18.09.2025
Cinema Moralia – 359. Folge

Demokratie und ihre Konsequenzen

Anti-AfD
(Foto: Rüdiger Suchsland)

Eine erfolgreiche Kampagne der Filmbranche, und was daraus folgt im Kampf gegen Antisemitismus – Cinema Moralia, Tagebuch eines Kinogehers, 359. Folge

Von Rüdiger Suchsland

»Das Problem, das persön­liche Problem war doch nicht etwa, was unsere Feinde taten, sondern was unsere Freunde taten. Was damals in der Welle von Gleich­schal­tung, die ja ziemlich frei­willig war, jeden­falls noch nicht unter dem Druck des Terrors, vorging: Das war, als ob sich ein leerer Raum um einen bildete. Ich lebte in einem intel­lek­tu­ellen Milieu, ich kannte aber auch andere Menschen. Und ich konnte fest­stellen, daß unter den Intel­lek­tu­ellen die Gleich­schal­tung sozusagen die Regel war. Aber unter den anderen nicht. Und das hab ich nie vergessen. ... Ich war der Meinung, das hängt mit diesem Beruf, mit der Intel­lek­tua­lität zusammen.«
– Hannah Arendt, 1964 über 1933

»Dass ihr unsere Söhne ermordet habt, werden wir Euch eines Tages verzeihen müssen. Und wir werden das auch tun. Aber wir werden Euch niemals verzeihen können, dass ihr unsere Söhne gezwungen habt, selber Mörder zu werden.«
– Golda Meir, israe­li­sche Minis­ter­prä­si­dentin, zu arabi­schen Führern; zitiert von Wolf Biermann bei der Verlei­hung des Deutschen Film­preises 2025

Eine wichtige Woche für den deutschen Film und die deutsche Kultur­po­litik: Am heutigen Donnerstag werden im Bundestag die Bundes­tags­mit­glieder für den Verwal­tungsrat der Film­för­der­an­stalt (FFA) neu gewählt. Eine wichtige Wahl: Nach Lage der Dinge wird hier – viel­leicht zum aller­letzten Mal – ein Verwal­tungsrat ohne Vertreter der rechts­extremen AfD gebildet.

Dies ist, wenn es denn so passiert, der erste handfeste und große Erfolg des »Netzwerk Film und Demo­kratie«, dem viele Verbände und Insti­tu­tionen, unter anderem die AG DOK, AG Verleih, Bundes­ver­band kommunale Film­ar­beit, BVR Bundes­ver­band Regie, Crew United, die Deutsche Film­aka­demie, Produk­ti­ons­al­lianz und Produ­zen­ten­ver­band und viele mehr angehören.

In einer von Einzel­per­sonen initi­ierten, durch viele Hundert Unter­schriften und über 200.000 Instagram-Likes unter­s­tützten Kampagne des Netzwerks haben sie im Juni denje­nigen Kultur­po­li­ti­kern Rücken­de­ckung gegen die Jens Spahns der Bundes­po­litik gegeben, die nach wie vor eine Rote Linie gegenüber der AfD ziehen wollen.
»Keine AfD-Vertre­tung im Verwal­tungsrat der FFA – Schutz unserer kultu­rellen Vielfalt« hieß der Aufruf, über den Bran­chen­ma­ga­zine ausführ­lich berichtet haben.

Begrün­dung: Die FFA ist eine zentrale Insti­tu­tion zur Förderung der kultu­rellen Vielfalt und Krea­ti­vität in Deutsch­land. Die AfD hingegen verfolgt eine kultur­po­li­ti­sche Agenda, die auf die Einschrän­kung künst­le­ri­scher Freiheit abzielt. So forderte der kultur­po­li­ti­sche Sprecher der AfD-Bundes­tags­frak­tion, Marc Jongen, eine »Entsiffung des Kultur­be­triebs« und kriti­sierte deutsche Theater als »anti­fa­schis­ti­sche Erzie­hungs­an­stalten«. Die Aufnahme eines AfD-Vertre­ters in den Verwal­tungsrat der FFA würde nicht nur die Inte­grität dieser Insti­tu­tion gefährden, sondern auch ein fatales Signal senden: dass rechts­extreme Ideo­lo­gien in unseren kultu­rellen Insti­tu­tionen toleriert werden.

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Auch über das, was heute passieren dürfte, berichten die Kollegen von »Spot« hier.
»Wie Spot erfuhr, soll es erst Ende der vergan­genen Woche zu einer abschließenden Einigung gekommen sein, wonach nun über jeden Kandi­daten separat abge­stimmt wird. Dies wiederum dürfte dem Einzug eines AfD-Vertre­ters in das Gremium entge­gen­stehen. Mit anderen Worten: Ein wahr­schein­li­ches Szenario ist, dass am Donnerstag nur zwei Verwal­tungs­rats­mit­glieder vom Bundestag benannt werden, der Einbe­ru­fung der konsti­tu­ie­renden Sitzung (voraus­sicht­lich an Tagen rund um den 16.10.) stünde dies indes nicht entgegen.«

Vorge­schlagen sind wie gehabt für die CDU/CSU Melanie Bernstein, für die AfD Ronald Gläser und für die SPD Martin Rabanus. Als Stell­ver­tre­tung schlägt die Unions­frak­tion Anja Weis­gerber vor, die AfD Martin Erwin Renner und die SPD Nancy Faeser. Als Vertre­terin des Verwal­tungs­rates im Präsidium der Film­för­de­rungs­an­stalt benennt die Fraktion der CDU/CSU die Abge­ord­nete Melanie Bernstein.

Eine Entschei­dung in dieser Sitzungs­woche würde den Weg für den zuletzt anvi­sierten Termin für die konsti­tu­ie­rende Sitzung des FFA-Verwal­tungs­rates Mitte Oktober frei­ma­chen. Aktuelle Kandi­da­tinnen für die Nachfolge von Bernd Neumann, der nicht erneut zur Wieder­wahl als FFA-Präsident antritt, sind Christine Berg und Kirsten Niehuus.

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Ich war nie wirklich davon überzeugt, als man es vermieden hat, das de facto Netzwerk des deutschen Films gegen den AfD-Aufstieg damals nicht wie von manchen gut begründet gefordert »Netzwerk Film gegen Rechts« zu nennen, sondern Netzwerk Film und Demo­kratie.

Jetzt aber erweist sich dieser Name doch als klüger als von mir gedacht.

Denn ein »Netzwerk Film und Demo­kratie« ist eben nicht ausschließ­lich ein Netzwerk gegen Rechts, sondern auch gegen Anti­se­mi­tismus und gegen Judenhass. Auch wenn er aus arabi­schen und musli­mi­schen Kreisen und auch wenn er gar »von Links« kommt – man kann zwar mit guten Gründen die offene oder verbrämte Juden­feind­schaft der Linken als »Links­fa­schismus« (Jürgen Habermas) und mit »linken Rechten« erklären. Aber letzt­end­lich geht es ums Konkrete: Kein erlaubter Anti­se­mi­tismus in Deutsch­land.

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Das wird relevant ange­sichts des Münchner Aufrufs zu einer Kund­ge­bung »gegen Hass und gegen jeden Anti­se­mi­tismus«, über den wir hier bereits letzte Woche berichtet haben.
Alle demo­kra­ti­schen Parteien und viele Künstler, auch Filme­ma­cher wie Uschi Glas, Christian Springer, Andrea Sawatzki, Iris Berben, Christian Berkel, Julia von Heinz, Ferdinand von Schirach sind dabei.
Aber keine Insti­tu­tionen.

Aus Kreisen der Deutschen Film­aka­demie wurde ich zu Recht darauf hinge­wiesen, dass meine Kritik an ihr einseitig sei, weil es ja nicht nur die Film­aka­demie sei, die auf der Liste der Erst­un­ter­zeichner fehlt. Fair enough!
Das bedeutet aber nicht, dass die Film­aka­demie deswegen nicht darauf sein sollte, sondern es bedeutet nur, dass man auch von anderen Insti­tu­tionen wie den Produ­zen­ten­ver­bänden oder der Münchner Film­hoch­schule verlangen muss, dass sie einen Aufruf gegen Anti­se­mi­tismus selbst­ver­s­tänd­lich unter­s­tützen.

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Erst recht, weil ja andere Aufrufe Furore machen, wie der gespens­ti­sche »Film­wor­kers for Palestine«. Das traurige Depri­mie­rende dieses Aufrufs ist nicht allein die selektive Empörung, die ist man schon gewohnt von diesen Leuten – sondern es ist das komplett mangelnde Unter­schei­dungs­ver­mögen ausge­rechnet bei Menschen, die qua Beruf eigent­lich besonders sensibel sein müssten, die sich aber durch solche Listen auch für ihren Beruf disqua­li­fi­zieren.

Es wird einfach alles über einen Leisten geschlagen: Anti­se­mi­tismus, Anti­ju­da­ismus, Israel-Feind­schaft, Israel-Kritik, Netanjahu-Kritik, Kritik an Juden in Deutsch­land und an Regie­rungen in der Welt.

Dabei liegt die Aufklärung gewis­ser­maßen auf der Straße: letzte Woche erst bei 3sat, diese Woche bei Arte, man müsste nur einmal diese Filme anschauen, um zu einem diffe­ren­zier­teren Urteil zu gelangen.

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Der Film­aka­demie ist noch anderes vorzu­werfen: Mehrere mir bekannte Filme­ma­cher hatten die Akademie um Betei­li­gung gebeten. Sie erhielten eine Absage.
In einer mir vorlie­genden Absage – »Wir finden es großartig, wie sehr Sie sich enga­gieren« – verweist die Akademie auf ihre »mehr als 2.400 Mitglieder« und deren »sehr unter­schied­liche Perspek­tiven, Haltungen und poli­ti­sche Stand­punkte unter einem gemein­samen Dach. Gerade darin sehen wir unsere Stärke als Inter­es­sen­ver­tre­tung für den Film.«
Gleich­zeitig bedeute diese Vielfalt, »dass wir als Verein in Fragen, die über unsere unmit­tel­bare Arbeit im Film- und Kultur­be­reich hinaus­gehen, nicht mit einer einzigen Stimme sprechen können, ohne einzelne Mitglieder auszu­schließen oder ihre Posi­tionen unberück­sich­tigt zu lassen.«

Eine erstaun­líche Wort­mel­dung: »unter­schied­liche Perspek­tiven, Haltungen und poli­ti­sche Stand­punkte« in der Frage des Anti­se­mi­tismus?

Bei einer Insti­tu­tion, die sich (sonst glaub­würdig) den Kampf gegen Rechts auf die Fahne schreibt?

Das kann, das darf nicht das letzte Wort der Film­aka­demie sein. Sie wird Farbe bekennen müssen, ob sie Anti­se­mi­tis­mius duldet oder offen bekämpft. Es gibt hier keine Grautöne – und es hilft auch nichts, Ausweich­de­batten über »Nahost« zu führen, denn es geht um Deutsch­land, oder akade­mi­sche Debatten über Anti­se­mi­tis­mus­de­fi­ni­tionen zu führen, wo doch der Bundestag und die Regie­rungen in der Frage sehr eindeutig ist.

Man kann hier nur auf Taten und auf stetes Nach­fragen der Kultur­po­litik hoffen, zur Not auf die Mittel des Rechts­staats. Tränen in der Synagoge reichen da nicht.

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Morgen findet in München eine Pres­se­kon­fe­renz statt:

»Donnerstag, 18. September, um 10:30 Uhr, laden wir Sie herzlich zur Pres­se­kon­fe­renz zur Vorstel­lung des Fünf-Punkte-Plans gegen Anti­se­mi­tismus ein.«

Zoom-Link zur Teilnahme:
https://hm-edu.zoom-x.de/j/69692057378?pwd=nUYfhlSEAHwie7agJnl06I0QbWt8BU.1
Meeting ID: 696 9205 7378
Passcode: 273980

»Im Anschluss an die Pres­se­kon­fe­renz starten wir eine Petition, die es jedem Bürger und jeder Bürgerin ermög­licht, mit einer Unter­schrift ein klares Signal zu setzen. Je mehr Menschen mitmachen, desto größer ist der Druck, dass Parla­mente und Regie­rungen handeln.«

»Der Weg bis hierhin: Im November 2023 haben wir in München erstmals die Initia­tive Run for their Lives nach Europa gebracht – ein starkes Zeichen für die Geiseln in Gaza. Woche für Woche liefen wir durch München: zunächst für die Geiseln, bald aber auch immer deut­li­cher gegen den wach­senden Anti­se­mi­tismus. Irgend­wann wurde uns klar: Wir laufen nicht mehr nur für sie – wir laufen inzwi­schen auch für uns selbst.«

»Am 6. Oktober 2024 folgte dann eine der größten Demons­tra­tionen gegen Anti­se­mi­tismus, die es in Deutsch­land je gegeben hat. Viele sprachen, viele setzten ein Zeichen – doch die bittere Realität bleibt: Der Anti­se­mi­tismus steigt weiter. Darum stellte sich uns die Frage: Reicht es, nur zu demons­trieren? Oder brauchen wir endlich einen Plan, der Lösungen anbietet?«

»Im Frühjahr 2025 haben sich deshalb kluge Köpfe aus Deutsch­land, Öster­reich und der Schweiz zusam­men­ge­setzt. München – ein Ort, an dem vieles in Politik, Verwal­tung und Zivil­ge­sell­schaft oft besser funk­tio­niert – sollte Ausgangs­punkt für ein Signal sein, das weit über die Stadt hinaus wirkt.«

»So wurde aus München gegen Anti­se­mi­tismus die über­re­gio­nale Initia­tive ›Ein DACH gegen Hass‹, getragen von vielen Orga­ni­sa­tionen aus der gesamten DACH-Region.«

»Wir Jüdinnen und Juden sind nur 0,2 Prozent der Bevöl­ke­rung. Allein können wir diesen Kampf nicht gewinnen.«

»Wir brauchen die gesamte Gesell­schaft, die gemeinsam sagt: Judenhass hat hier keinen Platz.«

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»Der Anblick den die zerstörten Städte in Deutsch­land bieten und die Tatsache, dass man über die deutschen Konzen­tra­tions- und Vernich­tungs­lager bescheid weiß, haben bewirkt, dass über Europa ein Schatten tiefer Trauer liegt. Aber nirgends wird dieser Albtraum von Zers­törung und Schrecken weniger verspürt, nirgendwo wird weniger darüber gespro­chen, als in Deutsch­land.«
Hannah Arendt