Protest und Integrität |
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Asghar Farhadi zu Gast bei der Viennale 2009 | ||
(Foto: Manfred Werner – Tsui, CC BY-SA 3.0 , via Wikimedia Commons) |
Beim Festival »Il Cinema Ritrovato« in Bologna, das Ende Juni zum 39. Mal stattfand, war der iranische Regisseur und zweifache Oscarpreisträger Asghar Farhadi als Ehrengast geladen – bei einer intensiv rezipierten Masterclass im zentralen »Cinema Modernissimo« wurde er zu einer Stimme zwischen Leinwandästhetik und Politik und bezog in bemerkenswerter Offenheit Stellung zur Lage der Frauen im Iran und zur Zukunft des iranischen Kinos.
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»Ich kann es kaum erwarten, Frauen ohne Kopftuch auf den Straßen Teherans zu filmen, in der Hoffnung, dass sich eines Tages die Regeln ändern« – so Asghar Farhadi unter großem Applaus des italienischen Publikums. Dies war einer jener Momente, in dem Kunst und Politik untrennbar miteinander verschmolzen. Diese Bemerkung fiel beiläufig im Rahmen einer Diskussion über seine Arbeitsweise – hatte aber das Gewicht eines politischen Statements. Farhadi, dessen Werk oft für seine subtile Gesellschaftskritik gelobt wird, sprach an diesem Abend ungewöhnlich direkt, und trotzdem vorsichtig und klug über die Lage in seinem Heimatland.
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Zurzeit dreht Farhadi nicht im Iran. Der Grund: das verpflichtende Tragen des Hijab für Frauen vor der Kamera. »Ich möchte nicht mit Schauspielerinnen drehen, die ein Kopftuch tragen – mein nächster Film wird in Frankreich entstehen«, erklärte er. Es ist eine klare Aussage eines Regisseurs, der Teheran bislang nie den Rücken gekehrt hatte. So betonte er seine emotionale Bindung: »Ich lebe weiterhin in Teheran, das ist mein Zuhause – jedes Mal, wenn ich keine beruflichen Verpflichtungen habe, kehre ich nach Hause zurück.«
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Farhadis Aussagen fallen in eine Zeit internationaler Spannungen und wachsender Repression im Iran, insbesondere gegen Kulturschaffende. Dass Farhadi sich trotz internationaler Karriere noch öffentlich äußert, ist bemerkenswert – und wurde von der italienischen und internationalen Presse gleichermaßen gewürdigt.
Es war ein ehrlicher, politisch kluger und vorsichtiger Auftritt. Das Festival selbst unterstrich, dass der Regisseur sich auch im Gespräch stets
der Kraft des Kinos als gesellschaftlicher Resonanzraum bewusst war.
Ästhetisch bleibt Farhadi dem realistischen Erzählkino treu, das ihn berühmt gemacht hat. Die Masterclass in Bologna verdeutlichte auch seine künstlerischen Wurzeln – und hier führte der Weg wenig überraschend nach Italien: »Die Figuren, die von Rossellini, De Sica und Co. erschaffen wurden, verkörpern einen Realismus voller Leben, spontan … ganz anders als die iranischen Figuren« sagte Farhadi. Insbesondere der Neorealismus habe ihn tief geprägt: »Wenn man über eine große Inspirationsquelle für das persische Kino sprechen muss, dann kommt diese aus eurem neorealistischen Kino. De Sica, Fellini, Monicelli«
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Dabei verwies Farhadi nicht nur auf die Ästhetik dieser Klassiker, sondern auch auf ihre humanistische Tiefe. Sein eigenes Werk – darunter Nader und Simin – eine Trennung, The Salesman oder A Hero – ist geprägt von einer Dramaturgie, die alltägliche Konflikte aufgreift, ohne zu moralisieren. Stattdessen bietet er dem Publikum ein reflektierendes Spiegelbild gesellschaftlicher Ambivalenz.
Eine sehr bemerkenswerte Aussage war noch gegen Ende der Masterclass zu vernehmen: Drama und Realität seien schwer zu mischen, so der Regisseur: »Je mehr Drama, um so weniger Realität hat ein Film. Und je mehr Realität er besitzt, um so weniger Drama ist möglich.« Er versuche, die Mitte zwischen beidem zu halten Man hätte gern eine leider unmögliche Diskussion hierüber zwischen Farhadi und Roberto Rossellini erlebt.
In Bologna übernahm Farhadi zudem eine Mentorenrolle, und vermittelte er das, was ihn ausmacht: die Beobachtung der Welt ohne Urteil, das Erzählen in Grautönen statt in Schwarz und Weiß.
Doch über allem stand in diesen Tagen ein leiser, aber unüberhörbarer Protest gegen das, was Farhadi in seinem Land derzeit nicht mehr zeigen kann. Seine Hoffnung auf Veränderung war dabei kein propagandistischer Aufruf, sondern Ausdruck tiefer künstlerischer und menschlicher Integrität – und eine eindrückliche Erinnerung daran, dass Kino, wenn es will, politisch sein kann, ohne je plump zu werden.