Die Zähne des Kinos |
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Das von Roger Kastel entworfene Poster zum Film aus dem Jahr 1975 | ||
(Plakat: Wikimedia Commons) |
»Die Bundesbürger essen mehr Haie als umgekehrt.« – dpa, 1976
Das Auge des Hais: Die ersten Bilder zeigen uns die Welt mit den Augen des Hais, seine Welt. Dass er es ist, das erzählt uns – falls wir es nicht sowieso wissen – die Musik. Diese Musik, komponiert von John Williams, ist einer der zentralen Bestandteile dieses Films.
Viele bekommen bei dieser Musik noch immer Gänsehaut. Und schwimmen selbst im Baggersee, wenn ihnen dummerweise Spielbergs Film einfällt, rasend schnell an Land. Denn da ist irgendwo draußen »Das Monster aus der Tiefe«. Seit dem Auftauchen von Der weiße Hai im Kino vor 50 Jahren sind die Zuschauer von dem menschenfressenden, keine Gnade kennenden Hai fasziniert und traumatisiert.
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Der damals erst 27-jährige Steven Spielberg setzte mit seinem zweiten Spielfilm neue Maßstäbe für Spannung und Action. Es wurde, so heißt es, der erste Sommer-Blockbuster der Kinogeschichte und jedenfalls der damals erfolgreichste Film aller Zeiten. Ursprünglich war er einfach als guter Horror-Thriller konzipiert, doch neben seinem ökonomischen Erfolg entwickelte sich der Film auch schnell zu einem kulturellen Phänomen. Um Der weiße Hai hat sich ein breiter popkultureller Diskurs entwickelt, der die vielschichtigen Dimensionen des Films auslotet.
Der Film selbst ist einer der gigantischsten und besten Filme der Filmgeschichte. Ein großer Horrorfilm, ein Film, der an unser Unterbewusstes rührt und der längst zum Fundament der Popkultur gehört.
Mit nur 80 Kopien lief der Film seinerzeit nicht im Sommer, wie in den USA, sondern erst im Dezember in der Bundesrepublik an – als ob die Kinobetreiber dem Film misstrauen würden. Aber es waren einfach andere Zeiten: Die »Süddeutsche« schrieb über »die aufwendigste Reklameschlacht, die je in Deutschland für einen Film geschlagen wurde.«
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Jaws, also »Kiefer« oder »Gebiss« oder »Rachen«, heißt der Film im Original. Weil das in der Übersetzung wirkungslos ist, kam man auf Der weiße Hai – so wie übrigens auch schon Peter Benchleys Romanvorlage im Deutschen hieß. Die Filmtitelwahl orientierte sich vermutlich auch an der Buchvermarktung.
Natürlich soll man auch an einen weißen Wal denken und natürlich ist der weiße Hai auch eine Projektionsfläche.
Er erzählt uns von unseren Urängsten. Der Hai greift aus der Tiefe an – aus dem Unbekannten, dem undurchschaubaren Raum. Die Angst vor dem Wasser und dem Bodenlosen des Meeres entspricht unserer Angst vor dem Unbewussten. In einer strenger psychoanalytischen Lesart steht der Hai natürlich für das Es, für die irrationale Natur, die unkontrollierbaren Triebe. Auch für die Natur, die dem Film im Gegensatz zur heutigen Ökologiebewegung keineswegs nur das Grundgute ist. Hier steht der Mensch gegen die Natur.
Der Hai steht in diesem Film für das Wilde, das noch nicht Kolonisierte, nicht Zivilisierte. Er steht für die nicht-bezähmbaren Kreaturen. Das absolute Andere. Dieser nicht-bezähmbare, nicht-friedliche Anteil der Natur kann nur unterworfen und vernichtet werden, nicht durch Kommunikation integriert. Der Hai steht also für die Einsicht, dass nicht alles vermittelbar ist, dass manche Konflikte ausgekämpft und entschieden werden müssen, weil sie Konflikte ums Überleben sind, um
Leben und Tod – und dass das eine in unseren Tagen sehr aktuelle und sehr nützliche, wiewohl unbequeme Einsicht ist, muss man wohl nur denen erklären, die seit einer Woche keine Nachrichten mehr gesehen haben.
Die Tötung des Hais ist hier kein Ausdruck menschlicher oder wissenschaftlicher Hybris, sondern ein Akt der Notwehr.
Gerade ist im Bertz+Fischer-Verlag das Buch »Der weiße Hai revisited« um ein Nachwort erweitert wiederaufgelegt worden. Darin wird die vielfältige Bedeutung des Films in 21 Textbeiträgen untersucht. Unter anderem schreibt darin Michael Hiemke über die Filmmusik von John Williams, der Herausgeber Schwanebeck selbst über Verbindungen zwischen Alfred Hitchcock und dem Film, Marcus Stiglegger über den Tierhorrorfilm und den Kinohai. Und Elisabeth Bronfen über spezifisch amerikanische Traumata, die sich im Film zeigen.
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Wieland Schwanebeck: Der weiße Hai revisited. Steven Spielbergs JAWS und die Geburt eines amerikanischen Albtraums.; Bertz + Fischer Verlag, Berlin 2025, 280 Seiten, 28,00 EUR.