17.07.2025
Cinema Moralia – Wozu ein Festival da sein könnte...

Wozu ein Festival da sein könnte...

Nico Icon Film
1995 eine kleine Offenbarung waren: Nico-Icon von Susanne Ofterdinger
(Foto: Mubi)

Nostalgie und Hadern mit der Gegenwart, Filmfest-München-Nachklapp in Zeiten des kulturellen Downsizing – Cinema Moralia, Tagebuch eines Kinogehers, 353. Folge

Von Rüdiger Suchsland

»Welch ein Sommer! Ich denke Sie mir im Zimmer sitzen[d], mehr Omelette als Mensch.« – Friedrich Nietzsche, 30. Juli 1887, an einen Freund

»Hot summer streets and the pavements are burning/ I sit around/Trying to smile but the air is so heavy and dry/
Strange voices are sayin′ (what did they say?)/ Things I can’t under­stand/
It′s too close for comfort, this heat has got right out of hand.«
– Bananarama »Cruel Summer«

»Wir dürfen an Kultur und Film nicht sparen. Auto­kra­tien versuchen als Erstes, die Kunst­frei­heit einzu­schränken.« sagt Markus Söder. Hoffent­lich hören es die ARD, wo gerade die dritte Sparwelle durch die Sender fegt, und immer bei der Kultur anfängt.
Auch beim Deutsch­land­funk geht es bald los. Der Euphe­mismus heißt »Programm­re­form«. Aber lang­jäh­rige Redak­teu­rinnen sagen: Ich kenne keine Reform, die je das Programm besser gemacht hat.

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Das Gleiche gilt für die Univer­si­täts- und Akade­mie­re­formen. Die HFF München weiß noch gar nicht, was es bedeuten wird, dass sie gezwungen wird, zur Film­uni­ver­sität zu werden. Die Lehr­be­din­gungen werden schlechter werden, die Filme erst recht. Eine renom­mierte Film­hoch­schule wickelt sich selber ab. Selbst­mord aus Angst vor dem Tod. Wie in den Sendern.

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Filmfest München 1995. 30 Jahre ist es jetzt her: Mein erstes richtiges Filmfest München. Richtig in dem Sinn, dass ich da erstmals auch als Bericht­erstatter war, seiner­zeit für den epd Pres­se­dienst, einer der ersten Schritte Richtung profes­sio­nellen Jour­na­lismus. Ich kann mich noch sehr genau an dieses Filmfest erinnern, es ist für mich eine der inten­sivsten Erfah­rungen: Nicolas Roeg war die Retro­spek­tive gewidmet und er selber war da, mit seiner damaligen Frau, der Schau­spie­lerin Theresa Russell.
Seine aller­erste Regie­ar­beit »Perfor­mance«, noch gemeinsam mit Donald Cammell wurde für mich zu einer Offen­ba­rung: mit Mick Jagger, Anita Pallen­berg, Edward Fox, sehr sehr guter Musik und schnellen Autos, einfach der Wahnsinn, eine zögernde und zugleich fesselnde Kamera-Bewegung, der ganze Film ein Auftritt – sowohl jeder der Figuren und der Schau­spieler, als auch der Musik; aber vor allem dieses Regis­seurs, noch ganz in seinen Anfängen. Gesehen habe ich damals noch mehrere Roeg-Filme; aber an diesen erinnere ich mich besonders. Dann auch der Film »The War Room« über den sieg­rei­chen Wahlkampf von Bill Clinton ein paar Jahre zuvor, der als Underdog begann und dann George W. Bush schlagen konnte. Das letzte Highlight der Direct-Cinema-Veteranen D.A. Penne­baker und Chris Hegedus hinter den Kulissen im zentralen Haupt­quar­tier von Bill Clintons Wahl­kam­pagne 1992 drehten. Zwar findet man hier nicht die Art von täglicher Scha­dens­be­gren­zung und Frau­en­ge­schichten, wie sie später in »Primary Colors« indirekt ange­deutet werden, doch die Filme­ma­cher vermit­teln eindrucks­voll, welch harter Kampf ein Präsi­dent­schafts­wahl­kampf sein kann.
Im Mittel­punkt des Films steht James Carville, der die Kampa­gnen­ma­schi­nerie für Clintons ’92er Wahlkampf leitete. Im Doku­men­tar­film erscheint er als ein zutiefst leiden­schaft­li­cher, komplexer und auf seltsame Weise zeitloser Mann – einer, der in jedes Kapitel der ameri­ka­ni­schen Geschichte passen könnte. Und bis heute ist er ein kauziger Poli­tik­be­rater und Talk-Show-Gast.

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Weitere Filme an die ich mich jetzt sofort erinnere und die alle irgendwie für mich eine kleine Offen­ba­rung waren: Nico-Icon von Susanne Ofter­dinger – erinnert sich noch irgendwer? Mein geschätzter Bekannter, der Regisseur MX Oberg erinnert sich noch! Wir beide wollten immer mal nach dieser verschwun­denen Regis­seurin forschen. Viel­leicht gelingt es uns ja jetzt, nach 30 Jahren, noch vor der Demenz.
Dann ein Film, der mir damals gefiel, der fürchte ich, die 30 Jahre nicht so gut über­standen hat, aber der lustig war: The Madness of King George von Nicolas Hytner – ein kleiner Renner dieses Jahres auch später im Kino.

Überhaupt würde es, glaube ich zu erstaun­li­chen Ergeb­nissen führen, wenn wir alle mal ins Bücher­regal gingen und im Katalog blät­terten, was so alles 1995 beim Filmfest München gezeigt wurde. Auch damals zu viele Filme, aber immerhin klar geordnet in Sektionen, deren Titel man ein bisschen spießig und banal finden kann – »Fran­zö­si­sches Kino«; »Engli­sches Kino«; »American Inde­pend­ents«; »High Hopes« und ansonsten einfach »World Cinema«, aber doch insgesamt schlüssig und klar. So wie München einmal war und wie es jedes gute Festival sein könnte.

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Ich hatte es meiner damaligen Freundin zu verdanken, endlich so tief ins Filmfest einge­taucht zu sein und viel­leicht habe ich es ihr sowieso zu verdanken, dass ich Teile meines Lebens dem Kino verschrieben habe. Zu verdanken habe ich es ohne Frage auch dem Filmfest selbst – alleine schon diese Retro­spek­tiven und Hommagen, die früher auf dem Filmfest zu sehen waren: Lina Wert­müller (1984), Nagisa Ōshima (1992), Stanley Donen (1992), Michael Haneke (1994), die unglei­chen Brüder Kont­scha­loweski und Michalkow (1991). Und so weiter, und so weiter...

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Kann das Filmfest Ähnliches heute auch noch, für jüngere Gene­ra­tionen, neue Cinephile, leisten? Entde­ckungen, nicht Bestä­ti­gungen, dessen was ich schon wissen? Ich gebe zu, ich bezweifle es. Ich bezweifle es, wenn ich diese jungen Akade­mi­ke­rinnen sehe, die schon bei einem Christian Petzold Film glücklich werden. Die Filme auf Inhalte abfragen und auf banale persön­liche Bezüge, wie die glucksend zur Kenntnis genommene Entde­ckung, dass die Haupt­figur Fahrrad fährt und sie selber auch. Da müsste schon ein bisschen mehr kommen und ein bisschen mehr sein in einer Film­kritik, scheint mir.
Aber neuere Film­kri­tiken finde ich tatsäch­lich gerade auch nicht sehr inter­es­sant.

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Das alles schildere ich offen nost­al­gisch. Ich weiß. Ich weiß auch, dass die Zeiten vorbei sind, vorläufig jeden­falls. Dem bitteren Zynismus derje­nigen und der Schwarz­ma­lerei derje­nigen, die behaupten, dass solche Zeiten nicht wieder­kommen, will und muss ich mich nicht anschließen, denn das wissen sie ebenso wenig, wie ich. Und ich halte es durchaus für möglich, ja fast für sicher, dass in der Mensch­heits­ge­schichte wieder neue hoch­kul­tu­relle Zeiten kommen.
Aber wir müssen konze­dieren, dass wir in diesen gerade nicht leben und dass wir diese Renais­sance der Hoch­kultur wahr­schein­lich nicht mehr miter­leben werden – und ich schreibe das hier sehr vorsichtig hin, in der Einsicht und dem Bewusst­sein, dass Kultur­pes­si­mismus nicht nur eine poli­ti­sche Gefahr ist, wie Fritz Stern vor einigen Jahren schrieb, sondern oft genug dumm und nur das Ressen­ti­ment derje­nigen, die älter werden und über die Zeiten irgendwie hinweg­gehen. Aber jeder Para­noiker weiß: Die Tatsache, dass man unter Verfol­gungs­wahn leidet, bedeutet durchaus nicht, dass man nicht wirklich verfolgt wird.
Also: Meine Vermu­tungen müssen nicht doofer Kultur­pes­si­mismus sein. Es gibt leider viele handfeste Indizien dafür, dass wir gerade in Zeiten der Kultur­zer­störung und des kultu­rellen Down­si­zing leben.

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Zurück zum Filmfest München. Wie kann ich es nur sagen? Ich mag das Filmfest München wirklich wahn­sinnig gern. Schon weil ich über 20 Jahre in der schönsten Stadt Deutsch­lands gewohnt habe. Und weil ich fünf Jahre fürs Filmfest gear­beitet habe, und das Filmfest bestimmt über 30 Mal besucht habe.
Ich mag auch die beiden Chefs Julia Weigl und Christoph Gröner, die außer­or­dent­liche Quali­täten haben, die viel von Kino, insbe­son­dere von künst­le­risch wert­vollem Kino und vom Autoren­film verstehen, und mit denen man vernünf­tige Gespräche führen kann – was sich keines­wegs von allen Festi­val­lei­tern sagen lässt.
Die übrigen Mitar­beiter des Filmfest München sind außer­or­dent­lich nett! Ich hatte einige unglaub­lich entzü­ckende Begeg­nungen, sie sind sympa­thisch und es gibt absolut nichts gegen sie zu sagen, ganz im Gegenteil ist das Team – zumindest wie es sich mir in dem einwöchigen Besuch des Filmfest darstellt – eines der großen Plus­punkte dieses Festivals. Viele Filme, die hier laufen, sind sehr sehr gut; man kann eine ganze Menge Entde­ckung machen; also lohnt auch das Programm unbedingt den Besuch des Filmfest.

Und trotzdem: So geht es nicht! So geht es einfach nicht!!

Warum müssen die Reihen diese Schwach­sinns­namen haben? CineCoPro, CineMas­ters, CineVi­sion, CineRe­bels und CineKindl?
Namen, die einfach nur diffus sind, die sich auch dem Fach­pu­blikum nicht erschließen, die auch Leute ratlos zurück­lassen, die sich ziemlich genau mit den Reihen und dem Katalog beschäf­tigen. Menschen, die selbst Filme in München haben, verstehen nicht, warum ihr Film in der einen Reihe läuft, und nicht in der anderen Reihe. Und das andere Publikums, die normalen Menschen, die ein selbst­er­nanntes »Publi­kums­fes­tival« wie München ja anspre­chen will, die finden sich erst recht nicht zurecht.
Wenn sie sich zum Beispiel für fran­zö­si­sche Filme inter­es­sieren, dann gibt es keine Reihe, die »Neues fran­zö­si­sches Kino« heißt, wo diese Filme dann alle zusam­men­ge­fasst zu finden wären, ganz leicht aufge­listet und im Katalog mitein­ander vergleichbar. Man muss sie sich im Katalog mühsam zusam­men­su­chen, entweder, wenn man schon Titel kennt und Regis­seurs­namen oder wenn man dann immer bei den Länder­zu­gehö­rig­keiten nach »Frank­reich« guckt. Dann, wenn man einen guten fran­zö­si­schen Film gesehen hat, muss man mühsam raus­su­chen, welche anderen fran­zö­si­schen Filme viel­leicht ähnlich gut sind.
Warum geht das nicht leichter? Mir ist schon klar, dass die aller­meisten Filmfest-Zuschauer, vor allem die jungen, das ganze digital machen und hier mit der Such­funk­tion sich einiges erleich­tern können. Wenn nicht gerade der Akku leer ist.
Trotzdem bleibt die Frage, warum man es nicht ihnen und allen anderen trotzdem etwas leichter machen kann mit einer klareren Reihen­zu­ord­nung?

Und Menschen, die den deutschen Wett­be­werb angucken, der ja immerhin mit dem »Förder­preis deutsches Kino« Nach­wuchs­preise verleiht, verstehen nicht, wieso Regis­seure wie Franz Müller und Dietrich Brüg­ge­mann, die alles andere als Nachwuchs sind, um zwei Beispiele zu nennen, in diesem Wett­be­werb laufen. Auch hier wieder: Mir ist schon klar, dass deren Filme in dem Wett­be­werb laufen, weil irgendein anderes Gewerk – Schau­spieler, Produk­tion oder Drehbuch – für diesen Preis in Frage kommt.
Das weiß man aber nur, wenn man es weiß; wenn man, also wie ich, eini­ger­maßen vom Fach ist oder Menschen hat, die man fragen kann. Die normalen Zuschauer wissen es nicht und den normalen Zuschauern wird nichts an die Hand gegeben, keinerlei Kriterium, um heraus­zu­finden, warum bestimmte Leute nominiert sind und dass sie überhaupt nominiert sind. Es inter­es­siert das Filmfest offen­sicht­lich nicht, dass das manchen Leuten und nicht nur den Älteren, nicht nur irgend­wel­chen Boomern, und nicht nur irgend­wel­chen berufs­me­ckernden Film­kri­ti­kern alles über­trieben kompli­ziert ist und sie sich nach jenen Zeiten zurück­sehen, in denen die Dinge ein bisschen einfacher waren – weil sie von einer am Publikum wirklich inter­es­sierten Film­fest­lei­tung einfacher gemacht wurden.

Das größte Problem auf Erden ist, das wusste schon Jean Renoir, dass alle ihre gute Gründe haben.

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Die im Vorfeld des Filmfest in München formu­lierte Behaup­tung, »die Plattform 1 für das deutsche Film­schaffen« zu sein, entbehrt jeder Grundlage und ist einfach nur vermessen.

Wer hat die deutschen Filme ausge­wählt? Es gibt bessere deutsche Filme, als die, die im Wett­be­werb liefen, es gab sie in diesem Jahr sogar in Saar­brü­cken. Ich glaube auch, dass es dem zum Teil ja tatsäch­lich guten Autoren­filmen im Filmfest-Wett­be­werb »Neues Deutsches Kino« nicht nutzt, sondern schadet, wenn so ein Schwach­sinn wie »Mädchen Mädchen« und so eine peinliche Klamotte wie #Schwar­zeSchafe in der gleichen Reihe läuft, sondern das ist eine Umgebung, die guten Filme konta­mi­niert. Man muss die guten Filme, die man hat, auch schützen; man muss sie anständig präsen­tieren; man sollte signa­li­sieren, dass einem ein bestimmtes Kino am Herzen liegt und nicht nur irgend­eines und nicht jedes Kino.

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Über 160 Filme aus 54 Ländern laufen während des 42. Filmfests vom 27. Juni bis zum 6. Juli über die Stadt verteilt. Müssen es wirklich so viele sein? Im ganzen Jahr starten in Deutsch­land rund 600 Filme. Hier führt Inflation zum Verderben der Ware und zu ihrer Entwer­tung.

Das Amerika-Haus ist nach dem Aus des Gasteig das notge­drun­gene Zentrum des Filmfests: Die »Bier­garten-Conven­tion« benannte Wiese mit Bier­bänken simuliert für die Nicht-Münchner Gäste so etwas wie Bier­garten-Feeling und druckst unent­schieden zwischen VIP-Lounge und inklu­sivem Gäste-Meeting-Point herum. Es gibt Gutscheine für Bier, das ist nett.

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Es ist Sommer­loch, es gibt kaum gute Filme im Kino. Darum bespre­chen die Feuil­le­tons plötzlich Kleines groß.

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Mitar­beiter der Deutschen Welle werfen ihrem Sender jour­na­lis­ti­sches Versagen vor. Bei der Bericht­erstat­tung über den Krieg im Nahen Osten werde konti­nu­ier­lich gegen die jour­na­lis­ti­schen Standards der Plura­lität, Neutra­lität und Unab­hän­gig­keit verstoßen. Es werde einseitig über den Krieg zwischen der Terror­or­ga­ni­sa­tionen Hamas und dem Staat Israel nach dem mörde­ri­schen Angriff auf die Juden am 7. Oktober 2023 berichtet.
Kritische Berichte über die Hamas und die liba­ne­si­sche Hisbollah bei Deutsche Welle TV und deren Online-Portal sowie in den sozialen Netz­werken-Auftritten des Senders seien »sehr selten bzw. fast gar nicht vorhanden«, heißt es. Statt­dessen werde Israel oft als Haupt­ag­gressor darge­stellt. Es komme zur Täter-Opfer-Umkehr.

Insgesamt steht der Vorwurf im Raum, dass die Deutsche Welle den Kampf gegen den Anti­se­mi­tismus nicht konse­quent verfolgt. Er sei zu etwas Symbo­li­schem geworden, sagen ehemalige Mitar­beiter des Asien-Referats. Zwar hat der Auslands­sender Deutsch­lands nach entspre­chenden Entglei­sungen vor einigen Jahren intern ein Anti­se­mi­tismus-Referat ins Leben gerufen. Die Beschwerden von Mitar­bei­tenden werden aber offenbar nicht ernst genommen, vielmehr würden Beschwer­de­führer von Führungs­kräften schi­ka­niert.

Dahinter stehe eine Rekru­tie­rungs­po­litik der Deutschen Welle, durch die links­ge­rich­tete und anti­is­rae­li­sche Mitar­beiter bei der Jobver­gabe bevorzugt würden, heißt es.

So berichtet die Nach­rich­ten­seite »evan­ge­lisch.de« und die ebenfalls von der Even­ge­li­schen Kirche verant­wor­tete Even­ge­li­sche Zeitung.