42. Filmfest München 2025
Zehn Impressionen vom 42. Filmfest München |
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(Foto: Edelmann, Ruppert) |
Von Anna Edelmann und Paula Ruppert
Haben sie dir schon ein Bett aufgestellt?, fragte eine Mitbewohnerin, als eine von uns beiden mal wieder spät nachts – oder früh morgens, je nach Sichtweise – nach Hause kam. Es ist Juli, bis zum Oktoberfest ist noch ein wenig Zeit, also kann diese amüsierte Beobachtung nur eines bedeuten: Es war wieder Filmfest in München.
Aber was machen wir da eigentlich, außer – nun ja – Filme feiern? Was treiben wir den ganzen Tag und die halbe Nacht? Anlass genug für
uns, ein paar Impressionen zu teilen und einen ehrlichen Einblick ins Festivalleben zu geben.
Impression, die Erste:
Wir wissen nicht, ob Sie es gemerkt haben, aber es war heiß in der Stadt. Was für ein Glück, dass das Filmfest allein durch seine kalendarische Position so geschickt ein Allheilmittel gegen zu aufgesetzten Glamour eingebaut hat. Auf Premieren und Empfängen zerfallen kunstvolle Frisuren in weiche Wellen und steife Anzüge schmelzen den würdevollen Trägern wie von selbst von den Schultern.
Unter der südlichen Sonne Münchens kann man alle
Statusunterschiede geflissentlich hinweg wischen, oder sie verschwimmen ganz von selbst.
Impression, die Zweite:
Wer mit so viel Wärme empfangen wird, der freut sich über die wohltemperierten Kinosäle. Inzwischen beträgt der gefühlte Temperaturunterschied zwischen der sommerlichen Wärmewand draußen und dem Kinosessel mit Kältekissen nicht mehr wie einst 15 Grad. Vor zwei Jahren noch erkältete sich die halbe Redaktion; dieses Jahr blieben die vorsorglich eingesteckten Jacken und Schals fast unbenutzt. Das erspart uns nicht nur die lästige
Filmfesterkältung (neben der Wiesngrippe die zweite, ur-münchnerische Saisonkrankheit), sondern auch die verwirrten Blicke des übrigen Publikums, wenn man bei über 30 Grad Außentemperatur wie selbstverständlich eine Bommelmütze aus der Tasche zaubert.
Impression, die Dritte:
Irgendwann hat es also angefangen, das Filmfest. Wann genau – das stellt sich schnell heraus – ist bei vielen Besuchern eine Glaubensfrage. Laut offiziellen Angaben startete das Festival bereits am Freitag, den 27. Juni, doch die feierliche Eröffnung findet erst einen Abend später statt, am Samstag. Dazwischen liegen Pressevorführungen, die dem regulären Publikum jedoch kaum helfen, richtig ins Festival zu starten. Man läuft
ebenfalls orientierungslosen Kolleg*innen über den Weg, von denen aber auch niemand so recht weiß, was man tun oder was man sich ansehen soll. Letztlich ist die Lösung oft, dass man sich einfach gemütlich vor dem – gefühlten – Festivalbeginn zusammensetzt und sich existenziellen Fragen widmet wie: »Warum sind wir hier?«
Das ist gesellig und entspannt, doch dennoch bleiben Bedenken, dass dieser kleine Warm-up, dieser Soft-Start, einen eben nicht sanft in den Trubel
hineingleiten lässt. Vielmehr verwirrt er – wie bei einem Rennen, bei dem nur die Hälfte den Startschuss hört und losläuft, während sich die andere Hälfte an der Startlinie noch gemütlich ein Bier aufmacht.
Impression, die Vierte:
Apropos Bier: Um die wohlverdiente Gunst seiner Akkreditierten hatte sich das Filmfest erneut mit dem »Bierpass« bemüht. Ein sehr bayerischer Anreiz für Fachbesucher, beim Netzwerken in der »Beergarden Convention« am Amerikahaus vorbeizuschauen. Andere sammelten Sticker zur Frauen-EM 2025; wir ließen uns dagegen begeistert den Bierpass abstempeln (mit vollem Erfolg, möchten wir dazusagen).
Während man sich im letzten Jahr in seinen
Bierpass mit fünf Freigetränken auch Schorlen eintragen lassen konnte, ging in diesem Jahr wirklich nur Bier – echtes oder alkoholfreies. Die Begründung lautete: Es handele sich schließlich um eine Kooperation mit dem Sponsor. Ob es im Hofbräuhaus wohl irgendwann auch nur noch Bier geben wird?
Impression, die Fünfte:
»Ich kann Ihnen versichern, dass auf diesem Festival das Publikum nicht zur Unterhaltung ins Kino geht!« Wenn ein Programmer im Eifer eines Q&As mit solch einem wunderbar zitierbaren Satz einen Regisseur beruhigen will, muss man trotzdem kurz schmunzeln. Gemeint ist, dass das Münchner Publikum mehr als nur seichte Kost verträgt und daran auch Freude hat. Dennoch muss man sagen: Diesen einen klaren Publikumsliebling, den energisch zugeraunten
Geheimtipp, gab es in diesem Jahr nicht. Und das ist gut so.
Ein »Kurzfilm« von Lav Diaz, der die Projektoren überforderte, läuft hier ganz selbstverständlich neben einem Film von Takashi Miike. Die neuesten Werke etablierter Regiegrößen wie Mike Leigh und Christian Petzold werden vom Publikum genauso wahrgenommen und besprochen wie absolute Neuentdeckungen und kleine, verschrobene Indie-Produktionen. Über Jahre hinweg gab es immer wieder Genrefilme, die nur im geschützten
Rahmen eines seriösen Filmfests überhaupt noch als »Genre« durchgehen. Inzwischen ist das Programm in allen Sektionen mit sicherem Blick ausgewählt, ohne dabei zerfahren oder wahllos zu sein.
Impression, die Sechste:
Beinahe noch abwechslungsreicher, fast schon abenteuerlich, ist nach dem Kino der Weg nach Hause. Denn so ein kulturelles Großereignis in München lässt Münchner erstmal nervös werden – schließlich kann das doch für alle nur eines bedeuten: planmäßige Störungen des öffentlichen Nahverkehrs. Als würde sich der MVV gemeinsam mit der Stadt bei der Planung notwendiger Instandhaltungsarbeiten an Programmheften und Werbeplakaten für
Kulturveranstaltungen orientieren.
Die Tramlinie ist unterbrochen, die Straßen sind wegen Konzerten großräumig gesperrt, und dass die S-Bahn nachts ohnehin nur eingeschränkt fährt, daran hat man sich inzwischen längst gewöhnt.
Doch so bietet der nächtliche Heimweg fast eine eigene, skurrile Filmhandlung. In den Rollen: zwei artechock-Autor*innen und ein Lokführer, der ebenfalls nicht rechtzeitig erfahren hat, dass sein Zug plötzlich auf einem Gleis an der ganz anderen Seite
des Hauptbahnhofs abfahren soll.
Impression, die Siebte:
Exzessiv gelebtes Festivalleben hat den Ruf, den Anwesenden mit Schlafmangel, wenig Essen und dem einen oder anderen Bier körperlich einiges abzuverlangen. Diesem Verschleiß bei der berichterstattenden Presse und dem Fachpublikum begegnet das Filmfest mit einem ungewöhnlichen Wellness-Programm. Früh morgens badet man gemeinsam in der Isar, man startet man mit Festival-Yoga in der Beergarden Convention in den Tag, ganz zu schweigen von der
Open-Air-Sauna in allen Freibereichen.
Selbst manche Kinosessel tragen mit ihrer bequemen Polsterung, der zurückschraubbaren Rückenlehne und den Fußschemeln zu diesem Wellnesserlebnis bei. Das ist zwar äußerst angenehm und zuvorkommend, birgt für die Kritiker*innen jedoch eine nicht zu unterschätzende Gefahr: das selige Einschlafen. Stellen Sie sich vor: Draußen ist es heiß, es ist Mittag, und Sie verstehen nur zu gut, warum im Süden Siesta gehalten wird. Dann betreten Sie
einen Raum, der angenehm kühl ist, genau die richtige Temperatur hat. Sie versinken in Ihrem Sessel, nur um sofort in angenehmes Dunkel gehüllt und sanft beschallt zu werden... Fallen Ihnen dabei langsam die Augen zu, dann haben Sie unser Problem nachempfunden.
Leider entspricht auch das im Grunde positive Urteil »Der Film hätte es nicht verdient, dabei einzuschlafen« nicht unseren professionellen Standards. Zum Glück ist unsere magazininterne Kollegialität so ausgeprägt, dass
wir einander durch den sanften, knuffigen Einsatz der Ellenbogen davor bewahren. Allerdings kann es durchaus vorkommen, dass man in besonders bequemen Kinosesseln 94 Minuten lang von konstantem Schnarchen begleitet wird – hierbei handelte es sich jedoch nachweislich nicht um das Schnarchen einer Artechocke.
Impression, die Achte:
Schwerer zu ertragen war wortwörtlich etwas anderes: Gewichtige 904 Gramm Werbematerial testeten in diesem Jahr die aufgehfreudigen Riemen der Festivaltasche und die Schultern der Akkreditierten. Verständlich ist es freilich, dass die geschätzten Festivalpartner und Sponsoren auch sichtbar sein wollen – aber hätte es wirklich der gesamte gedruckte Produktkatalog in der Größe des Telefonbuchs einer Kleinstadt sein
müssen?
Es ist fast schon rührend, dass es gedruckte Kataloge überhaupt noch gibt in Zeiten des Onlinehandels. Selbst das Telefonbuch besagter Kleinstadt wird längst nicht mehr flächendeckend verteilt, was immerhin der Müllabfuhr die ein oder andere Sonderschicht erspart.
Wir sind doch eh alle komplett resistent gegen Werbung. Oder reden uns das zumindest ein.
Außer es winkt ein kostenloses Festivalshirt. In diesem Fall werfen wir uns alle selbstlos und aufopfernd vor
jede T-Shirt-Kanone.
Impression, die Neunte:
Vor ein paar Jahren sorgte die Rettung des Kinomarders Marten Scorsese nach einer Spätvorstellung für Aufregung im Festivalpublikum: Aus Bierkästen und Aluschienen wurde kurzerhand eine Rampe improvisiert und das cinephile Tier konnte sicher seinen Heimweg antreten.
Auch in diesem Jahr beweist das City weiterhin seine Tierfreundlichkeit. In einer Vorstellung im City 2 bekam das Publikum der zweiten Reihe ganz heimlich Besuch von
einer kleinen, neugierigen Maus, die offenbar ebenfalls am Festivaltrubel teilhaben wollte. Auch ihr sei ihr Bröckchen Filmkunst gegönnt.
Aber bei so putzigen Festivalgästen drängt sich doch immer mehr der Wunsch nach einem kleinen Streichelzoo auf, um diesen cinephilen Bund zwischen Zuschauern aller Art(en) noch weiter zu stärken.
An dieser Stelle folgt ein kurzer Einschub: Wenn wir schon bei Tieren sind, hier ein kleiner Witz am Rande – nicht gänzlich unpassend zu den Temperaturen und den Festivalreihen Neues deutsches Kino sowie Neues deutsches Fernsehen:
Was macht ein Eisbär im Kühlschrank?
Die Auflösung finden Sie unten nach dem Text.
Impression, die Letzte:
Am besten lässt sich vielleicht an den Vorstellungen im Deutschen Theater ablesen, wie erfolgreich das Filmfest sich weiterhin in das Bewusstsein der Stadt (zurück-)arbeitet.
Das ist doppelt ironisch: Im Deutschen Theater gibt es zwar eine Leinwand, aber eigentlich kein Kino, hier werden während des Festivals nur Sonderveranstaltungen abgehalten. Und dabei handelt es sich häufig um Preisverleihungen und Galas, bei denen der gezeigte Film
gerne zur Nebensache wird – verglichen mit den anwesenden Stargästen wie Helge Schneider, Gillian Anderson oder dem Pumuckl. Doch gerade hier zeigt sich, dass das Festival inzwischen auch jenseits des Feuilletons ein breites und gemischtes Publikum erreicht. Die Stimmung im Deutschen Theater ist so aufgeregt und gelöst, dass selbst vermeintlich abgeklärte alte Hasen im Geschäft wie Gillian Anderson ehrlich überrascht und gerührt sind.
Sogar die »CineWave«, die Cinemerit-Statuette, mit der die Schauspielerin geehrt wurde, kann überzeugen: Die sei ja tatsächlich ganz hübsch, vielleicht stelle sie die wirklich daheim irgendwo ins Regal.
Im zweiten Jahr der Festivalleitung unter Christoph Gröner und Julia Weigl findet das Filmfest immer mehr zu sich und weiß, wohin es möchte: Eine offene, herzliche Festivalstimmung ersetzt den aufgesetzten Glamour der Ausgaben unter Diane Iljine.
Und vielleicht lässt sich
in Zukunft das Deutsche Theater jenseits der Sonderveranstaltungen zu einem Feldbettlager umfunktionieren.
Epilog – Die Auflösung des Witzes: Er dreht einen Heimatfilm.