04.05.2023
38. DOK.fest München 2023

Aufstand der Regenschirme

Be Water
Hongkong: Straßenkampf mit Regenschirmen
(Foto: DOK.fest München | Lia Erbal)

Lia Erbals* beeindruckender Film Be Water – Voices from Hongkong setzt einer gescheiterten Protestbewegung ein Denkmal – DOK.fest-Marathon, Teil 02

Von Hermann Barth

Ach richtig, Hongkong. Aus den Medien, aus dem Sinn. Dabei hatten wir doch 2014 mit Spannung die Regen­schirm-Bewegung verfolgt, als Hundert­tau­sende für freie Wahlen auf die Straße gingen. Und 2019 die Hoffnung geteilt, dass die erneuten Proteste gegen die Aushe­be­lung des liberalen Rechts­sys­tems, gegen die Peking-nahe Regierung unter Carrie Lam Erfolg haben könnten. Und hatten nicht die beiden gefei­erten Aktivist*innen Joshua Wong und Glacier Kwong im Herbst 2019 bei der Bundes­pres­se­kon­fe­renz um Unter­s­tüt­zung gebeten … Drei Jahre später, nach dem Inkraft­treten des »Gesetzes zum Schutz der natio­nalen Sicher­heit in Hongkong«, der brutalen Nieder­schla­gung aller Proteste, der Zerschla­gung der Gewerk­schaften, der Parteien, der Studen­ten­ver­ei­ni­gungen, der Vernich­tung der freien Presse, der Inhaf­tie­rung, Verur­tei­lung oder Vertrei­bung aller, die sich wider­setzten, ist klar: Das alles war nur der Anfang.

Wer mit dabei war, sich erinnert, jetzt darüber spricht, bleibt besser anonym. Eine in Berlin gestran­dete Ex-Akti­vistin erzählt von den Hoff­nungen ihrer Gene­ra­tion, dem Unver­s­tändnis ihrer Großel­tern, der fehlenden Unter­s­tüt­zung ihrer Eltern, die ihre eigene Betei­li­gung an den Protesten 1989 auf dem Tianmen-Platz heute für einen Fehler halten. Ihre Erzählung verbindet sich mit den Stimmen vieler anderer, mit nie gesehenen Bildern von den Demons­tra­tionen, den von Mal zu Mal enthemmter agie­renden Poli­zei­kräften – wo sich das direkte Abbild verbietet, ergänzen sehr gelungene Anima­tionen im Graphic-Novel-Stil die vielen, für sich spre­chenden Handy-Aufzeich­nungen aus den Kampf­zonen.

Während die einen ihr Leben aufs Spiel setzen, ringen die anderen in Berlin, Stras­bourg oder Anchorage um Analysen, Posi­tionen, Haltung. Reinhard Bütikofer, grüner EU-Parla­men­ta­rier und China-Experte im Ausschuss für auswär­tige Ange­le­gen­heiten, fordert Zhang Ming, den chine­si­schen Botschafter, heraus: »Genug mit den immer gleichen, nie einge­hal­tenen Verspre­chungen.« Der kontert mit Statis­tiken über die Zufrie­den­heit des chine­si­schen Volkes, verbittet sich die Einmi­schung in innere Ange­le­gen­heiten. Und Chef­di­plomat Yang Jiechi belehrt Anthony Blinken: »Sie sprechen ja nicht für die inter­na­tio­nale Gemein­schaft. Nur für die US-Regierung.«
»Ihr seid Abschaum! Ich verachte Euch! Ihr seid Menschen ohne Prin­zi­pien. Verant­wor­tungslos. Kaker­laken! Träumer!« ruft ein Polizist den flie­henden Student*innen hinterher, die als letzte auf dem Univer­si­täts­gelände ausge­harrt haben.

»Globaler Handel darf nie auf Kosten von Freiheit und Würde getrieben werden.« Soll man EU-Rats­prä­si­dentin Ursula von der Leyen noch Glauben schenken, wenn sie in gewohnt flos­kel­hafter Rhetorik die Bereit­schaft Europas beschwört, seine Werte zu vertei­digen?!

Lia Erbals* beein­dru­ckendem Film gelingt es, das ganze, auch uns betref­fende Ausmaß der Miss­ach­tung und gezielten Zers­törung demo­kra­ti­scher Werte unmit­telbar erlebbar zu machen – und der so schreck­lich geschei­terten Protest­be­we­gung ein würdiges filmi­sches Denkmal zu setzen.

* Um sich vor denkbaren Repres­sionen zu schützen, verwenden Mitglieder des Filmteams, darunter auch die Regis­seurin, Pseud­onyme.

Termine & Tickets auf der DOK.fest-Website