Cinema Moralia – 358. Folge
Wolfram Weimer muss liefern |
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Die bleierne Zeit: Margarethe von Trotta | ||
(Foto: Margarethe von Trotta) |
»Hitler wollte ein Reich von 1000 Jahren. Es dauerte nur 12 Jahre. Aber wir werden uns noch tausend Jahre damit auseinandersetzen müssen.«
– Margarethe von Trotta»Oft ist es gerade die Provokation, die den Diskurs entzündet. ... In der Moderne ist etwas eben nicht nur deshalb richtig, weil es gestern für richtig gehalten wurde. Was wir für wahr und richtig halten, können und müssen wir jederzeit neu vereinbaren.
Kunst und Politik sind aufeinander bezogen, aber sie sind nicht identisch. Ein Staat, der – mit welchen Argumenten auch immer – in den autonomen Eigensinn der Kunst eingreift, kann nie recht haben. Der Staat fördert die Künste daher nicht als Mäzen, sondern sichert im Auftrag der Gesellschaft das Fundament einer schöpferischen Auseinandersetzung mit der Welt, in der wir leben. Eine Kulturpolitik, die das begreift, bewahrt die Künste auch davor, politisch in den Dienst zur Rettung der Demokratie genommen zu werden.«
– Carsten Brosda, Kultursenator der Freien und Hansestadt Hamburg
Den Preis für die schönste Überschrift der Woche bekommt der »Spiegel«: »Die Weimerer Republik« kalauerte das Hamburger Magazin in einem Text über Wolfram Weimer. Viel mehr steht dann nicht drin in dem Text, außer alten Sätzen, Kritik an Talk-Show-Auftritten und Autorenjammern über einen ausgefallenen Interview-Termin. Es geht in dem Text eher um das Gefühl, dass den beiden Autoren die ganze Richtung nicht passt.
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Wie anderen auch. Immer noch und immer wieder empören sich Teile der deutschen Filmszene über Weimer, den Staatssekretär im Ministerrang, der in der Bundesregierung für Kultur zuständig ist, und keinen so schönen Titel hat, wie sein Kollege in Österreich. Der heißt nämlich Kunstminister oder genau gesagt »Minister für Kunst, Kultur, Medien«, weil man in Österreich weiß, dass Kunst, Kultur und Medien drei völlig verschiedene Dinge sind, die nichts miteinander zu tun haben, außer dass sie gewisse Schnittmengen teilen.
Die Empörung über Weimer war anfangs lustig in ihrer Reflexhaftigkeit, allmählich finde ich sie zum Gähnen und latent nervtötend, weil sie nicht nur billig ist, und eher etwas mit Weimers Parteibuch und den Feuilletontexten über ihn zu tun hat als mit irgendeinem substantiellen Wissen um sein Handeln oder seine Gesinnung. Vor allem hindert sie am genauen Hinsehen und ergebnisoffenen Nachdenken.
Die Empörung in der Filmszene ist trotzdem zumindest teilweise verständlich, denn Weimer scheint selber offenbar Schwierigkeiten zu haben, sein Ministerium zu verstehen und Film überhaupt als Kunst anzusehen.
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Weit weniger empört sind deutsche »Filmschaffende« über Antisemitismus unter ihresgleichen, der sich oft genug hinter dem Vorwand der »Israelkritik« oder Solidaritätsbekundungen mit arabischen Israelgegnern maskiert.
Hier könnten weite Teile der deutschen Filmszene dem Kulturstaatsminister zuhören: Denn in jedem Fall ist Weimer ein glaubwürdiger und unzweideutiger Kämpfer gegen Antisemitismus – ganz im Gegensatz zu seiner Vorgängerin. Im »Ronzheimer«-Podcast der BILD-Zeitung beklagt er angesichts des grassierenden Judenhasses »Zustände wie in den 1930er Jahren«. Der Judenhass komme heute nicht nur von rechts, sondern auch von links und von Islamisten. Besonders bedrückend sei
dieses Problem in der Kulturszene.
Jüdische DJs, Musiker, Sänger und Schauspieler bekämen »keine Aufträge mehr«. Unter der Maskerade des »Man wird Israel noch kritisieren dürfen« komme »blanker Judenhass« daher.
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Hier muss sich die deutsche Filmbranche – auch in ihren Institutionen – viele Fragen gefallen lassen, denn ihre Haltung ist zumindest uneindeutig.
Zum Beispiel die Münchner Gedenkveranstaltung »DACH gegen Judenhass«, die für den 5. Oktober 2025 angesetzt ist, in Erinnerung an das Pogrom der Hamas vom 7.10.2023. Es soll hier ein gemeinsames Zeichen gegen jeden Antisemitismus gesetzt werden.
Um es kurz zu machen: Alle demokratischen Parteien, von Grüne bis CSU, auch Volt und die Rosa Liste unterstützen diesen Aufruf, (nur Die Linke steht erwartbar nicht drauf), die Antisemitismusbeauftragten diverser Bundesländer (nicht nur Bayern!), Studentenorganisationen, Kirchen, Gewerkschaften, Theater. Jeder kann es nachlesen.
Auch Schauspieler wie die ehemalige Präsidentin der Filmakademie Iris Berben sind Unterstützer.
Wer aber fehlt, das sind die deutschen Filmverbände. Vor allem aber: Wo bleibt die Unterstützung der Filmakademie?
Möchte sie keinen Aufruf gegen Judenhass unterstützen? Oder fürchtet sie sich vor den Antisemiten und Hamas-Verniedlichern in ihren eigenen Reihen? Noch ist Zeit, Farbe zu bekennen und schlechte Gesellschaft zu meiden.
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Viel unklarer ist Weimer auf anderen Feldern: Nachdem sich der italienische Berlusconi-Konzern »Media for Europe« nach einem großen Aktienankauf die volle Kontrolle über den deutschen Fernsehkonzern ProSiebenSat.1 gesichert hat, traf Weimer Pier Silvio Berlusconi, den Sohn des 2023 gestorbenen früheren italienischen Regierungschefs.
ProSiebenSat.1 solle stärker auf das deutsche Publikum ausgerichtet werden – mit mehr Nachrichten, Unterhaltung und
Eigenproduktionen, gleichzeitig weniger zugekauften Formaten. Arbeitsplätze sollen erhalten bleiben. Berlusconi war einer Einladung Weimers ins Bundeskanzleramt gefolgt. Man habe zusammen »gemeinsame Linien« entwickelt, teilte der Sprecher des Kulturstaatsministers mit.
Wie die aussehen, muss man abwarten.
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Die eigentliche Filmpolitik Weimers ist noch mindestens unklar.
Der Kulturstaatsminister will den Etat der Filmförderung 2026 um 120 Millionen Euro auf 250 Millionen Euro aufstocken. Eine »Soforthilfe« für die angeschlagene Branche. Nur hängt dieses Gelingen auch an der Umsetzung der Investitionsverpflichtung für Streamingkonzerne wie Netflix. Die sollen Geld in Produktionen oder Filmstudios geben.
Dummerweise setzt Weimer auf Freiwilligkeit, droht nur mit einen Gesetz zur Investitionsverpflichtung, das schon »fast
fertig« sei. Allerdings würde diese Pflicht zum verstärkten Engagement auch für deutsche Sendeanstalten gelten, wenn sie Mediatheken unterhalten.
All das kommt zumindest bei den deutschen Produzenten gut an. Aber nur bei denen. Genauer gesagt: Bei den Großen. Denn längst hat sich der Eindruck verfestigt, mit der halbfertigen Förderreform, die noch von der Ampel durchs Parlament gepeitscht wurde, sollen vor allem kleinere Firmen ausgetrocknet und in die Pleite getrieben, die deutsche Filmszene ausgedünnt werden.
Kinobetreiber und Verleiher fühlen sich ebenfalls ignoriert. Weimer verweist auf »das veränderte Nutzungsverhalten hin zum Filmkonsum zu Hause« anstatt das Nutzungsverhalten zu verändern.
Für mehr Geld aus dem Bundeshaushalt gibt es jedenfalls wenig Hoffnung.
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»Oft ist es gerade die Provokation, die den Diskurs entzündet.« erinnert Carsten Brosda, Kultursenator der Freien und Hansestadt Hamburg jetzt in einem Aufsatz für die »Frankfurter Hefte«.
Dieser Satz wäre produktiv von der deutschen Kunstszene nicht im Sinne einer Selbstbestätigung, sondern einer Kritik der eigenen eingefahrenen Klischees zu lesen.
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Politisch kann Wolfram Weimer von Carsten Brosda viel lernen. Der Hamburger Kultursenator, der im Gegensatz zu Weimer die Koalitionsverhandlungen zum Thema geführt hatte, also mit der Materie vertraut ist, ist kein wolkiger Stammtischplauderer, sondern ein feinsinniger Denker.
Genau das, was die Kultur braucht.
Im Gegensatz zu Brosda halte ich Antisemitismusklauseln für sehr sinnvoll. Aber es ist mit ihnen nicht getan.
Man müsse neue, andere Ideen entwickeln, so Brosda. »Progressive müssen um die Kultur der Freiheit und Demokratie kämpfen«. Eine andere Idee, die Lust auf eine bessere Zukunft machen könnte, bieten Verteidiger der Demokratie gerade nicht an, beklagt der Senator.
Sein Text zielt auf den Amtsinhaber in Berlin, ist aber keineswegs eine eindeutige Entgegnung. Eher ein Zeichen für Temperamentsunterschiede. Wo Weimer in der Talkshow sitzt, hält Brosda ein Referat. Ich würde ihm, der in seinem Essay treffend »Ben Hur« zitiert, wünschen, etwas mehr in der staubigen Arena aufzutreten.
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Überraschung bei den Branchenpostillen: »Blickpunkt Film« und »Spot Media«, die man eigentlich als Konkurrenten verstanden hatte, fusionieren: In einer Meldung »in eigener Sache« wurde dies jetzt bekannt gegeben.
»Blickpunkt:Film war über Jahrzehnte eine der wichtigsten Informationsquellen der Branche«, so Florian Ritter, Geschäftsführer der Opus Mediengruppe. Mit der Übernahme sichere man nicht nur Reichweite, Fachinfrastruktur und Mitarbeitende, sondern auch ein über drei Jahrzehnte aufgebautes Archiv sowie eine umfangreiche Branchen-Datenbank. »Mit THE SPOT media & film sind wir im vergangenen Jahr sehr erfolgreich als neues junges Branchenmedium gestartet. Wir freuen uns, mit diesem Schritt das Erbe zu bewahren und zugleich THE SPOT media & film für den Markt weiter stärken und ausbauen zu können.«
Ziel sei mal wieder »durch Synergien die Stärken beider Marken zu vereinen, bessere Skalierungseffekte zu schaffen und darauf aufbauend das moderne, digitale Leitmedium für Entscheidungsträger:innen entlang der gesamten Wertschöpfungskette der Film- und Medienindustrie weiterzuentwickeln«.
Schaun mer mal...
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Der großen deutschen Filmregisseurin Margarethe von Trotta ist jetzt im »Neuen Berliner Kunstverein« (n.b.k.) in Berlin eine Ausstellung gewidmet, die heute eröffnet wird, und von einer Werkschau und begleitenden Gesprächen flankiert wird.
Bis zum 9. November 2025 zeigt der n.b.k. Filmausschnitte, sowie teils unveröffentlichte Fotografien, Drehbuchfassungen und Tagebücher, die Einblick in von Trottas Leben und Wirken geben. Im Fokus stehen Trottas Interesse an den Sichtweisen und Problemlagen von aktuellen und historischen Frauenfiguren sowie bedeutenden Momente der deutschen Geschichte. Die Regisseurin, die 1981 für das an die Geschichte der Ensslin-Schwestern angelehnte Drama Die bleierne Zeit als erste Frau mit dem Goldenen Löwen der Filmfestspiele von Venedig ausgezeichnet wurde, hat sich intensiv mit einflussreichen Frauen wie Rosa Luxemburg, Hildegard von Bingen, Hannah Arendt und Ingeborg Bachmann auseinandergesetzt und kontinuierlich mit den großen Schauspielerinnen ihrer Generation wie Angela Winkler, Jutta Lampe und Barbara Sukowa zusammengearbeitet.
Wie das n.b.k. schreibt, setzt sich Trotta »wegweisend mit der deutschen Geschichte, historischen Frauenfiguren sowie dem Verhältnis von Privatem und Politischem insbesondere aus feministischer Perspektive auseinander. Künstlerisch geprägt durch die Vorbilder Ingmar Bergman und Alfred Hitchcock sowie die französische Nouvelle Vague erschafft sie als Autorenfilmerin in der Tradition des Neuen Deutschen Films psychologisch komplexe Figuren und erhellt historische Kontexte.«
Parallel zur Ausstellung zeigt der Neue Berliner Kunstverein im Babylon Kino eine Werkschau mit ausgewählten Filmen Trottas. Mit Auf der Suche nach Ingmar Bergman (2018) wird darunter auch der bislang einzige Dokumentarfilm von Trottas präsentiert – er zeichnet den Lebensweg des ikonischen Regisseurs nach, dessen Werk in Trotta den Wunsch auslöste, selbst Filmemacherin zu werden.
Begleitet werden die Veranstaltungen mit Gesprächen und Vorträgen von Nora M. Alter, Marius Babias, Michaela Richter, Klaus Theweleit, Volker Schlöndorff und Margarethe von Trotta selbst.
Anlässlich der Ausstellung erscheint eine zweisprachige Publikation (DE/EN) in der Reihe »n.b.k. Ausstellungen« im Verlag der Buchhandlung Walther und Franz König, Köln.