21.08.2025
Cinema Moralia – Folge 357

Das Kino ist ein Alleszermalmer

Locarno
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Filmgeschichte ist mehr als ein Abgleich von Vergangenheitsmoral mit Gegenwartsmoral; sie ist nicht zu trennen von dem, was mal Kino war: eine alltägliche Praxis. Außerdem Plädoyers gegen Egozentrismus und selektive Empörung in unserer deutschen Kulturszene – Cinema Moralia, Tagebuch eines Kinogehers, 357. Folge

Von Rüdiger Suchsland

»Sie sind hier, weil Sie 19 Tage lang ihr Dasein als Herden­tiere genießen wollen, um es mal biolo­gis­tisch zu sagen. Oder schöner gesagt: Weil Sie lieber ein bisschen versinken wollen in einer Wirk­lich­keit, die mit dem so weit verbrei­teten Egozen­trismus ein paar Tage lang sehr wenig zu tun hat. Wir verschaffen uns, ohne es zu wissen, eine Pause genau davon, wollen mal aufatmen und uns in einem Gefühl bestä­tigen lassen, das uns immer das Liebste ist: Dem wunder­baren Gefühl, nicht allein zu sein auf dieser Welt.«
– Michael Kötz, Direktor des Festivals des Deutschen Films, Ludwigs­hafen, zur heutigen Eröffnung

Gefähr­lich leben, gefähr­lich denken, das eine geht nicht ohne das andere.

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Es ist eine inter­es­sante, bunte Mischung von Menschen, die sich beim Film­fes­tival von Locarno (das an diesem Wochen­ende zu Ende ging) in der Retro­spek­tive oft schon um 9 Uhr morgens zur ersten Vorstel­lung, spätes­tens dann zwischen 11 und 12 Uhr zur zweiten regel­mäßig wieder trifft. Anhänger eines merk­wür­digen Kultes, eines okkulten Götzen­dienstes, Diener der Sakra­mente der Licht­spiel-Kunst, Heilige der letzten Tage des Kinos.
Manche kenne ich schon seit Jahren. Ich treffe sie nur einmal im Jahr, eben hier. Oder viel­leicht noch irgendwo, wie neulich in Bologna den lang­jäh­rigen Mitar­beiter der Cine­ma­thèque Suisse, der jetzt hier im Grand Rex, dem wunder­schönen Retro­spek­ti­ven­kino von Locarno immer in der ersten Reihe sitzt.
Andere wie der Brite David Robinson kommen sogar auch nach San Sebastian zur dortigen Retro­spek­tive.
Es sind aber nicht nur alte und mittel­alte, sondern auch genauso viele neue und junge Gesichter, es sind auch Frauen, wenn auch weniger, das muss ich zugeben, die sich in diese Retro­spek­tiven zurück­ziehen und die hier im Kino ein Glück finden, das man im zeit­genös­si­schen Kino kaum noch finden kann.
Natürlich liegt der Verdacht sehr nah, dass es sicher vor allem um nost­al­gi­sches und rück­wärts­ge­wandtes Gerede handelt – aber zumindest wäre zu fragen, welche Nostalgie es genau ist, derer man sich hier bedient. »Ich hasse Nostalgie«, sagt Hans-Martin aus Basel, der aber auch immer hier ist.

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Ich glaube, es ist überhaupt keine Nostalgie. Früher war nicht alles besser. Aber früher gab es ein Kino, das es heute nicht mehr gibt, und ein Verhältnis zum Kino, das es heute nicht mehr gibt, und darum geht es. Es geht um die Sehnsucht nach den heute unaus­ge­schöpften Möglich­keiten des Kinos und des Filme­ma­chens. Da war man schon weiter. Das ist das eigent­lich Frap­pie­rende bei diesen Begeg­nungen mit früheren Filmen, Kine­ma­to­gra­phien, Regis­seuren, Studios.

Es geht auch um die Sehnsucht nach einem Kino, das als Medium immersiv war. Das heißt, es kannte keine Grenzen, nur fließende Übergänge. Es gab zwar Zensur und Verbote von außen, aber innen, unter den Kino­gän­gern, gab es nicht die Filme, die man sehen durfte, und die, die man nicht sehen durfte, die man gut finden durfte und nicht gut finden durfte. Es gab nur tausende von Möglich­keiten der Entde­ckung.

Es hat auch nichts mit Cine­philie zu tun, sondern es hat etwas mit einer Liebe zu bestimmten Erfah­rungen zu tun. Viel­leicht auch mit einer Sehnsucht, bestimmten Gefahren zu begegnen und Erfah­rungen zu machen, die man heute nicht mehr so leicht machen kann. Eine Sehnsucht nach der Gefahr, der Gefahr sich mit ganz Schlechtem, mit ganz Unfass­barem zu konfron­tieren, also sich nicht zu verschließen, sondern genau das Einreißen von Grenzen vertei­digen, das Über­schreiten von Grenzen, die Gren­z­er­fah­rung. Das ist es, was ich meine mit meiner Skepsis gegenüber dem Begriff der Cine­philie. Mir scheint dies bereits eine zu einge­hegte Erfahrung zu meinen, zu brav zu sein, zu akade­misch, zu studen­tisch.
Es geht aber um das, was gerade ein erwach­senes Verhältnis dem Kino gegenüber sein müsste, also eine univer­sale Offenheit, ein Verzicht auf Puri­ta­nismus und auf das Richten, auf das Trennen von Spreu und Weizen.

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Die Filme der Locarno-Retro­spek­tive sind nicht zu trennen von dem, was mal Kino war: eine alltäg­liche Praxis. Nichts Beson­deres, kein Event, kein bedeu­tungs­voller Akt, in dem es darum ging, Probleme zu illus­trieren, oder soziale Fragen und relevante Themen, etc...

Man kann noch nicht mal sagen: die Probleme der Gesell­schaft und die sozialen Fragen schreiben sich ins Kino ein – weil das zwar zum Teil stimmt. Aber das Gegenteil und das Umge­kehrte stimmen ebenso: Das Kino schreibt sich in die sozialen Fragen ein; es bietet Hand­lungs­an­wei­sungen, es verändert den Blick auf diese sozialen Fragen, in dem es zum Beispiel bestimmte Dinge auch mit Glamour und Aura versieht.
Das Kino ist zum Beispiel ein Medium des Empowerm­ents von Frauen und Jugend­kul­turen. Wo heute irgend­welche weißen Frauen nur darüber jammern, dass zu viele weiße Frauen in diesem und jenem Film zu sehen sind, und in den Gremien, die diese auswählen.

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Das Weltkino hat im Augen­blick seine schlimmste und schwie­rigste Phase. Und es ist keines­wegs die Iden­ti­täts­po­litik, die daran alleine Schuld trägt – wir müssen die Pandemie in ihre krassen lang­fris­tigen Folgen, die man selbst während der Pandemie auch als pessi­mis­ti­scher Realist nicht alle vorher­sehen konnte, ebenso erwähnen wie die wirt­schaft­li­chen Umbrüche, die man gar nicht mit einem einzigen Begriff beschreiben kann – und das modische und ohne Frage berech­tigte Neoli­be­ra­lismus-Bashing führt hier leider überhaupt nicht weiter, weder zu Hand­lungs­an­wei­sungen noch wenigs­tens zu Erkennt­nissen. Der Krieg ist schuld und der Entschluss unserer west­li­chen Staaten zu behaupten, in der Ukraine würden die Grenzen und Werte Europas vertei­digt und die finan­zi­ellen und sozialen Konse­quenzen dieses Entschlusses.

Das Kino, könnte man formu­lieren, ist in einem gewissen Sinn autoritär. Und auto­kra­tisch. Es leistet nämlich Komple­xi­täts­re­duk­tion und zwar radikale Komple­xi­täts­re­duk­tion, es bietet einfache Lösungen es übertönt cheesy melo­dra­ma­tisch und senti­mental hoch­kom­plexe soziale Fragen – das aller­dings ist gut so. Auch wenn man immer mit guten Gründen erklären kann, warum diese Antworten dann nicht ausrei­chen oder zum Teil sogar in die Irre führen.

Kino lässt uns in eine andere Welt reisen, Zeitreisen unter­nehmen und Weltreisen und dieser histo­ri­sche Verfrem­dungsakt kann gar nicht genug geschätzt werden. Histo­ri­sche Retro­spek­tiven rela­ti­vieren das Beste­hende, sie rela­ti­vieren unsere Wert­sys­teme und auch unsere schein­baren Errun­gen­schaften und Fort­schritte. Das Kino ist ein Alles­zer­malmer.

Und Film­ge­schichte ist mehr als ein Abgleich von Vergan­gen­heits­moral oder Vergan­genem mit Gegen­warts­moral.

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»Ich kann die Filme kaum erwarten, die seit Monaten laufen... und die, die erst um 22 Uhr laufen«, schreibt ein Luxem­burger Kollege, »es gab Zeiten, in denen das Programm einen Tick intel­li­genter und zugäng­li­cher war, und auch die Pres­se­vi­sionen werden immer fader.«

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Hysterie und Über­re­ak­tion kenn­zeichnen den Umgang großer Teile der deutschen Film­com­mu­nity mit Wolfram Weimer.

Das zeigt etwa jener »Offene Brief« an der Kultur­staats­mi­nister: »Weimer spaltet, statt zu verbinden« der »Initia­tive Queer Media Society«.

Weimers Gender­verbot sei diskri­mi­nie­rend, behauptet die Initia­tive. »Niemand soll gezwungen werden, gender­sen­sible Sprache zu benutzen! Es tut nicht weh«, heißt es da. Selbst­ver­s­tänd­lich tut es aber sprach­lich weh. »Benutzen« heißt übrigens auch Lesen, nicht nur Schreiben. Offi­zi­elle amtliche Texte in einer vom Bürger über­wie­gend abge­lehnten Schreib­weise lesen zu müssen, ist deshalb genauso abwegig wie ein Schreib­zwang. Privat verfasste Texte muss ja keiner lesen, da ist es egal.
Weimers Initia­tive ist eine inner­behörd­liche Anweisung. Sie betrifft nur den Bereich, für den Weimer verant­wort­lich ist. Alles andere kann, aber muss nicht. Es wird also niemand gezwungen.

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Das Ergebnis eines Eman­zi­pa­ti­ons­pro­zesses der Gesell­schaft hin zu einer sehr hohen Rück­sicht­nahme auf den Bürger als einzelnem Subjekt kenn­zeichnet unsere Gegenwart. Dies gilt als Fort­schritt und rundum geglückte Zunahme an Freiheit, Freiheit des Einzelnen, die aller­dings, wie man sieht, oft auf Kosten der Mehrheit geht.

Zum Beispiel dürfen Kultur­ver­an­stal­tungen und Volks­feste und Gast­stätten, die vielen Menschen Vergnügen bereiten, einge­schränkt werden, wenn Indi­vi­duen sich lärm­beläs­tigt fühlen. Denn es gilt als hohes Gut, dass möglichst wenig die Rechte des Einzelnen einschränken soll.

Und viel­leicht hat diese überall abge­seg­nete Ich-Orien­tie­rung ja auch etwas damit zu tun, dass wir immer mehr die Organe des Staates und der Gesell­schaft als Service-Agenturen ansehen, nicht als Einrich­tungen der Allge­mein­heit.

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Darüber sprach jetzt auch Michael Kötz, Direktor des Festivals des Deutschen Films, Ludwigs­hafen, zur Festival-Eröffnung.
»Der Wunsch nach Freiheit«, sagte er, »ist ohne, dass wir es so richtig gemerkt haben, ins Funda­men­ta­lis­ti­sche abge­rutscht. Wir haben es schlicht über­trieben. Dass niemand nur wegen der Allge­mein­heit auf irgend­etwas verzichten soll, gilt als normal. Um ein schönes Beispiel aus der aktuellen Nach­rich­ten­welt zu zitieren, hat ein Kölner Beamter es kürzlich ganz normal und fort­schritt­lich gefunden, dass in Köln die Spiel­plätze nicht mehr Spiel­plätze heißen sollen, weil das ja jemand so verstehen könne, als dass er dort spielen müsse, obwohl er ja viel­leicht dort sagen wir heute mal lieber singen oder turnen will. Deshalb heißen die Spiel­plätze in Köln jetzt 'Spiel- & Akti­ons­flächen'. Weitere Beispiele kennen Sie selber. Alle gehören eigent­lich in die Abteilung Comedy. Wirklich liberal ist an solchen vermeint­li­chen Rück­sicht­nahmen nichts. Denn für die Mehrheit der Kölner wird das eher ein weiteres Beispiel dafür sein, dass immer ein paar ganz kluge Einzelne mal eben alle Gewohn­heiten und Tradi­tionen kraft besseren Wissens über Bord kippen, sich also in ihrer angeb­li­chen Rück­sicht­nahme im Grunde ziemlich rück­sichtslos verhalten. Aber sie haben dabei selber das wunderbar gute Gefühl, es richtig gut zu meinen mit dieser Umbe­nen­nung, nur dass die Mehrheit daraufhin das ziemlich ungute Gefühl hat, dass ihre Gewohn­heiten, ihre vertrauten Orien­tie­rungen, einfach nichts mehr gelten. Wundert sich jemand wirklich, wenn welche daraufhin in der Wahlurne ein Kreuzchen bei denen machen, die verspre­chen, mit ihnen wäre alles wieder wie früher? ...
Es ist faszi­nie­rend zu sehen, wie an jeder Ecke unserer Gesell­schaft peinlich darauf geachtet wird, dass nur ja niemand ausge­grenzt oder über­gangen wird, durch möglichst nichts an seiner ganz indi­vi­du­ellen Entfal­tung gehindert wird. Aber was wie die große Menschen­freund­lich­keit aussieht, wie eine wunderbar liberale Gesell­schaft, das ist zugleich merk­würdig wehrlos, ja hilflos gegenüber den wirk­li­chen Unge­rech­tig­keiten, dem Wohl­stands­ge­fälle, der Tatsache, dass immer weniger Arbei­ter­kinder Abitur machen und immer mehr Kinder reicher Eltern in ihrem Leben noch reicher werden, immer mehr Menschen abgehängt und über­vor­teilt werden, während es den Privi­le­gierten nicht nur immer besser geht, sie dürfen sich obendrein jetzt auch noch richtig schön gut fühlen, sind sie doch moralisch dafür, dass es allen so gut gehen soll wie ihnen. Moralisch, also theo­re­tisch jeden­falls.
Praktisch ist die Ange­le­gen­heit doch ein bisschen verlogen, die ganze Libe­ra­lität zumindest zugleich von großer Taten­lo­sig­keit geprägt, von einer tiefen Scheu vor dem Risiko, das jeder prak­ti­schen Maßnahme innewohnt, nämlich einen Fehler zu machen. Wie gefähr­lich aber ist es für eine Gesell­schaft, wenn sie nichts mehr riskieren will? Wenn sie wirkliche Ausgren­zungen, wirkliche Macht­lo­sig­keiten und Hilf­lo­sig­keiten nicht mehr beim Namen nennt, weil sie ja durch formale Umbe­nen­nungen, Sternchen-Machen und wohl­mei­nendem Beteuern wie von Zauber­hand schon bereits als gelöst erscheinen? Während man von Libe­ra­lität und Rück­sicht­nahme redet, feiert man im Grunde, ohne es viel­leicht zu merken, den Egozen­trismus. Kompro­misse sind jeden­falls unbeliebt. Beliebt sind Egozen­triker, die einfach machen, was sie wollen...«

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Joko und Klaas waren schon immer »nützliche Idioten« – bisher der Privat­sender und des Neoli­be­ra­lismus. Des Milieus, das nur noch Geld machen und Gewinne steigern und Renditen steigern will, aber nicht mehr auf Qualität setzt, auf Film­bil­dung und Bildung der Bevöl­ke­rung setzt. Das rächt sich spätes­tens jetzt, auch natürlich in den Debatten, die wir um das Thema Israel und Juden in Deutsch­land führen. Jetzt merkt man die Bildungs­ferne der Jokos und Klaasens auch daran, dass sie als Erst­un­ter­zeichner jenes Aufrufs auftreten, der in zwei Wochen glück­li­cher­weise immer noch keine 400 Unter­schriften zusam­men­ge­bracht hat, und den auch die »Süddeut­sche Zeitung« als »nicht kompetent, sondern anmaßend« bewertete.

Ein besonders rele­vanter Vorwurf gegen diesen Aufruf und das allge­meine Enga­ge­ment deutscher »Kunst­schaf­fender« lautet: selektive Empörung. Gemeint ist damit, dass sich die deutschen Film­schaf­fenden und Kultur­schaf­fenden ungemein echauf­fieren über alles das, was nach dem 7. Oktober 2023 infolge der israe­li­schen Vertei­di­gungs­akte in Gaza und anderen Orten geschehen ist. Manche von ihnen vergessen sogar nicht, wie auch die Erklärung es schänd­li­cher­weise tat, die entführten Geiseln und die israe­li­schen Opfer zu erwähnen.

Selektive Empörung nun bedeutet das gegenüber dem Vergessen von allen möglichen anderen Dingen in der Welt, die nicht weniger schreck­lich sind, durch die gleichen Leute: z.B. dem Sudan, z.B dem Bürger­krieg in Libyen, z.B. dem Kongo, z.B. die Pogrome gegen syrische Drusen. Zu alldem und anderem nicht ein einziger Nebensatz, nicht ein Wort und nicht eine Silbe. Da diese besorgten Kunst­schaf­fenden aber viele Worte und Sätze formu­lieren zu Israel und sich an dem einzigen demo­kra­ti­schen Staat im Nahen Osten abar­beiten, ohne meistens einen Unter­schied zwischen der israe­li­schen Regierung und dem Land Israel und seinem Exis­tenz­recht zu machen, da sie hier also sehr allgemein und ober­fläch­lich urteilen, aber in allen anderen Fragen der Welt­po­litik die Klappe halten, muss man sich schon fragen, warum das so ist und dazu einige Vermu­tungen anstellen.

Meine Frage wäre zum Beispiel: Wenn ihr für einen Waffen­lie­fe­rungs­stopp gegenüber Israel eintretet, warum eigent­lich nicht auch für einen Waffen­lie­fe­rungs­stopp gegenüber Ägypten und Saudi-Arabien, zwei im Gegensatz zu Israel nicht-demo­kra­ti­schen Staaten, in denen es keine freien Medien gibt und im Fall von Saudi-Arabien nach wie vor das mittel­al­ter­liche isla­mis­ti­sche Straf­recht die Zivil­ge­sell­schaft bestimmt. Warum kein Wort dazu? Im Fall von Ägypten und Saudi-Arabien kann man ja auch nicht sagen, dass es sich um What­a­bou­tism handelt und ich jetzt von Israel nur ablenken wolle, indem ich ja völlig andere Fragen... – es dürfte selbst den hier Unter­zeich­nenden klar sein, dass Ägypten und Saudi-Arabien ganz unmit­telbar in das, was wir gerne Nahost­kon­flikt nennen, invol­viert sind.

Sprechen ja auch noch mal kurz über Ägypten. Der Gaza­streifen hat ja nicht nur eine Grenze mit Israel, sondern hat auch eine Grenze mit Ägypten. Und ab jetzt in einfacher Sprache: auch über diese Grenze könnte man also sehr gut Nahrungs­mittel und andere Dinge nach Ägypten in den Gaza­streifen liefern, von Ägypten aus in den Gaza­streifen liefern. Ebenso könnte man Flücht­linge aus dem Gaza­streifen nach Ägypten rein­lassen. Beides möchte Ägypten nicht.
Warum wird dieses doppelte Nein der Ägypter überhaupt nicht thema­ti­siert und gleich­zeitig: Warum wird Ägypten kein Genozid durch Verhun­gern­lassen vorge­worfen, während man Israel tagtäg­lich solche Vorwürfe macht? Darüber aber kein Wort. Warum?

Von Saudi-Arabien wissen wir, dass der dortige König am 7. Oktober 2023 kurz davor­stand, mit dem heute so verfehmten Benjamin Netanjahu einen Vertrag zu machen – die soge­nannten »Abraham Accords«, also einen arabisch-israe­li­schen Vertrag, der genau dem entge­gen­ge­setzt ist, wofür die Hamas eintritt.

Sorry, dass ich euch mit meinen Diffe­ren­zie­rungen belästige, aber man kann den Nahost­kon­flikt nicht durch cheesy Appelle an den Bundes­kanzler und allge­meinste Waffen­stopp-Forde­rungen lösen.
Es beschämt meine Intel­li­genz, und es beschämt den deutschen Film, wie ihr euch hier verhaltet.

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Über 400 Erst­un­ter­zeichner, zu denen auch ich gehöre, hat dafür der Aufruf der Initia­tive »aMensch«, ein Aufruf, der an die Geiseln der Hamas erinnert, darunter auch einige Deutsche, für die sich hier­zu­lande kaum wer inter­es­siert.

(to be continued)

Anmerkung:
Der Autor ist Mitar­beiter in der Auswahl­kom­mis­sion und Moderator beim Festival des deutschen Films in Ludwigs­hafen