08.05.2025

Wer hat Angst vor Wolfram Weimer?

Heinrich von Kleist
So wie einst Heinrich von Kleist... (Gemälde von Anton Graff, ca. 1808)
(Zeichnung: Anton Graff, Public domain, via Wikimedia Commons)

Kulturstaatsminister ohne Claudia Roths Hirn. Was nun im BKM? Die Bekämpfung des Antisemitismus ist nicht »rechts« und nicht »links«

Von Rüdiger Suchsland

Welcher deutsche Film käme dem Drama gleich, das die Politik in diesen Tagen bietet, auch wenn der Medi­en­be­trieb in Deutsch­land zur falschen Drama­ti­sie­rung neigt und gleich von Staats­krise schwa­dro­niert?

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Der neue Kultur­staats­mi­nister Wolfram Weimer hat an diesem Mittwoch sein Amt ange­treten. Es folgten drei ohne Frage symbol­po­li­tisch gemeinte und prägnante Entschei­dungen.

Weimers erste Amts­hand­lung war ein perso­neller Pauken­schlag, die auch die Film­po­litik unmit­telbar betrifft: »Claudia Roths Gehirn gefeuert« heißt die benei­dens­wert idio­ti­sche Über­schrift in der BILD-Zeitung von heute (btw: Springer war offenbar vorin­for­miert, die Nachricht wurde nicht per Pres­se­mit­tei­lung veröf­fent­licht).
Gemeint ist, dass Weimer ín seiner ersten Amts­hand­lung Andreas Görgen, den BKM-Mins­te­ri­al­di­rektor und Amts­leiter, der de facto in den vergan­genen Jahren die Arbeit für Claudia Roth gemacht hat, entlassen und durch dessen Stell­ver­treter Konrad Schmidt-Werthern ersetzt hat.
Die Zeitung behauptet dazu in ober­fläch­li­cher Popu­lismus-Diktion: »Einer der Gründe: Görgens umstrit­tene Haltung zu Israel. Er gilt Weimer und Merz als Master­mind der rot-grünen Kultur­po­litik ... als Mann hinter der Juden­hasser-freund­li­chen Kultur­po­litik und als verant­wort­lich für den Judenhass-Eklat auf der 'Documenta'-Kunst­schau 2022. Ihm wurde auch mangelnder Abstand zu Israel-Boykott­be­we­gungen vorge­worfen.«

Diese Beschrei­bung ist in der Sache zu grob und der Person gegenüber ungerecht. Görgen mag Nähen zu Ländern und poli­ti­schen Posi­tionen des Globalen Südens haben, die manchen unsym­pa­thisch sind, er mag auch auf manche (!!) unsen­sibel im Umgang mit dem Anti­se­mi­tismus des Kultur­be­triebs gewirkt haben, ihm aber Anti­se­mi­tismus oder Nähe zum BDS zu unter­stellen ist unan­ge­messen und ehren­rührig.

Vor etwa einem Jahr hatte Görgen bei den Kurz­film­tagen Ober­hausen seine Position klar charak­te­ri­siert: In seiner Rede zitierte er Schillers Formu­lie­rung von der Kunst als einer »Tochter der Freiheit« und kam damit zu den Kampagnen gegen die Kunst­frei­heit, die nicht nur die Kurz­film­tage betrafen. Es sei es ihm ein Anliegen zu sagen: »Wir schützen Sie! Wir vertei­digen die Freiheit unserer Inten­dan­tinnen und Inten­danten. Das gilt für jede Kultur-Insti­tu­tion.«

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Görgen verab­schie­dete sich heute in einer allge­meinen Abschieds-Email, aus der wir mit Erlaubnis des Verfas­sers zitieren:
»Sie erlauben, dass ich mich mit einem Wort des Dankes an Sie verab­schiede. Es war mir eine Ehre, gemeinsam mit Ihnen unserem Land zu dienen und seine Kultur- und Medi­en­po­litik mitge­stalten zu dürfen.
Gemeinsam haben wir Krisen gemeis­tert, Konflikte gelöst, Insti­tu­tionen refor­miert, ordnungs­po­li­ti­sche Rahmen gesetzt und die Freiheit der Medien und der Künste in ihrer Vielfalt, Breite und Exzellenz gefördert und wir haben die BKM mit den notwen­digen Mitteln und deutlich mehr Mitar­bei­tenden dazu in die Lage versetzt.«

Gemeinsam haben wir versucht, die Schönheit der Verschie­den­heit der Menschen, der Medien und der Kultur unseres Landes wert­zu­schätzen und Raum zu geben für Weiter­ent­wick­lung. Denn der Zugang zum Univer­sellen der Kultur erfolgt notwendig über das Parti­ku­lare. Gelingen wird er nur, wenn er dabei weder in Iden­ti­täts­po­litik noch Klien­te­lismus stehen bleibt.

Sie alle kennen die zahllosen Einzel­dos­siers besser als ich. Sie wissen, dass alles, was gelungen ist, dank Ihrer Anstren­gung gelungen ist. Dafür danke ich Ihnen sehr herzlich – für Ihren Rat, Zuspruch und Wider­spruch, für Enga­ge­ment und Energie und für den gemein­samen Dienst zum Wohl unseres Landes.

Für mich persön­lich darf ich wieder­holen, was ich zum Abschied von Staats­mi­nis­terin Roth gesagt habe: manches ist nicht gelungen oder nicht so gelungen, wie wir es uns vorge­nommen haben und wie es unser Land verdient hätte. Das geht mir nach und umso aufrich­tiger wünsche Ihnen allen und ganz besonders Konrad Schmidt-Werthern als meinem Nach­folger und Herrn Staats­mi­nister Weimer alles Gute, viel Erfolg und ein frohes Gelingen.

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Zweite Amts­hand­lung Weimers: Die erste Pres­se­mit­tei­lung lautet: »Kultur­staats­mi­nister Weimer sichert dem Präsi­denten des Zentral­rats der Juden in Deutsch­land Schuster volle Unter­s­tüt­zung im Kampf gegen Anti­se­mi­tismus zu.«

Am ersten Tag nach seinem Amts­an­tritt ist Kultur­staats­mi­nister Wolfram Weimer im Bundes­kanz­leramt mit dem Präsi­denten des Zentral­rats der Juden in Deutsch­land, Josef Schuster, zu einem vertrau­ens­vollen Gespräch zusam­men­ge­troffen. Im Mittel­punkt stand die Frage, wie der wachsende Anti­se­mi­tismus in Deutsch­land – insbe­son­dere auch im Kultur­be­reich – noch entschlos­sener und wirksamer bekämpft werden kann.

Kultur­staats­mi­nister Wolfram Weimer: »Es ist mir ein wichtiges Anliegen, gleich zu Beginn meiner Amtszeit den inten­siven Dialog mit dem Zentralrat der Juden in Deutsch­land zu suchen – als Zeichen der Soli­da­rität und einer verläss­li­chen Part­ner­schaft. Für mich ist es schmerz­lich, ja uner­träg­lich, zu sehen, wie der Anti­se­mi­tismus in die Gesell­schaft hinein­kriecht. Auch im Kultur­be­reich haben wir, insbe­son­dere seit dem barba­ri­schen Terror­an­griff der Hamas auf Israel am 7. Oktober 2023, zunehmend Boykott­auf­rufe oder andere Aktionen gegen jüdische Künst­le­rinnen und Künstler erleben müssen, die inak­zep­tabel sind. Dem werde ich mich mit aller Kraft entge­gen­stellen.«

Weimer kündigte an, in enger Zusam­men­ar­beit mit dem Zentralrat der Juden in Deutsch­land konkrete Maßnahmen zur Bekämp­fung des Anti­se­mi­tismus im Kultur­be­reich zu erar­beiten.

Präsident des Zentral­rats der Juden in Deutsch­land Josef Schuster: »Es ist ein starkes Zeichen, dass Staats­mi­nister Weimer als eine seiner ersten Amts­hand­lungen das Gespräch mit der jüdischen Gemein­schaft in Deutsch­land sucht. Gerade die vergan­genen Jahre haben gezeigt, dass Teile des Kultur­be­triebs in Deutsch­land häufig eine offene Flanke zu Isra­el­hass und auch Anti­se­mi­tismus haben. Das muss ernst genommen werden. Ich blicke opti­mis­tisch auf die künftige Zusam­men­ar­beit mit dem Staats­mi­nis­te­rium.«

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Das ist Symbol­po­litik. Aber die richtige. Eine Gefahr und zwar eine erheb­liche liegt nur in einem – und der neue BKM sollte das genau bedenken –: Der Kampf gegen Anti­se­mi­tismus war immer über­par­tei­lich. Er war nie »links« oder »rechts«. Und das darf er auch nicht werden.
Es besteht aber gerade auch durch solche Akte die Gefahr, insbe­son­dere im Kultur­be­trieb, dass Soli­da­rität mit Israel mit »rechts« und Soli­da­rität mit Arabern mit »links« iden­ti­fi­ziert wird.

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Dritte Amts­hand­lung: Die zweite Pres­se­mit­tei­lung lautet: »80 Jahre Ende des Zweiten Welt­krieges – Kultur­staats­mi­nister Wolfram Weimer: 'Singu­la­rität der Shoah mahnt uns, gegen Anti­se­mi­tismus einzu­treten.«

Sehr deutlich spricht Weimer hier gegen Rela­ti­vie­rungen der Neuen Rechten von der »Singu­la­rität der Shoah«.
Das ist begrüßens­wert.

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Der öffent­lich sehr kritische Umgang mit Weimer ist in mancher Hinsicht berech­tigt, und es gibt durchaus lustige Polemiken, wie etwa die letzte Woche in der FAZ erschie­nene groß­ar­tige von Jürgen Kaube.

Leider über­wiegen aber Erbsen­zäh­lerei, mora­li­sie­rende Reflexe und eine destruk­tive Energie, von der man sich wenigs­tens 10 Prozent im Umgang mit Weimers Vorgän­gerin Claudia Roth gewünscht hätte. Ich finde das albern und traurig und frage mich, ob die Kollegen wirklich nicht Besseres zu tun haben und ob der immer knappere Platz in den noch exis­tie­renden Zeitungen nicht mit sinn­vol­leren Dingen ausge­füllt werden könnte, zum Beispiel damit, deutlich zu machen, was die Kultur­po­litik in der Zukunft braucht.

Dazu haben wir hier auch Vorschläge gemacht, und zitieren uns einfach selbst: Eine der ersten Amts­hand­lungen des neuen Kultur­staats­mi­nis­ters Wolfram Weimer sollte es sein, die vom Bund verge­benen (Bundes-)Film­preise erstens wieder zu dotieren, und zwar möglichst noch besser als im letzten Mal mit Geldern aus seiner Amts­scha­tulle.
Zweitens wäre es wünschens­wert, die Vergabe und die Ausrich­tung des Film­preises der »Deutschen Film­aka­demie« wegzu­nehmen. Der Preis müsste wieder durch eine kompe­tente Jury nach rein ästhe­ti­schen Kriterien vergeben werden.

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Wie manche Linke und Links­li­be­rale gerade ein bisschen durch­drehen und auf den Namen Weimar ungefähr so reagieren, wie ein Stier aufs Rote Tuch, kann man ganz gut bei einem Text in der »Zeit« analy­sieren, in der der Autor für mein Gefühl arg verkrampft versucht, Weimer zu einem Plagiator zu erklären. Tatsäch­lich hat Weimer in einem seiner Bücher ein Zitat von Josef Ratzinger (vorpäpst­lich) ohne Anfüh­rungs­zei­chen zitiert, nachdem er direkt davor, wie auch der Zeitautor zugesteht, Ratzinger genannt und einen anderen Satz korrekt zitiert habe. Viel­leicht war es Schlam­perei, viel­leicht fand es der Autor Weimar auch einfach blöd, noch einen zweiten ellen­langen Satz Ratzi zuzu­schreiben – schlimm ist das wirklich nicht. Man hat den Eindruck: es soll verkrampft irgendwas Böses gefunden werden. Ein anderes Beispiel ist ein tatsäch­lich nur sinn­ge­mäßes Zitat aus einer Rede von Theodor Heuss, der hier wiederum – ohne jeden Zitat-Nachweis – den Histo­riker Leopold von Ranke zitiert. Dies ist einfach eine irre Pedan­terie von unpro­duk­tiven Anti­quaren, die mit ehren­rüh­rigen Unter­stel­lungen arbeiten.
Ich erkläre hier gleich für alle, die nichts Besseres zu tun haben, dass auch mir so etwas passieren könnte und dass das bitte­schön überhaupt nichts damit zu tun hat, dass man wie KT zu Gutten­berg eine komplette Doktor­ar­beit ohne ausge­wie­sene Zitate auf Texten anderer aufbaut.

Zweimal beant­wor­tete Weimer die Zeit­an­fragen per Mail offenbar sehr korrekt und erklärte ganz offen, er sei immer »ein Viel­fach­ver­werter seiner Texturen« gewesen und habe seine Artikel regel­mäßig mehrfach veröf­fent­licht. Das ist nichts Ehren­rüh­riges, sondern effi­zi­ente Text­ver­wer­tung, wie man das als freier Autor eben macht. Und wie es aber auch schon zum Beispiel ein Heinrich von Kleist in seinen »Berliner Abend­blät­tern« und dann später in Verlags­ver­öf­fent­li­chungen getan hat. In den Abend­blät­tern verwirrte er das Publikum zusätz­lich noch durch die Verwen­dung von Pseud­onyma – aber bestimmt war Heinrich von Kleist auch ein gefähr­li­cher Konser­va­tiver.

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Im Spiegel formu­liert Sabine Rennefanz das Haupt­pro­blem treffend:

»Die zeit­genös­si­sche Kultur hat sich in den vergan­genen 20 Jahren verändert, Themen wie Anti­ko­lo­nia­lismus, Trans­gender, Anti­ras­sismus und Nach­hal­tig­keit wurden ins Zentrum gerückt und gepflegt. Weimer soll da wahr­schein­lich aufräumen, bei Subven­tionen und Aufmerk­sam­keit für iden­ti­täts­po­li­ti­sche Projekte sparen, viel­leicht Koope­ra­tionen mit Unter­nehmen orga­ni­sieren. Das dürfte Krach geben.«

Es könnte ein Problem für Weimer werden, aber es ist erstmal vor allem ein Problem der zeit­genös­si­schen Kultur.