Im Schatten der Grenzen ein Gegenentwurf |
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| Trotz Trauma Fußball: Baghdad Messi von Sahim Omar Kalifa | ||
| (Foto: Kino Asyl 2025) | ||
Von Axel Timo Purr
Der Blick fällt in die Dunkelheit: Menschen, die gezwungen wurden, Heimat aufzugeben, stehen immer noch am Rand – in Lagern, Übergangsheimen, an Bahnhöfen und Straßenecken. Ihre Geschichten werden verdrängt, ihre Stimmen überhört. In einer Gesellschaft, die sich zunehmend abschottet, bleibt wenig Raum für das Erzählen, für das Sehen, für das Zuhören. Das wird besonders klar in dem schonungslosen Sachbuch Traumaland ist überall von Asal Dardan, das die moralischen und politischen Blindstellen Deutschlands im Umgang mit Migration freilegt und aufzeigt, wie systematisch Menschen entrechtet werden, lange bevor sie überhaupt ankommen dürfen. Und es ist genau dieses Buch, das den bitteren Befund dokumentiert, dass Deutschland – jenes Land, dessen Bewohner so gerne in allem Weltmeister wären – in der Europäischen Union den traurigen Rekord der meisten getöteten Migranten hält. Ein moralischer Offenbarungseid. Ein Satz, der Schnittgeräusche hinterlässt. Ein Fakt, der sich einbrennt und den Blick auf die deutsche Gegenwartspolitik unwiderruflich verschiebt.
Gerade deshalb braucht es Orte, die andere Narrative öffnen, die visuelle Räume schaffen für jene, deren Wege nicht durch Erfolgsgeschichten, sondern durch Brüche, Verlust und Neuanfang geprägt sind. Das Festival KINO ASYL in München ist genau ein solcher Ort: Seit über zehn Jahren verweist es auf die filmische Vielfalt junger Menschen mit Fluchterfahrung – eine Woche lang, vom 22. bis 28. November 2025, verteilt über verschiedene Spielstätten der Stadt. Mehr als ein Filmfest ist es ein Dialogforum, eine soziale Membran, die Erzählungen nicht filtert, sondern verstärkt. Die Kurator:innen bringen nicht nur Filme mit, sondern Erfahrungen, Perspektiven, Welten – ein Gegengewicht zur gesellschaftlichen Amnesie.
Und so führt das Festivalprogramm – wie ein tastender Gang durch verschiedene Erfahrungsräume – in diesem Jahr durch eine dichte, bewegende Chronologie:
Los geht es am Samstag, 22. November, um 19 Uhr im Werkraum der Münchner Kammerspiele mit Zakiratuna (Syrien), einem eindringlichen Erinnerungsraum, gefolgt von MFUKO – The duffle bag (Uganda), einer kleinen Tragödie über einen gehörlosen Jungen, und dem kurzen Migrationspoem Diaspora (Deutschland/Jemen).
Am Sonntag, 23. November, ab 19 Uhr im Bellevue di Monaco werden die Ukrainischen Heldinnen vorgestellt, danach der harsche Blick in Inside Syrias Worst Prison, gefolgt von Sedigheh Dehnaei – Kleine Schritte, große Träume (Iran). Um 21 Uhr dann Die Weißhelme, jener Film, der die Freiwilligen zeigt, die im syrischen Bombenhagel Leben retten, als wäre Hoffnung eine Pflichtübung gegen den Untergang.
Dienstag, 25. November, ab 19 Uhr im NS-Dokumentationszentrum, dreht sich alles um Uganda: Ghetto Kids: No Plan B, eine tänzerische Überlebensstrategie; Uganda: Der Preis der Wahrheit, ein Dokument der journalistischen Gefährdung; und später La vie est belle, ein kongolesischer Klassiker über Liebe, Armut und Selbstbehauptung.
Am Mittwoch, 26. November*, begint der Tag im Gasteig HP8 bereits um 9 Uhr mit dem Animationsfilm Dounia und die Prinzessin von Aleppo, einer poetischen Fluchtgeschichte. Um 15 Uhr folgt Opium War aus Afghanistan, und um 18:30 Uhr teilen sich zwei Filme den Abend: Baghdad Messi, das tragische Porträt eines Jungen, der trotz Trauma am Fußballglauben festhält, und Fragments, die konzentrierte Bestandsaufnahme eines Lebens zwischen Sierra Leone und Deutschland. Um 21 Uhr dann Almajiri, eine Reise in die verletzlichste Schicht Nigerias: die Straßenkinder, die religiöse Ausbeutung und soziale Vernachlässigung ertragen müssen.
Donnerstag, 27. November, ab 19 Uhr in der HFF: In the Land of Brothers, drei Kapitel über afghanische Geflüchtete im Iran, ein Film über Arbeit, Angst und Würde in prekären Räumen. Um 21 Uhr folgt Militantropos, ein dokumentarisches Feldtagebuch über den Krieg in der Ukraine, festgehalten von Menschen, die plötzlich zu Chronisten ihres eigenen Ausnahmezustands werden.
Den Abschluss bildet Freitag, 28. November, im KUNSTLABOR 2, ab 20 Uhr: Circulus, ein symbolisch aufgeladenes Stück über Integration; Present/Past, eine ugandische Erzählung über Trauma und Wiederkehr; und um 22 Uhr die Doppelung Wuri, ein Film gegen HIV-Stigmatisierung, sowie Alles Klar, eine kurze Satire auf Integrationskurse und politische Selbstberuhigungsrituale.
Diese Woche zeigt: Kino wird zum Ort des Hinsehens – nicht des Wegblinzelns. Die Filme, die Debatten, die Begegnungen öffnen Räume, in denen Menschen nicht reduziert, sondern verstanden werden. Der Eintritt ist frei. Ein Statement, dass Zugang nicht vom Geldbeutel abhängen darf.
Wer also einen Moment findet zwischen Alltag und Zynismus: hingehen. Sehen. Zuhören. Denn KINO ASYL ist das Gegenprogramm zur Gleichgültigkeit – ein Festival der Sichtbarkeit, der Menschlichkeit, der offenen Augen.