18.01.2024
Cinema Moralia – Folge 314

»Die Filmakademie hat circa 2.200 Mitglieder. Wo sind die?«

Studio Babelsberg AG
Keine guten Nachrichten aus Babelsberg...
(Foto: Studio Babelsberg AG)

Die Lage in Babelsberg, die Debatte über die Antisemitismusklausel und ein übersehenes Interview mit Martin Moszkowicz – Cinema Moralia, Tagebuch eines Kinogehers, 314. Folge

Von Rüdiger Suchsland

»Womit ich schwer umgehen kann, ist, dass Kollegen und Kolle­ginnen, von denen ich der Über­zeu­gung war, dass sie einen funk­tio­nie­renden mora­li­schen Kompass haben, sich nicht posi­tio­nieren und rela­ti­vieren. Ich fand die gesamte Reaktion unter­ir­disch.« – Martin Mosz­ko­wicz

Am Diens­tag­nach­mittag kam per Agentur die über­ra­schende Meldung: Die lang­jäh­rigen Vorstände der tradi­ti­ons­rei­chen Babels­berger Film­stu­dios Carl Woebcken und Christoph Fisser haben ihre Ämter »nieder­ge­legt« – und zwar schon Ende letzten Jahres zum 31. Dezember. Obwohl ihre Verträge noch bis Mitte 2025 liefen.
Dies teilte jetzt das Studio mit. Schon seit genau zwei Jahren ist die Studio Babels­berg AG nicht mehr unab­hängig, sondern gehört mehr­heit­lich der Studio­platt­form »Cinespace Studios«, dem zweit­größten Studio­be­treiber in den USA, die wiederum einem US-Immo­bi­li­en­in­vestor, der TPG, gehören. Eine außer­or­dent­liche Haupt­ver­samm­lung der Studio Babels­berg AG hatte im April 2023 mehr­heit­lich für einen »Beherr­schungs- und Gewinn­ab­füh­rungs­ver­trag« gestimmt.

Die jetzige Nachricht ist natürlich keine gute. Man wundert sich auch, dass sie mit zwei bis drei Wochen Verzug kommt. Ich dachte immer, bei einem börsen­no­tierten Unter­nehmen gäbe es sehr genaue und unmit­tel­bare Berichts­pflichten.

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Aber wie geht es eigent­lich den Babels­berger Studios? Nach der Neugrün­dung in den 90er Jahren glaubte man an eine Wieder­ge­burt der großen Tradition und neuen Glanz. Unter Woebcken und Fisser, die fast 20 Jahre im Amt waren, gab es Auf und Abs, nicht den ganz großen Wurf, aber einen soliden Studio­be­trieb. Aber die Pandemie hat Babels­berg getroffen, die allge­meine Kinokrise ist viel stärker geworden. Es gab Kurz­ar­beit und Auftrags­mangel. Und es gab 2023 keine einzige Holly­wood­pro­duk­tion – natürlich haben da die Streiks in den USA auch nicht geholfen.
Zugleich leiden Film­stu­dios heute keines­wegs unter Auftrags­mangel. Studios sind im Prinzip gut beschäf­tigt. Aber die deutschen Studios können – auch wegen der Versäum­nisse der Film­för­de­rung – nicht mit der scharfen inter­na­tio­nalen Konkur­renz mithalten. Selbst deutsche Produk­tionen – Kino wie Serien – drehen in Budapest und Prag oder in Rumänien. In diesen Ländern locken nicht zuletzt Steu­er­vor­teile die Produ­zenten.

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Pres­se­mel­dungen sind immer auch die hohe Kunst der Diplo­matie. Wenn man die gestrige Meldung noch genauer liest, fällt auf: Woebcken und Fisser haben ihre Ämter »nieder­ge­legt«, sich zurück­ge­zogen – das klingt eher nach einem Fight und Zwang, nach fehlenden Gestal­tungs­räumen. Denn weiter heißt es auch: »In den fast zwei Dekaden ihrer Tätigkeit haben sie das Studio durch gute und schlechte Zeiten souverän geleitet und die Position von Babels­berg als einer der weltweit führenden Film­pro­duk­ti­ons­stand­orte maßgeb­lich ausgebaut.«
Konnten Sie das jetzt nicht mehr?

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Diese Frage stellt sich auch vor dem Hinter­grund mancher scharfen Kritik an den Neu-Babels­ber­gern, die im August 2023 zum Beispiel Oscar-Preis­träger Volker Schlön­dorff (der das Studio vor Woebcken/Fisser für Vivendi leitete) im RBB geäußert hatte: »Die Gefahr, dass man das Studio Babels­berg aushun­gern oder an die Wand fahren will, besteht.« Dieser Bemerkung war die Forderung der US-Besitzer nach neuen Förder­gel­dern durch Land und Bund voraus­ge­gangen.
Offen ist, was jetzt die Zukunft bringen wird. Es gibt offenbar neue Aufträge. »Wir ... gehen davon aus, dass im ersten Quartal 2024 ein großes US-Film­pro­jekt in Vorbe­rei­tung geht«, sagte der Vorstand erst im Dezember 2023.
Trotzdem branden immer wieder Speku­la­tionen über angeb­liche Verkaufs­pläne auf. Jeden­falls geben jetzt nur noch Ameri­kaner im tradi­ti­ons­reichsten deutschen Film­studio den Ton an: Andy Weltman als Vorstands­vor­sit­zender, Andre Bleeker als Finanz­vor­stand (Bleeker war zuletzt Finanz­chef der Budget-Hotel­kette A&O Hotels and Hostels, die ihren Sitz in Berlin hat. Das Unter­nehmen ist bereits 2017 ebenfalls von der TPG Real Estate gekauft worden.), und Ashley Rice als drittes Vorstands­mit­glied.

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Voll­kommen übersehen hatte ich leider das sehr schöne und in jeder Hinsicht lesens­werte Interview, das Martin Mosz­ko­wicz, Vorstands­chef der Constantin Film, bereits Ende November in der FAZ gegeben hat. Erst jetzt fiel es mir in die Hände.

Darin erzählt Mosz­ko­wicz, der eigent­lich mal Jour­na­list werden wollte, von seinen Anfängen bei der Constantin in den frühen Neun­zi­gern, von Bernd Eichinger, aber auch von seinem Vater, der Regisseur war, und zieht Bilanz, bevor er im Frühjahr den Vorstands­vor­sitz an Oliver Berben übergibt:

»Wir decken alle Bereiche unserer Branche ab. Die DNA der Constantin Film ist vor allem auch die inter­na­tio­nale Produk­tion, das war sie schon vor meiner Zeit, nehmen Sie als Beispiel nur ›Der Name der Rose‹ mit Sean Connery, Christian Slater, Regie Jean-Jacques Annaud, nach dem Buch von Umberto Eco, aus dem Jahr 1986. Das ist etwas, was die meisten unserer Mitbe­werber in Deutsch­land gar nicht machen. Wir haben, wenn man so will, das ameri­ka­ni­sche Studio­system im Kleinen kopiert, wir sind nicht nur Hersteller sondern auch Auswerter. Wir haben immer das Besondere gesucht, Kinofilme und Fernsehen, die kommer­ziell erfolg­reich sind und ein großes Publikum finden und solche, die eine Bedeutung haben und heraus­ragen. Das ist eine Aufgabe, die sich heute besonders stellt. Insgesamt sehen Sie gerade, dass die Zuschauer mit der schieren Menge an Produk­tionen über­wäl­tigt werden. Unser Geschäft ist nicht wirklich skalierbar – ein Überfluss von Produk­tionen führt nicht zu mehr Profi­ta­bi­lität, sondern vor allem zu einer Konzen­tra­tion auf einige wenige Best­seller.«

Die Branche brauche Krea­ti­vität, Flexi­bi­lität und Inno­va­tion. »In diesen drei Bereichen müssen wir uns verbes­sern. Man kann Probleme immer auf andere schieben, man kann sagen, die Auftrag­geber haben kein Konzept, sie geben zu wenig Geld, die Film­för­de­rung ist chaotisch, es gibt zu wenige gute Key-Kreative. Aber das reicht nicht. Wir müssen als Produ­zenten immer besser werden.«

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Bezogen auf die Massaker der Hamas an Israelis am 7. Oktober ist Mosz­ko­wicz ebenfalls sehr deutlich: »Ich bin entsetzt, wie wenig da aus der Kultur­branche gekommen ist. Ich finde das grau­en­haft. Tatsache ist, es fühlen sich Juden in Deutsch­land heute nicht mehr wohl. Es hat wenig Empathie gegeben. Es hat Wochen gedauert, dass es einen offenen Brief gab, mit jetzt rund 1000 Unter­schriften drauf, viele davon stammen von der Constantin Film. Das ist ein Armuts­zeugnis für die deutsche Kultur. Die Film­aka­demie hat circa 2200 Mitglieder. Wo sind die? Mich persön­lich hat das umgehauen. Ich weiß, wie schwierig es sein kann, in poli­ti­schen Konflikten öffent­lich Position zu beziehen. Aber hier geht es um etwas anderes – um Anti­se­mi­tismus in Deutsch­land.«

Man wisse, dass 20 bis 25 Prozent der Bevöl­ke­rung in Deutsch­land juden­feind­lich einge­stellt sind. Bei den arabischs­täm­migen Migranten in Deutsch­land sei der Anteil noch höher. »Das ist grau­en­haft. Unab­hängig, wie man zu der Situation im Nahen Osten steht: Das geht nicht. ... Aber wissen Sie, ich bin Film­pro­du­zent und ich bin Optimist. Ich hoffe, dass wir begreifen, was das 'Nie wieder' bedeutet – jetzt.«

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Mark Siemons berichtet in der FAZ über die Berliner Anti­dis­kri­mi­nie­rungs­klausel. Das sei ein Versuch der Selbst­ent­las­tung, der der Kultur­büro­kratie helfe, nicht dem Kampf gegen Anti­se­mi­tismus.

»Künftige Versuche mögen dabei im Detail geschickter vorgehen als Chialo. Aber schon im Ansatz stellt sich die Frage nach dem Preis, den eine solche auf vermeint­lich eindeu­tigen Zuschrei­bungen fußende Anpassung an Verwal­tungs­be­dürf­nisse fordert: Sie droht die Ausein­an­der­set­zungen, die jetzt über die aktuellen Erschei­nungs­formen des Anti­se­mi­tismus anstehen, unsichtbar zu machen.«
Raphael Gross, Präsident des Deutschen Histo­ri­schen Museums, hatte bei der Anhörung im Berliner Kultur­aus­schuss angemahnt, darüber nach­zu­denken, wie man dem »weltweit verbrei­teten kultu­rellen Code«, zu dem die »Instru­men­ta­li­sie­rung von post­ko­lo­nialer Empörung für Anti­se­mi­tismus« geworden sei, mit Aufklärung begegnen könne.

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Der Streit der Berliner Kultur­szene geht weiter und strahlt nach ganz Deutsch­land ab.

Es gilt für alle Seiten, dass man die über­drehte Rhetorik kriti­sieren muss. Es ist aber besonders schmerz­haft, dass die Rhetorik dort überdreht, wo es um die Vertei­di­gung von Posi­tionen geht, die Anti­se­mi­tismus rela­ti­vieren oder dulden; wo also Anti­se­mi­tismus im Namen der Meinungs­frei­heit vertei­digt wird und wo es eine legitime Position ist, zu sagen, dass jemand, der für die Anti­se­mi­tis­mus­klausel eintritt, eine »Gesin­nungs­dik­tatur« errichten will oder Verhält­nisse »wie in der DDR« oder ähnliches. Solche Leute kenne ich.

Wie steht denn zum Beispiel die Deutsche Film­aka­demie zur Anti­se­mi­tismus-Klausel des Senats?

Filme­ma­cher haben die Gene­ral­zu­stän­dig­keit für Bilder. Sie sind in diesem Bilder­krieg gefordert. Mehr denn je.