dieses Dilemmas, von dem ihr neuer Film handelt, ist ja die fehlende Gerech­tig­keit. Geht es aber nicht noch darüber hinaus, ist die Einschät­zung der west­li­chen Welt, Somalia als „Failed State“ zu bezeichnen, nicht mehr als zutref­fend?

Aato: Nein, das denke ich nicht. Wir haben Probleme, riesige Probleme. Aber ich würde Somalia niemals als „Failed State“ bezeichnen. Wenn Sie nach Moga­di­schu kommen, ist alles wie woanders: wir leben, alles passiert hier, was woanders auch passiert. Wir haben keinen Frieden, aber wir sind deshalb kein geschei­terter Staat. Der größte Teil des Landes ist befriedet, nur in der Haupt­stadt gibt es keine Garantie für Frieden. Wir leben in Zeiträumen zwischen Explo­sionen. Zwischen der von letzter Woche und der in der kommenden Woche. Aber die Regierung tut ihr bestes, und kann doch nicht verhin­dern, dass du um 12 Uhr mittags tot bist. Vor dem Einschlafen sagst du dir: Gott, lass mich leben. Und bevor du morgens das Haus verlässt, sagst du das wieder: Gott, lass mich leben, lass mich heute Nacht wieder lebendig in dieses Haus zurück­kehren. Aber parallel dazu leben die Leute ihr ganz normales Leben. Die Geschäfte boomen. Leute gehen zur Schule, es gibt Univer­si­täten, also all das, was auch in Berlin passiert, das gibt es auch in Moga­di­schu. Ob sie es glauben oder nicht! Bis auf diese kleine Sache, diese Ausnahme, dass du halt nicht weißt, was mit dir am nächsten Tag passieren wird. Also gibt es eigent­lich nur ein Problem und das ist der fehlende Frieden.

artechock: Diese kleine Sache macht das Arbeiten sicher nicht leicht und einen Film in Columbus zu drehen oder in Nairobis „Riverwood“ ist sicher­lich etwas anderes als in Moga­di­schu...

Aato: Lassen Sie es mich so formu­lieren: der schlimmste Platz auf der Erde, um einen Film zu drehen, ist sicher­lich Somalia. Was ich damit meine, ist: Sicher­heit, Sicher­heit, Sicher­heit. Du weißt einfach nicht, was mit dir passiert. Überall sind Waffen und überall sind religiöse Leute, die gefähr­lich werden können, wenn ein Gerücht entsteht. Nicht mehr als ein kleines Gerücht. Denn wie ich schon vorher gesagt habe: für die meisten Menschen hier ist „Film“ „haram“, böse, schlecht, verboten. Und wenn sie wollen, können sie dich einfach so vernichten. Und ich spreche hier über Somalier, nicht mal Ausländer, Deutsche, Engländer oder Ameri­kaner. Falls du viel Geld zur Verfügung hast, kannst du natürlich Security, Waffen, Leib­wächter und so kaufen, aber ohne all das? Du brauchst einen ruhigen Ort, denn du willst ja auch, dass deine Schau­spieler in Sicher­heit sind. Hier ist einfach alles gegen dich: deine eigene Kultur, deine eigene Religion. Und dann sind da noch all die üblen Typen, Terro­risten und so. Im Grunde stehen wir Filme­ma­cher auf der moralisch richtigen Seite, es ist halt wie so oft eine Sache der Auslegung. Und sie sagen, es ist böse, was wir machen. Denn wir versuchen, unsere Kultur zu entblößen, sie offen zu zeigen, so dass die Welt unsere Kultur versteht und sich in gewisser Weise in sie verliebt. Aber das wollen halt gerade die Hardliner überhaupt nicht. Gefähr­li­cher geht es also kaum!

artechock: Warum haben Sie diesen Schritt getan, warum sind sie nicht in Amerika geblieben?

Aato: Weil ich verrückt bin und weil ich es liebe Filme zu machen. Ich war dazu bestimmt. Wenn mir einer dieser irren Terro­risten beim Shooting in den Weg tritt, sage ich ihm: Du kannst mich morgen töten, aber lass mich heute bitte noch meinen Film beenden. Das ist mein ganzes Leben. Und es ist gefähr­lich. Vor zwei Monaten gingen hier für eine Woche jeden Tag Bomben von Selbst­mord­at­ten­tä­tern in die Luft, jeden Tag: Montag, Dienstag, Mittwoch, Donnerstag, Freitag. Erst letzte Woche ist eine gute Freundin von mir, Hodan Nalayeh, die in Kanada groß geworden ist und wie ich nach Somalia zurück­ge­kehrt ist, mit ihrem Mann bei einem Terror­an­schlag ums Leben gekommen. Während ich an meinem Film schrieb, gingen nur drei Häuser weiter Bomben hoch. Und du hörst die ganze Nacht Schieße­reien und sitzt am Schreib­tisch und schreibst dein Drehbuch, und du gewöhnst dich dran. Willst fertig damit werden, sprichst mit Geld­ge­bern und hörst die Schüsse nebenan. Ich weiß, dass das gefähr­lich ist. Aber wenn nicht ich, wer wird es dann tun. Ich liebe das einfach. Inshallah. Was soll ich auch sonst tun. Ich bin kein Ingenieur, ich bin kein Arzt. Ich bin ein Geschich­ten­er­zähler, ein Filme­ma­cher. Und es ist eine einsame Welt als soma­li­scher Filme­ma­cher, aber egal, das werde ich immer sein. Und ich hoffe nur, dass ich hier mit meinem Film heil rauskomme und ihn zur Berlinale oder nach Cannes, oder nach Venedig mitbringen kann. Das ist mein Traum, ein Teil der Filme­ma­cher dieser Welt zu sein. Mit meiner soma­li­schen Geschichte. Und ich habe das Gefühl, dass mir das auch gelingen wird, dass ich all die Einschüch­te­rungen, Drohungen und Gefahren hinter mir lassen werde und am Ende alle auf der Welt soma­li­sche Filme lieben werden.