20.11.2025

Im Schatten der Grenzen ein Gegenentwurf

Baghdad Messi
Trotz Trauma Fußball: Baghdad Messi von Sahim Omar Kalifa
(Foto: Kino Asyl 2025)

In einem Land, das in Europa die meisten getöteten Migranten verzeichnet, setzt KINO ASYL ein unmissverständliches Zeichen der Sichtbarkeit und Menschlichkeit. Das Festival zeigt eine Woche lang Filme, die von jungen Menschen mit Fluchterfahrung kuratiert wurden – als Korrektiv zu politischer Kälte und gesellschaftlicher Amnesie

Von Axel Timo Purr

Der Blick fällt in die Dunkel­heit: Menschen, die gezwungen wurden, Heimat aufzu­geben, stehen immer noch am Rand – in Lagern, Über­gangs­heimen, an Bahnhöfen und Straßenecken. Ihre Geschichten werden verdrängt, ihre Stimmen überhört. In einer Gesell­schaft, die sich zunehmend abschottet, bleibt wenig Raum für das Erzählen, für das Sehen, für das Zuhören. Das wird besonders klar in dem scho­nungs­losen Sachbuch Trau­ma­land ist überall von Asal Dardan, das die mora­li­schen und poli­ti­schen Blind­stellen Deutsch­lands im Umgang mit Migration freilegt und aufzeigt, wie syste­ma­tisch Menschen entrechtet werden, lange bevor sie überhaupt ankommen dürfen. Und es ist genau dieses Buch, das den bitteren Befund doku­men­tiert, dass Deutsch­land – jenes Land, dessen Bewohner so gerne in allem Welt­meister wären – in der Europäi­schen Union den traurigen Rekord der meisten getöteten Migranten hält. Ein mora­li­scher Offen­ba­rungseid. Ein Satz, der Schnitt­geräu­sche hinter­lässt. Ein Fakt, der sich einbrennt und den Blick auf die deutsche Gegen­warts­po­litik unwi­der­ruf­lich verschiebt.

Gerade deshalb braucht es Orte, die andere Narrative öffnen, die visuelle Räume schaffen für jene, deren Wege nicht durch Erfolgs­ge­schichten, sondern durch Brüche, Verlust und Neuanfang geprägt sind. Das Festival KINO ASYL in München ist genau ein solcher Ort: Seit über zehn Jahren verweist es auf die filmische Vielfalt junger Menschen mit Flucht­er­fah­rung – eine Woche lang, vom 22. bis 28. November 2025, verteilt über verschie­dene Spielstätten der Stadt. Mehr als ein Filmfest ist es ein Dialog­forum, eine soziale Membran, die Erzäh­lungen nicht filtert, sondern verstärkt. Die Kurator:innen bringen nicht nur Filme mit, sondern Erfah­rungen, Perspek­tiven, Welten – ein Gegen­ge­wicht zur gesell­schaft­li­chen Amnesie.

Und so führt das Festi­val­pro­gramm – wie ein tastender Gang durch verschie­dene Erfah­rungs­räume – in diesem Jahr durch eine dichte, bewegende Chro­no­logie:

Los geht es am Samstag, 22. November, um 19 Uhr im Werkraum der Münchner Kammer­spiele mit Zaki­ra­tuna (Syrien), einem eindring­li­chen Erin­ne­rungs­raum, gefolgt von MFUKO – The duffle bag (Uganda), einer kleinen Tragödie über einen gehör­losen Jungen, und dem kurzen Migra­ti­ons­poem Diaspora (Deutsch­land/Jemen).

Am Sonntag, 23. November, ab 19 Uhr im Bellevue di Monaco werden die Ukrai­ni­schen Heldinnen vorge­stellt, danach der harsche Blick in Inside Syrias Worst Prison, gefolgt von Sedigheh Dehnaei – Kleine Schritte, große Träume (Iran). Um 21 Uhr dann Die Weißhelme, jener Film, der die Frei­wil­ligen zeigt, die im syrischen Bomben­hagel Leben retten, als wäre Hoffnung eine Pflich­tü­bung gegen den Untergang.

Dienstag, 25. November, ab 19 Uhr im NS-Doku­men­ta­ti­ons­zen­trum, dreht sich alles um Uganda: Ghetto Kids: No Plan B, eine tänze­ri­sche Über­le­bens­stra­tegie; Uganda: Der Preis der Wahrheit, ein Dokument der jour­na­lis­ti­schen Gefähr­dung; und später La vie est belle, ein kongo­le­si­scher Klassiker über Liebe, Armut und Selbst­be­haup­tung.

Am Mittwoch, 26. November*, begint der Tag im Gasteig HP8 bereits um 9 Uhr mit dem Anima­ti­ons­film Dounia und die Prin­zessin von Aleppo, einer poeti­schen Flucht­ge­schichte. Um 15 Uhr folgt Opium War aus Afgha­ni­stan, und um 18:30 Uhr teilen sich zwei Filme den Abend: Baghdad Messi, das tragische Porträt eines Jungen, der trotz Trauma am Fußball­glauben festhält, und Fragments, die konzen­trierte Bestands­auf­nahme eines Lebens zwischen Sierra Leone und Deutsch­land. Um 21 Uhr dann Almajiri, eine Reise in die verletz­lichste Schicht Nigerias: die Straßen­kinder, die religiöse Ausbeu­tung und soziale Vernach­läs­si­gung ertragen müssen.

Donnerstag, 27. November, ab 19 Uhr in der HFF: In the Land of Brothers, drei Kapitel über afgha­ni­sche Geflüch­tete im Iran, ein Film über Arbeit, Angst und Würde in prekären Räumen. Um 21 Uhr folgt Mili­t­an­tropos, ein doku­men­ta­ri­sches Feld­ta­ge­buch über den Krieg in der Ukraine, fest­ge­halten von Menschen, die plötzlich zu Chro­nisten ihres eigenen Ausnah­me­zu­stands werden.

Den Abschluss bildet Freitag, 28. November, im KUNSTLABOR 2, ab 20 Uhr: Circulus, ein symbo­lisch aufge­la­denes Stück über Inte­gra­tion; Present/Past, eine ugan­di­sche Erzählung über Trauma und Wieder­kehr; und um 22 Uhr die Doppelung Wuri, ein Film gegen HIV-Stig­ma­ti­sie­rung, sowie Alles Klar, eine kurze Satire auf Inte­gra­ti­ons­kurse und poli­ti­sche Selbst­be­ru­hi­gungs­ri­tuale.

Diese Woche zeigt: Kino wird zum Ort des Hinsehens – nicht des Wegblin­zelns. Die Filme, die Debatten, die Begeg­nungen öffnen Räume, in denen Menschen nicht reduziert, sondern verstanden werden. Der Eintritt ist frei. Ein Statement, dass Zugang nicht vom Geld­beutel abhängen darf.

Wer also einen Moment findet zwischen Alltag und Zynismus: hingehen. Sehen. Zuhören. Denn KINO ASYL ist das Gegen­pro­gramm zur Gleich­gül­tig­keit – ein Festival der Sicht­bar­keit, der Mensch­lich­keit, der offenen Augen.