Dokumentation (Super 16mm -> 35mm, Farbe)
»›Ich will zu Schiff die Meere durchkreuzen, ein weiblicher Fliegender Holländer, bis ich einmal versunken und verschwunden bin.‹ – ELISABETH VON ÖSTERREICH
Wenn die Kamera vom Deck des Schiffes auf den endlosen Horizont des Mittelmeeres hinausblickt, entsteht das Bild einer Frau, die rastlos durch die Welt gereist ist. Elisabeth, Kaiserin von Österreich (1837-1898), verschwand immer wieder aus dem Bild. Ab ihrem 31. Lebensjahr ließ sie sich auch nicht mehr
fotografieren. Ruth Beckermann macht sich auf die Suche nach dieser Frau, die den Platz im Korsett ihrer Gesellschaft nicht einnehmen wollte und einen Mythos zwischen märchenhafter Cinderella und depressiver Marionette der Monarchie entstehen ließ. In Ägypten, das Elisabeth zweimal besucht hat, findet die Filmemacherin die Schauplätze und zeitlosen Momente, die durch die Bedeutungsoberflächen hindurchblicken lassen. In den orientalischen Basaren und den lärmenden Straßen,
hinter den Bettenburgen an den Peripherien der Großstädte, wo apokalyptische Rauchsäulen aus den archaischen Töpferwerkstätten aufsteigen, belagern sich Gegenwart und Vergangenheit kaleidoskopartig. Die Kamera schlüpft in die Rolle einer Flaneurin, die sich, ohne ihr Ziel aus den Augen zu verlieren, dem Gewühl der Straßen überlässt und den Details des Alltags mehr Schaulust abgewinnt als den großen Monumenten. Die Montage von Bilder dieser Ägypten-Reise und die
Interpretationen der Aufzeichnungen Elisabeths und ihres Vorlesers sind Bestandteile einer Reflexion über die Macht und Grenzen der Bilder, über Mythos und Wirklichkeit.
›Ich würde gerne durch die Zeiten reisen und filme doch immer nur die eine, die meine: Ich kann nicht in die Vergangenheit, nur in die Ferne fahren, in die Fremde.... Doch vielleicht ist die Vergangenheit ein fernes Ausland.‹ – RUTH BECKERMANN
›I will cross the seven seas by ship, a female Flying Dutchman, until one day I drown and am forgotten‹ – ELISABETH OF AUSTRIA
Ruth Beckermann goes in search of this woman who refused to take her place in the corset of society and who created the myth between a fairy-tale Cinderella and a depressive marionette of the monarchy. In Egypt, which Elisabeth visited twice, Ruth Beckermann finds the scenes and timeless moments that allow a glance through the surfaces
of meaning. The montage of images from this journey to Egypt and the interpretation of the written descriptions of Elisabeth and her Greek companion and reader are the components of a reflexive essay on strangeness, on the power and limitations of the image, on myth and reality.
›I would like to travel through the ages, but I can only ever film the one that is mine. I can’t travel back in time, only to faraway places, in foreign lands.... But perhaps the past is a
foreign country.‹ – RUTH BECKERMANN
Ruth Beckermann: Überlegungen zum Film
Je länger ich mich mit den Bildern und Mythen Kaiserin Elisabeths beschäftigte, einige ihrer Aufenthaltsorte besuchte, immer wieder ihre Portraits ansah, die Originale ihrer Gedichte in Bern las und schließlich auf ihre Fotosammlungen stieß, desto klarer formten sich innere Zusammenhänge, die zur Grundlage des Filmkonzepts wurden. Sich bewegen, fahren, flüchten und sich verflüchtigen sind die herausragenden, ganz spezifischen
Tätigkeiten der Kaiserin Elisabeth, dieser Frauenfigur an der Schwelle zur Moderne, Symbol des selbstbewussten und zerrissenen 19. Jahrhunderts. Ihre Bewegungen gleichen der Vervielfältigung und Beschleunigung der Bilder durch die Entwicklung der technischen Sehgeräte und der Eisenbahn. Fuhr sie nicht, so machte sie Fußmärsche. Bezeichnenderweise nannte man sie auf Korfu „die Eisenbahn“: überall und nirgends, nicht zu fassen. Entscheidend und beinahe so etwas
wie ein Schlüssel zu dieser Persönlichkeit erscheint mir, dass sich während Elisabeths Lebenszeit die großen Veränderungen in der Wahrnehmung durch die Erfindung von Fotografie und Film zutrugen. Und drei Jahre vor Elisabeths gewaltsamem (filmreifen) Tod in Genf fand die erste Kinovorstellung in Paris statt. Weisen ihre Selbstinszenierungen bereits auf den Schwarzweißfilm hin, so gleicht ihr Leben der Cinderella-Geschichte, aus der das Kino in immer neuen Versionen seine
Stoffe formen sollte. (...) Elisabeth erscheint wie ein Gesamtkunstwerk der Ästhetik des Verschwindens, die sie auch in ihrem eigenen mageren und bewegungssüchtigen Körper exekutierte, Sie nimmt es in ihren Erscheinungskünsten mit Licht und Tempo auf, auch wenn das Kino erst erfunden werden muss. So betreiben letztlich alle Themen der kaiserlichen Biographie die Auflösung des repräsentativen Kaisertableaus: Ihr Gesicht verschwindet hinter dem Fächer, sie rast im Zug vorbei,
statt die Schaulust des wartenden Volks zu befriedigen; sie verweigert die Erfüllung der monarchischen Repräsentationspflichten. Sie manifestiert den Sturz der alten Göttinnen und den Kurswechsel weiblicher Schönheit im Zeitalter moderner Fortbewegungstechnologie. Die Mobilisierung erfasse, so Paul Virilio, auch die alten Ikonen der Weiblichkeit, die Madonna oder Landesmutter. In Zukunft hätten sie den Vergleich mit einem Typus zu ertragen, der auf der Leinwand sein
zeitgemäßes Wesen treibt, mit dem Filmstar, der ephemeren Diva, die mit einer Geschwindigkeit von 24 Bildern pro Sekunde über die Kinoleinwände flackert. Ihre Sichtbarkeit verdankt sie in Hinkunft allein dem Licht. Elisabeths Bewegungsdrang und ihre Reisetätigkeit legten die Wahl einer Reise als Filmform nahe. Der Film verläuft jedoch nicht als linearer Reisebericht. Er stellt die äußere Reise als Rahmen und Teil der inneren Reise dar. Schnittpunkt dieser beiden Bewegungen
ist Ägypten.
BIO-FILMOGRAPHIE
Ruth Beckermann
Geboren in Wien. Autorin und Filmschaffende. Von ihr stammen u.a. folgende Publikationen: „Die Mazzesinsel“ 1984, „Unzugehörig“ 1989, ›Ohne Untertitel. Fragmente einer Geschichte des österreichischen Kinos (Hg. zusammen mit Christa Blümlinger) 1996.
Filme:
1984 WIEN RETOUR
1987 DIE PAPIERENE BRÜCKE
1990 NACH JERUSALEM
1996 JENSEITS DES KRIEGES
1999 EIN FLÜCHTIGER ZUG NACH DEM ORIENT
Produktion: Josef Aichholzer, Aichholzer Filmproduktion, Mariahilfer Straße 58, A-1070 Wien, Tel. +43-1-523 40 81, Fax. +43-1-526 34 58, e-mail aifilm@ping.at
Gefördert von: ÖFI
Uraufführung: Oktober 1999 in Wien
Weltrechte: First Hand Film GmBH, Bahnhofstr. 21, CH-8180 Zürich, Tel. +41-1-862 21 06, Fax. +41-1-862 21 46, e-mail info@firsthandfilms.ch
Deutscher Verleih: Salzgeber & Co Medien, Friedrichstr. 122, D-10117 Berlin, Tel. +49-30-285 290 90, Fax.
+49-30-285 290 99, e-mail info@salzgeber.de‹«
(15. internationales Dokumentarfilmfestival München)