11.09.2025
Cinema Moralia – 358. Folge

Wolfram Weimer muss liefern

Die bleierne Zeit
Die bleierne Zeit: Margarethe von Trotta
(Foto: Margarethe von Trotta)

Die unvollendete Förderreform: Wo bleiben Steueranreizmodell und Investitionsverpflichtung? Der halbfertige Kulturstaatsminister gestaltet bisher nichts. Außerdem: Filmakademie und Judenhass; Carsten Brosda; und Margarethe von Trotta – Cinema Moralia, Tagebuch eines Kinogehers, 358. Folge

Von Rüdiger Suchsland

»Hitler wollte ein Reich von 1000 Jahren. Es dauerte nur 12 Jahre. Aber wir werden uns noch tausend Jahre damit ausein­an­der­setzen müssen.«
– Marga­rethe von Trotta

»Oft ist es gerade die Provo­ka­tion, die den Diskurs entzündet. ... In der Moderne ist etwas eben nicht nur deshalb richtig, weil es gestern für richtig gehalten wurde. Was wir für wahr und richtig halten, können und müssen wir jederzeit neu verein­baren.
Kunst und Politik sind aufein­ander bezogen, aber sie sind nicht identisch. Ein Staat, der – mit welchen Argu­menten auch immer – in den autonomen Eigensinn der Kunst eingreift, kann nie recht haben. Der Staat fördert die Künste daher nicht als Mäzen, sondern sichert im Auftrag der Gesell­schaft das Fundament einer schöp­fe­ri­schen Ausein­an­der­set­zung mit der Welt, in der wir leben. Eine Kultur­po­litik, die das begreift, bewahrt die Künste auch davor, politisch in den Dienst zur Rettung der Demo­kratie genommen zu werden.«
– Carsten Brosda, Kultur­se­nator der Freien und Hanse­stadt Hamburg

Den Preis für die schönste Über­schrift der Woche bekommt der »Spiegel«: »Die Weimerer Republik« kalauerte das Hamburger Magazin in einem Text über Wolfram Weimer. Viel mehr steht dann nicht drin in dem Text, außer alten Sätzen, Kritik an Talk-Show-Auftritten und Auto­ren­jam­mern über einen ausge­fal­lenen Interview-Termin. Es geht in dem Text eher um das Gefühl, dass den beiden Autoren die ganze Richtung nicht passt.

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Wie anderen auch. Immer noch und immer wieder empören sich Teile der deutschen Filmszene über Weimer, den Staats­se­kretär im Minis­ter­rang, der in der Bundes­re­gie­rung für Kultur zuständig ist, und keinen so schönen Titel hat, wie sein Kollege in Öster­reich. Der heißt nämlich Kunst­mi­nister oder genau gesagt »Minister für Kunst, Kultur, Medien«, weil man in Öster­reich weiß, dass Kunst, Kultur und Medien drei völlig verschie­dene Dinge sind, die nichts mitein­ander zu tun haben, außer dass sie gewisse Schnitt­mengen teilen.

Die Empörung über Weimer war anfangs lustig in ihrer Reflex­haf­tig­keit, allmäh­lich finde ich sie zum Gähnen und latent nerv­tö­tend, weil sie nicht nur billig ist, und eher etwas mit Weimers Partei­buch und den Feuil­le­ton­texten über ihn zu tun hat als mit irgend­einem substan­ti­ellen Wissen um sein Handeln oder seine Gesinnung. Vor allem hindert sie am genauen Hinsehen und ergeb­nis­of­fenen Nach­denken.

Die Empörung in der Filmszene ist trotzdem zumindest teilweise vers­tänd­lich, denn Weimer scheint selber offenbar Schwie­rig­keiten zu haben, sein Minis­te­rium zu verstehen und Film überhaupt als Kunst anzusehen.

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Weit weniger empört sind deutsche »Film­schaf­fende« über Anti­se­mi­tismus unter ihres­glei­chen, der sich oft genug hinter dem Vorwand der »Isra­el­kritik« oder Soli­da­ri­täts­be­kun­dungen mit arabi­schen Israel­geg­nern maskiert.

Hier könnten weite Teile der deutschen Filmszene dem Kultur­staats­mi­nister zuhören: Denn in jedem Fall ist Weimer ein glaub­wür­diger und unzwei­deu­tiger Kämpfer gegen Anti­se­mi­tismus – ganz im Gegensatz zu seiner Vorgän­gerin. Im »Ronz­heimer«-Podcast der BILD-Zeitung beklagt er ange­sichts des gras­sie­renden Juden­hasses »Zustände wie in den 1930er Jahren«. Der Judenhass komme heute nicht nur von rechts, sondern auch von links und von Isla­misten. Besonders bedrü­ckend sei dieses Problem in der Kultur­szene.
Jüdische DJs, Musiker, Sänger und Schau­spieler bekämen »keine Aufträge mehr«. Unter der Maskerade des »Man wird Israel noch kriti­sieren dürfen« komme »blanker Judenhass« daher.

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Hier muss sich die deutsche Film­branche – auch in ihren Insti­tu­tionen – viele Fragen gefallen lassen, denn ihre Haltung ist zumindest unein­deutig.

Zum Beispiel die Münchner Gedenk­ver­an­stal­tung »DACH gegen Judenhass«, die für den 5. Oktober 2025 angesetzt ist, in Erin­ne­rung an das Pogrom der Hamas vom 7.10.2023. Es soll hier ein gemein­sames Zeichen gegen jeden Anti­se­mi­tismus gesetzt werden.

Um es kurz zu machen: Alle demo­kra­ti­schen Parteien, von Grüne bis CSU, auch Volt und die Rosa Liste unter­s­tützen diesen Aufruf, (nur Die Linke steht erwartbar nicht drauf), die Anti­se­mi­tis­mus­be­auf­tragten diverser Bundes­länder (nicht nur Bayern!), Studen­ten­or­ga­ni­sa­tionen, Kirchen, Gewerk­schaften, Theater. Jeder kann es nachlesen.
Auch Schau­spieler wie die ehemalige Präsi­dentin der Film­aka­demie Iris Berben sind Unter­s­tützer.

Wer aber fehlt, das sind die deutschen Film­ver­bände. Vor allem aber: Wo bleibt die Unter­s­tüt­zung der Film­aka­demie?

Möchte sie keinen Aufruf gegen Judenhass unter­s­tützen? Oder fürchtet sie sich vor den Anti­se­miten und Hamas-Vernied­li­chern in ihren eigenen Reihen? Noch ist Zeit, Farbe zu bekennen und schlechte Gesell­schaft zu meiden.

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Viel unklarer ist Weimer auf anderen Feldern: Nachdem sich der italie­ni­sche Berlus­coni-Konzern »Media for Europe« nach einem großen Akti­en­an­kauf die volle Kontrolle über den deutschen Fern­seh­kon­zern ProSie­benSat.1 gesichert hat, traf Weimer Pier Silvio Berlus­coni, den Sohn des 2023 gestor­benen früheren italie­ni­schen Regie­rungs­chefs.
ProSie­benSat.1 solle stärker auf das deutsche Publikum ausge­richtet werden – mit mehr Nach­richten, Unter­hal­tung und Eigen­pro­duk­tionen, gleich­zeitig weniger zuge­kauften Formaten. Arbeits­plätze sollen erhalten bleiben. Berlus­coni war einer Einladung Weimers ins Bundes­kanz­leramt gefolgt. Man habe zusammen »gemein­same Linien« entwi­ckelt, teilte der Sprecher des Kultur­staats­mi­nis­ters mit.

Wie die aussehen, muss man abwarten.

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Die eigent­liche Film­po­litik Weimers ist noch mindes­tens unklar.

Der Kultur­staats­mi­nister will den Etat der Film­för­de­rung 2026 um 120 Millionen Euro auf 250 Millionen Euro aufsto­cken. Eine »Sofort­hilfe« für die ange­schla­gene Branche. Nur hängt dieses Gelingen auch an der Umsetzung der Inves­ti­ti­ons­ver­pflich­tung für Strea­ming­kon­zerne wie Netflix. Die sollen Geld in Produk­tionen oder Film­stu­dios geben.
Dummer­weise setzt Weimer auf Frei­wil­lig­keit, droht nur mit einen Gesetz zur Inves­ti­ti­ons­ver­pflich­tung, das schon »fast fertig« sei. Aller­dings würde diese Pflicht zum vers­tärkten Enga­ge­ment auch für deutsche Sende­an­stalten gelten, wenn sie Media­theken unter­halten.

All das kommt zumindest bei den deutschen Produ­zenten gut an. Aber nur bei denen. Genauer gesagt: Bei den Großen. Denn längst hat sich der Eindruck verfes­tigt, mit der halb­fer­tigen Förder­re­form, die noch von der Ampel durchs Parlament gepeitscht wurde, sollen vor allem kleinere Firmen ausge­trocknet und in die Pleite getrieben, die deutsche Filmszene ausge­dünnt werden.

Kino­be­treiber und Verleiher fühlen sich ebenfalls ignoriert. Weimer verweist auf »das verän­derte Nutzungs­ver­halten hin zum Film­konsum zu Hause« anstatt das Nutzungs­ver­halten zu verändern.

Für mehr Geld aus dem Bundes­haus­halt gibt es jeden­falls wenig Hoffnung.

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»Oft ist es gerade die Provo­ka­tion, die den Diskurs entzündet.« erinnert Carsten Brosda, Kultur­se­nator der Freien und Hanse­stadt Hamburg jetzt in einem Aufsatz für die »Frank­furter Hefte«.

Dieser Satz wäre produktiv von der deutschen Kunst­szene nicht im Sinne einer Selbst­be­s­tä­ti­gung, sondern einer Kritik der eigenen einge­fah­renen Klischees zu lesen.

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Politisch kann Wolfram Weimer von Carsten Brosda viel lernen. Der Hamburger Kultur­se­nator, der im Gegensatz zu Weimer die Koali­ti­ons­ver­hand­lungen zum Thema geführt hatte, also mit der Materie vertraut ist, ist kein wolkiger Stamm­tisch­plau­derer, sondern ein fein­sin­niger Denker.
Genau das, was die Kultur braucht.

Im Gegensatz zu Brosda halte ich Anti­se­mi­tis­mus­klau­seln für sehr sinnvoll. Aber es ist mit ihnen nicht getan.
Man müsse neue, andere Ideen entwi­ckeln, so Brosda. »Progres­sive müssen um die Kultur der Freiheit und Demo­kratie kämpfen«. Eine andere Idee, die Lust auf eine bessere Zukunft machen könnte, bieten Vertei­diger der Demo­kratie gerade nicht an, beklagt der Senator.

Sein Text zielt auf den Amts­in­haber in Berlin, ist aber keines­wegs eine eindeu­tige Entgeg­nung. Eher ein Zeichen für Tempe­ra­ments­un­ter­schiede. Wo Weimer in der Talkshow sitzt, hält Brosda ein Referat. Ich würde ihm, der in seinem Essay treffend »Ben Hur« zitiert, wünschen, etwas mehr in der staubigen Arena aufzu­treten.

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Über­ra­schung bei den Bran­chen­pos­tillen: »Blick­punkt Film« und »Spot Media«, die man eigent­lich als Konkur­renten verstanden hatte, fusio­nieren: In einer Meldung »in eigener Sache« wurde dies jetzt bekannt gegeben.

»Blick­punkt:Film war über Jahr­zehnte eine der wich­tigsten Infor­ma­ti­ons­quellen der Branche«, so Florian Ritter, Geschäfts­führer der Opus Medi­en­gruppe. Mit der Übernahme sichere man nicht nur Reich­weite, Fach­in­fra­struktur und Mitar­bei­tende, sondern auch ein über drei Jahr­zehnte aufge­bautes Archiv sowie eine umfang­reiche Branchen-Datenbank. »Mit THE SPOT media & film sind wir im vergan­genen Jahr sehr erfolg­reich als neues junges Bran­chen­me­dium gestartet. Wir freuen uns, mit diesem Schritt das Erbe zu bewahren und zugleich THE SPOT media & film für den Markt weiter stärken und ausbauen zu können.«

Ziel sei mal wieder »durch Synergien die Stärken beider Marken zu vereinen, bessere Skalie­rungs­ef­fekte zu schaffen und darauf aufbauend das moderne, digitale Leit­me­dium für Entschei­dungs­träger:innen entlang der gesamten Wert­schöp­fungs­kette der Film- und Medi­en­in­dus­trie weiter­zu­ent­wi­ckeln«.

Schaun mer mal...

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Der großen deutschen Film­re­gis­seurin Marga­rethe von Trotta ist jetzt im »Neuen Berliner Kunst­verein« (n.b.k.) in Berlin eine Ausstel­lung gewidmet, die heute eröffnet wird, und von einer Werkschau und beglei­tenden Gesprächen flankiert wird.

Bis zum 9. November 2025 zeigt der n.b.k. Film­aus­schnitte, sowie teils unver­öf­fent­lichte Foto­gra­fien, Dreh­buch­fas­sungen und Tage­bücher, die Einblick in von Trottas Leben und Wirken geben. Im Fokus stehen Trottas Interesse an den Sicht­weisen und Problem­lagen von aktuellen und histo­ri­schen Frau­en­fi­guren sowie bedeu­tenden Momente der deutschen Geschichte. Die Regis­seurin, die 1981 für das an die Geschichte der Ensslin-Schwes­tern ange­lehnte Drama Die bleierne Zeit als erste Frau mit dem Goldenen Löwen der Film­fest­spiele von Venedig ausge­zeichnet wurde, hat sich intensiv mit einfluss­rei­chen Frauen wie Rosa Luxemburg, Hildegard von Bingen, Hannah Arendt und Ingeborg Bachmann ausein­an­der­ge­setzt und konti­nu­ier­lich mit den großen Schau­spie­le­rinnen ihrer Gene­ra­tion wie Angela Winkler, Jutta Lampe und Barbara Sukowa zusam­men­ge­ar­beitet.

Wie das n.b.k. schreibt, setzt sich Trotta »wegwei­send mit der deutschen Geschichte, histo­ri­schen Frau­en­fi­guren sowie dem Verhältnis von Privatem und Poli­ti­schem insbe­son­dere aus femi­nis­ti­scher Perspek­tive ausein­ander. Künst­le­risch geprägt durch die Vorbilder Ingmar Bergman und Alfred Hitchcock sowie die fran­zö­si­sche Nouvelle Vague erschafft sie als Autoren­fil­merin in der Tradition des Neuen Deutschen Films psycho­lo­gisch komplexe Figuren und erhellt histo­ri­sche Kontexte.«

Parallel zur Ausstel­lung zeigt der Neue Berliner Kunst­verein im Babylon Kino eine Werkschau mit ausge­wählten Filmen Trottas. Mit Auf der Suche nach Ingmar Bergman (2018) wird darunter auch der bislang einzige Doku­men­tar­film von Trottas präsen­tiert – er zeichnet den Lebensweg des ikoni­schen Regis­seurs nach, dessen Werk in Trotta den Wunsch auslöste, selbst Filme­ma­cherin zu werden.

Begleitet werden die Veran­stal­tungen mit Gesprächen und Vorträgen von Nora M. Alter, Marius Babias, Michaela Richter, Klaus Theweleit, Volker Schlön­dorff und Marga­rethe von Trotta selbst.

Anläss­lich der Ausstel­lung erscheint eine zwei­spra­chige Publi­ka­tion (DE/EN) in der Reihe »n.b.k. Ausstel­lungen« im Verlag der Buch­hand­lung Walther und Franz König, Köln.