27.10.2022

Das andere Kino – Texte zur Zukunft des Kinos

Das andere Kino - Broschüre
Die Printversion von »Das andere Kino – Texte zur Zukunft des Kinos«
(Foto: LICHTER Filmkultur e.V.)

In Vorbereitung auf den 2. Kongress 'Zukunft Deutscher Film / Forum Europa' im Mai 2022 erschien eine 60-seitige Publikation, die sich der Zukunft des Kinos widmete und jetzt als kostenloser Download erhältlich ist

Von Axel Timo Purr

Die von Kenneth Hujer betreute Publi­ka­tion „Das andere Kino“ möchte der Neudeu­tung des Kinos Raum geben. Die Texte und Gespräche sind bewusst unter einem Titel versam­melt, der bereits einige Jahr­zehnte zurück­reicht: in das Aufbruchs-Jahr 1968. Denn die Zukunft ist nicht nur morgen, sondern war auch bereits gestern. Oder um es mit den Worten Edgar Reitz’ zu sagen: »Häufig findet man Lösungen und Impulse zur Erneue­rung in der Vergan­gen­heit, in Gestalt von Versuchen und Projekten, die ihrer Zeit voraus waren.«

Seiner­zeit zielte „das andere Kino“ auf die etablierten Film­fes­ti­vals in Ober­hausen und Mannheim, die viele Arbeiten des Film­nach­wuchses ins Neben­pro­gramm verbannten oder gar nicht erst zuließen. „Das andere Kino“ wurde von seinem Wort­schöpfer Helmut Herbst für den Versuch in Anschlag gebracht, neue Wege der Film­auf­füh­rung zu gehen. In einem umfas­sen­deren Sinn steht diese Haltung allen Texten dieser Publi­ka­tion voran: Das Kino als Ort, Geschehen und Haltung soll neu gedacht werden – jenseits seiner einge­schlif­fenen Formen. Warum das so bitternötig ist, schildert Daniela Kloock in ihrem „Aufsatz Licht an – Licht aus?“.

Und einmal mehr Edgar Reitz: »Wenn ein System wie das Kino nach seiner über hundert­jäh­rigen Geschichte wieder einmal in der Krise steckt, so kann man das als Gefahr, aber auch als Chance zur Erneue­rung verstehen.« Dieses wie auch das vorherige Zitat sind seinem Text „Kinotopia“ entnommen, mit dem die Publi­ka­tion eröffnet wird und dessen opti­mis­ti­scher Sound gleichsam alle weiteren Über­le­gungen begleitet.

Anstatt kultur­pes­si­mis­tisch einen etwaigen Verlust zu beklagen, schaut „Das andere Kino“ in die Zukunft des Kinos. Wobei es auch das nicht ganz trifft, wie Sebastian Selig in seinem Text „Kino­be­suche. Eine kleine Phäno­me­no­logie“ offenbart: Es gibt nicht das Kino, sondern Kinos, und folglich auch mehr als eine Möglich­keit, sie neu zu denken. Davon zeugen vor allem die hier versam­melten Texte. Beispiels­weise Daniel Moer­seners „Plädoyer für ein Non-Stop-Kino“ oder Simone Arcagnis Text „Cinema Futuro“, der ein Vokabular zur Konzep­tua­li­sie­rung des zukünf­tigen Kinos an die Hand gibt. Ein solches Konzept (wenn­gleich mit anderem Vokabular), in diesem Fall für ein Haus der Film­kul­turen, wird in dem auszugs­weise tran­skri­bierten Round­table-Gespräch zwischen Rüdiger Suchsland, RP Kahl und Gabu Heindl disku­tiert.

Ein anderes Gespräch zwischen Niklas Maak und Lars Henrik Gass verbindet das Nach­denken über neue Kino­bauten mit Über­le­gungen zur Stadt der Zukunft. Apropos Kino­bauten und Stadt: Das nieder­län­di­sche Archi­tek­tur­büro UNStudio erklärt in einem Beitrag seinen Kino­ent­wurf „Le Centre Culturel Dédié au 7ème Art“, der den Stadt­boden auf den Dächern von drei inein­ander verschlun­genen Baukör­pern hätte fort­setzen sollen. Ermög­licht werden sollten dadurch Frei­luft­kino, Ausblick auf die Pariser Skyline sowie das Zusam­men­fallen von Film-Produk­tion und -Rezeption.

Dass es nochmals andere (Kino-)Räume braucht, weil sich manche der gegen­wär­tigen Bewegt­bilder nicht nur von der Leinwand lösen, um durch VR-Brillen als räumliche Umge­bungen wahr­ge­nommen zu werden, sondern diese körper­lich-produktiv erkundet werden wollen, zeigen Angela Rabing und Franziska Wagner anhand der VR-Instal­la­tion „Carne y Arena“.

Anstif­tung zur Kontro­verse betreibt schließ­lich Rüdiger Suchsland mit seinen „10 Thesen zur Zukunft des Kinos“. Dass der immer wieder prokla­mierte Tod des Kinos eine Farce ist, weiß Drehli Robnik neben seiner Losung „Warthaus statt Arthouse“ zu entwi­ckeln. Dass Kino nicht nur ein Ort, sondern wie bereits erwähnt, auch ein Geschehen und über­ra­schenden Trans­for­ma­ti­ons­pro­zessen unter­worfen ist, zeigt Vinzenz Hediger in seinem Text „Goodbye Hollywood, Welcome Lagos and Seoul“.