08.05.2025

Von Apfelkuchen und der besten Zeit des Lebens

The Song Sustxotin
Auch Raum für die jüngere Generation wie das usbekische Drama The Song Sustxotin...
(Foto: goEast)

Das goEast Filmfest des mittel- und osteuropäischen Films in Wiesbaden feierte dieses Jahr seinen 25. Geburtstag. Als Geschenke gab es ein vielfältiges Programm, prominente Gäste und natürlich Kuchen – zumindest filmisch

Von Paula Ruppert

Wer hat noch nie darüber geklagt, dass die Technik noch nicht so fort­ge­schritten ist, dass man sich das herrlich ausschau­ende Essen direkt aus dem Fernseher – oder der Leinwand – nehmen kann? Das Verlangen danach war wieder einmal sehr groß, nachdem Ludmila auf der großen Leinwand ihren Apfel­ku­chen fertig gebacken hatte. Der Kurzfilm Ludmila‘s Apple Pie (Regie: Loukia Hadjiy­i­anni) dauert zwar nur 15 Minuten, was aber mehr als ausreicht, um dem Publikum das Wasser im Mund zusam­men­laufen zu lassen. Dabei ist besagter Apfel­ku­chen zwar durchaus der Publi­kums­lieb­ling, im Zentrum steht aber eigent­lich seine Bäckerin. Sie erzählt vom Leben in der Sowjet­union, der Zeit nach dem Zusam­men­bruch, vom Leben in Georgien heute. Und dabei kommt man nicht nur in den audio­vi­su­ellen Genuss eines wunderbar ausse­henden Apfel­ku­chens, sondern auch in den einer Frau, die man gerne als die eigene Oma hätte. Der Film erhielt im Wett­be­werb um den RheinMain Kurz­film­preis eine lohnende Erwähnung auf dem dies­jäh­rigen goEast Festival des mittel- und osteu­ropäi­schen Films in Wiesbaden. Das feierte dieses Jahr seine 25. Ausgabe und hatte allerhand zu bieten – auf und neben der Leinwand. Dabei konnte es schon mal passieren, dass man sich auf den Kino-Apfel­ku­chen beschränken musste, da in all den span­nenden Programm­punkten schlicht kaum Zeit zum Essen blieb.

Der bereits ange­spro­chene RheinMain Kurz­film­wett­be­werb stand diesmal unter dem Motto „Revenge of the Babushka“, aber die Großmütter hatten das Festival auch in anderen Aspekten des Programms fest im Griff: Das Symposium mit Vorträgen und Podi­ums­dis­kus­sionen widmete sich dem Thema des Älter­wer­dens im Kino, die herz­li­chen und gleich­zeitig starken Frau­en­fi­guren waren in vielen Filmen auf verschie­denste Weise vertreten, und bei der Geburts­tags­party des Festivals legte die polnische DJane VIKA auf – selbst über 80 Jahre jung.

Aller­dings gab es auch Raum für die Geschichten jüngerer Gene­ra­tionen. Das usbe­ki­sche Drama The Song Sustxotin unter der Regie von Khusnora Ro’zmatova – ausge­zeichnet mit einer lobenden Erwähnung und von 3sat für eine TV-Ausstrah­lung ausge­wählt – beschäf­tigt sich auf visuell eindrück­liche Weise mit einer erbar­mungs­losen Dürre auf dem Land. Die Bewoh­nerInnen der umlie­genden Dörfer versuchen alles, um den Regen zurück­zu­be­kommen, wobei Tradition und Moderne manchmal in Konflikt geraten zu scheinen. Und doch geht es um viel mehr als das: Jugend, sexuelle Gewalt, feste Rollen­bilder, die Erbar­mungs­lo­sig­keit des Systems, der Versuch, allem zu entkommen. Der Film erzählt langsam und eindrück­lich, zeigt die trockene Land­schaft und ihre Einwoh­nerInnen, die verzwei­felt hoffen, doch noch ein bisschen Regen zu bekommen, um die Ernte noch retten zu können. Die Weite der Wüste ist erdrü­ckend, wodurch die Ausweg­lo­sig­keit der Prot­ago­nis­tInnen besonders stark hervor­tritt.

Ebenfalls mit einer länd­li­chen Region beschäf­tigt sich der aser­bai­dscha­ni­sche Wett­be­werbs­bei­trag My Magical World (Regie: Elvin Adigozel). Das Drama spielt in der Region Yevlax im Norden des Landes, die den meisten Zuschau­erInnen hier­zu­lande vermut­lich genau so unbekannt sein dürfte wie die usbe­ki­schen Regionen. Auch hier steht die Hoffnung auf ein neues, besseres Leben über allem. Der Unter­schied zwischen Stadt und Land wird deutlich, ohne, dass man je eine Stadt sieht; von der Haupt­stadt Baku wird nur gespro­chen. Der Titel des Films ist zugleich der Titel eines Liedes, mit dem die Prot­ago­nisten, die in einer Band spielen, auf den großen Durch­bruch hoffen. Generell arbeitet der Film viel mit Liedern und der damit verbun­denen Kultur, die so auch für fremdes Publikum zugäng­lich wird – My Magical World hat definitiv das Potential, stärkeres Fernweh auszu­lösen.

Überhaupt kamen Lieb­ha­berInnen des Südkau­kasus voll und ganz auf ihre Kosten. Neben dem aser­bai­dscha­ni­schen Film und dem eingangs erwähnten geor­gi­schen Ludmila‘s Apple Pie gab es noch arme­ni­sche und weitere geor­gi­sche Beiträge. Einer der geor­gi­schen, Holy Elec­tri­city (das Regie-Debut von Tato Kote­tish­vili), gewann die dies­jäh­rige Goldene Lilie für den besten Film. Er verknüpft das Leben in Tiflis und all seine poten­ti­ellen Schwie­rig­keiten mit dem Erwach­sen­werden, der ersten Liebe, Pech in den Finanzen, dem Dazu­gehören und der Hoffnung auf mehr Glück. Dabei stehen wunderbar detail­liert gezeich­nete Figuren im Zentrum, die so nah beleuchtet werden, dass es manchmal fast wie ein Doku­men­tar­film scheint. Zusätz­lich dazu besticht Holy Elec­tri­city durch seine visuelle Kompo­si­tion und auch durch den spie­le­ri­schen Wechsel von Ernst und Humor und macht viel Spaß beim Anschauen.

Wer Georgien lieber auf doku­men­ta­ri­sche Weise erkunden wollte, konnte das mit dem ruhigen und irgendwie herz­li­chen Film Blueberry Dreams (Regie: Elene Mika­be­r­idze) machen. Dieser stellt eine Familie ins Zentrum, die einen Neuanfang wagt und einen Kredit für ein Stück Land aufnimmt, um dort Blau­beeren anzubauen. Wer in die Film­ge­schichte Armeniens eintau­chen wollte, hatte mit My Armenian Phantoms die Möglich­keit, Kino- und Fami­li­en­ge­schichte verknüpft zu erfahren. Bei manchen der gezeigten Film­aus­schnitte hätte man sich aller­dings eine etwas umfas­sen­dere Einord­nung gewünscht, sodass das nicht im Vorfeld bereits in die Materie einge­ar­bei­teten Publikum die Verknüp­fungen der Film-, Nations- und Fami­li­en­ge­schichte besser hätte verstehen können.

Das absolute (persön­liche) Highlight jedoch war der neue Film von Altmeister Želimir Žilnik, der auch selbst anwesend war – einer der führenden Regis­seure der jugo­sla­wi­schen Schwarzen Welle der 1960er und 70er Jahre. Mit seinem neuesten Werk Eighty Plus (Origi­nal­titel: „Resti­tu­cija, ili, San i java stare garde“) hat er eine Hommage an das Älter­werden geschaffen, der nie ins Jammern gerät, ohne dabei alters­be­dingte Tücken auszu­klam­mern. Milan Kovačević spielt die über-80-Jährige Haupt­rolle auf eine so liebe­volle und nahbare Art, dass man gar nicht anders kann, als ab der ersten Szene in einem Wiener Schall­plat­ten­an­ti­qua­riat an seinen Lippen zu hängen. Auch dieser Film verbindet (sozia­lis­ti­sche) Geschichte mit der persön­li­chen Geschichte des Prot­ago­nisten, der das während dem Zweiten Weltkrieg beschlag­nahmte Anwesen seines Vaters erbt. Es entwi­ckelt sich eine Reise zwischen Zukunft und Vergan­gen­heit, bei der vieles offen, aber trotz des fort­ge­schrit­tenen Alters nichts zu spät ist – dieses berüh­rende wie schlicht und ergrei­fend schönes Werk ist eine ganz besondere Art des Coming-of-Age-Films.

Zwischen der Gene­ra­tion 80+, den Großmüt­tern und den Geschichten der jüngeren Gene­ra­tion wurde eines auf dem dies­jäh­rigen goEast besonders klar: Wenn man es richtig macht, kann jede Zeit des Lebens lebens­wert sein. Herz­li­chen Glück­wunsch zum Geburtstag, liebes goEast, auf viele weitere Jahre – und bis zum nächsten Apfel­ku­chen!