25.09.2025
Cinema Moralia – Folge 360

Film ist weit mehr als bloße Unterhaltung. Filme prägen Weltbilder und Werte

Dach gegen Hass
Der Fünf-Punkte-Plan...
(Plakat: Dachgegenhass)

Gegen die »verrückte Solidarität«: Zwei Wortmeldungen gegen Judenhass und Israel-Feindschaft in der Filmbranche, die fehlende Risikobereitschaft der deutschen Filmszene und eine Allianz der Produzenten mit der Filmakademie – Cinema Moralia, Tagebuch eines Kinogehers, 360. Folge

Von Rüdiger Suchsland

»Kultur und Kunst sollten ein Schutz­raum sein fürs Expe­ri­mente wagen, auch für Unge­horsam. Jetzt disku­tieren wir ständig andere Sachen, zum Beispiel kultu­relle Aneignung.«
– Iris Berben

In den vergan­genen Wochen haben wir viel und aus guten Gründen über den Anti­se­mi­tismus im deutschen Kultur­be­trieb und insbe­son­dere in der deutschen Filmszene geschrieben.
Die Ereig­nisse bestä­tigen unser Urteil leider fast täglich – ob es sich um den schänd­li­chen Vorgang der Ausladung des Münchner Diri­genten Lahav Shani aus Gent handelt, über den breit berichtet wurde und den nicht nur der Kultur­staats­mi­nister als »offenen Anti­se­mi­tismus« bezeichnet. Oder um die jetzt gerade voll­zo­gene Ausladung von Michel Friedman für eine Hannah-Arendt-Veran­stal­tung.

Es gibt keine Cancel-Culture, sagen besonders Linke und Links­li­be­rale in solchen Fällen gern gegen das, was sie für »rechts­extreme Propa­ganda« halten. Aber wie soll man es denn nennen, wenn Leute ausge­laden werden, weil sie Juden sind? Oder weil sie nicht das über Israel sagen, was die Veran­stalter gerne hören möchten? Oder weil sie gar nichts sagen zu Ange­le­gen­heiten, wo man von ihnen ein öffent­li­ches Bekenntnis verlangen will.

Man muss keine Angst mehr haben vor zukünf­tigen auto­ri­tären Verhält­nissen, und man muss sich auch nicht über die Zustände in den USA aufregen – diese auto­ri­tären Verhält­nisse und Zustände in den USA sind längst da. Von rechts wie von links. In feinerer Form, verdeckter, verbrämter. Aber bald wird auch dieser Schleier in Europa fallen.
Man muss nur hinschauen und hinschauen wollen, um zu sehen.

+ + +

Die Film- und Medi­en­branche versagt beim Thema Judenhass, schreibt jetzt Martin Mosz­ko­wicz in der FAZ.
Er berichtet (wie wir schon in den vergan­genen Wochen) von dem Aufruf Dach gegen Judenhass gegen Anti­se­mi­tismus, und einem Fünf-Punkte-Plan, der von mehreren Verbände und Insti­tu­tionen aus Deutsch­land, Öster­reich und der Schweiz aufgelegt wurde. Viele haben unter­schrieben. »Die Film- und Medi­en­branche aber duckt sich weg«, so der renom­mierte Produzent.

Mosz­ko­wicz schreibt: »Anti­se­mi­tismus ist längst wieder Alltag – in Deutsch­land und weltweit. Er zeigt sich auf der Straße, im Netz, in Klas­sen­zim­mern, Hörsälen – und sogar in staat­li­chen Behörden.« Jede Stunde gibt es einen Vorfall – und das betrifft nur die regis­trierten Fälle.

Der Fünf-Punkte-Plan fordert unmiss­ver­s­tänd­lich, dass Judenhass in keiner Form geduldet wird. Und die konse­quente Straf­ver­fol­gung anti­se­mi­ti­scher Straf­taten und den dauer­haften Schutz jüdischen Lebens. »Jüdisches Leben soll sichtbar und sicher im öffent­li­chen Raum verankert werden«.
Dieser Plan setzt auch auf Bildung und Begegnung.

+ + +

»Umso auffäl­liger ist, wer nicht unter­zeichnet hat: mit wenigen Ausnahmen die gesamte deutsche Film- und Fern­seh­branche. Keine Film­hoch­schule, kein großer Sender, keine bedeu­tende Produk­ti­ons­firma, kein Bran­chen­ver­band. Einige haben abgesagt – zum Beispiel die Deutsche Film­aka­demie oder der Bundes­ver­band Regie, die sich sonst gern als mora­li­sche Instanzen insze­nieren. Die meisten aber, so die Initia­toren des D-A-CH Bünd­nisses, haben nicht geant­wortet.«

Dieses Schweigen, so Mosz­ko­wicz, »ist irri­tie­rend«. Denn »Film und Fernsehen sind weit mehr als bloße Unter­hal­tung. Sie prägen Bilder, erzählen Geschichten, formen Werte und wirken tief in die Gesell­schaft hinein. Gerade diese Branche müsste laut, klar und sichtbar voran­gehen. Statt­dessen hört man auf Nachfrage eine bemer­kens­werte Vielfalt an Ausflüchten: Man wolle 'neutral' bleiben. Araber seien ebenfalls Semiten, würden im Papier aber nicht erwähnt. Oder: Eine Unter­zeich­nung könnte als Part­ei­nahme für Israel verstanden werden.
Diese Argu­men­ta­tion ist nicht nur absurd, sie ist gefähr­lich.«

Und weiter:

»Der Fünf-Punkte-Plan endet mit einem Satz, der nicht deut­li­cher sein könnte: 'Verant­wor­tung zeigt sich nicht in Absichts­er­klärungen – sondern in Taten.' Die erste, einfachste Tat wäre das Unter­zeichnen. Jede Hoch­schule, jeder Berufs­ver­band, jeder Sender, jede Produk­ti­ons­firma könnte es noch heute tun.
Dass dies bislang nicht geschieht, verweist auf ein tief­grei­fendes Problem. Eine Branche, die sonst lautstark Diver­sität und gesell­schaft­liche Verant­wor­tung fordert, schweigt, wenn es um den Schutz jüdischen Lebens geht.«

+ + +

Eine zweite, in der Ausrich­tung ähnliche Wort­mel­dung kommt von dem Produ­zenten Nico Hofmann: »Wer mutig sein will, steht an der Seite Israels«, schreibt er. Und benennt die »unheil­volle Allianz« von linkem Anti­se­mi­tismus und Iden­ti­täts­po­litik.

Hofmann zitiert die Schau­spie­lerin und ehemalige Film­aka­demie-Präsi­dentin Iris Berben. Die sagte in der »Zeit«, dass die poli­ti­sche Linke mitver­ant­wort­lich für den Zuwachs der Rechten sei. »Die poli­ti­sche Linke hat wichtige ureigene Themen vernach­läs­sigt und sich statt­dessen in Feldern verkämpft, wo ihr die meisten Leute nicht mehr folgen wollten. Viele Menschen sind wütend auf diese Linke.«

Damit benennt sie sehr klar, was auch Linke wie mich Teilen der poli­ti­schen Linken entfremdet. Aller­dings teilen große Teile der Linken auch keines­wegs die iden­ti­täts­po­li­ti­schen Positonen mancher Wort­führer und links­po­pu­lis­ti­schen Ratten­fänger.

+ + +

Hofmann schreibt: »Ich habe mich als Produzent schon sehr früh für mehr Diver­sität vor und hinter der Kamera einge­setzt. Und es macht oft Sinn, queere Rollen mit queeren Schau­spie­lern zu besetzen, weil sie ihre persön­li­chen Diskri­mi­nie­rungs­er­fah­rungen einbringen können. Aber daraus im Umkehr­schluss ein Dogma zu zemen­tieren, dass nur noch schwule Schau­spieler schwule Rollen spielen dürfen, ist eine sehr deutsche Pointe und der Tod jeder Krea­ti­vität.«

Und kommt auf die »Queers for Palestine« zu sprechen: »Als ob eine Trans­person auch nur ein paar Minuten im Gaza­streifen überleben würde, wo die isla­mis­ti­sche Hamas gnadenlos Homo­se­xu­elle mit dem Tod bedroht und tatsäch­lich auch bestia­lisch foltert und umbringt.«

Anti­se­mi­tismus werde für manche »ein Teil eines revo­lu­ti­onären Pflich­ten­heftes«. Dabei wird das tatsäch­liche Leid der Paläs­ti­nenser wie ein Schutz­schild für die anti­se­mi­ti­schen Debatten benutzt. »Das ist aber kein Ausdruck von Mut, sondern zeigt vielmehr den unge­heuren Konfor­mi­täts­druck in der jungen Gene­ra­tion, dem sich auch viele im Kern unpo­li­ti­sche Kreative in der Film- und TV-Industrie unhin­ter­fragt unter­werfen. Viele junge Schau­spie­le­rinnen und Schau­spieler unter­zeichnen dann – manchmal naiv, manchmal einfach ahnungslos – irgend­welche Peti­tionen, die unge­fil­tert propaläs­ti­nen­si­sche Propa­ganda wieder­geben.«

+ + +

Morgen wird das Filmfest Hamburg eröffnet. Ich werde ab Sonntag auch zu Gast sein, und vor allem die Bran­chen­ver­an­stal­tungen verfolgen.

Deren neuer Leiter, der Produzent Fabian Massah (München-Berlin), hat im Bran­chen­heft »Spot« einen lesens­werten Gast­bei­trag geschrieben.
Darin heißt es unter anderem:

»Als ich kürzlich wieder auf einem Event der Tech­branche zu Gast war, wurde mir erneut bewusst, wie viel die Film- und Medi­en­in­dus­trie mit der Startup-Welt gemeinsam hat, und auch, worin sich beide unter­scheiden. Jeder Film ... ist im Grunde wie ein Startup: Menschen kommen mit einer Idee zusammen, entwi­ckeln sie weiter und versuchen, den Markt zu über­zeugen. ... Der zentrale Unter­schied liegt in der Agilität und Risi­ko­be­reit­scha. Im Startup-Ökosystem ist allen klar, dass es ein Hit-Business ist. Und dementspre­chend wird hier gehandelt. Es wird inves­tiert, getestet, geschei­tert. So entsteht Inno­va­tion. Dieser Prag­ma­tismus scheint in weiten Feldern unserer Branche derzeit abhan­den­ge­kommen.
Es wird zunehmend auf – vermeint­liche – Sicher­heit gesetzt. Nach dem Credo: Haupt­sache, jedes ange­fasste Projekt 'funk­tio­niert' irgendwie, auch wenn es wenig heraus­sticht, und dann weder künst­le­risch noch wirt­schaft­lich überzeugt.«

Und weiter:

»Die Branche liebt das Wort 'Inno­va­tion', aber scheut oft deren Konse­quenzen. Inno­va­tion bedeutet Verän­de­rung, Kontroll­ver­lust, Rollen­wechsel.
Was wir brauchen, ist ein Vers­tändnis dafür, dass Film­wirt­schaft nicht in der Komfort­zone funk­tio­niert.
Der Markt allein regelt den Wandel nicht.
Ohne unter­neh­me­ri­sche Bewegung, Risi­ko­be­reit­schaft und Zusam­men­ar­beit auf Augenhöhe bleibt jedes Förder­instru­ment wirkungslos. Bei den FILMFEST HAMBURG INDUSTRY DAYS wollen wir nicht nur inspi­rieren, sondern auch moti­vieren: zur Verän­de­rung, zur Vernet­zung, zum Anders­denken und -handeln.«

+ + +

Wie es mit der Risi­ko­be­reit­schaft in der Praxis aussieht, kann man in dem Aufruf nachlesen, den drei Produ­zen­ten­ver­bände und die deutsche Film­aka­demie heute veröf­fent­licht haben.
Es gibt zwar ein paar promi­nente Unter­zeichner auch aus der Regie, aber von vielen anderen Filme­ma­chern, die nicht Produ­zenten sind, wird dieser Aufruf nicht geteilt.

+ + +

Es ist traurig, dass die deutsche Film­aka­demie genau da, wo sie einmal wirklich für die Vielen sprechen könnte, für die Gesamt­heit der deutschen Film­schaf­fenden die Unter­s­tüt­zung des Kampfs gegen Anti­se­mi­tismus ängstlich vermeidet (siehe oben). Dafür meldet sie sich auch hier im Auftrag der Film­schaf­fenden, aber eigent­lich ohne Mandat (!!) anstelle der entspre­chenden Verbände (Regie, Drehbuch, Schau­spiel, etc) aber im Namen auch dieser Gewerke zu Wort. Damit mutiert die Film­aka­demie einmal mehr zum traurigen Feigen­blatt der Produ­zen­ten­ver­bände, und das deutsche Staats­mi­nis­te­rium, das das nicht versteht oder verstehen will, kungelt zusammen mit den Produ­zenten eine Regelung aus, bei der alle möglichen Inter­essen links und rechts auf der Strecke bleiben.