Knocking on Heaven's Gate |
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Kris Kristofferson (1936-2024) mit Isabelle Huppert in Heaven’s Gate (1980) | ||
(Foto: YouTube) |
Von Axel Timo Purr
Natürlich war da zuerst das militärische Vaterhaus und die Befreiung durch die Musik, von dem jeder schon irgendwann einmal gehört hat oder es zumindest auf Wikipedia nachgelesen hat. Wie so viele durch die Hippie-Gegenkultur der späten 1950er und 1960er geprägten Menschen, gab es auch für Kristofferson nicht nur ein Ziel, sondern allenfalls den Weg, der das Ziel war. Das mag sich durch den seitdem fast inflationär gebrauchten Begriff der Freiheit, mit dem dieser Weg gepflastert sein sollte, heute nur nach kommerzieller Verschlagwortung und Yoga auf Bali anhören, doch wer sich die Aufnahmen von Kristoffersons Liedern auf seinem Debütalbum oder The Silver Tongued Devil and I anhört, der ahnt zumindest, dass es Kristofferson Ernst damit war, wenn er schon vor vielen Jahren sagte, dass auf seinem Grabstein nicht mehr als die Zeilen von Leonhard Cohens Bird on the Wire stehen sollten:
»Like a bird on the wire
Like a drunk in a midnight choir
I have tried in my way to be free«
Zeilen, die in ihrer Sehnsucht, die immer auch mit einem humorvollen Zynismus und einer gnadenlosen Klarsicht gepaart waren, auch von Kristofferson selbst hätten geschrieben sein können, denn auch sein vielleicht berühmtester Song, der von Janis Joplin völlig anders interpretierte Me and Bobby McGee hatte ja eben diese so heikle, zwiespältige Freiheit zum Thema – »Freedom is just another word for nothin‘ left to lose« – die sich dann auch in der öffentlichen Person von Kristofferson widerspiegelte, sei es als Hubschrauberpilot, Putzmann, Sänger oder halt: Schauspieler.
Denn letztendlich transformierte Kristofferson jede seiner Rolle zu dem Kern, der er war, oder glaubte zu sein oder sich einfach nur wünschte zu sein. Das war in seiner ersten großen Hauptrolle in Cisco Pike (1972) mit Gene Hackman nicht anders als an der Seite von Bob Dylan in Sam Peckinpahs Pat Garrett & Billy the Kid (1973) oder in Martin Scorseses großartigem, heute fast vergessenen Alice Doesn’t Live Here Anymore (1974) oder an der Seite von Barbara Streisand in A Star is Born (1976), in der tatsächlich erst der totale Verlust die Erlösung und damit die Freiheit bedeutet. Und dann ist da noch Convoy (1978), ein weiterer Film Peckinpahs, der sich gerade kostenlos auf Plex streamen lässt und Kristofferson als anarchistischen Trucker in einer irren Genre-Melange aus Neo-Western, Truckerfilm, Komödie und linksradikalem, sozialrealistischem Film zeigt, und dort in seiner bewährten Rolle die Fäden zusammenführt und am Ende sogar das Pathos mit Humor unterläuft.
Das heißt natürlich auch, dass Kristofferson irgendwie immer der Gleiche war. Er war kein Charakterdarsteller und Method Acting-Schwergewicht wie Robert de Niro, der sich vom wirren Vietnam-Veteran bis zum schwergewichtigen Boxer überzeugend transformieren konnte. Kristofferson sah selbst in einem Neo-Noir-Thriller, wie dem 1985 entstandenen Trouble In Mind mit Keith Carradine und Lori Singer, von dem etwas jüngeren und sich heute nur noch mit Malerei beschäftigenden Alan Rudolph so aus, wie er immer ausgesehen hat. Und er spielt stets das, was er am besten kann, einen moralischen, aber zerbrechlichen Monolithen, der bereit für jedes Opfer ist, um so etwas wie Freiheit oder das Pendant dazu, die Wahrheit, irgendwie zu verwirklichen. Selbst in späteren Genre-Arbeiten wie an der Seite von Wesely Snipes in der Blade-Trilogie scheint dieser Kern durch und schafft narrative Brüche, Momente der Ironie und des Zweifels. Und immer auch etwas Befremdliches, im Film nie ankommendes, so gar nichts an einen Schauspieler erinnerndes, über das man durchaus auch schmunzeln konnte.
Am eindrucksvollsten verkörpert Kristofferson diese Ambivalenzen allerdings in jenem Film, der nicht nur den Regisseur, sondern auch Kristofferson seinen A-Status in Hollywood kosten sollte, dem Spät-Western Heaven’s Gate von Michael Cimino. An der Seite von Isabelle Huppert, Christopher Walken, John Hurt, Sam Waterston, Joseph Cotten und Jeff Bridges träumt Kristofferson hier den Traum von Freiheit und Gerechtigkeit, und weiß dabei, dass dem Traum zu folgen, so wie Joseph Conrads Lord Jim, auch bedeutet, dass am Ende vielleicht nicht jedem der Tod widerfährt, doch zumindest die ganz große Einsamkeit. Doch Cimino gibt Kristoffersons Rolle, die des US Marshalls James Averill, der versucht, die Lüge des amerikanischen Traums von der Freiheit zu demaskieren und im gleichen Atemzug auch wieder zu ermöglichen, einige der schönsten Momente von Freiheit und Wahrhaftigkeit. Das ist in Averills Fall die Liebe zu Ella, zu Isabbelle Huppert, in einer ihrer schönsten Rollen, in der sie gleich zwei Mal mit Kristofferson tanzt. Das erste Mal auf Rollschuhen in einem Zelt voller Feiernder, das zweite Mal allein in dem gleichen Zelt und in ganz normalen Schuhen.
Und vielleicht ist es dieser Moment, als Kristofferson mit Huppert in das Zelt tritt, um zu tanzen, und das Zelt dann wieder verlässt mit ihr, vielleicht ist das die eigentliche Freiheit, die des Vergessens, das sich in der Schönheit des Tanzens verlierende Ich, der Vogel auf dem Seil, der Eintritt in das Leben und auch der Austritt aus dem Leben, gleichermaßen schön. Und so möchten wir Hinterbliebenen, die wir auf diesen Austritt noch warten müssen, uns Kristofferson vorstellen, für immer und ewig, mit Wehmut und mit Fröhlichkeit. Ein genauso doppeltes Glück ist es, dass sich dieser Moment in ganzer Länge auf YouTube ansehen und anhören lässt – im Heaven’s Gate bzw. Ellas Walzer; der Mann an der Geige, um wenigstenst am Ende auch noch einmal von den Lebenden zu sprechen (denn auch Michael Cimino ist ja bereits 2016 gestorben), ist übrigens der großartige David Mansfield, der mit Heaven’s Gate sein Debüt als Filmkomponist gab.