Cinema Moralia – 359. Folge
Demokratie und ihre Konsequenzen |
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(Foto: Rüdiger Suchsland) |
»Das Problem, das persönliche Problem war doch nicht etwa, was unsere Feinde taten, sondern was unsere Freunde taten. Was damals in der Welle von Gleichschaltung, die ja ziemlich freiwillig war, jedenfalls noch nicht unter dem Druck des Terrors, vorging: Das war, als ob sich ein leerer Raum um einen bildete. Ich lebte in einem intellektuellen Milieu, ich kannte aber auch andere Menschen. Und ich konnte feststellen, daß unter den Intellektuellen die Gleichschaltung sozusagen die Regel war. Aber unter den anderen nicht. Und das hab ich nie vergessen. ... Ich war der Meinung, das hängt mit diesem Beruf, mit der Intellektualität zusammen.«
– Hannah Arendt, 1964 über 1933»Dass ihr unsere Söhne ermordet habt, werden wir Euch eines Tages verzeihen müssen. Und wir werden das auch tun. Aber wir werden Euch niemals verzeihen können, dass ihr unsere Söhne gezwungen habt, selber Mörder zu werden.«
– Golda Meir, israelische Ministerpräsidentin, zu arabischen Führern; zitiert von Wolf Biermann bei der Verleihung des Deutschen Filmpreises 2025
Eine wichtige Woche für den deutschen Film und die deutsche Kulturpolitik: Am heutigen Donnerstag werden im Bundestag die Bundestagsmitglieder für den Verwaltungsrat der Filmförderanstalt (FFA) neu gewählt. Eine wichtige Wahl: Nach Lage der Dinge wird hier – vielleicht zum allerletzten Mal – ein Verwaltungsrat ohne Vertreter der rechtsextremen AfD gebildet.
Dies ist, wenn es denn so passiert, der erste handfeste und große Erfolg des »Netzwerk Film und Demokratie«, dem viele Verbände und Institutionen, unter anderem die AG DOK, AG Verleih, Bundesverband kommunale Filmarbeit, BVR Bundesverband Regie, Crew United, die Deutsche Filmakademie, Produktionsallianz und Produzentenverband und viele mehr angehören.
In einer von Einzelpersonen initiierten, durch viele Hundert Unterschriften und über 200.000 Instagram-Likes unterstützten Kampagne des Netzwerks haben sie im Juni denjenigen Kulturpolitikern Rückendeckung gegen die Jens Spahns der Bundespolitik gegeben, die nach wie vor eine Rote Linie gegenüber der AfD ziehen wollen.
»Keine AfD-Vertretung im Verwaltungsrat der FFA – Schutz unserer kulturellen Vielfalt« hieß der Aufruf, über den Branchenmagazine
ausführlich berichtet haben.
Begründung: Die FFA ist eine zentrale Institution zur Förderung der kulturellen Vielfalt und Kreativität in Deutschland. Die AfD hingegen verfolgt eine kulturpolitische Agenda, die auf die Einschränkung künstlerischer Freiheit abzielt. So forderte der kulturpolitische Sprecher der AfD-Bundestagsfraktion, Marc Jongen, eine »Entsiffung des Kulturbetriebs« und kritisierte deutsche Theater als »antifaschistische Erziehungsanstalten«. Die Aufnahme eines AfD-Vertreters in den Verwaltungsrat der FFA würde nicht nur die Integrität dieser Institution gefährden, sondern auch ein fatales Signal senden: dass rechtsextreme Ideologien in unseren kulturellen Institutionen toleriert werden.
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Auch über das, was heute passieren dürfte, berichten die Kollegen von »Spot« hier.
»Wie Spot erfuhr, soll es erst Ende der vergangenen Woche zu einer abschließenden Einigung gekommen sein, wonach nun über jeden Kandidaten separat abgestimmt wird. Dies wiederum dürfte dem Einzug eines AfD-Vertreters in das Gremium entgegenstehen. Mit anderen Worten: Ein wahrscheinliches Szenario ist, dass am Donnerstag nur zwei Verwaltungsratsmitglieder vom Bundestag benannt werden, der
Einberufung der konstituierenden Sitzung (voraussichtlich an Tagen rund um den 16.10.) stünde dies indes nicht entgegen.«
Vorgeschlagen sind wie gehabt für die CDU/CSU Melanie Bernstein, für die AfD Ronald Gläser und für die SPD Martin Rabanus. Als Stellvertretung schlägt die Unionsfraktion Anja Weisgerber vor, die AfD Martin Erwin Renner und die SPD Nancy Faeser. Als Vertreterin des Verwaltungsrates im Präsidium der Filmförderungsanstalt benennt die Fraktion der CDU/CSU die Abgeordnete Melanie Bernstein.
Eine Entscheidung in dieser Sitzungswoche würde den Weg für den zuletzt anvisierten Termin für die konstituierende Sitzung des FFA-Verwaltungsrates Mitte Oktober freimachen. Aktuelle Kandidatinnen für die Nachfolge von Bernd Neumann, der nicht erneut zur Wiederwahl als FFA-Präsident antritt, sind Christine Berg und Kirsten Niehuus.
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Ich war nie wirklich davon überzeugt, als man es vermieden hat, das de facto Netzwerk des deutschen Films gegen den AfD-Aufstieg damals nicht wie von manchen gut begründet gefordert »Netzwerk Film gegen Rechts« zu nennen, sondern Netzwerk Film und Demokratie.
Jetzt aber erweist sich dieser Name doch als klüger als von mir gedacht.
Denn ein »Netzwerk Film und Demokratie« ist eben nicht ausschließlich ein Netzwerk gegen Rechts, sondern auch gegen Antisemitismus und gegen Judenhass. Auch wenn er aus arabischen und muslimischen Kreisen und auch wenn er gar »von Links« kommt – man kann zwar mit guten Gründen die offene oder verbrämte Judenfeindschaft der Linken als »Linksfaschismus« (Jürgen Habermas) und mit »linken Rechten« erklären. Aber letztendlich geht es ums Konkrete: Kein erlaubter Antisemitismus in Deutschland.
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Das wird relevant angesichts des Münchner Aufrufs zu einer Kundgebung »gegen Hass und gegen jeden Antisemitismus«, über den wir hier bereits letzte Woche berichtet haben.
Alle demokratischen Parteien und viele Künstler, auch Filmemacher wie Uschi Glas, Christian Springer, Andrea Sawatzki, Iris Berben, Christian Berkel, Julia von Heinz, Ferdinand von Schirach sind dabei.
Aber keine
Institutionen.
Aus Kreisen der Deutschen Filmakademie wurde ich zu Recht darauf hingewiesen, dass meine Kritik an ihr einseitig sei, weil es ja nicht nur die Filmakademie sei, die auf der Liste der Erstunterzeichner fehlt. Fair enough!
Das bedeutet aber nicht, dass die Filmakademie deswegen nicht darauf sein sollte, sondern es bedeutet nur, dass man auch von anderen Institutionen wie den Produzentenverbänden oder der Münchner Filmhochschule verlangen muss, dass sie einen Aufruf gegen
Antisemitismus selbstverständlich unterstützen.
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Erst recht, weil ja andere Aufrufe Furore machen, wie der gespenstische »Filmworkers for Palestine«. Das traurige Deprimierende dieses Aufrufs ist nicht allein die selektive Empörung, die ist man schon gewohnt von diesen Leuten – sondern es ist das komplett mangelnde Unterscheidungsvermögen ausgerechnet bei Menschen, die qua Beruf eigentlich besonders sensibel sein müssten, die sich aber durch solche Listen auch für ihren Beruf disqualifizieren.
Es wird einfach alles über einen Leisten geschlagen: Antisemitismus, Antijudaismus, Israel-Feindschaft, Israel-Kritik, Netanjahu-Kritik, Kritik an Juden in Deutschland und an Regierungen in der Welt.
Dabei liegt die Aufklärung gewissermaßen auf der Straße: letzte Woche erst bei 3sat, diese Woche bei Arte, man müsste nur einmal diese Filme anschauen, um zu einem differenzierteren Urteil zu gelangen.
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Der Filmakademie ist noch anderes vorzuwerfen: Mehrere mir bekannte Filmemacher hatten die Akademie um Beteiligung gebeten. Sie erhielten eine Absage.
In einer mir vorliegenden Absage – »Wir finden es großartig, wie sehr Sie sich engagieren« – verweist die Akademie auf ihre »mehr als 2.400 Mitglieder« und deren »sehr unterschiedliche Perspektiven, Haltungen und politische Standpunkte unter einem gemeinsamen Dach. Gerade darin sehen wir unsere Stärke als
Interessenvertretung für den Film.«
Gleichzeitig bedeute diese Vielfalt, »dass wir als Verein in Fragen, die über unsere unmittelbare Arbeit im Film- und Kulturbereich hinausgehen, nicht mit einer einzigen Stimme sprechen können, ohne einzelne Mitglieder auszuschließen oder ihre Positionen unberücksichtigt zu lassen.«
Eine erstaunlíche Wortmeldung: »unterschiedliche Perspektiven, Haltungen und politische Standpunkte« in der Frage des Antisemitismus?
Bei einer Institution, die sich (sonst glaubwürdig) den Kampf gegen Rechts auf die Fahne schreibt?
Das kann, das darf nicht das letzte Wort der Filmakademie sein. Sie wird Farbe bekennen müssen, ob sie Antisemitismius duldet oder offen bekämpft. Es gibt hier keine Grautöne – und es hilft auch nichts, Ausweichdebatten über »Nahost« zu führen, denn es geht um Deutschland, oder akademische Debatten über Antisemitismusdefinitionen zu führen, wo doch der Bundestag und die Regierungen in der Frage sehr eindeutig ist.
Man kann hier nur auf Taten und auf stetes Nachfragen der Kulturpolitik hoffen, zur Not auf die Mittel des Rechtsstaats. Tränen in der Synagoge reichen da nicht.
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Morgen findet in München eine Pressekonferenz statt:
»Donnerstag, 18. September, um 10:30 Uhr, laden wir Sie herzlich zur Pressekonferenz zur Vorstellung des Fünf-Punkte-Plans gegen Antisemitismus ein.«
Zoom-Link zur Teilnahme:
https://hm-edu.zoom-x.de/j/69692057378?pwd=nUYfhlSEAHwie7agJnl06I0QbWt8BU.1
Meeting ID: 696 9205 7378
Passcode: 273980
»Im Anschluss an die Pressekonferenz starten wir eine Petition, die es jedem Bürger und jeder Bürgerin ermöglicht, mit einer Unterschrift ein klares Signal zu setzen. Je mehr Menschen mitmachen, desto größer ist der Druck, dass Parlamente und Regierungen handeln.«
»Der Weg bis hierhin: Im November 2023 haben wir in München erstmals die Initiative Run for their Lives nach Europa gebracht – ein starkes Zeichen für die Geiseln in Gaza. Woche für Woche liefen wir durch München: zunächst für die Geiseln, bald aber auch immer deutlicher gegen den wachsenden Antisemitismus. Irgendwann wurde uns klar: Wir laufen nicht mehr nur für sie – wir laufen inzwischen auch für uns selbst.«
»Am 6. Oktober 2024 folgte dann eine der größten Demonstrationen gegen Antisemitismus, die es in Deutschland je gegeben hat. Viele sprachen, viele setzten ein Zeichen – doch die bittere Realität bleibt: Der Antisemitismus steigt weiter. Darum stellte sich uns die Frage: Reicht es, nur zu demonstrieren? Oder brauchen wir endlich einen Plan, der Lösungen anbietet?«
»Im Frühjahr 2025 haben sich deshalb kluge Köpfe aus Deutschland, Österreich und der Schweiz zusammengesetzt. München – ein Ort, an dem vieles in Politik, Verwaltung und Zivilgesellschaft oft besser funktioniert – sollte Ausgangspunkt für ein Signal sein, das weit über die Stadt hinaus wirkt.«
»So wurde aus München gegen Antisemitismus die überregionale Initiative ›Ein DACH gegen Hass‹, getragen von vielen Organisationen aus der gesamten DACH-Region.«
»Wir Jüdinnen und Juden sind nur 0,2 Prozent der Bevölkerung. Allein können wir diesen Kampf nicht gewinnen.«
»Wir brauchen die gesamte Gesellschaft, die gemeinsam sagt: Judenhass hat hier keinen Platz.«
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»Der Anblick den die zerstörten Städte in Deutschland bieten und die Tatsache, dass man über die deutschen Konzentrations- und Vernichtungslager bescheid weiß, haben bewirkt, dass über Europa ein Schatten tiefer Trauer liegt. Aber nirgends wird dieser Albtraum von Zerstörung und Schrecken weniger verspürt, nirgendwo wird weniger darüber gesprochen, als in Deutschland.«
Hannah Arendt