Cinema Moralia – Wozu ein Festival da sein könnte...
Wozu ein Festival da sein könnte... |
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1995 eine kleine Offenbarung waren: Nico-Icon von Susanne Ofterdinger | ||
(Foto: Mubi) |
»Welch ein Sommer! Ich denke Sie mir im Zimmer sitzen[d], mehr Omelette als Mensch.« – Friedrich Nietzsche, 30. Juli 1887, an einen Freund
»Hot summer streets and the pavements are burning/ I sit around/Trying to smile but the air is so heavy and dry/
Strange voices are sayin′ (what did they say?)/ Things I can’t understand/
It′s too close for comfort, this heat has got right out of hand.« – Bananarama »Cruel Summer«
»Wir dürfen an Kultur und Film nicht sparen. Autokratien versuchen als Erstes, die Kunstfreiheit einzuschränken.« sagt Markus Söder. Hoffentlich hören es die ARD, wo gerade die dritte Sparwelle durch die Sender fegt, und immer bei der Kultur anfängt.
Auch beim Deutschlandfunk geht es bald los. Der Euphemismus heißt »Programmreform«. Aber langjährige Redakteurinnen sagen: Ich kenne keine Reform, die je das Programm besser gemacht hat.
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Das Gleiche gilt für die Universitäts- und Akademiereformen. Die HFF München weiß noch gar nicht, was es bedeuten wird, dass sie gezwungen wird, zur Filmuniversität zu werden. Die Lehrbedingungen werden schlechter werden, die Filme erst recht. Eine renommierte Filmhochschule wickelt sich selber ab. Selbstmord aus Angst vor dem Tod. Wie in den Sendern.
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Filmfest München 1995. 30 Jahre ist es jetzt her: Mein erstes richtiges Filmfest München. Richtig in dem Sinn, dass ich da erstmals auch als Berichterstatter war, seinerzeit für den epd Pressedienst, einer der ersten Schritte Richtung professionellen Journalismus. Ich kann mich noch sehr genau an dieses Filmfest erinnern, es ist für mich eine der intensivsten Erfahrungen: Nicolas Roeg war die Retrospektive gewidmet und er selber war da, mit seiner damaligen Frau, der
Schauspielerin Theresa Russell.
Seine allererste Regiearbeit »Performance«, noch gemeinsam mit Donald Cammell wurde für mich zu einer Offenbarung: mit Mick Jagger, Anita Pallenberg, Edward Fox, sehr sehr guter Musik und schnellen Autos, einfach der Wahnsinn, eine zögernde und zugleich fesselnde Kamera-Bewegung, der ganze Film ein Auftritt – sowohl jeder der Figuren und der Schauspieler, als auch der Musik; aber vor allem dieses Regisseurs, noch ganz in seinen Anfängen.
Gesehen habe ich damals noch mehrere Roeg-Filme; aber an diesen erinnere ich mich besonders. Dann auch der Film »The War Room« über den siegreichen Wahlkampf von Bill Clinton ein paar Jahre zuvor, der als Underdog begann und dann George W. Bush schlagen konnte. Das letzte Highlight der Direct-Cinema-Veteranen D.A. Pennebaker und Chris Hegedus hinter den Kulissen im zentralen Hauptquartier von Bill Clintons Wahlkampagne 1992 drehten. Zwar findet man hier nicht die Art von täglicher
Schadensbegrenzung und Frauengeschichten, wie sie später in »Primary Colors« indirekt angedeutet werden, doch die Filmemacher vermitteln eindrucksvoll, welch harter Kampf ein Präsidentschaftswahlkampf sein kann.
Im Mittelpunkt des Films steht James Carville, der die Kampagnenmaschinerie für Clintons ’92er Wahlkampf leitete. Im Dokumentarfilm erscheint er als ein zutiefst leidenschaftlicher, komplexer und auf seltsame Weise zeitloser Mann – einer, der in
jedes Kapitel der amerikanischen Geschichte passen könnte. Und bis heute ist er ein kauziger Politikberater und Talk-Show-Gast.
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Weitere Filme an die ich mich jetzt sofort erinnere und die alle irgendwie für mich eine kleine Offenbarung waren: Nico-Icon von Susanne Ofterdinger – erinnert sich noch irgendwer? Mein geschätzter Bekannter, der Regisseur MX Oberg erinnert sich noch! Wir beide wollten immer mal nach dieser verschwundenen Regisseurin forschen. Vielleicht gelingt es uns ja jetzt, nach
30 Jahren, noch vor der Demenz.
Dann ein Film, der mir damals gefiel, der fürchte ich, die 30 Jahre nicht so gut überstanden hat, aber der lustig war: The Madness of King George von Nicolas Hytner – ein kleiner Renner dieses Jahres auch später im Kino.
Überhaupt würde es, glaube ich zu erstaunlichen Ergebnissen führen, wenn wir alle mal ins Bücherregal gingen und im Katalog blätterten, was so alles 1995 beim Filmfest München gezeigt wurde. Auch damals zu viele Filme, aber immerhin klar geordnet in Sektionen, deren Titel man ein bisschen spießig und banal finden kann – »Französisches Kino«; »Englisches Kino«; »American Independents«; »High Hopes« und ansonsten einfach »World Cinema«, aber doch insgesamt schlüssig und klar. So wie München einmal war und wie es jedes gute Festival sein könnte.
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Ich hatte es meiner damaligen Freundin zu verdanken, endlich so tief ins Filmfest eingetaucht zu sein und vielleicht habe ich es ihr sowieso zu verdanken, dass ich Teile meines Lebens dem Kino verschrieben habe. Zu verdanken habe ich es ohne Frage auch dem Filmfest selbst – alleine schon diese Retrospektiven und Hommagen, die früher auf dem Filmfest zu sehen waren: Lina Wertmüller (1984), Nagisa Ōshima (1992), Stanley Donen (1992), Michael Haneke (1994), die ungleichen Brüder Kontschaloweski und Michalkow (1991). Und so weiter, und so weiter...
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Kann das Filmfest Ähnliches heute auch noch, für jüngere Generationen, neue Cinephile, leisten? Entdeckungen, nicht Bestätigungen, dessen was ich schon wissen? Ich gebe zu, ich bezweifle es. Ich bezweifle es, wenn ich diese jungen Akademikerinnen sehe, die schon bei einem Christian Petzold Film glücklich werden. Die Filme auf Inhalte abfragen und auf banale persönliche Bezüge, wie die glucksend zur Kenntnis genommene Entdeckung, dass die Hauptfigur Fahrrad fährt und sie selber
auch. Da müsste schon ein bisschen mehr kommen und ein bisschen mehr sein in einer Filmkritik, scheint mir.
Aber neuere Filmkritiken finde ich tatsächlich gerade auch nicht sehr interessant.
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Das alles schildere ich offen nostalgisch. Ich weiß. Ich weiß auch, dass die Zeiten vorbei sind, vorläufig jedenfalls. Dem bitteren Zynismus derjenigen und der Schwarzmalerei derjenigen, die behaupten, dass solche Zeiten nicht wiederkommen, will und muss ich mich nicht anschließen, denn das wissen sie ebenso wenig, wie ich. Und ich halte es durchaus für möglich, ja fast für sicher, dass in der Menschheitsgeschichte wieder neue hochkulturelle Zeiten kommen.
Aber wir müssen
konzedieren, dass wir in diesen gerade nicht leben und dass wir diese Renaissance der Hochkultur wahrscheinlich nicht mehr miterleben werden – und ich schreibe das hier sehr vorsichtig hin, in der Einsicht und dem Bewusstsein, dass Kulturpessimismus nicht nur eine politische Gefahr ist, wie Fritz Stern vor einigen Jahren schrieb, sondern oft genug dumm und nur das Ressentiment derjenigen, die älter werden und über die Zeiten irgendwie hinweggehen. Aber jeder Paranoiker
weiß: Die Tatsache, dass man unter Verfolgungswahn leidet, bedeutet durchaus nicht, dass man nicht wirklich verfolgt wird.
Also: Meine Vermutungen müssen nicht doofer Kulturpessimismus sein. Es gibt leider viele handfeste Indizien dafür, dass wir gerade in Zeiten der Kulturzerstörung und des kulturellen Downsizing leben.
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Zurück zum Filmfest München. Wie kann ich es nur sagen? Ich mag das Filmfest München wirklich wahnsinnig gern. Schon weil ich über 20 Jahre in der schönsten Stadt Deutschlands gewohnt habe. Und weil ich fünf Jahre fürs Filmfest gearbeitet habe, und das Filmfest bestimmt über 30 Mal besucht habe.
Ich mag auch die beiden Chefs Julia Weigl und Christoph Gröner, die außerordentliche Qualitäten haben, die viel von Kino, insbesondere von künstlerisch wertvollem Kino und vom
Autorenfilm verstehen, und mit denen man vernünftige Gespräche führen kann – was sich keineswegs von allen Festivalleitern sagen lässt.
Die übrigen Mitarbeiter des Filmfest München sind außerordentlich nett! Ich hatte einige unglaublich entzückende Begegnungen, sie sind sympathisch und es gibt absolut nichts gegen sie zu sagen, ganz im Gegenteil ist das Team – zumindest wie es sich mir in dem einwöchigen Besuch des Filmfest darstellt – eines der großen
Pluspunkte dieses Festivals. Viele Filme, die hier laufen, sind sehr sehr gut; man kann eine ganze Menge Entdeckung machen; also lohnt auch das Programm unbedingt den Besuch des Filmfest.
Und trotzdem: So geht es nicht! So geht es einfach nicht!!
Warum müssen die Reihen diese Schwachsinnsnamen haben? CineCoPro, CineMasters, CineVision, CineRebels und CineKindl?
Namen, die einfach nur diffus sind, die sich auch dem Fachpublikum nicht erschließen, die auch Leute ratlos zurücklassen, die sich ziemlich genau mit den Reihen und dem Katalog beschäftigen. Menschen, die selbst Filme in München haben, verstehen nicht, warum ihr Film in der einen Reihe läuft, und nicht in der anderen Reihe. Und das andere Publikums, die normalen
Menschen, die ein selbsternanntes »Publikumsfestival« wie München ja ansprechen will, die finden sich erst recht nicht zurecht.
Wenn sie sich zum Beispiel für französische Filme interessieren, dann gibt es keine Reihe, die »Neues französisches Kino« heißt, wo diese Filme dann alle zusammengefasst zu finden wären, ganz leicht aufgelistet und im Katalog miteinander vergleichbar. Man muss sie sich im Katalog mühsam zusammensuchen, entweder, wenn man schon Titel kennt und
Regisseursnamen oder wenn man dann immer bei den Länderzugehörigkeiten nach »Frankreich« guckt. Dann, wenn man einen guten französischen Film gesehen hat, muss man mühsam raussuchen, welche anderen französischen Filme vielleicht ähnlich gut sind.
Warum geht das nicht leichter? Mir ist schon klar, dass die allermeisten Filmfest-Zuschauer, vor allem die jungen, das ganze digital machen und hier mit der Suchfunktion sich einiges erleichtern können. Wenn nicht gerade der Akku
leer ist.
Trotzdem bleibt die Frage, warum man es nicht ihnen und allen anderen trotzdem etwas leichter machen kann mit einer klareren Reihenzuordnung?
Und Menschen, die den deutschen Wettbewerb angucken, der ja immerhin mit dem »Förderpreis deutsches Kino« Nachwuchspreise verleiht, verstehen nicht, wieso Regisseure wie Franz Müller und Dietrich Brüggemann, die alles andere als Nachwuchs sind, um zwei Beispiele zu nennen, in diesem Wettbewerb laufen. Auch hier wieder: Mir ist schon klar, dass deren Filme in dem Wettbewerb laufen, weil irgendein anderes Gewerk – Schauspieler, Produktion oder Drehbuch – für diesen
Preis in Frage kommt.
Das weiß man aber nur, wenn man es weiß; wenn man, also wie ich, einigermaßen vom Fach ist oder Menschen hat, die man fragen kann. Die normalen Zuschauer wissen es nicht und den normalen Zuschauern wird nichts an die Hand gegeben, keinerlei Kriterium, um herauszufinden, warum bestimmte Leute nominiert sind und dass sie überhaupt nominiert sind. Es interessiert das Filmfest offensichtlich nicht, dass das manchen Leuten und nicht nur den Älteren, nicht nur
irgendwelchen Boomern, und nicht nur irgendwelchen berufsmeckernden Filmkritikern alles übertrieben kompliziert ist und sie sich nach jenen Zeiten zurücksehen, in denen die Dinge ein bisschen einfacher waren – weil sie von einer am Publikum wirklich interessierten Filmfestleitung einfacher gemacht wurden.
Das größte Problem auf Erden ist, das wusste schon Jean Renoir, dass alle ihre gute Gründe haben.
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Die im Vorfeld des Filmfest in München formulierte Behauptung, »die Plattform 1 für das deutsche Filmschaffen« zu sein, entbehrt jeder Grundlage und ist einfach nur vermessen.
Wer hat die deutschen Filme ausgewählt? Es gibt bessere deutsche Filme, als die, die im Wettbewerb liefen, es gab sie in diesem Jahr sogar in Saarbrücken. Ich glaube auch, dass es dem zum Teil ja tatsächlich guten Autorenfilmen im Filmfest-Wettbewerb »Neues Deutsches Kino« nicht nutzt, sondern schadet, wenn so ein Schwachsinn wie »Mädchen Mädchen« und so eine peinliche Klamotte wie #SchwarzeSchafe in der gleichen Reihe läuft, sondern das ist eine Umgebung, die guten Filme kontaminiert. Man muss die guten Filme, die man hat, auch schützen; man muss sie anständig präsentieren; man sollte signalisieren, dass einem ein bestimmtes Kino am Herzen liegt und nicht nur irgendeines und nicht jedes Kino.
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Über 160 Filme aus 54 Ländern laufen während des 42. Filmfests vom 27. Juni bis zum 6. Juli über die Stadt verteilt. Müssen es wirklich so viele sein? Im ganzen Jahr starten in Deutschland rund 600 Filme. Hier führt Inflation zum Verderben der Ware und zu ihrer Entwertung.
Das Amerika-Haus ist nach dem Aus des Gasteig das notgedrungene Zentrum des Filmfests: Die »Biergarten-Convention« benannte Wiese mit Bierbänken simuliert für die Nicht-Münchner Gäste so etwas wie Biergarten-Feeling und druckst unentschieden zwischen VIP-Lounge und inklusivem Gäste-Meeting-Point herum. Es gibt Gutscheine für Bier, das ist nett.
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Es ist Sommerloch, es gibt kaum gute Filme im Kino. Darum besprechen die Feuilletons plötzlich Kleines groß.
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Mitarbeiter der Deutschen Welle werfen ihrem Sender journalistisches Versagen vor. Bei der Berichterstattung über den Krieg im Nahen Osten werde kontinuierlich gegen die journalistischen Standards der Pluralität, Neutralität und Unabhängigkeit verstoßen. Es werde einseitig über den Krieg zwischen der Terrororganisationen Hamas und dem Staat Israel nach dem mörderischen Angriff auf die Juden am 7. Oktober 2023 berichtet.
Kritische Berichte über die Hamas und die
libanesische Hisbollah bei Deutsche Welle TV und deren Online-Portal sowie in den sozialen Netzwerken-Auftritten des Senders seien »sehr selten bzw. fast gar nicht vorhanden«, heißt es. Stattdessen werde Israel oft als Hauptaggressor dargestellt. Es komme zur Täter-Opfer-Umkehr.
Insgesamt steht der Vorwurf im Raum, dass die Deutsche Welle den Kampf gegen den Antisemitismus nicht konsequent verfolgt. Er sei zu etwas Symbolischem geworden, sagen ehemalige Mitarbeiter des Asien-Referats. Zwar hat der Auslandssender Deutschlands nach entsprechenden Entgleisungen vor einigen Jahren intern ein Antisemitismus-Referat ins Leben gerufen. Die Beschwerden von Mitarbeitenden werden aber offenbar nicht ernst genommen, vielmehr würden Beschwerdeführer von Führungskräften schikaniert.
Dahinter stehe eine Rekrutierungspolitik der Deutschen Welle, durch die linksgerichtete und antiisraelische Mitarbeiter bei der Jobvergabe bevorzugt würden, heißt es.
So berichtet die Nachrichtenseite »evangelisch.de« und die ebenfalls von der Evengelischen Kirche verantwortete Evengelische Zeitung.