Wer hat Angst vor Wolfram Weimer? |
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So wie einst Heinrich von Kleist... (Gemälde von Anton Graff, ca. 1808) | ||
(Zeichnung: Anton Graff, Public domain, via Wikimedia Commons) |
Welcher deutsche Film käme dem Drama gleich, das die Politik in diesen Tagen bietet, auch wenn der Medienbetrieb in Deutschland zur falschen Dramatisierung neigt und gleich von Staatskrise schwadroniert?
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Der neue Kulturstaatsminister Wolfram Weimer hat an diesem Mittwoch sein Amt angetreten. Es folgten drei ohne Frage symbolpolitisch gemeinte und prägnante Entscheidungen.
Weimers erste Amtshandlung war ein personeller Paukenschlag, die auch die Filmpolitik unmittelbar betrifft: »Claudia Roths Gehirn gefeuert« heißt die beneidenswert idiotische Überschrift in der BILD-Zeitung von heute (btw: Springer war offenbar vorinformiert, die Nachricht wurde nicht per
Pressemitteilung veröffentlicht).
Gemeint ist, dass Weimer ín seiner ersten Amtshandlung Andreas Görgen, den BKM-Minsterialdirektor und Amtsleiter, der de facto in den vergangenen Jahren die Arbeit für Claudia Roth gemacht hat, entlassen und durch dessen Stellvertreter Konrad Schmidt-Werthern ersetzt hat.
Die Zeitung behauptet dazu in oberflächlicher Populismus-Diktion: »Einer der Gründe: Görgens umstrittene Haltung zu Israel. Er gilt Weimer und Merz als Mastermind
der rot-grünen Kulturpolitik ... als Mann hinter der Judenhasser-freundlichen Kulturpolitik und als verantwortlich für den Judenhass-Eklat auf der 'Documenta'-Kunstschau 2022. Ihm wurde auch mangelnder Abstand zu Israel-Boykottbewegungen vorgeworfen.«
Diese Beschreibung ist in der Sache zu grob und der Person gegenüber ungerecht. Görgen mag Nähen zu Ländern und politischen Positionen des Globalen Südens haben, die manchen unsympathisch sind, er mag auch auf manche (!!) unsensibel im Umgang mit dem Antisemitismus des Kulturbetriebs gewirkt haben, ihm aber Antisemitismus oder Nähe zum BDS zu unterstellen ist unangemessen und ehrenrührig.
Vor etwa einem Jahr hatte Görgen bei den Kurzfilmtagen Oberhausen seine Position klar charakterisiert: In seiner Rede zitierte er Schillers Formulierung von der Kunst als einer »Tochter der Freiheit« und kam damit zu den Kampagnen gegen die Kunstfreiheit, die nicht nur die Kurzfilmtage betrafen. Es sei es ihm ein Anliegen zu sagen: »Wir schützen Sie! Wir verteidigen die Freiheit unserer Intendantinnen und Intendanten. Das gilt für jede Kultur-Institution.«
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Görgen verabschiedete sich heute in einer allgemeinen Abschieds-Email, aus der wir mit Erlaubnis des Verfassers zitieren:
»Sie erlauben, dass ich mich mit einem Wort des Dankes an Sie verabschiede. Es war mir eine Ehre, gemeinsam mit Ihnen unserem Land zu dienen und seine Kultur- und Medienpolitik mitgestalten zu dürfen.
Gemeinsam haben wir Krisen gemeistert, Konflikte gelöst, Institutionen reformiert, ordnungspolitische Rahmen gesetzt und die Freiheit der Medien und
der Künste in ihrer Vielfalt, Breite und Exzellenz gefördert und wir haben die BKM mit den notwendigen Mitteln und deutlich mehr Mitarbeitenden dazu in die Lage versetzt.«
Gemeinsam haben wir versucht, die Schönheit der Verschiedenheit der Menschen, der Medien und der Kultur unseres Landes wertzuschätzen und Raum zu geben für Weiterentwicklung. Denn der Zugang zum Universellen der Kultur erfolgt notwendig über das Partikulare. Gelingen wird er nur, wenn er dabei weder in Identitätspolitik noch Klientelismus stehen bleibt.
Sie alle kennen die zahllosen Einzeldossiers besser als ich. Sie wissen, dass alles, was gelungen ist, dank Ihrer Anstrengung gelungen ist. Dafür danke ich Ihnen sehr herzlich – für Ihren Rat, Zuspruch und Widerspruch, für Engagement und Energie und für den gemeinsamen Dienst zum Wohl unseres Landes.
Für mich persönlich darf ich wiederholen, was ich zum Abschied von Staatsministerin Roth gesagt habe: manches ist nicht gelungen oder nicht so gelungen, wie wir es uns vorgenommen haben und wie es unser Land verdient hätte. Das geht mir nach und umso aufrichtiger wünsche Ihnen allen und ganz besonders Konrad Schmidt-Werthern als meinem Nachfolger und Herrn Staatsminister Weimer alles Gute, viel Erfolg und ein frohes Gelingen.
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Zweite Amtshandlung Weimers: Die erste Pressemitteilung lautet: »Kulturstaatsminister Weimer sichert dem Präsidenten des Zentralrats der Juden in Deutschland Schuster volle Unterstützung im Kampf gegen Antisemitismus zu.«
Am ersten Tag nach seinem Amtsantritt ist Kulturstaatsminister Wolfram Weimer im Bundeskanzleramt mit dem Präsidenten des Zentralrats der Juden in Deutschland, Josef Schuster, zu einem vertrauensvollen Gespräch zusammengetroffen. Im Mittelpunkt stand die Frage, wie der wachsende Antisemitismus in Deutschland – insbesondere auch im Kulturbereich – noch entschlossener und wirksamer bekämpft werden kann.
Kulturstaatsminister Wolfram Weimer: »Es ist mir ein wichtiges Anliegen, gleich zu Beginn meiner Amtszeit den intensiven Dialog mit dem Zentralrat der Juden in Deutschland zu suchen – als Zeichen der Solidarität und einer verlässlichen Partnerschaft. Für mich ist es schmerzlich, ja unerträglich, zu sehen, wie der Antisemitismus in die Gesellschaft hineinkriecht. Auch im Kulturbereich haben wir, insbesondere seit dem barbarischen Terrorangriff der Hamas auf Israel am 7. Oktober 2023, zunehmend Boykottaufrufe oder andere Aktionen gegen jüdische Künstlerinnen und Künstler erleben müssen, die inakzeptabel sind. Dem werde ich mich mit aller Kraft entgegenstellen.«
Weimer kündigte an, in enger Zusammenarbeit mit dem Zentralrat der Juden in Deutschland konkrete Maßnahmen zur Bekämpfung des Antisemitismus im Kulturbereich zu erarbeiten.
Präsident des Zentralrats der Juden in Deutschland Josef Schuster: »Es ist ein starkes Zeichen, dass Staatsminister Weimer als eine seiner ersten Amtshandlungen das Gespräch mit der jüdischen Gemeinschaft in Deutschland sucht. Gerade die vergangenen Jahre haben gezeigt, dass Teile des
Kulturbetriebs in Deutschland häufig eine offene Flanke zu Israelhass und auch Antisemitismus haben. Das muss ernst genommen werden. Ich blicke optimistisch auf die künftige Zusammenarbeit mit dem Staatsministerium.«
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Das ist Symbolpolitik. Aber die richtige. Eine Gefahr und zwar eine erhebliche liegt nur in einem – und der neue BKM sollte das genau bedenken –: Der Kampf gegen Antisemitismus war immer überparteilich. Er war nie »links« oder »rechts«. Und das darf er auch nicht werden.
Es besteht aber gerade auch durch solche Akte die Gefahr, insbesondere im Kulturbetrieb, dass Solidarität mit Israel mit »rechts« und Solidarität mit Arabern mit »links« identifiziert
wird.
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Dritte Amtshandlung: Die zweite Pressemitteilung lautet: »80 Jahre Ende des Zweiten Weltkrieges – Kulturstaatsminister Wolfram Weimer: 'Singularität der Shoah mahnt uns, gegen Antisemitismus einzutreten.«
Sehr deutlich spricht Weimer hier gegen Relativierungen der Neuen Rechten von der »Singularität der Shoah«.
Das ist begrüßenswert.
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Der öffentlich sehr kritische Umgang mit Weimer ist in mancher Hinsicht berechtigt, und es gibt durchaus lustige Polemiken, wie etwa die letzte Woche in der FAZ erschienene großartige von Jürgen Kaube.
Leider überwiegen aber Erbsenzählerei, moralisierende Reflexe und eine destruktive Energie, von der man sich wenigstens 10 Prozent im Umgang mit Weimers Vorgängerin Claudia Roth gewünscht hätte. Ich finde das albern und traurig und frage mich, ob die Kollegen wirklich nicht Besseres zu tun haben und ob der immer knappere Platz in den noch existierenden Zeitungen nicht mit sinnvolleren Dingen ausgefüllt werden könnte, zum Beispiel damit, deutlich zu machen, was die Kulturpolitik in der Zukunft braucht.
Dazu haben wir hier auch Vorschläge gemacht, und zitieren uns einfach selbst: Eine der ersten Amtshandlungen des neuen Kulturstaatsministers Wolfram Weimer sollte es sein, die vom Bund vergebenen (Bundes-)Filmpreise erstens wieder zu dotieren, und zwar möglichst noch besser als im letzten Mal mit Geldern aus seiner Amtsschatulle.
Zweitens wäre es wünschenswert, die Vergabe und die Ausrichtung des Filmpreises der »Deutschen Filmakademie« wegzunehmen. Der Preis müsste wieder
durch eine kompetente Jury nach rein ästhetischen Kriterien vergeben werden.
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Wie manche Linke und Linksliberale gerade ein bisschen durchdrehen und auf den Namen Weimar ungefähr so reagieren, wie ein Stier aufs Rote Tuch, kann man ganz gut bei einem Text in der »Zeit« analysieren, in der der Autor für mein Gefühl arg verkrampft versucht, Weimer zu einem Plagiator zu erklären. Tatsächlich hat Weimer in einem
seiner Bücher ein Zitat von Josef Ratzinger (vorpäpstlich) ohne Anführungszeichen zitiert, nachdem er direkt davor, wie auch der Zeitautor zugesteht, Ratzinger genannt und einen anderen Satz korrekt zitiert habe. Vielleicht war es Schlamperei, vielleicht fand es der Autor Weimar auch einfach blöd, noch einen zweiten ellenlangen Satz Ratzi zuzuschreiben – schlimm ist das wirklich nicht. Man hat den Eindruck: es soll verkrampft irgendwas Böses gefunden werden. Ein anderes Beispiel
ist ein tatsächlich nur sinngemäßes Zitat aus einer Rede von Theodor Heuss, der hier wiederum – ohne jeden Zitat-Nachweis – den Historiker Leopold von Ranke zitiert. Dies ist einfach eine irre Pedanterie von unproduktiven Antiquaren, die mit ehrenrührigen Unterstellungen arbeiten.
Ich erkläre hier gleich für alle, die nichts Besseres zu tun haben, dass auch mir so etwas passieren könnte und dass das bitteschön überhaupt nichts damit zu tun hat, dass man wie KT zu
Guttenberg eine komplette Doktorarbeit ohne ausgewiesene Zitate auf Texten anderer aufbaut.
Zweimal beantwortete Weimer die Zeitanfragen per Mail offenbar sehr korrekt und erklärte ganz offen, er sei immer »ein Vielfachverwerter seiner Texturen« gewesen und habe seine Artikel regelmäßig mehrfach veröffentlicht. Das ist nichts Ehrenrühriges, sondern effiziente Textverwertung, wie man das als freier Autor eben macht. Und wie es aber auch schon zum Beispiel ein Heinrich von Kleist in seinen »Berliner Abendblättern« und dann später in Verlagsveröffentlichungen getan hat. In den Abendblättern verwirrte er das Publikum zusätzlich noch durch die Verwendung von Pseudonyma – aber bestimmt war Heinrich von Kleist auch ein gefährlicher Konservativer.
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Im Spiegel formuliert Sabine Rennefanz das Hauptproblem treffend:
»Die zeitgenössische Kultur hat sich in den vergangenen 20 Jahren verändert, Themen wie Antikolonialismus, Transgender, Antirassismus und Nachhaltigkeit wurden ins Zentrum gerückt und gepflegt. Weimer soll da wahrscheinlich aufräumen, bei Subventionen und Aufmerksamkeit für identitätspolitische Projekte sparen, vielleicht Kooperationen mit Unternehmen organisieren. Das dürfte Krach geben.«
Es könnte ein Problem für Weimer werden, aber es ist erstmal vor allem ein Problem der zeitgenössischen Kultur.