16.10.2025

Annie Hall

Diane Keaton 2012
Diane Keaton 2012
(Foto: es:Ruven Afanador, CC BY-SA 3.0)

Modern Times: Zum Tod der Stadtneurotikerin Diane Keaton

Von Rüdiger Suchsland

In den 70er Jahren war Diane Keaton eine Sensation. Sie verkör­perte den Zeitgeist pur – eine intel­lek­tu­elle, gutaus­se­hender, aber nicht offen­sicht­lich hübsche Frau, die den Männern auf der Leinwand eben­bürtig war und sich radikal unter­schied von all den Femme Fatales, den Sexbomben den »desparate« oder happy-happy House­wives früherer Jahr­zehnte des Holly­wood­kinos. Am ehesten noch war sie eine Art Kumpel – so wie Paulette Goddards namenlose Beglei­terin des Tramp in Charlie Chaplins Modern Times.

Und viel­leicht ist es deshalb kein Zufall, dass man sie, die eigent­lich Diane Hall hieß, und sich nach dem einen der zwei größten Komiker des Kinos, nach Buster Keaton nannte, auch schnell mit der Melone des Anderen, des Tramp in Erin­ne­rung hat. Die trug Keaton erstmals 1977 in Woody Allens Annie Hall, der bei uns unter dem nur scheinbar tref­fenden Titel Der Stadt­neu­ro­tiker ins Kino kam. Und danach immer wieder.

Nur scheinbar treffend, denn eigent­lich ist Der Stadt­neu­ro­tiker eine einzige Hommage Woody Allens, der damals auch einige Jahre ihr Lebens­partner war, an diese Schau­spie­lerin und Frau. Wie der Titel, so heißt ihre Figur. Und »Annie« war jahr­zehn­te­lang Keatons Spitzname.

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In den 1970er-Jahren stand ihre Karriere zunächst ganz im Zeichen ihrer Zusam­men­ar­beit mit Woody Allen, mit dem sie zwischen 1972 und 1993 acht gemein­same Filme drehte. Aber es gab auch das Universum von Coppolas Der Pate, in dessen drei Teilen Keaton einen markanten Auftritt hat – als selbst­be­wusste, gepei­nigte Ehefrau von Al Pacinos Michael Corleone. Auch mit Pacino verband Keaton, wie leicht zu erfahren ist, eine rund 20-jährige On/Off-Beziehung.

Das »New Hollywood«-Jahrzehnt endete für Keaton mit einem weiteren mega­lo­manen Projekt: Reds von Warren Beatty, ein kryp­to­kom­mu­nis­ti­scher Film über John Reads Okto­ber­re­vo­lu­ti­ons­re­por­tage Zehn Tage, die die Welt erschüt­terten.

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Danach verstand es die Schau­spie­lerin, sich immer wieder neu zu erfinden, und doch ihrer unver­wech­sel­baren Leinwand-Persona eini­ger­maßen treu zu bleiben, die sich im Jahrzehnt der Reformen und des gesell­schaft­li­chen Aufbruchs heraus­ge­bildet hatte: einer Frau, die zugleich exzen­trisch und eigen­willig, verletz­lich und kompro­misslos unab­hängig war.

Sie wechselte brillant zwischen drama­ti­schen Rollen – etwa in Marvins Töchter von Jerry Zaks – und komö­di­an­ti­schen Stoffen, wie in Der Club der Teufe­linnen von Hugh Wilson.

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Nach eher flüch­tigen Anfängen auf der Bühne, unter anderem in der Origi­nal­pro­duk­tion des Musicals Hair, gab Diane Keaton 1970 ihr Filmdebüt in Love and other Strangers von Cy Howard. Zwei Jahre später wurde sie durch ihre Rolle der Kay Adams in Der Pate welt­berühmt. Im selben Jahr begann auch ihre erste Zusam­men­ar­beit mit Woody Allen in Play it Again, Sam.

Andere einzelne Werke aus dieser Zeit blieben eher unbe­deu­tend – mit Ausnahme von Looking for Mr. Goodbar von Richard Brooks, in dem sie an der Seite des jungen Richard Gere spielte.

Anfang der 80er schlug Keaton neue Rich­tungen ein. Sie spielte in The Little Drummer Girl von George Roy Hill, und schlug einen populä­reren, seich­teren Karrie­reweg ein, dem sie bis zum Ende ihrer Laufbahn treu blieb.

Es domi­nierten die Komödien, 2003 noch einmal sehr erfolg­reich mit Nancy Meyers’ Something’s Gotta Give an der Seite von Jack Nicholson. Eine echte Neude­fi­ni­tion ihres Lein­wand­cha­rak­ters blieb aller­dings weiterhin aus.

In den letzten zwanzig Jahren ihrer Karriere schaffte es nur etwa die Hälfte ihrer Arbeiten überhaupt in die europäi­schen Kinos. Unter den bekann­teren späten Werken ist vor allem ihre Rolle in Paolo Sorren­tinos Serie The Young Pope hervor­zu­heben.

Auch ihre Arbeiten als Regis­seurin und Produ­zentin von TV- und Kino­pro­duk­tionen blieb »unter dem Radar« der hiesigen Öffent­lich­keit.

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Aber Diane Keaton, die viermal für den Oscar als »Beste Haupt­dar­stel­lerin« nominiert wurde – und beim ersten Mal, 1978 für Annie Hall gewann –, muss ein paar Dinge auch in ihrem weiteren Leben richtig gemacht haben: Wie zu hören ist, hinter­lässt sie ein Vermögen von über 100 Millionen Dollar – erworben vor allem durch Immo­bi­li­en­handel in Kali­for­nien.

In Erin­ne­rung bleibt Diane Keaton aber als eine der markan­testen Schau­spie­le­rinnen ihrer Gene­ra­tion, als modernen Film­heldin mit Hut und Witz, als Annie Hall.