01.05.2025

Die große Selbstbestätigung

Katzelmacher
Dem Konzept wird alles untergeordnet...
(Foto: Münchner Kammerspiele / Gabriela Neeb)

Emre Akal inszeniert an den Münchner Kammerspielen den Fassbinder-Klassiker neu – als quietschbuntes Sammelsurium an Wiederholungen und Entfremdungen, als Abstraktion von einem großen Werk.

Von Benedikt Guntentaler

1969 feierte Katzel­ma­cher – der zweite Spielfilm des legen­dären Rainer Werner Fass­binder – in Mannheim Premiere. In 9 Tagen gedreht, kaum Budget, schwarz-weiß und so spröde stili­siert, wie es in Deutsch­land nach diesen Anfangs­tagen des Neuen Deutschen Films nicht mehr vorkommen sollte. Nah an der Nouvelle Vague wird sich natürlich bewegt, doch Fass­binder ist ruhiger, konzen­trierter, schwer­mü­tiger und trauriger. Ein stati­scher Film entsteht, dem man seine ursprüng­lich geplante Thea­ter­her­kunft jederzeit anmerkt: Die Kamera bewegt sich nahezu nie, nur in wenigen Ausbruchs­mo­menten, dann, wenn wir Schuberts Sehn­suchts­walzer hören, die Figuren (meistens zu zweit) der Kamera entgegen spazieren, jene vor ihnen wegfährt.

Dieses Klas­si­kers nun haben sich die Münchner Kammer­spiele ange­nommen, genauer gesagt Emre Akal, der mit dem Künst­lerduo Mehmet & Kazim Akal (Cousin und Bruder des Regis­seurs) eine Neufas­sung des Stoffes erar­bei­tete. Gespielt wird in drei Aufzügen plus Epilog, unter­bro­chen von Video­pro­jek­tionen, die das Publikum während der Bühnen­um­bauten bei Laune halten. Die sind quietsch­bunt; ausge­fal­lene, unwirk­liche Welten: 16-Bit-Video­spiele, Tausch­sta­tionen, Kinder­zimmer bevölkert mit menschen­großen Spiel­zeugen. Die eigent­liche Bühne dann verhält sich adäquat dazu, Mehmet & Kazim (zuständig für Video­in­stal­la­tionen und eben die Bühne) entwerfen arti­fi­zi­elle Räume, orien­tieren sich an stan­dar­di­sierten Ideen von Wohn­zim­mern und Essküchen, entfremden jene aber entweder ins Extreme (eine post­apo­ka­lyp­ti­sche Vampir-Welt) oder über­zeichnen sie in ihrer Typi­sie­rung hinein in die Selt­sam­keit.
Hand­werk­lich lässt sich dabei wenig kriti­sieren, allen­falls die merk­wür­dige Unschärfe der Anima­tionen stößt gele­gent­lich auf.

Das ist aller­dings der Standard für die Kammer­spiele, und als solcher auch voraus­zu­setzen. Schwierig wird es, überträgt man diese liebe­volle Gestal­tung auf den Inhalt.
Das beginnt bereits im ersten Aufzug: Wieder Wohnküche, nur sehen wir keine Menschen, sondern: Katzen, also Menschen in Katzen-Kostümen. (Wegen Katzel-macher…)
Hier wird man bereits stutzig, diesen flachen Wortwitz an den Anfang der Insze­nie­rung zu stellen, das verheißt nichts Gutes. Und in diesem Fahr­wasser verbleibt dann das gesamte Stück. Es ist eine Anein­an­der­rei­hung von Sätzen aus dem Film, ins Unend­liche wieder­holt (nicht variiert) und in wech­selnden Szenarien breit getreten. Ob nun Katze, Mensch, Compu­ter­spiel­figur, alle legen sie ihren galligen Rassismus dar, wüten gegen den Gast­ar­beiter Jorgos, der die zentrale Rolle einnimmt. Farben und Kostüme wechseln, der Inhalt bleibt stets der gleiche.
Nur: Was soll erreicht werden in dieser Repe­ti­tion der Repe­ti­tion, im Verwei­gern von Varianz und Aufbau?

Katzel­ma­cher (der Film), ist gerade darum so inter­es­sant, weil er den Rassismus nicht aus sich selbst begründet (wie es nun an den Kammer­spielen geschieht), sondern ihn schmerz­lich heran­wachsen lässt, die baye­ri­sche Vorstadt als Vorhölle der Perspek­tiv­lo­sig­keit, der Apathie, des keimenden Hasses auf sich selbst insze­niert, der sich dann auf das »Außen« entlädt. Auf selbst­ge­machte Feind­bilder, auf Gast­ar­beiter und Ausländer, auf all jene, die das eigene »Paradies« zu zerstören drohen. Denn an dieser Vorstel­lung muss man fest­halten, der eigene desolate Zustand darf nicht anerkannt werden. Er würde aufbre­chen, beginnen, die dauer­trun­kene Deutsch­tü­melei zu entlarven. An einer solchen Struktur der eigenen Ideen ist Akal wiederum nicht inter­es­siert. Bei ihm ist der Rassismus von Anfang an vorhanden, nicht geknüpft an Gesell­schaft oder Wirt­schaft, ganz generell an keine sozial-poli­ti­schen Eckpfeiler. Er ist einfach da, und er ist furchtbar. Prin­zi­piell kann man das schon so insze­nieren, akti­vis­ti­sches Theater, Message-Theater.
Nur: Wer in ein Stück namens »Katzel­ma­cher« geht, der weiß ja bereits im Vorhinein, dass er ein Stück gegen Rassismus sieht. Wird an dieser Auslegung strikt fest­ge­halten, ergibt sich lediglich eine Selbst­be­s­tä­ti­gung, ein Gleich­bleiben und braves Abnicken.

Schlimmer noch als diese ideo­lo­gi­sche Schwäche aber ist, wie sehr sich das Stück dennoch auf diese Grundidee stützt. Dem Konzept wird alles unter­ge­ordnet, es gibt durch die bestän­dige Wieder­ho­lung der Floskeln natürlich keine Entwick­lung der Figuren (gut, die gibt es auch bei Fass­binder nicht), durch die versuchte Verfrem­dung und bestän­dige Maskerade aller­dings werden die Phra­sen­dre­scher selbst zu laufenden Stich­worten degra­diert. Dieses Theater kennt keine Subjekte mehr, kennt aber eben­so­wenig ein anti-huma­ni­täres System, eine Ordnung, die die Indi­vi­dua­lität unmöglich macht. Es bleibt bei sich, bleibt bei der Grundidee, bei der Sicher­heit, etwas zu sagen, gegen das man keinen Einwand erheben kann (und möchte).

Und das ist schließ­lich auch das große Versagen dieser Insze­nie­rung – das Ausbleiben der Liebe, der Sehnsucht und der Schönheit. Werden all jene Dinge auch bei Fass­binder nicht erreicht, so sind sie doch vorhanden, der eigent­liche Kern des Films: Das Wissen darum, dass es eben doch anders sein kann, dass das Unglück zurück­ge­schlagen werden muss.
Diese Sehnsucht muss nicht erfüllt werden (wie auch), doch sie hängt anmutig über den Bildern, macht sie gerade darum so traurig.
In den Kammer­spielen nun werden wir vor Tatsachen gestellt, die sich aus sich selbst heraus begründen, die offen­sicht­lich, unmit­telbar, unver­än­der­lich und gegeben erscheinen.
Dafür muss man das Stück nicht besuchen, diese Einstel­lung trägt man bereits in den Thea­ter­saal hinein, lässt sie sich lediglich bestä­tigen.

Am Ende dann wurde viel geklatscht, Applaus-Rufe inklusive – das Publikum kann zeigen, wie es den Rassismus verschmäht, sich ein gutes Gewissen für den Preis einer Eintritts­karte erkaufen.
Beschwingt verlassen die Münchner das Thea­ter­haus: Was für ein bequemes Gefühl es doch ist, ein guter Mensch zu sein, wie wunder­voll, sich die Bestä­ti­gung selbst abzuholen.