Perlen aus entlegenen Winkeln |
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Diego Céspedes‘ bemerkenswerter Der geheimnisvolle Blick des Flamingos | ||
(Foto: Filmfest Hamburg/Charades) |
Von Eckhard Haschen
Genau genommen lief The Secret Agent, der in Cannes mit dem Regiepreis ausgezeichnete vierte Spielfilm von Kleber Mendonça Filho gar nicht in „Vitrina“ der Sektion für spanisch- und portugiesischsprachige Filme. Denn wie auch Julia Ducaranu war dem brasilianischen Regisseur unter dem Label „Filmmaker in Focus“ eine drei Filme umfassende Hommage gewidmet, bei der auch noch Mendonças erster Spielfilm Neighbouring Sounds aus dem Jahr 2012 sowie sein dritter, Bacurau, von 2019 gezeigt wurden. Für den Verfasser dieser Zeilen war die Aufführung dieser drei Filme zusammen mit dem einstündigen Werkstattgespräch, das der langjährige Vitrina-Kurator Roger Koza mit Mendonça Filho führte, der klare Höhepunkt des diesjährigen Filmfest Hamburg.
So, im Paket gesehen, zeigt sich besonders deutlich Mendonças Meisterschaft in der Verwendung von Genre-Konventionen, die er immer wieder geschickt unterwandert und mit einer radikalen Gesellschaftskritik verbindet. Dabei kommt ihm sicherlich zugute, dass er vor seiner Regiearbeit jahrelang als Filmkritiker gearbeitet hat – eine Vorgeschichte, die ihn übrigens mit Glauber Rocha, dem Hauptvertreter des Cinema Novo der 1960er Jahre verbindet. Und dass der 56-Jährige genau weiß, von welcher brasilianischen Wirklichkeit er erzählt – der Hauptstrang von The Secret Agent spielt während der Karnevalszeit des Jahres 1977 in seiner Heimatstadt Recife – dürfte nicht zuletzt mit seinem Aufwachsen in den Jahren der Militärdiktatur zu tun haben. „Der Film zeigt Ansichten von vor 50 Jahren“, sagt Mendonça, »aber manches ist heute wieder aktuell. Das ist die Ironie: Einen historischen Rückblick zu drehen, der Ideen enthält, die wieder in Mode sind. Wobei Mendonça durchaus zuversichtlich ist, dass Brasilien unter Präsident Lula da Silva auf dem Weg in eine bessere Zukunft ist. Wie schön, dass mit dem vielschichtigen Politthriller« The Secret Agent nun endlich einmal ein Film von Kleber Mendonça Filho einen Kinostart bei uns hat.
Unter den Filmen der eigentlichen Vitrina-Sektion gab es neben Carla Simóns Romería und Diego Céspedes‘ Der geheimnisvolle Blick des Flamingos, von denen noch zu reden sein wird, wenn sie bei uns anlaufen, einige sehr bemerkenswerte Arbeiten von bisher weniger bekannten RegisseurInnen. In The Currents von der argentinisch-schweizerischen Filmemacherin Milagros Mumenthaler gerät eine junge Frau nach dem Sprung von einer Brücke ins eiskalte Wasser in einen merkwürdigen Schwebezustand, der sie die Dinge des Lebens in ungewohnter Klarheit sehen lässt. Ebenso geht es einem als nachhaltig berührtem Zuschauer. Wunderbar leicht, aber zugleich so tiefgründig, dass man fast unwillkürlich an Eric Rohmer denken muss, ist João Rosas‘ Debüt The Luminous Life um einen jungen Drifter geraten, der zwischen einer neuen Bekanntschaft und der Sehnsucht nach seiner Ex-Freundin hin- und hergerissen ist. Sehr viel bescheidener angelegt als etwa The Secret Agent, macht Copper des mexikanisch-kanadischen Regisseurs Nichoás Peredas das Wirken der organisierten Kriminalität in einer kargen, abgelegenen Bergbaustadt auf beklemmende Weise spürbar. Geradezu kurzweilig kommt schließlich die dreieinhalbstündige Langzeitstudie The Prince of Nawana, der argentinischen Regisseurin Clarisa Navas daher, die über zehn Jahre hinweg einen schon mit neun Jahren sehr eloquenten Jungen begleitet, der an der Grenze zwischen Argentinien und Paraguay aufwächst und am Ende – kaum 18 geworden – auf bravouröse Weise Verantwortung nicht nur für sein eigenes Leben übernimmt.