09.10.2025
Cinema Moralia – Folge 362

Illusionen? Israel!

Südsee
Henrika Kulls Südsee
(Foto: Filmfest München 2023)

Staatsraison, Kulturauftrag und die Möglichkeit der Vernunft: Warum wir Förderprogramme für das Drehen in Israel ins Leben rufen sollten, für deutsch-israelischen Austausch auf allen Ebenen und was Wolfram Weimer riskieren könnte, wenn er wollte – Cinema Moralia, Tagebuch eines Kinogehers, 362. Folge

Von Rüdiger Suchsland

»Ich war Kriegs­re­porter im ersten Jom-Kippur-Krieg. Ich habe die Betenden erlebt, wie sie dann kämpften. Ich war in Sinai. Ich war dabei in der Panzer­schlacht von Scharon in Sinai. Ich habe keine Angst um Israel. Vor Jom Kippur habe ich Angst. Es ist der Tag, wo sie verwundbar sind. Das wissen ihre Feinde. Vor 50 Jahren habe ich Israelis kennen­ge­lernt. Ich liebe sie. Wie sie beten und kämpfen.« – Franz Josef Wagner, 08.10.2023

Am Anfang erstmal Sirenen. Eine Frau macht »Toter Mann« im Swimming-Pool. Das ist keine Übung. Es ist der Normal­zu­stand in Israel, auch schon vor den Angriffen am 7.Oktober 2023. Der Film Südsee der Berliner Regis­seurin Henrika Kull wurde im Sommer vor den Attacken in Israel gedreht, eine Low-Budget-Produk­tion, die für das politisch-korrekte Deutsch­land dann nach »dem 7.Oktober« zuviel war. Der Film wurde gecancelt, von Festivals, die ihn bereits einge­laden hatten, wieder ausge­laden, mit deppert-verlo­genen Begrün­dungen, wie »dass man das den Leuten jetzt nicht zumuten könnte«. Was nochmal? Israelis, die ange­griffen werden? Die nett sind? Schön, jung, sexy, hedo­nis­tisch? Jeden­falls nicht betrof­fen­heits­trie­fend auf dem Weg zu Demo gegen Netanjahu und dann schnell weiter zur eigenen Hochzeit mit einem Araber? Diese beiden Dinge – wohlfeile Oppo­si­tion von Links und Liebe zu Arabern sind die beiden Klischees und einzigen Möglich­keiten, die der europäi­sche Blick dem israe­li­schen Film zur Zeit noch erlaubt, weil es den eigenen Illu­sionen entspricht. Alles andere wird wegge­can­celt.
Von der Wirk­lich­keit will man lieber nichts wissen.

Das merkt man auch daran, wie – unter dem Vorwand, es sei doch gerade so gefähr­lich dort unten –, versucht wird, deutschen Filme­ma­chern das Drehen vor allem in Israel, aber mitunter auch den arabi­schen Nach­bar­staaten, madig zu machen, oder es gleich zu verhin­dern.

Bei Hoch­schul­filmen kann man einen Israel­dreh einfach verbieten, und genau das passiert gerade auch, so wie Austausch­pro­gramme und Forschungs­sti­pen­dien an den Univer­si­täten gerade herun­ter­ge­fahren und gestoppt werden, wo es nur rechtlich möglich ist. Der in vielem anti­is­rae­lisch bis anti­se­mi­tisch gestimmte Wissen­schafts­be­trieb leistet hier gerade ganze Arbeit für die eigenen poli­ti­schen Ziele, und das viel wirksamer als bei jeder der täglichen Pali-Demos.
Und leider unter dem Radar des aufmerk­samen Teils der Öffent­lich­keit.

Im Fall von Filme­ma­chern, die nicht mehr zum Nachwuchs gerechnet werden, greifen die inter­es­sierten Kreise unter den Film­för­de­rern und Fern­seh­re­dak­teuren zu kaum subti­leren, aber doch weniger sicht­baren und in ihrer Intention nach­weis­baren Mitteln: Auch finan­zi­elle Kürzung oder Nicht-Förderung oder Nicht-Finan­zie­rung eines Projekts ist unter bestimmten Umständen nichts anderes als Zensur.

+ + +

Hier wäre der Moment gekommen, an dem der Kultur­staats­mi­nister wirklich eingreifen könnte und müsste.
Wolfram Weimar, der schöne Reden halten kann, und ein paar wohlfeile Ideen hat, aber bislang noch nicht wirklich durch etwas Riskantes aufge­fallen ist, könnte hier einmal etwas riskieren, und zeigen, dass er willens und in der Lage ist, für eine gute Sache durch­zu­greifen und sich mit dem gesell­schaft­li­chen Main­stream tatsäch­lich anzulegen.
Er könnte ein Förder­pro­gramm für das Drehen ins Israel ins Leben rufen, analog zu den zahl­rei­chen Förder­pro­grammen, die es für Film-Copro­duk­tionen mit arabi­schen Ländern ebenso gibt, wie mit der Türkei und Osteuropa, um jetzt mal gar nicht von Ländern anzu­fangen, die so etwas überhaupt nicht nötig haben, wie Frank­reich. Hier ist es eher die deutsche Filmszene, die dem Herrgott auf den Knien für eine Co-Produk­tion mit Frank­reich danken kann – schöne Grüße übrigens an die Teil­nehmer des deutsch-fran­zö­si­schen Film­tref­fens das gerade noch bis morgen in Paris statt­findet und wo relativ viel Geld dafür ausge­geben wird, das gut etablierte Leute über neue Projekte reden, »respekt­volles produ­zieren« und über »gesunde Arbeits­felder«, über »Work-Life-Balance (Ja! Kein Witz, sondern allen Ernstes!! Das sind die Probleme der deutsch-fran­zö­si­schen Zusam­men­ar­beit!!!) über den ewigen Dauer­brenner ›Film­re­form in Deutsch­land‹ (gemeint sind aber leider nicht die Filme, sondern die Förderung) und man glaubt es kaum sogar einmal auch über den Kultur­auf­trag.«

Niemand hier riskiert aber auch nur annähernd so viel, wie Deutsche riskieren, die gerade in Israel etwas drehen möchten, vor allem etwas, was dem deutschen Main­stream-Geschmack viel­leicht nicht sofort in den Kram passt.

+ + +

Überhaupt sollte Wolfram Weimer den deutsch-israe­li­sche Austausch auf allen Ebenen seines Amtes – Kunst, Kultur, Medien, Wissen­schaft – ermutigen und aktiv fördern. Die zutref­fende Rede, Israel sei deutsche Staats­raison macht nicht nur dann Sinn, wenn es um poli­ti­sche und mili­täri­sche Soli­da­rität geht. Sondern sie ist gerade nötig, wo Wissen vermit­telt werden muss, Erfah­rungen nach­haltig gemacht werden sollten.

Auf Feldern wie diesem entscheidet sich die Frage, was »wir« tun können.

+ + +

Auch Südsee ist also auf diese Weise zu einem israe­li­schen Film geworden, was ihn ehrt, und die Regis­seurin nicht bedauern wird, was aber trotzdem absurder Blödsinn ist, weil ein deutscher Film, der in Frank­reich spielt, auch noch lange kein fran­zö­si­scher Film ist – siehe Christian Petzold.

+ + +

Wer doch etwas von Israel erfahren will, was er noch nicht weiß, kann und sollte sich Südsee jetzt anschauen.
Seit Montag läuft er für vier Wochen in der ARD-Mediathek. Und auch wer meine poli­ti­schen Ausfüh­rungen hier ablehnt, könnte sich einfach mal für einen unab­hän­gigen deutschen Film inter­es­sieren.

Es geht um die Deutsche Anne und den Israeli Nuri, die sich kaum kennen, aber zusammen ins Haus von Nuris Eltern in die Berge zwischen Tel Aviv und Jerusalem fahren, um den nächt­li­chen Bomben­alarmen in der Stadt zu entkommen, weil der mili­täri­sche Konflikt zwischen der israe­li­schen Armee und der Hamas – ihn gab es bekannt­lich schon vor dem 7. Oktober ‘23 – gerade wieder eskaliert. Im Schutz des Rake­ten­ab­wehr­sys­tems »Iron Dome« verbringen die beiden zwei intime Tage am Pool.

Die viel­sei­tige Liliane Amuat, die Münchner aus dem Ensemble des Resi­denz­thea­ters kennen müssen und Dor Aloni spielen die Haupt­rollen, und der Shooting-Star der deutschen Filmmusik Dascha Dauen­hauer hat hier die Musik kompo­niert.

+ + +

Man durfte gespannt sein, wer in der deutschen Kultur- und Medi­en­szene wohl am geschmack­lo­sesten mit dem gestrigen zweiten Jahrestag des geno­zi­dalen Massakers an Juden und Israelis vom 7. Oktober 2023 umgehen würde. Es war leider sehr vorher­sehbar, dass es hier zu einigen pein­li­chen Ausfällen kommen würde, insofern blieb nur die Frage, wer es am pein­lichsten oder schlimmsten treiben würde.

Einige Zeit lang tippte ich auf Jan Böhmer­mann, dem nichts besseres einge­fallen war als einen Rapper, der zuletzt mit anti­se­mi­ti­schen Signalen aufge­fallen war, ausge­rechnet am 7 Oktober zu seiner Verblö­dungs-Live-Show ins »Haus der Kulturen der Welt« einzu­laden. Was davon zu halten war, dazu haben wir hier in der Vorwoche die Wort­mel­dung des PEN Berlin zitiert.

Für mich der geschmack­lo­seste Beitrag war wenig über­ra­schend der naive Tilo Jung, der nicht zufällig genau zum Jahrestag des Massakers mit Omer Bartov einen sehr renom­mierten Geno­zid­for­scher, aber eben auch einen bekannten Gegner der israe­li­schen Politik aller Regie­rungen (!!) zu sich einlud, um dort drei Stunden lang nicht etwa zu erklären, warum das Massaker vom 7. Oktober genozidal war, sondern warum seiner Ansicht nach Israel jetzt gerade einen Völker­mord verübt. Timing ist auch hier mehr als alles andere.

+ + +

Daran gemessen voll­kommen zivil war die auch recht frag­wür­dige Entschei­dung des sich sowieso ja in vieler Hinsicht (Julia Ruhs, Anja Reschke) gerade frag­würdig auffüh­renden Nord­deut­schen Rundfunks, ausge­rechnet in der Nacht zum 7.Oktober eine deutsch-israe­lisch-paläs­ti­nen­si­sche Filmnacht auszu­rufen, und dann auch noch keinen israe­li­schen Film zu zeigen, sondern mit dem erwähnten »Südsee« einen deutschen, der in Israel spielt.

Was ist das für eine Kombi­na­tion? Möchte der NDR in den diplo­ma­ti­schen Dienst gehen? Wir haben auf der einen Seite das Land, das das größte Mensch­heits­ver­bre­chen der bekannten Geschichte verübt hat, dann das Land, das in der Nachfolge dieses Verbre­chens als die Heimstatt der wenigen Über­le­benden jenes Volkes steht, und das man hier drittens mit jenem Volk in einem Programm zusam­men­zwingt, das nach der Shoa für den schlimmsten Massen­mord verant­wort­lich ist. Die Opfer vom 7. Oktober mit den Mördern vom 7. Oktober und das Ganze am 7. Oktober.

Wer denkt sich derlei Geschmack­lo­sig­keit aus???

Möchte der NDR einen diplo­ma­ti­schen Dienst treten? Das können sie ja tun, aber müssen sie dann gleich damit anfangen, ein Land anzu­er­kennen, dass von Deutsch­land nun mal aus guten Gründen nicht anerkannt ist? Ein Land ohne Volk, ohne Regierung, ohne Staats­ge­biet, über das auch der lang­jäh­rige SPD-außen­po­li­ti­sche Experte Michael Roth sagt, niemand hat nach­ge­dacht in Europa? Auch nicht beim NDR, wieder mal, wie schon im Fall von Julia Ruhs. Oder schlimmer noch: die Leute haben nach­ge­dacht und es ist dieser Quatsch heraus­ge­kommen.

Ich möchte ein tolles öffent­lich-recht­li­ches Fern­seh­pro­gramm, aber ich möchte keine Sender, die irgend­welche undurch­dachten Gutmen­schen-Punkte setzen wollen, die abseits der Politik gegen die Politik agitieren und sich noch wahn­sinnig toll dabei vorkommen.

Nur fürs Protokoll: Natürlich waren nicht alle Paläs­ti­nenser Mörder. Auch nicht alle Deutschen.

+ + +

Die deutsche Filmszene und die deutsche Medi­en­land­schaft ist aber statt mit diesen Themen mit wirklich wichtigem beschäf­tigt: Macht­miss­brauch in der Film­wirt­schaft, z.B. beim dritt­klas­sigen Film­fes­tival Cologne, über das der Deutsch­land­funk nie berichtet hat, jetzt aber in einer Pseudo-Inves­ti­gativ-Recherche.

Ein leitender Redakteur eines öffent­lich-recht­li­chen Senders sagt dazu: es ist immer das gleiche die Kritik an den Hier­ar­chien wird benutzt um Eigen­in­ter­essen durch­zu­setzen.
Die Zers­törung der Hier­ar­chie ist eine Zers­törung der Kultur.

Darüber nächste Woche mehr.

+ + +

»Was sollen wir tun, wir Menschen mit den guten Manieren? Schweigen, wegsehen? So begann es einmal.
Wir Deutschen schauten weg, als die Nazis kamen. Was hilft jetzt? Juden müssen unsere Schwes­tern und Brüder werden. Wer einem Juden ins Gesicht spuckt, spuckt uns ins Gesicht. Das ist für mich Staats­räson.«
– Franz Josef Wagner, 19.10.2023