06.04.2023

Kein Ende, ein Anfang

Ende
Das Leben ist ein finsteres Tal...
(Foto: Rüdiger Suchsland)

Auf den Tod folgt die Wiederauferstehung: Peter Schernhuber und Sebastian Höglinger feiern ihr Diagonale-Finale als ein historisches Special unter selbigem Titel – fast österliche Gedanken zu einer Diagonale-Reihe

Von Rüdiger Suchsland

»Um so schlimmer für die Tatsachen!«
– Hegel

»Ois hädast di längst aufgebn wie aundre an Briaf
Dass gor ka Durch­kumman mehr zu dir gibt
Auf Durchzug host gschoitn, waunn wer mit dir Redt
Waunnst ned boid wos mochst, nimmts a beses End«

– Voodoo Jürgens

Ende ist in jedem Kino. Manchmal heißt es »Fine« oder »Fin« manchmal »The End«, manchmal fällt es ganz weg, aber der Film hört trotzdem irgend­wann auf. Und nicht nur der Film.

Es gehört zu jener Form der Lebens­er­fah­rung, die man erst macht, wenn man einen größeren Teil des Lebens schon erfahren hat: Dass dieses Leben schneller vorbei ist, als man glaubt, und deswegen manchen Dingen, die man vor allem als Anfang und Aufbruch wahrnimmt, schon so etwas wie ein Ende und ein Abschluss innewohnt. Und plötzlich war es »damals am Schönsten«. Das Leben ist ein finsteres Tal.

Wie also soll man aufhören? Auch wenn man immer sagt: Es ist am besten, wenn man selbst­be­stimmt aufhört, so ist das Ganze dann doch oft ein bisschen weniger schön, wenn es soweit ist.

Sebastian Höglinger und Peter Schern­huber, die als zwei Co-Direk­toren acht Jahre und eine Pandemie lang die Diagonale geleitet hatten, haben sich für ihren Abschied den Titel »Finale« für das histo­ri­sche Special gegönnt. Ein Finale ist das Ende, aber oft fällt dieses auch mit dem Höhepunkt zusammen. Ganz bezugslos konnte man das in Graz nicht verstehen, erst recht nicht, weil beide in ihren »Vorge­danken« im Katalog sehr viel über das Ende nach­denken.

Das Ende ist Höhepunkt und Showdown in einem, das Schließen eines Bogens und Kreises, oder sogar die Hochzeit, mit der das Leben erst beginnt. Sie schreiben: »Die Winchester wird geladen, ein Liebes­paar verliert sich im ersehnten Happy End, der Bösewicht versinkt im Lavastrom. An welche bestimmten drei Filme sie da wohl gedacht haben? Verlieren und versinken, kata­pul­tieren und geleiten und die Einsam­keit... Die weiße Leinwand am Ende ist die weiße Leinwand vom Anfang, nach dem Film ist vor dem Film.«

Heute koket­tiert das Kino oft mit dem Heraus­zö­gern des Endes, damit das Böse immer nochmal aufsteht, dass das Ende nie wirklich ein Ende ist und es noch eine Post-Credit-Sequenz gibt. Immer noch eins drauf­setzen: das ist die Kultur­in­dus­trie, die eben mit dem Bösen, das noch einmal aufsteht, untrennbar verbunden ist. Im Kino begann sie, in den Serien der heute »Strea­ming­platt­formen« genannten neuen Fern­seh­sender und ihrer Main­stream­ka­no­naden findet sie ihre jüngste Voll­endung. Der erste Showrunner war der Seri­en­killer, und nicht zufällig trat der erste moderne Seri­en­mörder, Jack the Ripper, 1888, fast zeit­gleich mit der Geburt des Kinos ans Licht der Öffent­lich­keit.

Ist Drama­turgie viel­leicht so etwas wie der Beginn der Unsterb­lich­keit? Das Immer-wieder-Heraus­zö­gern des Endes? Auf den Tod folgt die Wieder­auf­er­ste­hung.

Apoca­lypse Now! Apoca­lypse How?

Viel­leicht hängen auch die apoka­lyp­ti­sche Rhetorik, die derzeit im Poli­ti­schen en vogue ist, und die perverse Lust des Publikums an gesell­schaft­li­chen Dystopien, an durch klima­ti­schen Wandel verwüs­tete Welt­re­gionen oder Öko-Dikta­turen, oder auto­ri­täre wet dreams von rechts, oder Wohl­fahrts­aus­schüsse, die frei­wil­lige Entmün­di­gung durch Wohl­fühl­sze­na­rien belohnen, oder die Phan­ta­sien von Chat-GPT-verfassten Dreh­büchern (»Kontrakt 23«), viel­leicht hängt das alles ebenso mit dem Kino zusammen – und mit der neuesten Phase auf dem Weg zur Unsterb­lich­keit der Menschen, die der Film mit seinen unend­li­chen Geschichten der seriellen Universen beant­wortet. Final Frontier war einmal.

Die Antworten und Reflex­sche­mata von Rechts wie Links gleichen sich erstaun­lich: Linke und Ökoak­ti­visten warmen vor dem Nieder­gang des bestehenden zivi­li­sa­to­ri­schen Status Quo; Rechte und bürger­liche Liberale warnen vor dem kultu­rellen Nieder­gang, beide Seiten betonen die Unaus­weich­lich­keit, aktiv zu werden, zusammen mit der Unaus­weich­lich­keit des Gesche­henden; die Rechten wollen in der Sicher­heits- und Einwan­de­rungs­po­litik mehr Polizei und dafür die Klima­po­litik durch den Markt regeln lassen, die Linken wollen das Gleiche nur andersrum. Im Einen will man mehr Staat und Entmün­di­gung, im anderen mehr Bürger­frei­heit.
Das Gemein­same beider Posi­tionen liegt in der Halt­lo­sig­keit und Ratlo­sig­keit. Stichwort »Final Gene­ra­tion«.

Das Kino kann bei poli­ti­schen Entschei­dungen helfen, zugleich indi­vi­dua­li­siert es sie in seinen Szenarien aus Gründen drama­tur­gi­scher Zuspit­zung und lässt dann nur die einzelnen Helden ein bisschen vom Weiter­be­stehen der gesamten Mensch­heit raunen. Wir befinden uns, so schreiben die beiden Autoren, »in einer Zeit der Dominanz des Endes, in der, bei allem zwang­haften Opti­mismus, die Erzählung von Nieder­gang bisweilen den Glauben an Fort­schritt und Prospe­rität über­schattet. ... Wie damit umgehen?« Keine Frage, dass das, ob Tatsachen oder nicht, wenig Raum für gute Laune lässt. Und manchmal ist die gute Laune wichtiger als die Achtung vor den Tatsachen.

Bei der Diagonale geht es dabei nicht ohne eine gewisse Nähe zu Abgrund, Doppel­boden und Fata­lismus, wir sind schließ­lich in Öster­reich. Der Hand­lungs­strang des Finales führt konse­quen­ter­weise auch in die Welt des Sports, in der es ja noch viel deut­li­cher als im Kino um emotio­nale Zuspit­zung geht und um Spannung und um Euphorie nah am Fana­tismus.
Jenseits vom Fußball­platz gibt es aber ebenfalls noch eine Welt. Und die Warnungen vor ihrem Finale »als alar­mie­render Flucht­punkt linker Jugend­be­we­gungen haben ihre ideen­ge­schicht­li­chen Vorläufer. All das sollte aber kein Grund zur zynischen Häme, sondern vielmehr ein Hinweis darauf sein, wie grund­le­gend ernst es Revol­tie­rende mit den tatsäch­li­chen, gefühlten und mitunter waren­haften Wahr­heiten meinen.«

Wer die Gegenwart verstehen will, muss ins Kino gehen.