09.11.2023

Abschied von Rumänien

CAUTATORUL DE VÂNT
Der den Wind sucht: Mihai Sofroneas Abschlussfilm des Festivals
(Foto: Rumänisches Filmfestival München)

Das Rumänische Filmfestival München zeigt Filme, die zurückblicken auf ein Land, das es so nicht mehr gibt

Von Dunja Bialas

Er macht sich wieder einen Spaß draus, nimmt die böse Welt­ge­schichte und auch die große Film­ge­schichte mit Humor. Radu Jude sinniert in seinem Kurzfilm The Potem­ki­nists, der zum Auftakt des am heutigen Donnerstag eröff­nenden Rumä­ni­schen Film­fes­ti­vals gezeigt wird, über Eisen­steins Panzer­kreuzer Potemkin nach, über seine Besatzung, die in Rumänien poli­ti­sches Asyl beantragt hatte. Aber, ja, die russische Kultur, das hatte Welt­ni­veau, lässt er eine der Film­fi­guren sagen, die eine Blumen­wiese durch­streifen. Schöne, bunte Blümchen stehen auf gras­grünem Unter­grund, baumeln unschuldig an ihren Stielen. Das Ende von Panzer­kreuzer Potemkin aber, die Verbrü­de­rung der Matrosen, das seien doch wohl nur Lügen und ideo­lo­gi­scher Müll. Jude ist ein Meister der Kontras­tie­rungen, sie entfalten sarkas­ti­schen Humor.

Über den Figuren thront ein modernes Denkmal, nicht zu entscheiden, was es darstellen soll, einen Hammer? Die Nike von Samo­thrake? Die Reliefs am Sockel wurden gestohlen, echtes Eisen, viel wert.

»Festes Kino«, so hat der Orien­ta­list Paul Mus Reliefs genannt. Mit diesen einge­fro­renen, plas­ti­schen Narra­tiven über eine heroische Zeit beginnt der eigent­liche Eröff­nungs­film Metronom, den der Kurator Klaus Volkmer für das von der Gesell­schaft zur Förderung der Rumä­ni­schen Kultur und Tradition veran­stal­tete Festival ausge­sucht hat. Wie in einem Sprung zurück in die Zeit stehen wieder eine Frau und ein Mann vor einem Denkmal, es ist das Relief am Fuße der Buka­rester »Carol I Defense Univer­sity«, benannt nach dem rumä­ni­schen König. Auf der Uni wird innere Sicher­heit und nationale Vertei­di­gung unter­richtet – das perfekte Setting für das, was kommen wird.

Ana und Sorin sind ein Liebes­paar, sie sind 17. Es ist das Jahr 1972, Ceaușescu war am Ende seiner ersten Regie­rungs­phase, die refor­mis­tisch begonnen hatte und auch eine kurze »Tauwetter«-Periode umfasste, wie die Zeit des umsichtig handelnden Staats und die Libe­ra­li­sie­rung der Kultur im Ostblock genannt wurde. Das Jahr 1972 war noch nahe genug an 68 dran, um sich an den Prager Frühling zu erinnern, während sich hinter den Rumänen schon wieder, langsam, aber merklich, der Eiserne Vorhang zuzog. Ana und Sorin haben noch dieses letzte Zeit­fenster entdecken können, jetzt aber wird die Familie von Sorin nach Deutsch­land ausreisen. Dass dies nur gegen Gegen­leis­tung möglich ist, wird der Plot des Films werden.

Am Nach­mittag findet eine Party in der Wohnung einer Schul­freundin statt. Die jungen Leute trinken, rauchen und tanzen, zur Musik von »Radio Free Europe«. Dann wird die Party ausge­hoben, und Ana macht Bekannt­schaft mit dem rumä­ni­schen Geheim­dienst.

Dem Film gelingt es, die Perspek­tive der jungen Menschen von damals einzu­nehmen, ihre Leich­tig­keit und Leben­dig­keit spüren zu lassen, die Freude über Jimi Hendrix und Joan Baez. Wie dann der Staat brutal zuschlägt und die Beat-Begeis­terten verhaftet, lässt bereits den Schatten des späteren Monsters Ceaușescu erahnen. Das Land, in dem die jungen Menschen »Radio Free Europe« hören, gab es schon nicht mehr, als sie noch dazu tanzten.

Alexandru Belc gewann mit seinem Film in der Reihe »Un Certain Regard« in Cannes den Preis für die Beste Regie, zur Eröffnung des Rumä­ni­schen Film­fes­ti­vals kommt Schau­spieler Vlad Ivanov nach München, einer der großen Stars Rumäniens, der in Filmen von Corneliu Porumboiu, Cristian Mungiu, Călin Peter Netzer und anderen Größen der Rumä­ni­schen Welle, aber auch bei Bong Jon-hoo, Maren Ade und László Nemes mitge­wirkt hat. Wie der Letzt­ge­nannte drehte auch Alexandru Belc seinen Film im Academy Format, das das Einge­schlos­se­nen­werden und die Enge ganz unmit­telbar miter­zählt. (09.11., 19 Uhr, Film­mu­seum)

Was später geschah… Die rumä­ni­sche Geschichte als Brief­wechsel, der schließ­lich verstummt, zeigt der auf dem Forum der Berlinale urauf­ge­führte, genia­lisch montierte Intre revolutii (Between Revo­lu­tions) von Vlad Petri, der komplett aus Archiv­ma­te­rial kompi­liert ist. Petri führt zwei Länder­ge­schichten eng: Viele Irane­rinnen kamen in den Sieb­zi­ger­jahren zum Studium nach Rumänien, eine imagi­niert Petri, lässt sie in den Iran zurück­kehren. Sie berichtet in Briefen an ihre rumä­ni­sche Freundin von der irani­schen Revo­lu­tion, die zum Sturz des Schahs führte, unterlegt mit den histo­ri­schen Aufnahmen der Aufstände, Menschen von damals in Groß­auf­nahme, bei ihren Frei­zeit­ak­ti­vi­täten, das Leben wird plastisch und nahe. Die rumä­ni­sche Freundin erzählt von ihrem sozia­lis­ti­schen Alltag, später kommt das Ende des Ostblocks. Und mit ihm, man traut fast seinen Augen nicht, so stupend wirkt es, der Siegeszug von Lucky Strike, Coca und Pepsi Cola, die die Wessis wie die GIs nach dem Zweiten Weltkrieg mit beiden Händen ins Volk werfen. Ein überaus lohnens­werter Film. (11.11., 21 Uhr, Film­mu­seum)

In der Gegenwart die Vergan­gen­heit finden: Das gelingt Mihai Sofronea Cauta­torul de Vant (The Wind Seeker), der auf dem Film­fes­tival von Sofia mit dem Fipresci-Preis der inter­na­tio­nalen Film­kritik ausge­zeichnet wurde. Im Zentrum des Films steht ein einsamer Prot­ago­nist, wie wir es oft im rumä­ni­schen Kino haben. Radu (Dan Bordeianu) erhält die schreck­liche Diagnose einer schon sehr bald tödlich wirkenden Krankheit, drei Monate bleiben ihm noch. Klassisch geht es mit einem Roadmovie weiter, das finale Sterben vor Augen, so will es das Genre. Doch es kommt anders.

In einem Dorf fast am Ende Rumäniens, abge­schirmt von dem neoli­be­ralen Bukarest, wo der Film beginnt – gläserne Aufzüge und kühle Stahl­kon­struk­tionen zeugen von einer abstrakt gewor­denen Welt –, finden sich Menschen, mit denen es sich gut schweigen lässt, in deren Anwe­sen­heit dem Leben nach­ge­spürt werden kann. Radu, Ingenieur für Windkraft, gibt vor, an diesem stillen Ort neue Stand­plätze für seine Windräder zu suchen. Onkel Pavel (Adrian Titieni), der den völlig Entkräf­teten von der Straße aufge­lesen hat, zeigt ihm die stür­mi­schen Hügel. Eine Frau bekocht die Männer, sie ist Stroh­wit­werin, der Ehemann nach Italien zum Arbeiten gegangen. Auch Pavel ist verlassen, sein Sohn ist nach Spanien, er wird nicht mehr zurück­kehren. Sie alle nehmen Abschied von einem Rumänien, das es nicht mehr gibt: Das Leben in der Familie, das Zusam­men­sein, ein erfüllter Ort. Und so tragen sie selbst, in dieser abge­le­genen Gegend, wo ein Pfer­de­fuhr­werk das wich­tigste Verkehrs­mittel ist, dann auch die Einsam­keit der Moderne in sich. Cauta­torul de Vant ist ein seuf­zender Film, mit einer wunder­schönen Poetik, die niemals kitschig und niemals Klischee wird. Mihai Sofroneas Debütfilm lässt trotz seiner Sanftheit und Stille eine starke Stimme hören, die man sich für das rumä­ni­sche Kino merken wird. Gezeigt wird auch sein Kurzfilm Copacul (The Tree), eine exis­ten­tia­lis­ti­sche Etude wie der Langfilm, die einen sprachlos werden lässt. (19.11., 17 Uhr, Film­mu­seum)

Klaus Volkmer hatte, als er am Telefon das Programm vorstellte, Cauta­torul de Vant seinen Abschieds­film genannt. Irgend­wann müsse er aufhören. Das sei sein Abschied vom Filmland Rumänien, das er uns bekannt gemacht hat.

Rumä­ni­sches Film­fes­tival | 09.-19.11.2023

Film­mu­seum München

Programm­heft mit allen Filmen