42. Filmfest München 2025
Über allen Gipfeln ist Ruh |
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Es ist ein Kreuz mit den Gipfeln | ||
(Foto: Stan Shebs, CC BY-SA 3.0 , via Wikimedia Commons) |
Von Dunja Bialas
Es gipfelt allüberall. Derzeit bereiten sich fünf europäische Innenminister auf einen Migrationsgipfel vor, zu dem sie der deutsche Amtskollege Dobrindt einlädt. Es geht auf die Zugspitze, die erst kürzlich ein zweites Gipfelkreuz für absturzsichere Selfies erhalten hat. Der Migrationsgipfel wird also ein wörtlich genommener Wandergipfel auf Deutschlands höchsten Berg. Hoffentlich wird bis dahin das Wetter wieder gut, für Fernsicht und Weitblick.
Vom Gipfel bereits heruntergestiegen ist die Filmbranche. Der bayerische Ministerpräsident hatte am 27. Juni zum Bayerischen Filmgipfel eingeladen. In der Quintessenz ging es um die Sicherung des Filmstandortes Deutschland und gegen die Abwanderung von Drehs nach Ungarn, wie Markus Söder auf der Filmfest-Eröffnungsbühne in der Philharmonie im HP8 zusammenfasste, die er nach langer Abstinenz wieder einmal betreten hat.
Söder findet, dass die deutsche Filmbranche schwächelt. Das Filmfest München solle der Berlinale außerdem »Konkurrenzdruck« machen, wie die »Süddeutsche Zeitung« berichtete. Diesmal aber versprach Söder keine signifikante Budget-Erhöhung wie noch vor wenigen Jahren. Als »Söder-Millionen« ging das in die Annalen der leeren Versprechungen ein.
Gipfel gipfeln ja meist in Absichtserklärungen und Vorhabenbekundungen. Der Kanadier Guy Maddin hat dazu mit Rumours – Tanz der Titanen zuletzt die perfekte Satire geliefert. Und auch der Bayerische Filmgipfel rang sich lediglich zu »zeitnah« und »im Laufe des nächsten Jahres« durch, als es um die Inpflichtnahme der Streamingdienste beim Umsatz-Abgabe-Filmförderungs-Einzahlungssystem ging, die der neue Kulturstaatsminister Wolfram Weimer zur Chefsache gemacht hat.
Stärker in der Praxis verankert zeigte sich der 1. Münchner Filmgipfel, der unter dem Dreiklang »Kreativität vernetzen, Orte stärken, Filmkultur fördern« stattfand. Am vorletzten Spieltag des Filmfest München wurde die Veranstaltung im gut gefüllten Theatersaal des Amerikahauses zum Aufmerksamkeitsmagnet der Branche.
Eingeladen hatten drei große Player der Münchner Festivals: der Dachverband Filmstadt München, dessen größtes Mitglied DOK.fest München und das Filmfest München. Im zweistündigen Panel ging es um Räume und Finanzen, beides neuralgische Punkte in der raumverknappten und teuren Landeshauptstadt. Erschwerend wirken zusätzlich langfristige Kulturbaustellen wie die Sanierung des Gasteigs und der Umbau des Stadtmuseums, außerdem muss die Stadt für die letzten Jahre eine Reihe von Kinoschließungen verzeichnen. Der Kultursektor soll, Stand Oktober 2024, 16,8 Millionen Euro einsparen. Auf den gesamten Haushalt übertragen, wird der Kulturbereich damit überproportional in die Pflicht genommen: Während sein Budget nur drei Prozent beträgt, muss er neun Prozent der Gesamteinsparungen schultern – wenn es nicht sogar noch mehr werden. Nach den Kommunalwahlen im März könnte dies der Fall sein, wenn die Posten verteilt sind und Unbeliebtheit wieder eine Option ist.
Doch der Monat März ist noch fern an diesem heißen Julitag. Zum Auftakt des Filmgipfels verlas die Film- und Sozialwissenschaftlerin Morticia Zschiesche eine Keynote, in der sie »10 gute Gründe« für mehr öffentliche Investitionen in Film- und Kinokultur auflistete. Interesse weckte die Studie »Box Office and Beyond«, die unter anderem herausgefunden hat, dass der Nutzen des Kinos sich auch auf die psychische Gesundheit erstreckt. Stress und Angstzustände sollen demgemäß beim Filmeschauen um 93 Prozent abnehmen. Zschiesche wies außerdem darauf hin, dass »Kino« von drei Pfeilern getragen werde: den Multiplexen, den Programmkinos und den kommunalen Kinos.
Für die Programmkinos, heute spricht man eher von Arthouse-Kinos, fanden sich mit Claire Schleeger von der Theatiner Filmkunst und Georg Kloster von den in Berlin und München agierenden Yorck-Kinos zwei sehr unterschiedliche Repräsentanten auf dem ersten Panel ein. In ihrer Mitte nahm der Münchner Zwischennutzungsprofi Michi Kern Platz. Sein Credo: »Orte drängen sich auf durch Leerstand.« Kern hat unter anderem mit den Interims-Projekten Lovelace-Hotel und Sugar Mountain auf sich aufmerksam gemacht. Mit Moderatorin Christina Wolf sprachen sie über Räume, Schließungen und Leerstand.
Von temporären Orten erwarteten sich die Veranstalter neue Impulse, wie mit dem Sugar Mountain, das für das Filmfest während der schwierigen Corona-Jahre wichtig wurde. Das könnte Abhilfe schaffen, wenn der Immobiliendruck zu hoch wird und die Nutzungsumwidmung zur Kinoschließung führt, wie in den vergangenen zehn Jahren: man denke an das Eldorado, die Kinos Münchner Freiheit oder das Filmtheater Sendlinger Tor.
Dass sich jedoch selten positive Korrelationen von Zwischennutzungen und Kinosälen ergeben, zeigt das Beispiel des Gasteigs, der in einer Interimssackgasse festhängt. Der Gebäudekomplex am Rosenheimer Platz wird momentan durch das FatCat bespielt, hat aber kein Kino mehr, obgleich es zuvor im Carl-Améry-Kinosaal sogar einen funktionstüchtigen 35mm-Projektor gab. Das Ausweichquartier im Interims-Gasteig HP8 hat wiederum mit dem »Projektor« einen Kinosaal bekommen, der nur unter großen Abstrichen geeignet sei, betonte Moni Haas von der Filmstadt München, deren Gruppen viel und oft den Gasteig HP8 bespielen. Michi Kern räumte zudem ein, dass es ihm aufgrund der technischen und damit einhergehenden finanziellen Anforderungen noch nicht gelungen sei, einen echten Kinoraum mit guter Projektion und Ton anzubieten. Wer sich an die Filmvorführungen im Sugar Mountain erinnert, wird dies bestätigen.
Open Air und Autokino, nach Filmfest-Chef Christoph Gröner Highlights der Corona-Improvisationen, lehnten die anwesenden Kinobetreiber ab. Aus Gründen der Konkurrenz, aber auch des Cineastentums. Ähnlich verhalte es sich mit anderen alternativen Spielräumen, die Frage, ob sie gemeinsame Sache mit Michi Kern machen würden, wurde beredt weggeschmunzelt.
Anstatt also nach immer neuen Räumen zu suchen, sollte man sich lieber um den Bestand der Kinos sorgen, bekräftigte Mona Fuchs, Vorsitzende der Stadtratsfraktion Die Grünen/Rosa Liste auf dem zweiten Podium. Auch die Fraktionsvorsitzende von SPD/Volt Anne Hübner und der OB-Kandidt der CSU Clemens Baumgärtner nahmen Platz. Mit Michael Ott, Leiter der Abteilung 1 im Kulturreferat, und der FFF-Chefin Dorothee Erpenstein waren auch Repräsentanten der kommunalen und regionalen Förderstellen vertreten.
Georg Kloster hatte dargelegt, dass nach der Schließung eines Kinos die Besucher sich nicht auf die übrigen Häuser verteilten, sondern eher verloren gingen. Auch das Filmmuseum München könnte von diesem merkwürdigen Gesetz des Marktes betroffen sein, wenn es ab 2027 für drei bis fünf Jahre schließen soll, obgleich im Saal und Vorführraum anders als im Stadtmuseum und ehemaligen Stadtcafé kein Umbau stattfindet. Die Stadt bemühe sich derzeit um eine Lösung für das kommunale Kino, betonte Mona Fuchs. Das Filmmuseum sei eine alteingesessene Institution, könne aber auch »den ein oder anderen frischen Wind« vertragen. »Wir sehen das auch als Chance«, sagte sie.
Einzelhäuser seien »besonders schwer zu betreiben«, hatte Kloster außerdem betont. In München bespielt er mit seiner Kinogruppe fünf Leinwände in den City-Kinos, in Berlin mehrere Einzelhäuser unter Gesamtbuchhaltung. Die wirtschaftliche Erfolgssicherung kommt also durch Spielstätten-Multiplikation, die auch Christian Pfeil und Markus Eisele von den Neo-Kinos kommunal, regional und sogar bundesweit umsetzen. In dieser Liga lohnen sich Flatrate-Programme und Kinopässe, die das Publikum zusätzlich an die Häuser binden. Schleeger, die an Expansion nicht denken kann, betonte die finanzielle Wichtigkeit des Kinoprogrammpreises der Landeshauptstadt München. Diese wurden in den letzten Jahren auf neun Spielstätten erhöht. »Und werden auch nicht angefasst.« Michael Ott betonte im Hinblick auf die Finanzierung der städtischen Film- und Kinokultur das Engagement der Stadt im Rahmen des Möglichen.
Claire Schleeger hatte außerdem darauf hingeweisen, dass es mit dem Wegfall der Filmseite und der Abschaffung des täglichen Kinoprogramms in der »Süddeutschen Zeitung« keine Plattform in den Printmedien mehr gäbe, wo man sich über das Kino informieren könne. Das vom Kulturreferat München geförderte »artechock« kann als reines Online-Magazin den Verlust der Druckmedien natürlich nicht kompensieren, ist aber mit um die 300.000 Seitenzugriffen monatlich die zentrale Anlaufstelle für Kino, Filme und das Münchner Kinoprogramm, sei an dieser Stelle angemerkt. Aber auch für uns gibt es Grenzen. Auch wir können nicht über alle Filmreihen berichten, aus Personalmangel und wegen der schwierigen Finanzlage.
Als »Kampagne der Sichtbarkeit«, wie sie Schleeger anregte, können indes die von der Stadt geförderten Filmkunstwochen München gelten, die jetzt, kurz nach dem Filmfest München, in der ganzen Stadt mit gelben Plakaten von den Kultursäulen leuchten und am 30. Juli in ihre 73. Augabe starten.
Ein weiteres Engagement für Kino und Film seitens der Stadt sind die Starter-Filmpreise, die es seit 40 Jahren gibt. Selbst wenn die Töpfe für andere Projekte kleiner werden, sagte Ott, halte man an den Preisen fest und rüttele auch nicht an der Finanzierung der großen Festivalunternehmungen Filmstadt München, DOK.fest und Filmfest.
Das ist erst einmal eine gute Nachricht. Wie sich massive Kürzungen auswirken, bemerkt gerade Leipzig. Die aktuelle Ausgabe der »Kinema kommunal« vom Bundesverband kommunale Filmarbeit stellt unter dem Titel »Filmland in der Krise« detailliert dar, »wie Sachsen seine Filmkultur aufs Spiel setzt«. Betroffen sind die renommierten Festivals DOK Leipzig, das Filmfest Dresden, das Neisse Filmfestival und das Kurzfilmfestival Kurzsüchtig. Bereits genehmigte und ausbezahlte Gelder wurden zurückgerufen, die Festivals stehen vor Liquiditätsproblemen. Der Grund: Die sächsische Minderheitsregierung konnte erst in der letzten Juniwoche einen gültigen Haushalt für 2025/26 aufstellen, insbesondere die freien Projekte sind von Kürzungen in Höhe von 38 Millionen Euro betroffen.
Anne Hübner, Vorsitzende der Stadtratsfraktion der SPD/Volt, zeigte sich weniger optimistisch als ihr Parteikollege Ott. »Ich will gar nicht verschweigen, dass es im kommenden Jahr nicht einfach wird, immer prozentual Politik zu machen. Man muss Prioritäten setzen. Man muss sich auch in der Infrastruktur in München für das entscheiden, was man erhalten will. Da kommen schwierige Diskussionen auf uns zu.« Gleichzeitig räumte sie ein, dass die Stadt im Kulturbereich gar nicht »mit so viel Geld« drinstecke, auch sie wolle, dass dieser Betrag erhalten bleibe.
Anders als auf kommunaler Ebene seien auf Landesebene die Filmfördermittel kontinuierlich gestiegen, erläuterte Dorothee Erpenstein vom FFF Bayern. Aktuell fließen 43 Millionen Euro in Filmproduktion, Investitionsförderung und Kino-Programmprämien. Neue Förderrichtlinien erlaubten dieses Jahr außerdem erstmals jenseits der Leuchtturmprojekte, auch in den bayerischen Metropolen München und Nürnberg kleinere Festivals zu fördern, darunter UNDERDOX, das die Förderbedingungen erfüllte.
Zum Abschluss brachte die Geschäftsführerin der Filmstadt München noch den Wunsch der freien Festivalszene nach einem Filmhaus ein. Auch der Gasteig, für den sich immer noch kein Investor gefunden hat, kam noch einmal auf die Bühne. »Eine Entscheidung zur Sanierung werde erst Ende der Zwanzigerjahre fallen«, sagte Anne Hübner. Der Betrieb werde nach Fertigstellung den Haushalt zudem jährlich 40 bis 60 Millionen Euro kosten. »Wir müssen aufpassen, dass wir nicht für ein paar Prestigeprojekte viel von unserer kulturellen und sozialen Landschaft gefährden.« Michael Ott betonte, dass der in den Achtzigern errichtete Gasteig »gebaute sozialdemokratische Kulturpolitik für alle« sei, da hier Bibliothek, Volkshochschule und Hochkultur zusammenliefen. Das und die kleinen Projekte sollte man nicht gegeneinander stellen.
Dass die Verteilungskämpfe oder zumindest die dazugehörigen Diskussionen im Stadtrat womöglich bereits hinter geschlossenen Türen im Gange sind, klang in dem Wunsch von Hübner an, auch in Zukunft keine Sektoren gegeneinander auszuspielen: Das Soziale nicht gegen die Kultur, die Bildung nicht gegen den Klimaschutz. »Aber man wird Fragen beantworten müssen.«
Der 1. Filmgipfel gab angesichts dieser deutlichen Worte am Ende der zweistündigen Veranstaltung einen Einblick in die Problematiken und Dilemmata der Förderseite. Die Dringlichkeit der Belange zu Bestand und Entwicklung der Film- und Kinokultur in München wiederum werden die Politikerinnen und Politiker hoffentlich in die Ausschüsse und Haushaltsplanungen mitnehmen. Was und ob etwas umgesetzt wird, bleibt abzuwarten.
Mit Blick auf die ungewisse Zukunft lässt sich mit Tocotronic nur eines mit Sicherheit sagen: So jung kommen wir nicht mehr zusammen.
Im Nachklapp zur Veranstaltung wollen wir uns beim Kulturreferat der Landeshauptstadt München bedanken, das »artechock« fördert. Auch die Autorin hat Grund, sich über das Engagement der Stadt zu freuen. Sie ist organisatorische Co-Leiterin der Filmkunstwochen München und als Co-Leiterin des UNDERDOX Festivals Mitglied in der Filmstadt München. Über die FFF-Förderung ist sie außerdem total happy. Und spricht allen Seiten einen großen Dank aus.