Cinema Moralia – Folge 360
Film ist weit mehr als bloße Unterhaltung. Filme prägen Weltbilder und Werte |
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Der Fünf-Punkte-Plan... | ||
(Plakat: Dachgegenhass) |
»Kultur und Kunst sollten ein Schutzraum sein fürs Experimente wagen, auch für Ungehorsam. Jetzt diskutieren wir ständig andere Sachen, zum Beispiel kulturelle Aneignung.«
– Iris Berben
In den vergangenen Wochen haben wir viel und aus guten Gründen über den Antisemitismus im deutschen Kulturbetrieb und insbesondere in der deutschen Filmszene geschrieben.
Die Ereignisse bestätigen unser Urteil leider fast täglich – ob es sich um den schändlichen Vorgang der Ausladung des Münchner Dirigenten Lahav Shani aus Gent handelt, über den breit berichtet wurde und den nicht nur der Kulturstaatsminister als »offenen Antisemitismus« bezeichnet. Oder um die jetzt gerade vollzogene Ausladung von Michel Friedman für eine
Hannah-Arendt-Veranstaltung.
Es gibt keine Cancel-Culture, sagen besonders Linke und Linksliberale in solchen Fällen gern gegen das, was sie für »rechtsextreme Propaganda« halten. Aber wie soll man es denn nennen, wenn Leute ausgeladen werden, weil sie Juden sind? Oder weil sie nicht das über Israel sagen, was die Veranstalter gerne hören möchten? Oder weil sie gar nichts sagen zu Angelegenheiten, wo man von ihnen ein öffentliches Bekenntnis verlangen will.
Man muss keine Angst mehr haben vor zukünftigen autoritären Verhältnissen, und man muss sich auch nicht über die Zustände in den USA aufregen – diese autoritären Verhältnisse und Zustände in den USA sind längst da. Von rechts wie von links. In feinerer Form, verdeckter, verbrämter. Aber bald wird auch dieser Schleier in Europa fallen.
Man muss nur hinschauen und hinschauen wollen, um zu sehen.
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Die Film- und Medienbranche versagt beim Thema Judenhass, schreibt jetzt Martin Moszkowicz in der FAZ.
Er berichtet (wie wir schon in den vergangenen Wochen) von dem Aufruf Dach gegen
Judenhass gegen Antisemitismus, und einem Fünf-Punkte-Plan, der von mehreren Verbände und Institutionen aus Deutschland, Österreich und der Schweiz aufgelegt wurde. Viele haben unterschrieben. »Die Film- und Medienbranche aber duckt sich weg«, so der renommierte Produzent.
Moszkowicz schreibt: »Antisemitismus ist längst wieder Alltag – in Deutschland und weltweit. Er zeigt sich auf der Straße, im Netz, in Klassenzimmern, Hörsälen – und sogar in staatlichen Behörden.« Jede Stunde gibt es einen Vorfall – und das betrifft nur die registrierten Fälle.
Der Fünf-Punkte-Plan fordert unmissverständlich, dass Judenhass in keiner Form geduldet wird. Und die konsequente Strafverfolgung antisemitischer Straftaten und den dauerhaften Schutz jüdischen Lebens. »Jüdisches Leben soll sichtbar und sicher im öffentlichen Raum verankert werden«.
Dieser Plan setzt auch auf Bildung und Begegnung.
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»Umso auffälliger ist, wer nicht unterzeichnet hat: mit wenigen Ausnahmen die gesamte deutsche Film- und Fernsehbranche. Keine Filmhochschule, kein großer Sender, keine bedeutende Produktionsfirma, kein Branchenverband. Einige haben abgesagt – zum Beispiel die Deutsche Filmakademie oder der Bundesverband Regie, die sich sonst gern als moralische Instanzen inszenieren. Die meisten aber, so die Initiatoren des D-A-CH Bündnisses, haben nicht geantwortet.«
Dieses Schweigen, so Moszkowicz, »ist irritierend«. Denn »Film und Fernsehen sind weit mehr als bloße Unterhaltung. Sie prägen Bilder, erzählen Geschichten, formen Werte und wirken tief in die Gesellschaft hinein. Gerade diese Branche müsste laut, klar und sichtbar vorangehen. Stattdessen hört man auf Nachfrage eine bemerkenswerte Vielfalt an Ausflüchten: Man wolle 'neutral' bleiben. Araber seien ebenfalls Semiten, würden im Papier aber nicht erwähnt. Oder: Eine Unterzeichnung
könnte als Parteinahme für Israel verstanden werden.
Diese Argumentation ist nicht nur absurd, sie ist gefährlich.«
Und weiter:
»Der Fünf-Punkte-Plan endet mit einem Satz, der nicht deutlicher sein könnte: 'Verantwortung zeigt sich nicht in Absichtserklärungen – sondern in Taten.' Die erste, einfachste Tat wäre das Unterzeichnen. Jede Hochschule, jeder Berufsverband, jeder Sender, jede Produktionsfirma könnte es noch heute tun.
Dass dies bislang nicht geschieht, verweist auf ein tiefgreifendes Problem. Eine Branche, die sonst lautstark Diversität und gesellschaftliche Verantwortung
fordert, schweigt, wenn es um den Schutz jüdischen Lebens geht.«
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Eine zweite, in der Ausrichtung ähnliche Wortmeldung kommt von dem Produzenten Nico Hofmann: »Wer mutig sein will, steht an der Seite Israels«, schreibt er. Und benennt die »unheilvolle Allianz« von linkem Antisemitismus und Identitätspolitik.
Hofmann zitiert die Schauspielerin und ehemalige Filmakademie-Präsidentin Iris Berben. Die sagte in der »Zeit«, dass die politische Linke mitverantwortlich für den Zuwachs der Rechten sei. »Die politische Linke hat wichtige ureigene Themen vernachlässigt und sich stattdessen in Feldern verkämpft, wo ihr die meisten Leute nicht mehr folgen wollten. Viele Menschen sind wütend auf diese Linke.«
Damit benennt sie sehr klar, was auch Linke wie mich Teilen der politischen Linken entfremdet. Allerdings teilen große Teile der Linken auch keineswegs die identitätspolitischen Positonen mancher Wortführer und linkspopulistischen Rattenfänger.
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Hofmann schreibt: »Ich habe mich als Produzent schon sehr früh für mehr Diversität vor und hinter der Kamera eingesetzt. Und es macht oft Sinn, queere Rollen mit queeren Schauspielern zu besetzen, weil sie ihre persönlichen Diskriminierungserfahrungen einbringen können. Aber daraus im Umkehrschluss ein Dogma zu zementieren, dass nur noch schwule Schauspieler schwule Rollen spielen dürfen, ist eine sehr deutsche Pointe und der Tod jeder Kreativität.«
Und kommt auf die »Queers for Palestine« zu sprechen: »Als ob eine Transperson auch nur ein paar Minuten im Gazastreifen überleben würde, wo die islamistische Hamas gnadenlos Homosexuelle mit dem Tod bedroht und tatsächlich auch bestialisch foltert und umbringt.«
Antisemitismus werde für manche »ein Teil eines revolutionären Pflichtenheftes«. Dabei wird das tatsächliche Leid der Palästinenser wie ein Schutzschild für die antisemitischen Debatten benutzt. »Das ist aber kein Ausdruck von Mut, sondern zeigt vielmehr den ungeheuren Konformitätsdruck in der jungen Generation, dem sich auch viele im Kern unpolitische Kreative in der Film- und TV-Industrie unhinterfragt unterwerfen. Viele junge Schauspielerinnen und Schauspieler unterzeichnen dann – manchmal naiv, manchmal einfach ahnungslos – irgendwelche Petitionen, die ungefiltert propalästinensische Propaganda wiedergeben.«
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Morgen wird das Filmfest Hamburg eröffnet. Ich werde ab Sonntag auch zu Gast sein, und vor allem die Branchenveranstaltungen verfolgen.
Deren neuer Leiter, der Produzent Fabian Massah (München-Berlin), hat im Branchenheft »Spot« einen lesenswerten Gastbeitrag geschrieben.
Darin heißt es unter anderem:
»Als ich kürzlich wieder auf einem Event der Techbranche zu Gast war, wurde mir erneut bewusst, wie viel die Film- und Medienindustrie mit der Startup-Welt gemeinsam hat, und auch, worin sich beide unterscheiden. Jeder Film ... ist im Grunde wie ein Startup: Menschen kommen mit einer Idee zusammen, entwickeln sie weiter und versuchen, den Markt zu überzeugen. ... Der zentrale Unterschied liegt in der Agilität und Risikobereitscha. Im Startup-Ökosystem ist allen klar, dass es ein
Hit-Business ist. Und dementsprechend wird hier gehandelt. Es wird investiert, getestet, gescheitert. So entsteht Innovation. Dieser Pragmatismus scheint in weiten Feldern unserer Branche derzeit abhandengekommen.
Es wird zunehmend auf – vermeintliche – Sicherheit gesetzt. Nach dem Credo: Hauptsache, jedes angefasste Projekt 'funktioniert' irgendwie, auch wenn es wenig heraussticht, und dann weder künstlerisch noch wirtschaftlich überzeugt.«
Und weiter:
»Die Branche liebt das Wort 'Innovation', aber scheut oft deren Konsequenzen. Innovation bedeutet Veränderung, Kontrollverlust, Rollenwechsel.
Was wir brauchen, ist ein Verständnis dafür, dass Filmwirtschaft nicht in der Komfortzone funktioniert.
Der Markt allein regelt den Wandel nicht.
Ohne unternehmerische Bewegung, Risikobereitschaft und Zusammenarbeit auf Augenhöhe bleibt jedes Förderinstrument wirkungslos. Bei den FILMFEST HAMBURG INDUSTRY DAYS
wollen wir nicht nur inspirieren, sondern auch motivieren: zur Veränderung, zur Vernetzung, zum Andersdenken und -handeln.«
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Wie es mit der Risikobereitschaft in der Praxis aussieht, kann man in dem Aufruf nachlesen, den drei Produzentenverbände und die deutsche Filmakademie heute veröffentlicht haben.
Es gibt zwar ein paar prominente Unterzeichner auch aus der Regie,
aber von vielen anderen Filmemachern, die nicht Produzenten sind, wird dieser Aufruf nicht geteilt.
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Es ist traurig, dass die deutsche Filmakademie genau da, wo sie einmal wirklich für die Vielen sprechen könnte, für die Gesamtheit der deutschen Filmschaffenden die Unterstützung des Kampfs gegen Antisemitismus ängstlich vermeidet (siehe oben). Dafür meldet sie sich auch hier im Auftrag der Filmschaffenden, aber eigentlich ohne Mandat (!!) anstelle der entsprechenden Verbände (Regie, Drehbuch, Schauspiel, etc) aber im Namen auch dieser Gewerke zu Wort. Damit mutiert die Filmakademie einmal mehr zum traurigen Feigenblatt der Produzentenverbände, und das deutsche Staatsministerium, das das nicht versteht oder verstehen will, kungelt zusammen mit den Produzenten eine Regelung aus, bei der alle möglichen Interessen links und rechts auf der Strecke bleiben.