09.10.2025

Perlen aus entlegenen Winkeln

Der geheimnisvolle Blick des Flamingos
Diego Céspedes‘ bemerkenswerter Der geheimnisvolle Blick des Flamingos
(Foto: Filmfest Hamburg/Charades)

Beim 33. Filmfest Hamburg kamen einige der bemerkenswertesten Beiträge aus Spanien, Portugal und Lateinamerika

Von Eckhard Haschen

Genau genommen lief The Secret Agent, der in Cannes mit dem Regie­preis ausge­zeich­nete vierte Spielfilm von Kleber Mendonça Filho gar nicht in „Vitrina“ der Sektion für spanisch- und portu­gie­sisch­spra­chige Filme. Denn wie auch Julia Ducaranu war dem brasi­lia­ni­schen Regisseur unter dem Label „Filmmaker in Focus“ eine drei Filme umfas­sende Hommage gewidmet, bei der auch noch Mendonças erster Spielfilm Neigh­bou­ring Sounds aus dem Jahr 2012 sowie sein dritter, Bacurau, von 2019 gezeigt wurden. Für den Verfasser dieser Zeilen war die Auffüh­rung dieser drei Filme zusammen mit dem eins­tün­digen Werk­statt­ge­spräch, das der lang­jäh­rige Vitrina-Kurator Roger Koza mit Mendonça Filho führte, der klare Höhepunkt des dies­jäh­rigen Filmfest Hamburg.

So, im Paket gesehen, zeigt sich besonders deutlich Mendonças Meis­ter­schaft in der Verwen­dung von Genre-Konven­tionen, die er immer wieder geschickt unter­wan­dert und mit einer radikalen Gesell­schafts­kritik verbindet. Dabei kommt ihm sicher­lich zugute, dass er vor seiner Regie­ar­beit jahrelang als Film­kri­tiker gear­beitet hat – eine Vorge­schichte, die ihn übrigens mit Glauber Rocha, dem Haupt­ver­treter des Cinema Novo der 1960er Jahre verbindet. Und dass der 56-Jährige genau weiß, von welcher brasi­lia­ni­schen Wirk­lich­keit er erzählt – der Haupt­strang von The Secret Agent spielt während der Karne­vals­zeit des Jahres 1977 in seiner Heimat­stadt Recife – dürfte nicht zuletzt mit seinem Aufwachsen in den Jahren der Mili­tär­dik­tatur zu tun haben. „Der Film zeigt Ansichten von vor 50 Jahren“, sagt Mendonça, »aber manches ist heute wieder aktuell. Das ist die Ironie: Einen histo­ri­schen Rückblick zu drehen, der Ideen enthält, die wieder in Mode sind. Wobei Mendonça durchaus zuver­sicht­lich ist, dass Brasilien unter Präsident Lula da Silva auf dem Weg in eine bessere Zukunft ist. Wie schön, dass mit dem viel­schich­tigen Polit­thriller« The Secret Agent nun endlich einmal ein Film von Kleber Mendonça Filho einen Kinostart bei uns hat.

Unter den Filmen der eigent­li­chen Vitrina-Sektion gab es neben Carla Simóns Romería und Diego Céspedes‘ Der geheim­nis­volle Blick des Flamingos, von denen noch zu reden sein wird, wenn sie bei uns anlaufen, einige sehr bemer­kens­werte Arbeiten von bisher weniger bekannten Regis­seurInnen. In The Currents von der argen­ti­nisch-schwei­ze­ri­schen Filme­ma­cherin Milagros Mumen­thaler gerät eine junge Frau nach dem Sprung von einer Brücke ins eiskalte Wasser in einen merk­wür­digen Schwe­be­zu­stand, der sie die Dinge des Lebens in unge­wohnter Klarheit sehen lässt. Ebenso geht es einem als nach­haltig berührtem Zuschauer. Wunderbar leicht, aber zugleich so tief­gründig, dass man fast unwill­kür­lich an Eric Rohmer denken muss, ist João Rosas‘ Debüt The Luminous Life um einen jungen Drifter geraten, der zwischen einer neuen Bekannt­schaft und der Sehnsucht nach seiner Ex-Freundin hin- und herge­rissen ist. Sehr viel beschei­dener angelegt als etwa The Secret Agent, macht Copper des mexi­ka­nisch-kana­di­schen Regis­seurs Nichoás Peredas das Wirken der orga­ni­sierten Krimi­na­lität in einer kargen, abge­le­genen Berg­bau­stadt auf beklem­mende Weise spürbar. Geradezu kurz­weilig kommt schließ­lich die drei­ein­halb­stün­dige Lang­zeit­studie The Prince of Nawana, der argen­ti­ni­schen Regis­seurin Clarisa Navas daher, die über zehn Jahre hinweg einen schon mit neun Jahren sehr eloquenten Jungen begleitet, der an der Grenze zwischen Argen­ti­nien und Paraguay aufwächst und am Ende – kaum 18 geworden – auf bravouröse Weise Verant­wor­tung nicht nur für sein eigenes Leben übernimmt.