20.04.2023

Angst essen Kino auf

Angst

Appell des jungen deutschen Films

Von Redaktion

Gutes Kino braucht gute Filme. Da sind wir uns einig.

WIR, der Film­nach­wuchs – wir wollen gute Filme machen. Wir lieben das Kino! Wir leben für das Kino! Und wir glauben daran, dass das deutsche Kino überlebt.

Doch IHR, die Ihr die Weichen stellt in unserer Branche – macht es uns schier unmöglich, für dieses Kino zu kämpfen.

Denn: Es herrscht Angst in Euren Reihen.

Und das macht UNS Angst.

Und wie sollen wir mit Angst gute Filme machen?

In Deutsch­land wagt man nichts, was sich nicht bereits bewährt hat. German Angst nennt man das spöttisch im Ausland. Aber Angst war noch nie ein guter Ratgeber.

Statt zu sehen, dass Erfolg nur mit Risi­ko­be­reit­schaft, mit Neuem, Nie-Dage­we­senem, Origi­nellem kommt, setzt Ihr auf Remakes, Sequels, Roma­n­ad­ap­tionen, Schen­kel­klopfer-Komödien und natürlich: bekannte Gesichter und Namen. Und selbst das zieht das Publikum seit Corona nicht mehr in die Kinos. Nicht wirklich.

Was habt Ihr also zu verlieren?

Es ist Zeit, dass wir reden.

Die Lähmung, die das deutsche Kino befallen hat, hat mehrere Gründe. Einer davon wiegt für uns aber besonders schwer: Die Finan­zie­rung von Kino­filmen OHNE Fern­seh­be­tei­li­gung ist in Deutsch­land quasi unmöglich. Auch in anderen EU-Ländern ist das so. Doch in Deutsch­land agiert das Fernsehen wie eine Art Türsteher – (und seit der Pandemie hat der richtig dicke Muskeln). Erst wenn man ein Green Light vom Sender hat, traut man sich hier­zu­lande vor das Film­för­der­gre­mium – da sitzen nämlich meist genau diese Sender mit drin.

Das Fernsehen entscheidet bei uns also, ob ein Film Potenzial fürs Kino hat – oder eben nicht.

Versteht uns nicht falsch: Wir haben nichts dagegen, dass Fern­seh­sender unsere Filme unter­stützen. Ganz im Gegenteil! Aber dann muss Fernsehen wieder mutiger werden, und das Kino als Kino respek­tieren. Es kann nicht sein, dass Kinofilme fern­seh­kon­form gemacht werden, damit sie, wenn überhaupt, zu später Stunde über die kleinen Bild­schirme laufen dürfen. Dabei haben die öffent­lich-recht­li­chen Sender doch einen Kultur­auf­trag!

Ihr wollt von uns keine Inno­va­tion, sondern Sicher­heit. Inzwi­schen soll bereits der erste lange Kinofilm ALLEN gefallen. (Und was allen gefällt, gefällt doch niemandem richtig.)

Verzwei­felt und kompro­miss­be­reit sind wir also gezwungen, für Euch unsere Ideen zu beschneiden, bis kaum noch etwas von ihnen übrig ist. Auf unser Talent und unser Können vertraut Ihr schon lange nicht mehr!

Sollten Nach­wuchs­filme nicht grund­sätz­lich als zu förderndes Kulturgut gelten, weil sie neuen Wind in die Kino­land­schaft bringen?

Es war immer schon der Nachwuchs, der im Kino die neuen Impulse gesetzt hat. Nicht nur in den 60ern oder 80ern, sondern auch noch vor ein paar Jahren – vor Corona, vor der Schließung der Kinos…

Seit der Pandemie aber inves­tieren weder Verleiher noch Sender wirklich in inno­va­tives Kino. Und das trifft vor allem UNS. Und unsere Filme. Denn unsere Namen sind für Euch noch keine Garantie für wirt­schaft­li­chen Erfolg. Und die Kino-Nach­wuchs­töpfe der Sender scheinen irgendwie ein myste­riöses Loch zu haben. Zumindest werden sie mit jedem Jahr leerer.

So brauchen wir oft Jahre und X Redak­tionen, um unsere ersten Langfilme nach der Film­hoch­schule auf die Beine zu stellen. (1) (Falls wir das überhaupt schaffen, denn einige Nach­wuchs­för­der­töpfe sind zeitlich begrenzt).

Ein unge­schrie­benes Gesetz aber sagt: Ohne abend­fül­lendes Debüt keine Chance auf einen weiteren Langfilm. Damit geraten wir in einen absurden Teufels­kreis. Denn ohne Sender keine Förderung – ohne Förderung keine Finan­zie­rung – ohne Finan­zie­rung kein Debütfilm, ohne Debütfilm keine Zukunft…

Das junge deutsche Kino stirbt. Langsam und qualvoll. Vor Euren Augen.

Wir sind gefangen in einem gelähmten System, das gerade dabei ist, still zu ertrinken, statt sich gegen den Tod aufzu­bäumen.

Dabei wollen wir Neues auspro­bieren. Wir haben Ideen, wollen expe­ri­men­tieren, verändern, schaffen. Aber dafür müsst Ihr uns erst mal lassen!

Die meisten von uns haben jahrelang an staat­li­chen Film­hoch­schulen studiert – in einem der teuersten Studi­en­gänge Deutsch­lands – von Euch finan­ziert! Aber für Euch müssen wir danach noch einmal ganz von vorne anfangen. Auch wenn wir bereits erfolg­reiche Filme in der Tasche haben. Fingerü­bungen nennt Ihr das beim Fernsehen. Wir müssen Euch erst zeigen, ob wir das können. Was können? Ins Format passen?

Wir haben dieses Handwerk gelernt. Wir haben eigene Hand­schriften entwi­ckelt. Wir wissen, was wir tun. Und wir können es auch. Wir haben unbändige Kraft und Energie, aber sie versi­ckert im Nichts.

Eure Angst tötet unsere Krea­ti­vität, unsere Ideen, unsere Lust am Schaffen.

Was wir jetzt brauchen ist Mut. Euren Mut. Mut, ambi­va­lent zu erzählen. Mut, Mehr­deu­tig­keit zuzu­lassen – auch unbequem zu werden. Und Scheitern als Chance zu begreifen – als natür­li­chen Bestand­teil künst­le­ri­scher Arbeit! Nur so entstehen neue Impulse und Erzähl­formen für ein kraft­volles, diverses und zukunfts­wei­sendes Kino.

Wir sind die Zukunft des deutschen Films.

Ihr braucht uns.

Und wir brauchen Euch.

Worauf wartet Ihr?

Inves­tiert in Euren Nachwuchs.
Stockt die Förder­töpfe auf.
Setzt auf mutige Projekte.
Fördert mehr Filme ohne Sender­be­tei­li­gung.
Schafft die zeitliche Begren­zung für Debüts ab.
Glaubt an unge­wöhn­liche Entste­hungs­pro­zesse.
Verein­facht die Nach­wuchs­för­de­rung.
Sucht neue Finan­zie­rungs­wege.
Erkennt das Kino als Kulturgut an.

Traut uns etwas zu.
Vertraut in unser Talent.

Was habt Ihr zu verlieren?

UNS.

-> Zum Aufruf, den Unter­zeichner:innen und der Möglich­keit selbst zu unter­schreiben

+ + +

(1): Der Produ­zen­ten­ver­band fasst die Lage in seiner Nach­wuchs­studie aus dem Jahr 2021 wie folgt zusammen: »Entstand der erste Langfilm nicht im Rahmen des Studiums, vergingen nach dem Abschluss im Durch­schnitt 5 Jahre bis zur Reali­sie­rung.« Die lang­fris­tigen Folgen der Pandemie auf die Kino­land­schaft und den Nachwuchs konnten bei der Erhebung der Studie im Jahr 2020 jedoch noch nicht mit einfließen.
-> Zusam­men­fas­sung der Nach­wuchs­studie.