Auf der Suche |
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Eröffnungsfilm: The Baggy Trousers Case | ||
(Foto: Türkische Filmtage · Kartal Tibet) |
Von Elke Eckert
Zum 35. Jubiläum erwarten die Türkischen Filmtage München vom 17. bis 21. April zahlreiche Gäste aus der türkischen Filmszene an den Veranstaltungsorten im Royal Filmpalast und im Gasteig HP8. Das musikalische Rahmenprogramm findet in zwei Locations der Münchner Kammerspiele statt. Am 20. April steigt ab 21 Uhr mit DJ Ipek die Festivalparty im Blauen Haus. Bereits am 11. April ab 19 Uhr entführen im Habibi Kiosk Sängerin Süreyya Akay und Bağlama-Spieler Yasin Yardım ihr Publikum auf einer musikalischen Festival-Route an die Orte, an denen die Filme des diesjährigen Programms spielen. Die acht Dokumentationen sind spannende Spurensuchen und Porträts von beeindruckenden Persönlichkeiten. In den neun Spielfilmen stehen oft starke Frauen in komplizierten Beziehungen im Mittelpunkt. Frauen, die leidenschaftlich für ihre Träume kämpfen. Frauen, die sich gegen überholte Geschlechterrollen auflehnen. Frauen, die mit ihrem Widerstandsgeist anderen Mut machen und sie inspirieren.
Eine, die immer Mut gemacht und inspiriert hat, ist die türkische Schauspielerin Müjde Ar. Seit 50 Jahren zeigt sie mit ihrer tabubrechenden Schauspielkunst Haltung und wurde so zur Ikone, besonders für Frauen. Deshalb wird ihr bei der Eröffnungsveranstaltung nicht nur der Ehrenpreis fürs Lebenswerk verliehen, sondern auch ein restaurierter Filmklassiker mit ihr in der Hauptrolle gezeigt. In der Komödie Şalvar Davasi – The Baggy Trousers Case von 1983 kommt Müjde Ar als junge Elif in ihr Heimatdorf zurück. Während dort alles beim Alten geblieben ist, hat sie sich in der Stadt verändert. Sie will nicht mehr hinnehmen, dass die Männer ihre Frauen schlecht behandeln, und organisiert den kollektiven Widerstand. Für die Rolle der Elif in der Adaption des antiken Theaterstücks »Lysistrata« wurde Müjde Ar 1984 von der Turkish Film Critics Association als beste Schauspielerin ausgezeichnet. (Mittwoch, 17. April, ab 19 Uhr, OmU)
Einen einsamen Kampf, dafür an allen Fronten, trägt Nesrin in dem 40 Jahre später entstandenen Drama Cam Perde – Glass Curtain aus: Nach ihrer Scheidung zieht die junge Frau ihren vierjährigen Sohn allein groß. Erschwert wird ihr das durch bürokratische Hürden und den Druck, den ihr Ex-Mann auf sie ausübt. Als sie darüber hinaus von ihrem neuen Freund schwanger wird, muss sie eine Entscheidung treffen… Der Film von Fikret Reyhan wurde vielfach prämiert, unter anderem zweimal mit dem Special Jury Award bei den Filmfestivals in Istanbul und Ankara. Der Regisseur ist auch in München zu Gast. (Samstag, 20. April, 17 Uhr, OmU)
In Aniden – Suddenly ändert sich das Leben der Hauptdarstellerin von einem Tag auf den anderen. Eigentlich wollte Reyhan ihrer Heimatstadt Istanbul nur einen kurzen Besuch abstatten. Als sie aber vor der Rückreise nach Hamburg ihren Geruchssinn verliert und nach einer Untersuchung ihre Gesundheit ernsthaft gefährdet sieht, folgt sie ihrer Intuition und sucht Orte ihrer Vergangenheit auf. Auf ihrem Selbstfindungstrip wird Reyhan klar, wieviel sie in den letzten Jahren verdrängt hat. – Das Drama von Melisa Önel erregte international Aufmerksamkeit und wurde bei den Filmfestivals von Rotterdam, Vancouver und Tokio gezeigt. (Samstag, 20. April, 20 Uhr, OmeU)
Rüzgar Erkoçlar muss ebenfalls ins Risiko gehen, um zu sich selbst zu finden. Mit dem Setzen einer Testosteronspritze entscheidet sich Rüdzgar, der davor als Schauspielerin Karriere gemacht hat, im Oktober 2012 für eine Geschlechtsangleichung. Der Dokumentarfilm Blue ID von 2022 zeigt, wie die Öffentlichkeit auf diesen Schritt reagiert hat und wie schwierig Rüzgars Weg zu einer männlichen Identität war. (Sonntag, 21. April, 20 Uhr, OmeU, mit dem Vorfilm The Longest Night, OmU)
An einen Wendepunkt in ihrem Leben kommen auch die zwei befreundeten Synchronschwimmerinnen Misra und Defne, die in der Doku Düet – Duet porträtiert werden. Nachdem sie viele Jahre gemeinsam an Wettkämpfen teilgenommen haben, verpassen die beiden die Qualifikation für die Olympischen Spiele 2016 in Rio. Umso mehr hoffen sie auf eine Olympia-Teilnahme vier Jahre später. Doch dann wird das Duo durch die plötzliche Entlassung ihrer Trainerin und die weltweite Pandemie völlig aus der Bahn geworfen… Das Sportlerinnenporträt von Idil Akkuş und Ekin Ilkbağ erhielt beim Dokumentarfilmfestival in Istanbul den Preis für den besten Schnitt. (Samstag, 20. April, 16 Uhr, OmeU)
Wie nachhaltig ein kleiner Fehler eine Sportlerkarriere negativ beeinflussen kann, zeigt die Doku Iska – The Miss. Sie erzählt die Geschichte des türkischen Torhüters Fevzi Tuncay, dem in der Saison 1999/2000 bei einem wichtigen Spiel gegen den Lokalrivalen der Ball entglitt, was seinen Verein Beşiktaş Istanbul letztlich die Meisterschaft kostete – und Tuncay seinen guten Ruf. Die Schuldzuweisungen von Fans und Presse prägten auch seine weitere sportliche Laufbahn. (Sonntag, 21. April, 13 Uhr, OmeU)
In der zweiten Fußball-Doku geht es um einen Club aus der türkischen Metropole Bursa, der sich vier Jahre nach seiner Gründung umbenannte. Ab 1975 hieß der Verein Dinamo Mesken, weil die Spieler nach einem Match gegen Dynamo Kiew genauso von der Ideologie der sowjetischen Mannschaft beeindruckt waren wie von deren fußballerischen Fähigkeiten. Dieses politische Statement war aber auch gefährlich. Nach dem Militärputsch wurde der Verein Anfang der achtziger Jahre verboten, Spieler und Vereinsmitglieder wurden verhaftet, gefoltert und angeklagt. Die Kurzdokumentation, in der Zeitzeugen zu Wort kommen, zeichnet das Bild eines außergewöhnlichen Fußballvereins. (Sonntag, 21. April, 13 Uhr, OmeU)
Osman Özgüven hat nicht nur eine bewegte Vergangenheit. Als Communist Osman bekannt, nimmt der Menschenrechtler und Friedensaktivist auch in seinem neunten Lebensjahrzehnt noch an politischen Aktionen teil. Früher war Özgüven einer der führenden Vertreter der türkischen Umweltschutzbewegung, machte die Gemeinde Dikili als Bürgermeister zu einem Begegnungszentrum und setzte sich für friedliche Beziehungen zum griechischen Nachbarland ein. Dafür erhielt er zahlreiche internationale Auszeichnungen, aber auch viel Gegenwind und Anfeindungen von politisch Andersdenkenden. Gökmen Ulu lässt anhand von Archivaufnahmen Özgüvens unermüdliches Engagement und das seiner Mitstreiter Revue passieren. (Donnerstag, 18. April, 19 Uhr, OmeU)
Kawa Nemir kämpft für seine Leidenschaft, die kurdische Sprache. Er hat sein Leben dem Übersetzen von Klassikern der Weltliteratur verschrieben. Weil das Kurdische in der Türkei unterdrückt wird, musste Nemir ins Exil nach Amsterdam fliehen. Seine bisher größte Herausforderung ist die Übersetzung des als unübersetzbar geltenden »Ulysses« von James Joyce. Ulysses Cevirmek – Translating Ulysses ist das Porträt eines passionierten Wortsammlers und -bewahrers. (Samstag, 20. April, 20 Uhr, OmeU, mit dem Vorfilm 8 Mart 2020: Bir Günce – March 8, 2020: A Memoir, OmeU)
Kerem Soyyılmaz‘ Dokumentarfilm Rodakis'i Ararken – Searching For Rodakis ist ein sehr persönliches und zugleich völkerverbindendes Werk. Als der Regisseur mit seiner Familie in ein altes Haus in der Nähe von Istanbul zieht, entdeckt er bei den Renovierungsarbeiten einen verwitterten Grabstein. Seine Recherchen ergeben, dass dort die 17-jährige Chrysoula begraben liegt, die 1887 starb. Nach der Entdeckung 2016 folgt Soyyılmaz den Spuren von Chrysoulas Familie nach Griechenland, wo seine Suche sechs Jahre später in Thessaloniki endet. Die menschlich und historisch interessante Doku wurde beim Adana Golden Boll Filmfestival 2023 als beste Dokumentation ausgezeichnet, ihr Regisseur ist in München zu Gast. (Samstag, 20. April, 18 Uhr, OmeU)
Die Spurensuche, von der der Dokumentarfilm Kavur erzählt, ist nicht weniger persönlich, aber wesentlich fantastischer. Der Film nähert sich dem türkischen Filmemacher Ömer Kavur, indem sich eine junge Frau auf eine Reise zu Orten aufmacht, die sie an die Filme des Regisseurs erinnern. Dabei entspinnt sich ein imaginärer Dialog zwischen ihr und Kavur. (Sonntag, 21. April, 15.30 Uhr, OmeU)
Von zwei Menschen, die sich nicht wirklich kennen, aber trotzdem schicksalhaft miteinander verbunden sind, handelt auch Hayat – Life. Hicran soll Riza heiraten, so will es ihr Vater. Als die junge Frau daraufhin von zu Hause wegläuft, macht sich ihr Verlobter, der Hicran nur einmal gesehen hat, auf die Suche nach ihr… Regisseur Zeki Demirkubuz stellt sein über dreistündiges Drama, das von der Turkish Film Critics Association unter anderem als bester Film nominiert war, persönlich vor. (Sonntag, 21. April, 19 Uhr, OmeU)
Der Schilfrohrschneider Ali würde für seine Frau Aysel alles tun, nur eines nicht: sich der örtlichen Mafia beugen. Weil das aber bedeutet, dass er und seine Familie nicht genügend Geld zum Leben haben, verdingt sich Aysel im Schilflager des Kartells und löst damit eine tödliche Kettenreaktion aus. – Das dichte Drama Son Hasat – The Reeds feierte seine Weltpremiere beim Toronto International Filmfestival, beim Göteborg Filmfestival erhielt Cemil Ağacıkoğlu eine Nominierung als bester Regisseur. (Sonntag, 21. April, 13 Uhr, OmeU)
Ausweglos scheint das Schicksal von Nasip in Karganin Uykusu – Sleep of the Crow zu sein. Seit er beim Schlafwandeln seine Frau getötet hat, hat er nicht nur mit seiner Schuld zu kämpfen, sondern fürchtet auch, seinen siebenjährigen Sohn auf die gleiche Weise umzubringen. Er sieht nur eine Möglichkeit, das zu verhindern: Er macht sich auf die Suche nach einer Familie, bei der Ismail aufwachsen soll… Das Drama von Tunahan Kurt wurde mehrfach ausgezeichnet, unter anderem als bester Film beim Ankara Filmfestival. Der Regisseur und sein Hauptdarsteller Ahmet Ağgün sind in München zu Gast. (Freitag, 19. April, 18 Uhr, OmeU)
Um eine Art Ersatzfamilie geht es auch in Ela ile Hilmi ve Ali – Ela and Hilmi with Ali. Nachdem Ela bei einem Erdbeben ihre Verwandten verloren hat, nimmt sich der ältere Mathelehrer Hilmi ihrer an. Die beiden heiraten und Hilmi unterrichtet nicht nur Ela, um sie auf ihr Uniexamen vorzubereiten, sondern auch Ali, der schon zweimal sitzengeblieben ist. Als die Dreierbeziehung immer enger wird und es keine Grenzen mehr zu geben scheint, nimmt ihr Miteinander bedrohliche Züge an… Sowohl der Cast als auch die Story des schrägen Dramas stießen vor allem bei nationalen Filmfestivals auf große Resonanz. Beim Istanbul Filmfestival erhielt Regisseur und Drehbuchautor Ziya Demirel zusammen mit seiner Co-Autorin unter anderem den Preis für das beste Originaldrehbuch. Demirel ist auch in München zu Gast, gemeinsam mit Ece Yüksel, der Darstellerin der Ela. (Freitag, 19. April, 20.30 Uhr, OmeU)
In der Tragikomödie Sanki Her Sey Biraz Felaket – Almost Entirely a Slight Disaster begegnen sich vier junge Menschen mehr oder weniger zufällig in Istanbul: Studentin Zeynep belasten ihre Ängste, ihre Mitbewohnerin will die Türkei unbedingt verlassen, weil sie sich davon eine bessere Zukunft verspricht. Ali leidet darunter, dass er keine Arbeit hat und deshalb noch bei seinen Eltern wohnen muss. Sein Schulfreund, ein verheirateter Ingenieur, ist ebenfalls mit seinem Leben unzufrieden, obwohl er vermeintlich alles hat. – Regisseur Umut Subaşı beschreibt die Sorgen und Nöte der Millennials so, wie es nur einer kann, der selbst zu dieser Generation gehört. Er nimmt sie ernst, aber schafft es, dabei den Humor nicht zu verlieren. Dafür gab es beim Adana Golden Boll Filmfestival gleich mehrere Auszeichnungen: für die beste Regie, den besten Film und das beste Drehbuch. (Samstag, 20. April, 15 Uhr, OmU)
Fatal und brutal verlaufen die Begegnungen in Ayşe Polats Politthriller Kör Noktada – Im toten Winkel, der im Nordosten der Türkei spielt, wo ein deutsches Filmteam einen Dokumentarfilm dreht. Im Mittelpunkt der verstörenden Ereignisse steht ein siebenjähriges Mädchen, das von Visionen heimgesucht wird. – Die Geschichte über Intrigen und Verrat wird aus unterschiedlichen Perspektiven erzählt, was sie noch abgründiger macht. Der Film wurde vielfach ausgezeichnet, in sieben Kategorien beim Ankara Filmfestival, in vier beim Filmfestival in Istanbul. Katja Bürkle, eine der Darstellerinnen, ist zu Gast in München. (Sonntag, 21. April, 16 Uhr, OmU)
Acht herausragende und prämierte Kurzfilme, die am Sonntag, 21. April, ab 17.30 Uhr im Gasteig HP8 gezeigt werden, runden das Programm ab.