19.06.2025

Die Zähne des Kinos

Der Weiße Hai Plakat
Das von Roger Kastel entworfene Poster zum Film aus dem Jahr 1975
(Plakat: Wikimedia Commons)

Das Kino im Auge des Hais: Vor 50 Jahren kam Steven Spielbergs »Der Weiße Hai« ins Kino. Es ist ein gigantisch guter Film, ein fester Bestandteil der Popkultur und gerade wieder ein hochaktueller, unbequemer Film

Von Rüdiger Suchsland

»Die Bundes­bürger essen mehr Haie als umgekehrt.« – dpa, 1976

Das Auge des Hais: Die ersten Bilder zeigen uns die Welt mit den Augen des Hais, seine Welt. Dass er es ist, das erzählt uns – falls wir es nicht sowieso wissen – die Musik. Diese Musik, kompo­niert von John Williams, ist einer der zentralen Bestand­teile dieses Films.

Viele bekommen bei dieser Musik noch immer Gänsehaut. Und schwimmen selbst im Baggersee, wenn ihnen dummer­weise Spiel­bergs Film einfällt, rasend schnell an Land. Denn da ist irgendwo draußen »Das Monster aus der Tiefe«. Seit dem Auftau­chen von Der weiße Hai im Kino vor 50 Jahren sind die Zuschauer von dem menschen­fres­senden, keine Gnade kennenden Hai faszi­niert und trau­ma­ti­siert.

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Der damals erst 27-jährige Steven Spielberg setzte mit seinem zweiten Spielfilm neue Maßstäbe für Spannung und Action. Es wurde, so heißt es, der erste Sommer-Block­buster der Kino­ge­schichte und jeden­falls der damals erfolg­reichste Film aller Zeiten. Ursprüng­lich war er einfach als guter Horror-Thriller konzi­piert, doch neben seinem ökono­mi­schen Erfolg entwi­ckelte sich der Film auch schnell zu einem kultu­rellen Phänomen. Um Der weiße Hai hat sich ein breiter popkul­tu­reller Diskurs entwi­ckelt, der die viel­schich­tigen Dimen­sionen des Films auslotet.

Der Film selbst ist einer der gigan­tischsten und besten Filme der Film­ge­schichte. Ein großer Horror­film, ein Film, der an unser Unter­be­wusstes rührt und der längst zum Fundament der Popkultur gehört.

Mit nur 80 Kopien lief der Film seiner­zeit nicht im Sommer, wie in den USA, sondern erst im Dezember in der Bundes­re­pu­blik an – als ob die Kino­be­treiber dem Film miss­trauen würden. Aber es waren einfach andere Zeiten: Die »Süddeut­sche« schrieb über »die aufwen­digste Rekla­me­schlacht, die je in Deutsch­land für einen Film geschlagen wurde.«

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Jaws, also »Kiefer« oder »Gebiss« oder »Rachen«, heißt der Film im Original. Weil das in der Über­set­zung wirkungslos ist, kam man auf Der weiße Hai – so wie übrigens auch schon Peter Benchleys Roman­vor­lage im Deutschen hieß. Die Film­ti­tel­wahl orien­tierte sich vermut­lich auch an der Buch­ver­mark­tung.

Natürlich soll man auch an einen weißen Wal denken und natürlich ist der weiße Hai auch eine Projek­ti­ons­fläche.

Er erzählt uns von unseren Urängsten. Der Hai greift aus der Tiefe an – aus dem Unbe­kannten, dem undurch­schau­baren Raum. Die Angst vor dem Wasser und dem Boden­losen des Meeres entspricht unserer Angst vor dem Unbe­wussten. In einer strenger psycho­ana­ly­ti­schen Lesart steht der Hai natürlich für das Es, für die irra­tio­nale Natur, die unkon­trol­lier­baren Triebe. Auch für die Natur, die dem Film im Gegensatz zur heutigen Ökolo­gie­be­we­gung keines­wegs nur das Grundgute ist. Hier steht der Mensch gegen die Natur.

Der Hai steht in diesem Film für das Wilde, das noch nicht Kolo­ni­sierte, nicht Zivi­li­sierte. Er steht für die nicht-bezähm­baren Kreaturen. Das absolute Andere. Dieser nicht-bezähm­bare, nicht-fried­liche Anteil der Natur kann nur unter­worfen und vernichtet werden, nicht durch Kommu­ni­ka­tion inte­griert. Der Hai steht also für die Einsicht, dass nicht alles vermit­telbar ist, dass manche Konflikte ausgekämpft und entschieden werden müssen, weil sie Konflikte ums Überleben sind, um Leben und Tod – und dass das eine in unseren Tagen sehr aktuelle und sehr nützliche, wiewohl unbequeme Einsicht ist, muss man wohl nur denen erklären, die seit einer Woche keine Nach­richten mehr gesehen haben.
Die Tötung des Hais ist hier kein Ausdruck mensch­li­cher oder wissen­schaft­li­cher Hybris, sondern ein Akt der Notwehr.

Gerade ist im Bertz+Fischer-Verlag das Buch »Der weiße Hai revisited« um ein Nachwort erweitert wieder­auf­ge­legt worden. Darin wird die viel­fäl­tige Bedeutung des Films in 21 Text­bei­trägen unter­sucht. Unter anderem schreibt darin Michael Hiemke über die Filmmusik von John Williams, der Heraus­geber Schwa­ne­beck selbst über Verbin­dungen zwischen Alfred Hitchcock und dem Film, Marcus Stig­legger über den Tier­hor­ror­film und den Kinohai. Und Elisabeth Bronfen über spezi­fisch ameri­ka­ni­sche Traumata, die sich im Film zeigen.

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Wieland Schwa­ne­beck: Der weiße Hai revisited. Steven Spiel­bergs JAWS und die Geburt eines ameri­ka­ni­schen Albtraums.; Bertz + Fischer Verlag, Berlin 2025, 280 Seiten, 28,00 EUR.