Cinema Moralia – Folge 362
Illusionen? Israel! |
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Henrika Kulls Südsee | ||
(Foto: Filmfest München 2023) |
»Ich war Kriegsreporter im ersten Jom-Kippur-Krieg. Ich habe die Betenden erlebt, wie sie dann kämpften. Ich war in Sinai. Ich war dabei in der Panzerschlacht von Scharon in Sinai. Ich habe keine Angst um Israel. Vor Jom Kippur habe ich Angst. Es ist der Tag, wo sie verwundbar sind. Das wissen ihre Feinde. Vor 50 Jahren habe ich Israelis kennengelernt. Ich liebe sie. Wie sie beten und kämpfen.« – Franz Josef Wagner, 08.10.2023
Am Anfang erstmal Sirenen. Eine Frau macht »Toter Mann« im Swimming-Pool. Das ist keine Übung. Es ist der Normalzustand in Israel, auch schon vor den Angriffen am 7.Oktober 2023. Der Film Südsee der Berliner Regisseurin Henrika Kull wurde im Sommer vor den Attacken in Israel gedreht, eine Low-Budget-Produktion, die für das politisch-korrekte Deutschland dann nach »dem 7.Oktober« zuviel war. Der Film
wurde gecancelt, von Festivals, die ihn bereits eingeladen hatten, wieder ausgeladen, mit deppert-verlogenen Begründungen, wie »dass man das den Leuten jetzt nicht zumuten könnte«. Was nochmal? Israelis, die angegriffen werden? Die nett sind? Schön, jung, sexy, hedonistisch? Jedenfalls nicht betroffenheitstriefend auf dem Weg zu Demo gegen Netanjahu und dann schnell weiter zur eigenen Hochzeit mit einem Araber? Diese beiden Dinge – wohlfeile Opposition von Links und Liebe zu
Arabern sind die beiden Klischees und einzigen Möglichkeiten, die der europäische Blick dem israelischen Film zur Zeit noch erlaubt, weil es den eigenen Illusionen entspricht. Alles andere wird weggecancelt.
Von der Wirklichkeit will man lieber nichts wissen.
Das merkt man auch daran, wie – unter dem Vorwand, es sei doch gerade so gefährlich dort unten –, versucht wird, deutschen Filmemachern das Drehen vor allem in Israel, aber mitunter auch den arabischen Nachbarstaaten, madig zu machen, oder es gleich zu verhindern.
Bei Hochschulfilmen kann man einen Israeldreh einfach verbieten, und genau das passiert gerade auch, so wie Austauschprogramme und Forschungsstipendien an den Universitäten gerade heruntergefahren und gestoppt werden, wo es nur rechtlich möglich ist. Der in vielem antiisraelisch bis antisemitisch gestimmte Wissenschaftsbetrieb leistet hier gerade ganze Arbeit für die eigenen politischen Ziele, und das viel wirksamer als bei jeder der täglichen Pali-Demos.
Und
leider unter dem Radar des aufmerksamen Teils der Öffentlichkeit.
Im Fall von Filmemachern, die nicht mehr zum Nachwuchs gerechnet werden, greifen die interessierten Kreise unter den Filmförderern und Fernsehredakteuren zu kaum subtileren, aber doch weniger sichtbaren und in ihrer Intention nachweisbaren Mitteln: Auch finanzielle Kürzung oder Nicht-Förderung oder Nicht-Finanzierung eines Projekts ist unter bestimmten Umständen nichts anderes als Zensur.
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Hier wäre der Moment gekommen, an dem der Kulturstaatsminister wirklich eingreifen könnte und müsste.
Wolfram Weimar, der schöne Reden halten kann, und ein paar wohlfeile Ideen hat, aber bislang noch nicht wirklich durch etwas Riskantes aufgefallen ist, könnte hier einmal etwas riskieren, und zeigen, dass er willens und in der Lage ist, für eine gute Sache durchzugreifen und sich mit dem gesellschaftlichen Mainstream tatsächlich anzulegen.
Er könnte ein Förderprogramm für
das Drehen ins Israel ins Leben rufen, analog zu den zahlreichen Förderprogrammen, die es für Film-Coproduktionen mit arabischen Ländern ebenso gibt, wie mit der Türkei und Osteuropa, um jetzt mal gar nicht von Ländern anzufangen, die so etwas überhaupt nicht nötig haben, wie Frankreich. Hier ist es eher die deutsche Filmszene, die dem Herrgott auf den Knien für eine Co-Produktion mit Frankreich danken kann – schöne Grüße übrigens an die Teilnehmer des deutsch-französischen
Filmtreffens das gerade noch bis morgen in Paris stattfindet und wo relativ viel Geld dafür ausgegeben wird, das gut etablierte Leute über neue Projekte reden, »respektvolles produzieren« und über »gesunde Arbeitsfelder«, über »Work-Life-Balance (Ja! Kein Witz, sondern allen Ernstes!! Das sind die Probleme der deutsch-französischen Zusammenarbeit!!!) über den ewigen Dauerbrenner ›Filmreform in Deutschland‹ (gemeint sind aber leider nicht die Filme, sondern die
Förderung) und man glaubt es kaum sogar einmal auch über den Kulturauftrag.«
Niemand hier riskiert aber auch nur annähernd so viel, wie Deutsche riskieren, die gerade in Israel etwas drehen möchten, vor allem etwas, was dem deutschen Mainstream-Geschmack vielleicht nicht sofort in den Kram passt.
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Überhaupt sollte Wolfram Weimer den deutsch-israelische Austausch auf allen Ebenen seines Amtes – Kunst, Kultur, Medien, Wissenschaft – ermutigen und aktiv fördern. Die zutreffende Rede, Israel sei deutsche Staatsraison macht nicht nur dann Sinn, wenn es um politische und militärische Solidarität geht. Sondern sie ist gerade nötig, wo Wissen vermittelt werden muss, Erfahrungen nachhaltig gemacht werden sollten.
Auf Feldern wie diesem entscheidet sich die Frage, was »wir« tun können.
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Auch Südsee ist also auf diese Weise zu einem israelischen Film geworden, was ihn ehrt, und die Regisseurin nicht bedauern wird, was aber trotzdem absurder Blödsinn ist, weil ein deutscher Film, der in Frankreich spielt, auch noch lange kein französischer Film ist – siehe Christian Petzold.
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Wer doch etwas von Israel erfahren will, was er noch nicht weiß, kann und sollte sich Südsee jetzt anschauen.
Seit Montag läuft er für vier Wochen in der ARD-Mediathek. Und auch wer meine politischen Ausführungen hier ablehnt,
könnte sich einfach mal für einen unabhängigen deutschen Film interessieren.
Es geht um die Deutsche Anne und den Israeli Nuri, die sich kaum kennen, aber zusammen ins Haus von Nuris Eltern in die Berge zwischen Tel Aviv und Jerusalem fahren, um den nächtlichen Bombenalarmen in der Stadt zu entkommen, weil der militärische Konflikt zwischen der israelischen Armee und der Hamas – ihn gab es bekanntlich schon vor dem 7. Oktober ‘23 – gerade wieder eskaliert. Im Schutz des Raketenabwehrsystems »Iron Dome« verbringen die beiden zwei intime Tage am Pool.
Die vielseitige Liliane Amuat, die Münchner aus dem Ensemble des Residenztheaters kennen müssen und Dor Aloni spielen die Hauptrollen, und der Shooting-Star der deutschen Filmmusik Dascha Dauenhauer hat hier die Musik komponiert.
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Man durfte gespannt sein, wer in der deutschen Kultur- und Medienszene wohl am geschmacklosesten mit dem gestrigen zweiten Jahrestag des genozidalen Massakers an Juden und Israelis vom 7. Oktober 2023 umgehen würde. Es war leider sehr vorhersehbar, dass es hier zu einigen peinlichen Ausfällen kommen würde, insofern blieb nur die Frage, wer es am peinlichsten oder schlimmsten treiben würde.
Einige Zeit lang tippte ich auf Jan Böhmermann, dem nichts besseres eingefallen war als einen Rapper, der zuletzt mit antisemitischen Signalen aufgefallen war, ausgerechnet am 7 Oktober zu seiner Verblödungs-Live-Show ins »Haus der Kulturen der Welt« einzuladen. Was davon zu halten war, dazu haben wir hier in der Vorwoche die Wortmeldung des PEN Berlin zitiert.
Für mich der geschmackloseste Beitrag war wenig überraschend der naive Tilo Jung, der nicht zufällig genau zum Jahrestag des Massakers mit Omer Bartov einen sehr renommierten Genozidforscher, aber eben auch einen bekannten Gegner der israelischen Politik aller Regierungen (!!) zu sich einlud, um dort drei Stunden lang nicht etwa zu erklären, warum das Massaker vom 7. Oktober genozidal war, sondern warum seiner Ansicht nach Israel jetzt gerade einen Völkermord verübt. Timing ist auch hier mehr als alles andere.
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Daran gemessen vollkommen zivil war die auch recht fragwürdige Entscheidung des sich sowieso ja in vieler Hinsicht (Julia Ruhs, Anja Reschke) gerade fragwürdig aufführenden Norddeutschen Rundfunks, ausgerechnet in der Nacht zum 7.Oktober eine deutsch-israelisch-palästinensische Filmnacht auszurufen, und dann auch noch keinen israelischen Film zu zeigen, sondern mit dem erwähnten »Südsee« einen deutschen, der in Israel spielt.
Was ist das für eine Kombination? Möchte der NDR in den diplomatischen Dienst gehen? Wir haben auf der einen Seite das Land, das das größte Menschheitsverbrechen der bekannten Geschichte verübt hat, dann das Land, das in der Nachfolge dieses Verbrechens als die Heimstatt der wenigen Überlebenden jenes Volkes steht, und das man hier drittens mit jenem Volk in einem Programm zusammenzwingt, das nach der Shoa für den schlimmsten Massenmord verantwortlich ist. Die Opfer vom 7. Oktober mit den Mördern vom 7. Oktober und das Ganze am 7. Oktober.
Wer denkt sich derlei Geschmacklosigkeit aus???
Möchte der NDR einen diplomatischen Dienst treten? Das können sie ja tun, aber müssen sie dann gleich damit anfangen, ein Land anzuerkennen, dass von Deutschland nun mal aus guten Gründen nicht anerkannt ist? Ein Land ohne Volk, ohne Regierung, ohne Staatsgebiet, über das auch der langjährige SPD-außenpolitische Experte Michael Roth sagt, niemand hat nachgedacht in Europa? Auch nicht beim NDR, wieder mal, wie schon im Fall von Julia Ruhs. Oder schlimmer noch: die Leute haben nachgedacht und es ist dieser Quatsch herausgekommen.
Ich möchte ein tolles öffentlich-rechtliches Fernsehprogramm, aber ich möchte keine Sender, die irgendwelche undurchdachten Gutmenschen-Punkte setzen wollen, die abseits der Politik gegen die Politik agitieren und sich noch wahnsinnig toll dabei vorkommen.
Nur fürs Protokoll: Natürlich waren nicht alle Palästinenser Mörder. Auch nicht alle Deutschen.
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Die deutsche Filmszene und die deutsche Medienlandschaft ist aber statt mit diesen Themen mit wirklich wichtigem beschäftigt: Machtmissbrauch in der Filmwirtschaft, z.B. beim drittklassigen Filmfestival Cologne, über das der Deutschlandfunk nie berichtet hat, jetzt aber in einer Pseudo-Investigativ-Recherche.
Ein leitender Redakteur eines öffentlich-rechtlichen Senders sagt dazu: es ist immer das gleiche die Kritik an den Hierarchien wird benutzt um Eigeninteressen durchzusetzen.
Die Zerstörung der Hierarchie ist eine Zerstörung der Kultur.
Darüber nächste Woche mehr.
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»Was sollen wir tun, wir Menschen mit den guten Manieren? Schweigen, wegsehen? So begann es einmal.
Wir Deutschen schauten weg, als die Nazis kamen. Was hilft jetzt? Juden müssen unsere Schwestern und Brüder werden. Wer einem Juden ins Gesicht spuckt, spuckt uns ins Gesicht. Das ist für mich Staatsräson.« – Franz Josef Wagner, 19.10.2023