10.07.2025

Protest und Integrität

Asghar Farhadi
Asghar Farhadi zu Gast bei der Viennale 2009
(Foto: Manfred Werner – Tsui, CC BY-SA 3.0 , via Wikimedia Commons)

Asghar Farhadi beim »Cinema Ritrovato« in Bologna

Von Rüdiger Suchsland

Beim Festival »Il Cinema Ritrovato« in Bologna, das Ende Juni zum 39. Mal stattfand, war der iranische Regisseur und zweifache Oscar­preis­träger Asghar Farhadi als Ehrengast geladen – bei einer intensiv rezi­pierten Master­class im zentralen »Cinema Moder­nis­simo« wurde er zu einer Stimme zwischen Lein­wan­däs­thetik und Politik und bezog in bemer­kens­werter Offenheit Stellung zur Lage der Frauen im Iran und zur Zukunft des irani­schen Kinos.

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»Ich kann es kaum erwarten, Frauen ohne Kopftuch auf den Straßen Teherans zu filmen, in der Hoffnung, dass sich eines Tages die Regeln ändern« – so Asghar Farhadi unter großem Applaus des italie­ni­schen Publikums. Dies war einer jener Momente, in dem Kunst und Politik untrennbar mitein­ander verschmolzen. Diese Bemerkung fiel beiläufig im Rahmen einer Diskus­sion über seine Arbeits­weise – hatte aber das Gewicht eines poli­ti­schen State­ments. Farhadi, dessen Werk oft für seine subtile Gesell­schafts­kritik gelobt wird, sprach an diesem Abend unge­wöhn­lich direkt, und trotzdem vorsichtig und klug über die Lage in seinem Heimat­land.

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Zurzeit dreht Farhadi nicht im Iran. Der Grund: das verpflich­tende Tragen des Hijab für Frauen vor der Kamera. »Ich möchte nicht mit Schau­spie­le­rinnen drehen, die ein Kopftuch tragen – mein nächster Film wird in Frank­reich entstehen«, erklärte er. Es ist eine klare Aussage eines Regis­seurs, der Teheran bislang nie den Rücken gekehrt hatte. So betonte er seine emotio­nale Bindung: »Ich lebe weiterhin in Teheran, das ist mein Zuhause – jedes Mal, wenn ich keine beruf­li­chen Verpflich­tungen habe, kehre ich nach Hause zurück.«

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Farhadis Aussagen fallen in eine Zeit inter­na­tio­naler Span­nungen und wach­sender Repres­sion im Iran, insbe­son­dere gegen Kultur­schaf­fende. Dass Farhadi sich trotz inter­na­tio­naler Karriere noch öffent­lich äußert, ist bemer­kens­wert – und wurde von der italie­ni­schen und inter­na­tio­nalen Presse glei­cher­maßen gewürdigt.
Es war ein ehrlicher, politisch kluger und vorsich­tiger Auftritt. Das Festival selbst unter­strich, dass der Regisseur sich auch im Gespräch stets der Kraft des Kinos als gesell­schaft­li­cher Reso­nanz­raum bewusst war.

Ästhe­tisch bleibt Farhadi dem realis­ti­schen Erzähl­kino treu, das ihn berühmt gemacht hat. Die Master­class in Bologna verdeut­lichte auch seine künst­le­ri­schen Wurzeln – und hier führte der Weg wenig über­ra­schend nach Italien: »Die Figuren, die von Rossel­lini, De Sica und Co. erschaffen wurden, verkör­pern einen Realismus voller Leben, spontan … ganz anders als die irani­schen Figuren« sagte Farhadi. Insbe­son­dere der Neorea­lismus habe ihn tief geprägt: »Wenn man über eine große Inspi­ra­ti­ons­quelle für das persische Kino sprechen muss, dann kommt diese aus eurem neorea­lis­ti­schen Kino. De Sica, Fellini, Monicelli«

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Dabei verwies Farhadi nicht nur auf die Ästhetik dieser Klassiker, sondern auch auf ihre huma­nis­ti­sche Tiefe. Sein eigenes Werk – darunter Nader und Simin – eine Trennung, The Salesman oder A Hero – ist geprägt von einer Drama­turgie, die alltäg­liche Konflikte aufgreift, ohne zu mora­li­sieren. Statt­dessen bietet er dem Publikum ein reflek­tie­rendes Spie­gel­bild gesell­schaft­li­cher Ambi­va­lenz.

Eine sehr bemer­kens­werte Aussage war noch gegen Ende der Master­class zu vernehmen: Drama und Realität seien schwer zu mischen, so der Regisseur: »Je mehr Drama, um so weniger Realität hat ein Film. Und je mehr Realität er besitzt, um so weniger Drama ist möglich.« Er versuche, die Mitte zwischen beidem zu halten Man hätte gern eine leider unmög­liche Diskus­sion hierüber zwischen Farhadi und Roberto Rossel­lini erlebt.

In Bologna übernahm Farhadi zudem eine Mento­ren­rolle, und vermit­telte er das, was ihn ausmacht: die Beob­ach­tung der Welt ohne Urteil, das Erzählen in Grautönen statt in Schwarz und Weiß.

Doch über allem stand in diesen Tagen ein leiser, aber unüber­hör­barer Protest gegen das, was Farhadi in seinem Land derzeit nicht mehr zeigen kann. Seine Hoffnung auf Verän­de­rung war dabei kein propa­gan­dis­ti­scher Aufruf, sondern Ausdruck tiefer künst­le­ri­scher und mensch­li­cher Inte­grität – und eine eindrück­liche Erin­ne­rung daran, dass Kino, wenn es will, politisch sein kann, ohne je plump zu werden.