Cinema Moralia – Folge 339
Das Ende der Ampel darf nicht zum Ende des deutschen Films führen! |
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Offer Avnons sehr persönlicher Dokumentarfilm Der Rhein fließt ins Mittelmeer... | ||
(Foto: DOK Leipzig) |
»Die letzte Schlacht gewinnen wir«
– Ton Steine Scherben (lange vor Claudia Roth)
Aus gegebenem Anlass: Liebe Freunde von Perlentaucher, ich lese den Perlentaucher sehr sehr gern und oft und regelmäßig (wie umgekehrt der Perlentaucher artechock) aber vergangene Woche tatsächlich nicht – insofern ist es allem Anschein zum Trotz nicht ganz zutreffend, wenn ihr schreibt, ich hätte Euren Einstieg und andere Formulierungen Eures Textes über Nick Cohens Spectator-Text zu Polanski »fast wortwörtlich« übernommen. Tatsächlich hat mir ein Freund Euren Textauszug ohne Quellenhinweis gemailt – und weil ich aus dessen Mail wie denen einiger anderer sehr wohl ohne Hinweis einfach übernehmen darf, habe ich das getan, nicht ohne in meinem Sinne umzuformulieren und nachzuschärfen. Dies nur als Hinweis an alle, die sich hier jenseits vom Perlentaucher ihre Ansichten bilden möchten.
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Aus gegebenem Anlass gab es am vergangenen Freitag eine Filmvorführung in der »Kulturschenke« Bajszel in Berlin-Neukölln. Es wurde einer der schönsten Berliner Abende seit langem. Wohl auch deshalb, weil man wenigstens einmal in der Hauptstadt bei einer Veranstaltung »zu Israel« bzw. mit einem jüdischen Künstler nicht mit propalästinensischen Aktivisten, linken Antisemiten und krakeelenden Vollidioten konfrontiert war, sondern mit israelfreundlicher Antifa, die zwischen Netanjahu und dem jüdischen Staat unterscheiden kann.
Gezeigt wurde Offer Avnons Der Rhein fließt ins Mittelmeer, ein sehr persönlicher Dokumentarfilm, der vor ein paar Jahren die Dok.Leipzig eröffnet hatte. Der Regisseur verknüpft dort mehrere Personen, Generationen und Herkünfte und es entsteht das Mosaik der Erfahrungen des 20.Jahrhunderts, zwischen Mord und Vertreibung, Wiedergeburt und Erinnerung.
Offer Avnon berichtete in der anschließenden Diskussion, dass sein Film perverserweise vom 7. Oktober profitiert habe – jetzt sei er plötzlich in Deutschland wieder nachgefragt.
Es verwundert und verstört um so nachhaltiger, dass dieser Film in Deutschland bis heute weder einen Verleih, noch einen Sender gefunden hat.
Es ist ein ausgezeichneter Film. Ein Film, in dem der Regisseur keinem etwas schuldet.
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Genau wegen solcher Veranstaltungen aus diesen Gründen ist das Bajszel auch ein Lieblingsziel der hauptstädtischen Linksfaschisten, wenn sie nicht gerade Hannah-Arendt-Lesungen stören oder Nan Goldin beim Israel-Bashing zujubeln. Die TAZ berichtet hier über den letzten Angriff vor vier Wochen, die Jüdische Allgemeine urteilt etwas grundsätzlicher über die Szene und die Hintergründe der Absicht, den freien kulturellen Austausch in der Hauptstadt zu unterbinden.
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Als späte Reaktion auf ihren Tod im Spätsommer widmete die Berliner Akademie der Künste am Samstag einen ganzen Abend der Künstlerin Rebecca Horn, die auch mehrere Filme gemacht hat. Ein Highlight war ein Interview Horns mit ihrem Darsteller Donald Sutherland, in dem der offen seine Ratlosigkeit mit Horns erratischem Ansatz eingestand, das zweite die Vorführung von Buster’s Bedroom (1990).
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Das Ampel-Gehampel ist seit drei Wochen zuende, das FFG-Gehampel bleibt. Ein paar Träumer und viele am Institutionen-Virus erkrankte Filmfunktionäre gibt es immer noch, die tatsächlich glauben, dass das Filmfördergesetz (FFG) doch noch vom Bundestag verabschiedet werden könnte. Ich habe das immer für Illusionismus gehalten, und heute morgen hat Friedrich Merz dem endgültig eine Absage erteilt.
In den letzten Wochen war ich von interessierter Seite gebeten worden, einen Text zu schreiben, nur eine Seite, aber »die sich gewaschen hat«. Für Presse und die Öffentlichkeit, um eine Begründung zu liefern dafür, warum der deutsche Film nicht unter dem Ampelchaos und den Folgen des Endes der Koalition leiden darf. Und konkrete Forderungen formulieren. (Aber nicht zu spezielle, nicht Kurzfilm, Essayfilm und Avantgarde und Gendern und gerechte Bezahlung und anderen Kleinkram erwähnen.)
Weil sich am Ende doch das Funktionärsdenken und der übliche Kleinmut durchgesetzt hat, gibt es nun keine Veröffentlichung am anvisierten Ort. Aber den Text.
Alle Leserinnen (und Leser) dürfen ihn also nehmen als Meinungsbeitrag, der weniger persönlich ist, und mehr im Sinne »des Ganzen«, des Deutschen Films, gedacht.
Vielleicht auch als Beginn einer ernsthaften Debatte.
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Das Ende der Ampel darf nicht zum Ende des deutschen Films führen!
Wir rufen um Hilfe. Es geht nicht so weiter. Der deutsche Film ist existentiell bedroht. Aber: Das Ende der Ampel darf nicht das Ende des deutschen Films sein.
Seit Ausbruch der Corona-Pandemie Anfang 2020 liegt der deutsche Film am Boden – und die deutsche Kulturpolitik tut nichts dafür, dass er wieder genesen kann.
Es ist besonders bedauerlich, dass bei einer Koalition, die auch gerade in vielen Teilen der Filmszene als »Fortschrittskoalition« begrüßt wurde, die filmpolitische Lage noch schlechter geworden ist, als sie es zuvor schon war.
Unter der Ampel ist filmpolitisch eigentlich gar nichts passiert.
Kulturpolitische Entscheidungen wurden zunächst vertagt und verschleppt, später verwässert und unter Ausschluss breiter Teile der Branche – der Regisseurinnen, Regisseure und aller anderen Kreativen, der unabhängigen Filmemacherinnen und Filmemacher aller Gewerke, der Filmfestivals, der Verleiher und Kinobetreiber, des Regienachwuchs – in einen für viele unbefriedigenden Entwurf gegossen, der allzu einseitig von der Handschrift der Produzenten geprägt
war.
Heute herrscht in der deutschen Filmszene die nackte Angst.
Und das aus guten Gründen: Kinos sterben, alteingesessene Firmen im Kino- und Produktionsbereich müssen dichtmachen, der kreative Nachwuchs wechselt den Beruf, Förderetats werden ebenso eingefroren oder zurückgefahren, wie die Etats und Sendeplätze der für das Filmemachen überlebensnotwendigen Sender.
Gleichzeitig arbeitet die Politik aktiv am Abbau der öffentlich-rechtlichen Fernsehsender mit.
Besonders Kulturkanäle und Abspielplätze für Kulturprogramme und Filme stehen unter politischem Beschuss durch demokratische Parteien. Die sachfremde Idee einer Zusammenlegung der multinationalen Kulturkanäle ARTE und 3sat ist ein lachhaftes Zeugnis der Weltfremdheit der politischen Entscheidungsträger, das – wäre sie nicht so traurig – den Stoff für eine Komödie à la Shtonk! bilden könnte.
Filmkultur verkommt zum Feigenblatt der
neuen demokratischen Feudalherren und Damen der Kulturpolitik.
Wer den Populisten aller Couleur Einhalt gebieten will, muss aber schon aus diesem Grund an einer vielfältigen, aktiven und lebendigen Filmlandschaft interessiert sein. Für eine demokratische Gesellschaft ist sie existentiell.
- Wir fordern erstens ein gemeinsames Bündnis aller demokratischen Parteien für den deutschen Film.
- Wir fordern zweitens eine Verabschiedung der bei allen unzureichenden, fehlenden und eindeutig fokussierten Inhalten doch notwendigen FFG noch im alten Parlament vor der kommenden Bundestagswahl.
- Wir fordern drittens von der im Frühjahr neu zu bildenden Bundesregierung ein Moratorium für den deutschen Film und die Bildung einer Task Force »Zukunft deutscher Film«, an
der alle Teile der Branche gleichberechtigt, auf Augenhöhe und mit offenem Ergebnis beteiligt werden, um den Stand der Dinge und die dringend notwendigen Veränderungen für die nahe Zukunft zu diskutieren – das Gegenteil der unter ständigem massivem Zeitmangel leidenden und im Ergebnis vorformatierten und damit systemisch versagenden »Runden Tische« der vergangenen Jahrzehnte.
- Wir fordern viertens eine Bestandsgarantie für alle derzeitigen Kulturprogramme des
Öffentlich-Rechtlichen Rundfunks, ein Ende aller Pläne zur Zusammenlegung und damit de facto Abschaffung der Sender 3sat, ARTE und Phoenix.
- Wir fordern fünftens konkrete Maßnahmen zur Förderung des deutschen Regienachwuchses, die sich an den Vorschlägen der vom Bundesverband Regie (BVR) mitgetragenen Initiative »Angst Essen Kino auf« orientieren.
- Wir fordern sechstens gezielte Maßnahmen zum Erhalt der vorhandenen Struktur unabhängiger Verleiher und zum Ausbau von
Arthaus- und Programmkinos, und der kommunalen Kinos/Filmhäuser und Filmmuseen.
(to be continued)