11.09.2025

Trost für die Leiden der Jugend

Kpop Demon Hunters
Auf der Suche nach der verlorenen Unschuld...
(Foto: Netflix)

Maggie Kang und Chris Appelhans überraschen in ihrem KPop-Drama »KPop Demon Hunters« mit einer universellen Sprache des Leids, einer hybriden Animation und musikalischer Finesse. Diese Grenzüberschreitungen erklären auch, warum ihr Film der bislang erfolgreichste Netflix-Film aller Zeiten ist

Von Axel Timo Purr

»Die meisten verar­beiten den größten Teil der Zeit, um zu leben, und das bisschen, das ihnen von Freiheit übrig bleibt, ängstigt sie so, dass sie alle Mittel aufsuchen, um es los zu werden.« – Johann Wolfgang von Goethe, Die Leiden des jungen Werther, 17. Mai 1771

Dass der erfolg­reichste Netflix-Film aller Zeiten ein KPop-Anime werden würde, das hat wohl nicht einmal Netflix, das ja gern mit allem möglichen rechnet, erwartet. KPop Demon Hunters wurde am 20. Juni 2025 weltweit auf Netflix veröf­fent­licht und übertraf mit bislang 266 Millionen Aufrufen nicht nur online alles, was es bisher gab, sondern auch die Kino­aus­kopp­lung war sowohl die umfang­reichste für einen Netflix-Film als auch der erste Netflix-Film, der die Kino­charts in den Verei­nigten Staaten anführte und damit Glass Onion: A Knives Out Mystery (2022) in den Schatten stellte. Erstaun­lich­weise war wohl ein Grund für den Kino­er­folg, dass vor allem junge Menschen den Film noch einmal auf der großen Leinwand sehen wollten, nachdem sie ihn schon auf Netflix und kleineren Bild­schirmen gesehen hatten.

In diesen zum Teil als Mitsing-Scree­nings bewor­benen Events zeigte sich auch das musi­ka­li­sche Potential von KPop Demon Hunters, denn der Sound­track erreichte die Top Ten gleich mehrerer Musik- und Streaming-Charts, darunter Platz 1 der Alben-Charts in Deutsch­land.

Doch reicht ein in den Film einge­bet­teter KPop-Battle schon aus, um dieses Phänomen zu erklären? Wohl nicht. Es dürfte eher die Komple­xität sein, mit der das Regie-Duo Maggie Kang und Chris Appelhans, die auch beide am Drehbuch mitwirkten, KPop Demon Hunters in Szene gesetzt haben. Das beginnt bei der faszi­nie­renden, hybriden Animation, die sich sowohl aus dem gewal­tigen Fundus gegen­wär­tiger Anime-Kunst bedient, als auch neue Anima­ti­ons­klas­siker wie Bob Persi­chettis, Peter Ramseys und Rodney Rothmans Spider-Man: A New Universe (2018) refe­ren­ziert.

Und dann wird natürlich nicht einfach nur die weltweit so erfolg­reiche KPop-Kultur zu einer Geschichte verquirlt, die von der fiktiven K-Pop-Girlgroup Huntr/x, die ein Doppel­leben als Dämo­nen­jä­ge­rinnen führen und gegen eine riva­li­sie­rende Boyband, die Saja Boys, antreten, deren Mitglieder insgeheim Dämonen sind, handelt. Vielmehr liegen wie schon im visuellen Teil auch in der ober­fläch­lich einfachen Charak­ter­ent­wick­lung zahl­reiche musi­ka­li­sche Refe­renzen zu Grunde. So wurden die drei Mitglieder der Girlband Huntr/x nach dem Vorbild von K-Pop-Girl­groups wie Itzy, Blackpink und Twice gestaltet. Der Charakter von Mira ist zusätz­lich vom korea­ni­schen Model Ahn So-yeon inspi­riert. Die Dämonen der Saja Boys wiederum wurden von korea­ni­schen Boybands wie Tomorrow X Together, Ateez und Monsta X beein­flusst, wodurch einer­seits KPop-Arche­typen geschaffen wurden, die jedoch immer auch als konkrete Person dechif­friert werden können, ganz so wie die Leer­stellen in einem dichten Narrativ.

Doch dürfte es neben der beein­dru­ckenden Anima­ti­ons­welt und den dichten musi­ka­li­schen Refe­renzen auch die Geschichte selbst sein, die den Erfolg dieses Films ausmacht. Auch hier scheint die Ober­fläche simpel gestrickt zu sein, doch liegt auch hier unter der grob schei­nenden Schraffur ein dunkles, komplexes Gewölk, das mit alten Mythen der korea­ni­schen Sagenwelt durch­woben ist und noch einmal durch die Bemühungen des Anima­ti­ons­teams verstärkt wird, korea­ni­sche Iden­ti­täten durch die Charak­te­r­ani­ma­tion so authen­tisch wie möglich darzu­stellen, etwa durch »korea­ni­sche Mund- und Augen­formen«. Auch hier muss auf die Detail­ar­beit geachtet werden, denn obgleich alle Figuren Englisch sprechen, legten die Anima­ti­ons­künstler laut Regis­seurin Kang Wert darauf »Mund­dy­na­miken entworfen zu haben, die man nur als Koreaner mit unserer korea­ni­schen Sprache machen würde«.

Diese kultu­rellen Eigen­heiten stehen dann jedoch in einem faszi­nie­renden Kontrast zu der univer­sellen Sprache des Leids, das in diesem Film auf mehreren Ebenen dekli­niert wird. Denn der Film erzählt auch die Geschichte globaler Jugend­leiden. Denn die Lead­sän­gerin Rumi ist nicht das, was jeder in ihr sieht, sondern ein Teil von ihr ist auch »Dämon«. Sie kann zwar ihre Stigmata verbergen und über­zeu­gend gegen das Böse außerhalb ihres Körpers kämpfen, ist jedoch hilflos gegenüber sich selbst und schämt sich selbst vor ihren Nächsten, den Mitglie­dern ihrer Band, sich zu »outen«.

Diese Katharsis ist der eigent­liche Kern des Films. Was die Stigmata des »Bösen«, des »Dämo­ni­schen« sein könnten, ist eine weitere, klug im Narrativ plat­zierte Leer­stelle. Denn für was sich die Heldin hier outen sollte, ist nicht die übliche Queerness, sondern eine noch viel gene­rel­lere »Schwäche«. Es können Depres­sionen, Essstörungen, psychi­sche und physische Insta­bi­li­täten jeder Art sein. Sie zu bekennen und anzu­er­kennen, offen mit seinen Mitmen­schen darüber zu reden, ist Teil des Heilungs­pro­zesses und bewahrt vor Schlim­merem. Im Gegenteil ist es das Tor zu wirk­li­cher Freiheit. Denn erst, wenn die kleine angst­be­setzte Freiheit, die im heraus­for­dernden, entfrem­denden Alltag unserer Gegenwart noch bleibt, von all den Ängsten »bereinigt« ist, ist auch das Leben wieder lebens­wert. In KPop Demon Hunters ist es einer­seits das tradi­tio­nelle korea­ni­sche Badehaus, das Jjim­jil­bang und dann die Musik, die wieder liebens- und lebens­wert werden und die auch die Mitmen­schen, die »Fans«, »ansteckt« und sie auf die Reise eines erfüllten Lebens mitnimmt.