Blutige Engelsaugen |
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Moment des Auskleidens | ||
(Foto: Andergraun Films) |
Es beginnt mit einem Blick: Ein Stier wird gefilmt, nahezu unbeweglich schnaubt er in die Kamera. Es geht eine unbedingte Ruhe von dem Tier aus, eine Gelassenheit, die zu jeder Zeit in Aggression und Angriff übergehen kann. Langsam bewegt er sich zur Seite, jeder Muskel im Körper dieser schwarzen Bestie wird ersichtlich, die Spucke, die aus dem Maul tropft, die gekrümmten Hörner, die von der Stirn abstehen. Es ist ein beeindruckender Anblick, gerade im Wissen dessen, was folgen wird. Dieser (oder besser: Verschiedene Stiere) werden bekämpft werden, ihres Status als Subjekt beraubt, zu einem Objekt der Arena degradiert, einem blutigen Kampf, einem gewaltigen Schauspiel. Die Tiere werden dabei wechseln, der Kämpfer, der Tänzer, der Matador bleibt gleich: Andrés Roca Rey (28), dem wir in den kommenden 125 Minuten folgen werden, dessen Reaktionen vor, nach und während dem Kampf nun für immer festgehalten sind.
Ihn zeigt dann auch das nächste Bild, ein abrupter Schnitt reißt uns fort von dem Stier, sein Gesicht wird von jenem Reys ersetzt, und wieder sind es zunächst die Augen, die ins Zentrum rücken. Der Peruaner hat eine außergewöhnliche Physis, ist ein ungemein schöner Mensch, gesegnet mit geradezu engelsgleichen Gesichtszügen, die sofort an Alain Delon erinnern. Mit jenem teilt er sich ebenso seine Schüchternheit, wobei nie klar wird, inwiefern sein Gebaren gespielt ist, ob wir
überhaupt jemals hinter eine fein einstudierte, das Leben rein linear betrachtende Maske blicken. Nur die Augen können nicht lügen, ihr Glänzen kann nicht einstudiert werden, der Blick nicht vollends unter Kontrolle gelangen.
Und diese Augen des Andrés Roca Rey zeigen: Nichts, eine vollkommene Leere, ein trauriges Geradeaus, einen Fokus, der stets in der Zukunft zu liegen scheint, es sich nahezu nie zugesteht, einen Moment zu genießen, sondern in Gedanken schon beim nächsten Kampf ist.
Beim nächsten Kostüm, beim nächsten Bullen, bei der nächsten Arena, beim nächsten Tanz.
Viel mehr erfahren wir auch nicht von ihm, Serra gibt uns keinerlei Hintergrundinformationen, in – wie von ihm gewohnten und erhofften – ewig langen Einstellungen wird eine Sinnsuche betrieben, die sich Informationen verweigert und das Kino, das Filmen, als singulären, poetischen Blick auf die Welt begreift. Keine Erkenntnis über einen Sachverhalt steht hier im Zentrum, viel mehr die Suche nach der Wahrheit, die sich hinter dem Gezeigten verbergen könnte, ausgeführt ohne jede Moral.
Dies geschieht über repetitive Aufnahmen, natürlich in der Arena, viel aber auch in Hotelzimmern, wenn wir Andrés Roca Reys Rituale vor dem Kampf beobachten: Das Beten, das Ankleiden der komplizierten, prächtigen Stierkampfrüstungen, vor allem aber die Ruhe und Abgeschiedenheit, die dabei in jeder Sekunde zum Ausdruck kommt.
Und Autofahrten, immer wieder schier unendliche Autofahrten, weg von der Arena, zusammen mit seinem Team, die die »Vorarbeit« leisten, den Stier wild machen und mit Speeren für den Zweikampf schwächen. Diese Szenen in der Limousine gleichen sich haargenau, sind stets von der selben Perspektive aus gefilmt, Rey zentral in der Mitte, neben und hinter ihm seine Gefolgschaft. Diese Männer ermuntern ihn nach dem Kampf, loben und lobpreisen ihn, geben Informationen für die folgenden
Termine. Er selbst bleibt meistens still, antwortet hier und da, manchmal so schüchtern, wie es seine Erscheinung vermuten lässt, manchmal herrisch und manipulativ. Nur der Blick bleibt stets derselbe, immer nach vorne, immer ins scheinbar Ungewisse, selbst wenn die nächsten Tage bereits minutiös durchgeplant sind.
Diese Fahrten erinnern an Bilder von Spitzensportlern, die zu ihren Fußball- oder Basketballspielen chauffiert werden, umzingelt von Managern und Betreuern in
schwarzen Anzügen und dazu abgestimmten, teuren Uhren. Der Dreck und die Anspannung der Arena ist hier bereits völlig abgelegt, ersetzt durch spiegelnde, saubere Oberflächen, durch braunes, kaltes Leder.
Sein Herzstück aber besitzt Tardes de soledad / Afternoons of Solitude (so der wunderschöne Titel) natürlich in den Kämpfen. Die Digitalkamera erlaubt einen genauen Blick auf das Treiben in der Arena, Gesichter und Gesten können beobachtet werden, als stünde man direkt daneben. So wird eine gar intimere Stimmung erreicht, als es der Besuch des Stadions leisten könnte, eine Unmittelbarkeit, wie sie nur das Kino hervorbringen kann. Die
Kämpfe selbst sind in ebenso langen Einstellungen festgehalten wie der Rest des Films, sind ebenso repetitiv gestaltet. In mehreren Long-Takes verfolgen wir das immer gleiche Ritual: Die Schwächung des Bullen und daraufhin der eigentliche Tanz, Reys Kampf. Nahe steht er vor dem Stier, fast immer blickt er ihm in die Augen. Er lässt ihn anstürmen, dirigiert ihn mit einem roten Tuch, in der letzten Sekunde wechselt er die Richtung, das Tier stürmt vorbei, Rey positioniert sich neu. So wird
der Gegner müde gemacht, bis es schlussendlich zum finalen Gnadenstoß kommt. Rey rammt ihm einen Degen in den Nacken, die Bestie ist besiegt, die Arena tobt. Die sind die einzigen Sekunden, in denen sich etwas verändert, der Matador lacht, seine Augen lassen für einen kurzen Augenblick etwas durchscheinen, das Glück wohl noch am nächsten kommt.
Der Rest dann ist wieder nur Gewohnheit, dem Stier wird die Kehle aufgeschnitten, anschließend wird er von Pferden zur Schau durch die Arena
gezogen. Danach ab zurück in die Limousine, ins Hotel, und alles wieder von vorne, und von vorne, und von vorne.
Diese Kämpfe, gerade die ersten beiden, besitzen eine Dringlichkeit und Grausamkeit, wie es selten auf der Leinwand zu beobachten ist. Die brutalen Stöße gegen den Stier natürlich, doch auch Rey wird hier mehrfach verletzt, einmal so schlimm, dass es hätte tödlich enden können. Es ist einer der wenigen Momente, in denen das Schauspiel verlassen wird, sein ganzes Team irritiert auf ihn zu rennt und ihn in Sicherheit bringt. In dieser Ausnahmesituation ist jeglicher Glamour verflogen, jede Anmut dahin, was wir sehen, ist eine kostümierte Schauspieltruppe, beinahe lächerlich wirkt hier das gesamte Konstrukt des Stierkampfes, ein verzweifelter Versuch, die Natur zu besiegen. Und doch, so ehrlich muss man sein, es hat eine ungemeine Wirkung, wenn der Kampf denn so verläuft wie angedacht. Es ist brutal, natürlich, doch – gerade durch Serras Kamera – entwickelt sich eine seltsame Poesie, wie man sie womöglich nirgends anders finden kann.
Es ist eine perfekt einstudierte Theaterchoreografie, ein Zusammenspiel aus Kostüm (die prunkvollen Gewänder wurden nun schon zuhauf erwähnt, in ihrem kleinteiligen Aufbau, ihrem körperbetonenden, engen Schnitt bauen sie einen Großteil der Faszination auf), Körperhaltung, Mimik und Gestik. Und natürlich der – wahrhaftigen – Brutalität des Ganzen. Es wird ein Zwischenraum erreicht von Inszenierung und Ritual, letzteres durch die Symbolik von echtem Mord,
echtem Blut, zudem durch die stets vorherrschende Tradition. So trinkt Rey etwa nur aus einem kleinen silbernen Becher, der König ist im Stadion, kann dem Bullen in bester Julius-Cäsar-Tradition gar das Leben schenken.
Doch es ist fraglich, wie diese beiden Kategorien zusammenhängen, was daraus überhaupt entstehen kann, außer Spektakel, außer einer Studie. Anders als im Ritual soll sich hierbei nichts verändern in der Welt, im Gegenteil, der Stierkampf frisst sich gewissermaßen
selbst, kann der Logik nach nur einen Ausgang haben – sonst stirbt der Matador.
Diese Todessehnsucht ist permanent präsent, ein trauriges Anhängsel dieses blutigen Tanzes, der nur für Sekunden seinen Höhepunkt entwickeln kann. All die Vorbereitung, das Training, die Zusammenarbeit, läuft auf den immer gleichen Moment hinaus. Das Töten ist dabei nur ein Teil der Inszenierung, wird von den Beteiligten (womöglich forciert) schon gar nicht mehr ernst genommen. »Life is nothing, you have big balls.«, »Fuck the dead.« Dieses Machogehabe ist Teil des Spiels, eine permanente gegenseitige Bestätigung, der Größte zu sein, sich diesen Sieg verdient zu haben, größer und besser zu werden als das Leben selbst. Sieht man dazu diese Bilder, die genaue Studie der Kunst, die diesen Ausrufen zugrunde liegt, dann ist man fasziniert, erkennt, welche Wucht, welcher Schmerz und welche existenzielle Lebensweise all dem zugrunde liegt.
Doch die Augen stechen immer wieder hervor, und mit ihnen die totale Sinnlosigkeit, der Wunsch nach dem letzten Triumph, der so nie erreicht werden wird, der immer und immer wieder herausgefordert wird, im Staub und Blut der Arena. Das Absolute wird nicht erreicht werden, das Leben setzt ein und kann nicht überwunden werden. Und so wird die Suche danach einsam und traurig, das Außerhalb dessen selbst immer kleiner.
Wer das Leben bekämpft, der ist dem Tod bereits anheimgefallen.
– Dies wird im Stierkampf (oder besser: in Albert Serras großem Stierkampffilm) auf unwahrscheinlich nahbare Weise deutlich, entfaltet eine Traurigkeit und Sehnsucht, die nicht zuletzt eine wahrhaftige Schönheit in sich trägt.
Es ist ein ambivalenter Film geworden, ebenso streitbar wie poetisch. Und ein Meisterwerk.