10.07.2025
42. Filmfest München 2025

Über allen Gipfeln ist Ruh

Gipfel
Es ist ein Kreuz mit den Gipfeln
(Foto: Stan Shebs, CC BY-SA 3.0 , via Wikimedia Commons)

Beim 1. Münchner Filmgipfel diskutierten Politiker und Branchenvertreter zu Räumen und Finanzen und wagten den Blick in die schwierige Zukunft

Von Dunja Bialas

Es gipfelt allü­berall. Derzeit bereiten sich fünf europäi­sche Innen­mi­nister auf einen Migra­ti­ons­gipfel vor, zu dem sie der deutsche Amts­kol­lege Dobrindt einlädt. Es geht auf die Zugspitze, die erst kürzlich ein zweites Gipfel­kreuz für absturz­si­chere Selfies erhalten hat. Der Migra­ti­ons­gipfel wird also ein wörtlich genom­mener Wander­gipfel auf Deutsch­lands höchsten Berg. Hoffent­lich wird bis dahin das Wetter wieder gut, für Fernsicht und Weitblick.

Gipfel­treffen: Tanz der Titanen

Vom Gipfel bereits herun­ter­ge­stiegen ist die Film­branche. Der baye­ri­sche Minis­ter­prä­si­dent hatte am 27. Juni zum Baye­ri­schen Film­gipfel einge­laden. In der Quint­essenz ging es um die Sicherung des Film­stand­ortes Deutsch­land und gegen die Abwan­de­rung von Drehs nach Ungarn, wie Markus Söder auf der Filmfest-Eröff­nungs­bühne in der Phil­har­monie im HP8 zusam­men­fasste, die er nach langer Abstinenz wieder einmal betreten hat.

Söder findet, dass die deutsche Film­branche schwächelt. Das Filmfest München solle der Berlinale außerdem »Konkur­renz­druck« machen, wie die »Süddeut­sche Zeitung« berich­tete. Diesmal aber versprach Söder keine signi­fi­kante Budget-Erhöhung wie noch vor wenigen Jahren. Als »Söder-Millionen« ging das in die Annalen der leeren Verspre­chungen ein.

Gipfel gipfeln ja meist in Absichts­er­klärungen und Vorha­ben­be­kun­dungen. Der Kanadier Guy Maddin hat dazu mit Rumours – Tanz der Titanen zuletzt die perfekte Satire geliefert. Und auch der Baye­ri­sche Film­gipfel rang sich lediglich zu »zeitnah« und »im Laufe des nächsten Jahres« durch, als es um die Inpflicht­nahme der Strea­ming­dienste beim Umsatz-Abgabe-Film­för­de­rungs-Einzah­lungs­system ging, die der neue Kultur­staats­mi­nister Wolfram Weimer zur Chefsache gemacht hat.

Spar­zwänge und gute Gründe

Stärker in der Praxis verankert zeigte sich der 1. Münchner Film­gipfel, der unter dem Dreiklang »Krea­ti­vität vernetzen, Orte stärken, Film­kultur fördern« stattfand. Am vorletzten Spieltag des Filmfest München wurde die Veran­stal­tung im gut gefüllten Thea­ter­saal des Ameri­ka­hauses zum Aufmerk­sam­keits­ma­gnet der Branche.

1. Münchner Filmgipfel
Magnet der Branche (Foto: Kurt Krieger / FILMFEST MÜNCHEN)

Einge­laden hatten drei große Player der Münchner Festivals: der Dach­ver­band Filmstadt München, dessen größtes Mitglied DOK.fest München und das Filmfest München. Im zweis­tün­digen Panel ging es um Räume und Finanzen, beides neur­al­gi­sche Punkte in der raum­ver­knappten und teuren Landes­haupt­stadt. Erschwe­rend wirken zusätz­lich lang­fris­tige Kultur­bau­stellen wie die Sanierung des Gasteigs und der Umbau des Stadt­mu­seums, außerdem muss die Stadt für die letzten Jahre eine Reihe von Kino­schließungen verzeichnen. Der Kultur­sektor soll, Stand Oktober 2024, 16,8 Millionen Euro einsparen. Auf den gesamten Haushalt über­tragen, wird der Kultur­be­reich damit über­pro­por­tional in die Pflicht genommen: Während sein Budget nur drei Prozent beträgt, muss er neun Prozent der Gesamt­ein­spa­rungen schultern – wenn es nicht sogar noch mehr werden. Nach den Kommu­nal­wahlen im März könnte dies der Fall sein, wenn die Posten verteilt sind und Unbe­liebt­heit wieder eine Option ist.

Doch der Monat März ist noch fern an diesem heißen Julitag. Zum Auftakt des Film­gip­fels verlas die Film- und Sozi­al­wis­sen­schaft­lerin Morticia Zschie­sche eine Keynote, in der sie »10 gute Gründe« für mehr öffent­liche Inves­ti­tionen in Film- und Kino­kultur auflis­tete. Interesse weckte die Studie »Box Office and Beyond«, die unter anderem heraus­ge­funden hat, dass der Nutzen des Kinos sich auch auf die psychi­sche Gesund­heit erstreckt. Stress und Angst­zu­stände sollen demgemäß beim Filme­schauen um 93 Prozent abnehmen. Zschie­sche wies außerdem darauf hin, dass »Kino« von drei Pfeilern getragen werde: den Multi­plexen, den Programm­kinos und den kommu­nalen Kinos.

Das Zwischen­nut­zungs-Dilemma

Für die Programm­kinos, heute spricht man eher von Arthouse-Kinos, fanden sich mit Claire Schleeger von der Theatiner Filmkunst und Georg Kloster von den in Berlin und München agie­renden Yorck-Kinos zwei sehr unter­schied­liche Reprä­sen­tanten auf dem ersten Panel ein. In ihrer Mitte nahm der Münchner Zwischen­nut­zungs­profi Michi Kern Platz. Sein Credo: »Orte drängen sich auf durch Leerstand.« Kern hat unter anderem mit den Interims-Projekten Lovelace-Hotel und Sugar Mountain auf sich aufmerksam gemacht. Mit Mode­ra­torin Christina Wolf sprachen sie über Räume, Schließungen und Leerstand.

1. Münchner Filmgipfel
Räume: Claire Schleeger, Michi Kern, Mode­ra­torin Wolf, Georg Kloster (v.l.) (Foto: Kurt Krieger / FILMFEST MÜNCHEN)

Von tempo­rären Orten erwar­teten sich die Veran­stalter neue Impulse, wie mit dem Sugar Mountain, das für das Filmfest während der schwie­rigen Corona-Jahre wichtig wurde. Das könnte Abhilfe schaffen, wenn der Immo­bi­li­en­druck zu hoch wird und die Nutzungs­um­wid­mung zur Kino­schließung führt, wie in den vergan­genen zehn Jahren: man denke an das Eldorado, die Kinos Münchner Freiheit oder das Film­theater Send­linger Tor.

Dass sich jedoch selten positive Korre­la­tionen von Zwischen­nut­zungen und Kinosälen ergeben, zeigt das Beispiel des Gasteigs, der in einer Inte­rims­sack­gasse festhängt. Der Gebäu­de­kom­plex am Rosen­heimer Platz wird momentan durch das FatCat bespielt, hat aber kein Kino mehr, obgleich es zuvor im Carl-Améry-Kinosaal sogar einen funk­ti­ons­tüch­tigen 35mm-Projektor gab. Das Ausweich­quar­tier im Interims-Gasteig HP8 hat wiederum mit dem »Projektor« einen Kinosaal bekommen, der nur unter großen Abstri­chen geeignet sei, betonte Moni Haas von der Filmstadt München, deren Gruppen viel und oft den Gasteig HP8 bespielen. Michi Kern räumte zudem ein, dass es ihm aufgrund der tech­ni­schen und damit einher­ge­henden finan­zi­ellen Anfor­de­rungen noch nicht gelungen sei, einen echten Kinoraum mit guter Projek­tion und Ton anzu­bieten. Wer sich an die Film­vor­füh­rungen im Sugar Mountain erinnert, wird dies bestä­tigen.

Open Air und Autokino, nach Filmfest-Chef Christoph Gröner High­lights der Corona-Impro­vi­sa­tionen, lehnten die anwe­senden Kino­be­treiber ab. Aus Gründen der Konkur­renz, aber auch des Cine­as­ten­tums. Ähnlich verhalte es sich mit anderen alter­na­tiven Spiel­räumen, die Frage, ob sie gemein­same Sache mit Michi Kern machen würden, wurde beredt wegge­schmun­zelt.

Bestand und Notstand

Anstatt also nach immer neuen Räumen zu suchen, sollte man sich lieber um den Bestand der Kinos sorgen, bekräf­tigte Mona Fuchs, Vorsit­zende der Stadt­rats­frak­tion Die Grünen/Rosa Liste auf dem zweiten Podium. Auch die Frak­ti­ons­vor­sit­zende von SPD/Volt Anne Hübner und der OB-Kandidt der CSU Clemens Baum­gärtner nahmen Platz. Mit Michael Ott, Leiter der Abteilung 1 im Kultur­re­ferat, und der FFF-Chefin Dorothee Erpen­stein waren auch Reprä­sen­tanten der kommu­nalen und regio­nalen Förder­stellen vertreten.

1. Münchner Filmgipfel
Finanzen: Clemens Baum­gärtner, Mona Fuchs, Anne Hübner, Michael Ott, Dorothee Erpen­stein (v.l.) (Foto: Kurt Krieger / FILMFEST MÜNCHEN)

Georg Kloster hatte dargelegt, dass nach der Schließung eines Kinos die Besucher sich nicht auf die übrigen Häuser verteilten, sondern eher verloren gingen. Auch das Film­mu­seum München könnte von diesem merk­wür­digen Gesetz des Marktes betroffen sein, wenn es ab 2027 für drei bis fünf Jahre schließen soll, obgleich im Saal und Vorführ­raum anders als im Stadt­mu­seum und ehema­ligen Stadtcafé kein Umbau statt­findet. Die Stadt bemühe sich derzeit um eine Lösung für das kommunale Kino, betonte Mona Fuchs. Das Film­mu­seum sei eine altein­ge­ses­sene Insti­tu­tion, könne aber auch »den ein oder anderen frischen Wind« vertragen. »Wir sehen das auch als Chance«, sagte sie.

Einzel­häuser seien »besonders schwer zu betreiben«, hatte Kloster außerdem betont. In München bespielt er mit seiner Kino­gruppe fünf Leinwände in den City-Kinos, in Berlin mehrere Einzel­häuser unter Gesamt­buch­hal­tung. Die wirt­schaft­liche Erfolgs­si­che­rung kommt also durch Spielstätten-Multi­pli­ka­tion, die auch Christian Pfeil und Markus Eisele von den Neo-Kinos kommunal, regional und sogar bundes­weit umsetzen. In dieser Liga lohnen sich Flatrate-Programme und Kinopässe, die das Publikum zusätz­lich an die Häuser binden. Schleeger, die an Expansion nicht denken kann, betonte die finan­zi­elle Wich­tig­keit des Kino­pro­gramm­preises der Landes­haupt­stadt München. Diese wurden in den letzten Jahren auf neun Spielstätten erhöht. »Und werden auch nicht angefasst.« Michael Ott betonte im Hinblick auf die Finan­zie­rung der städ­ti­schen Film- und Kino­kultur das Enga­ge­ment der Stadt im Rahmen des Möglichen.

Claire Schleeger hatte außerdem darauf hinge­weisen, dass es mit dem Wegfall der Filmseite und der Abschaf­fung des täglichen Kino­pro­gramms in der »Süddeut­schen Zeitung« keine Plattform in den Print­me­dien mehr gäbe, wo man sich über das Kino infor­mieren könne. Das vom Kultur­re­ferat München geför­derte »artechock« kann als reines Online-Magazin den Verlust der Druck­me­dien natürlich nicht kompen­sieren, ist aber mit um die 300.000 Seiten­zu­griffen monatlich die zentrale Anlauf­stelle für Kino, Filme und das Münchner Kino­pro­gramm, sei an dieser Stelle angemerkt. Aber auch für uns gibt es Grenzen. Auch wir können nicht über alle Film­reihen berichten, aus Perso­nal­mangel und wegen der schwie­rigen Finanz­lage.

Als »Kampagne der Sicht­bar­keit«, wie sie Schleeger anregte, können indes die von der Stadt geför­derten Film­kunst­wo­chen München gelten, die jetzt, kurz nach dem Filmfest München, in der ganzen Stadt mit gelben Plakaten von den Kultur­säulen leuchten und am 30. Juli in ihre 73. Augabe starten.

Ein weiteres Enga­ge­ment für Kino und Film seitens der Stadt sind die Starter-Film­preise, die es seit 40 Jahren gibt. Selbst wenn die Töpfe für andere Projekte kleiner werden, sagte Ott, halte man an den Preisen fest und rüttele auch nicht an der Finan­zie­rung der großen Festi­val­un­ter­neh­mungen Filmstadt München, DOK.fest und Filmfest.

Filmstadt in der Krise?

Das ist erst einmal eine gute Nachricht. Wie sich massive Kürzungen auswirken, bemerkt gerade Leipzig. Die aktuelle Ausgabe der »Kinema kommunal« vom Bundes­ver­band kommunale Film­ar­beit stellt unter dem Titel »Filmland in der Krise« detail­liert dar, »wie Sachsen seine Film­kultur aufs Spiel setzt«. Betroffen sind die renom­mierten Festivals DOK Leipzig, das Filmfest Dresden, das Neisse Film­fes­tival und das Kurz­film­fes­tival Kurz­süchtig. Bereits geneh­migte und ausbe­zahlte Gelder wurden zurück­ge­rufen, die Festivals stehen vor Liqui­di­täts­pro­blemen. Der Grund: Die säch­si­sche Minder­heits­re­gie­rung konnte erst in der letzten Juniwoche einen gültigen Haushalt für 2025/26 aufstellen, insbe­son­dere die freien Projekte sind von Kürzungen in Höhe von 38 Millionen Euro betroffen.

Anne Hübner, Vorsit­zende der Stadt­rats­frak­tion der SPD/Volt, zeigte sich weniger opti­mis­tisch als ihr Partei­kol­lege Ott. »Ich will gar nicht verschweigen, dass es im kommenden Jahr nicht einfach wird, immer prozen­tual Politik zu machen. Man muss Prio­ri­täten setzen. Man muss sich auch in der Infra­struktur in München für das entscheiden, was man erhalten will. Da kommen schwie­rige Diskus­sionen auf uns zu.« Gleich­zeitig räumte sie ein, dass die Stadt im Kultur­be­reich gar nicht »mit so viel Geld« drin­stecke, auch sie wolle, dass dieser Betrag erhalten bleibe.

Anders als auf kommu­naler Ebene seien auf Landes­ebene die Film­för­der­mittel konti­nu­ier­lich gestiegen, erläu­terte Dorothee Erpen­stein vom FFF Bayern. Aktuell fließen 43 Millionen Euro in Film­pro­duk­tion, Inves­ti­ti­ons­för­de­rung und Kino-Programm­prä­mien. Neue Förder­richt­li­nien erlaubten dieses Jahr außerdem erstmals jenseits der Leucht­turm­pro­jekte, auch in den baye­ri­schen Metro­polen München und Nürnberg kleinere Festivals zu fördern, darunter UNDERDOX, das die Förder­be­din­gungen erfüllte.

Kultur­po­litik für alle!

Zum Abschluss brachte die Geschäfts­füh­rerin der Filmstadt München noch den Wunsch der freien Festi­valszene nach einem Filmhaus ein. Auch der Gasteig, für den sich immer noch kein Investor gefunden hat, kam noch einmal auf die Bühne. »Eine Entschei­dung zur Sanierung werde erst Ende der Zwan­zi­ger­jahre fallen«, sagte Anne Hübner. Der Betrieb werde nach Fertig­stel­lung den Haushalt zudem jährlich 40 bis 60 Millionen Euro kosten. »Wir müssen aufpassen, dass wir nicht für ein paar Pres­ti­ge­pro­jekte viel von unserer kultu­rellen und sozialen Land­schaft gefährden.« Michael Ott betonte, dass der in den Acht­zi­gern errich­tete Gasteig »gebaute sozi­al­de­mo­kra­ti­sche Kultur­po­litik für alle« sei, da hier Biblio­thek, Volks­hoch­schule und Hoch­kultur zusam­men­liefen. Das und die kleinen Projekte sollte man nicht gegen­ein­ander stellen.

Dass die Vertei­lungs­kämpfe oder zumindest die dazu­gehö­rigen Diskus­sionen im Stadtrat womöglich bereits hinter geschlos­senen Türen im Gange sind, klang in dem Wunsch von Hübner an, auch in Zukunft keine Sektoren gegen­ein­ander auszu­spielen: Das Soziale nicht gegen die Kultur, die Bildung nicht gegen den Klima­schutz. »Aber man wird Fragen beant­worten müssen.«

Der 1. Film­gipfel gab ange­sichts dieser deut­li­chen Worte am Ende der zweis­tün­digen Veran­stal­tung einen Einblick in die Proble­ma­tiken und Dilemmata der Förder­seite. Die Dring­lich­keit der Belange zu Bestand und Entwick­lung der Film- und Kino­kultur in München wiederum werden die Poli­ti­ke­rinnen und Politiker hoffent­lich in die Ausschüsse und Haus­halts­pla­nungen mitnehmen. Was und ob etwas umgesetzt wird, bleibt abzu­warten.

Mit Blick auf die ungewisse Zukunft lässt sich mit Toco­tronic nur eines mit Sicher­heit sagen: So jung kommen wir nicht mehr zusammen.

Im Nachklapp zur Veran­stal­tung wollen wir uns beim Kultur­re­ferat der Landes­haupt­stadt München bedanken, das »artechock« fördert. Auch die Autorin hat Grund, sich über das Enga­ge­ment der Stadt zu freuen. Sie ist orga­ni­sa­to­ri­sche Co-Leiterin der Film­kunst­wo­chen München und als Co-Leiterin des UNDERDOX Festivals Mitglied in der Filmstadt München. Über die FFF-Förderung ist sie außerdem total happy. Und spricht allen Seiten einen großen Dank aus.