14.04.2022

Sprung in die Zukunft

Filmfest Dresden
Grandioser Tischtennis-Rundlauf: Pa vend von Samir Karahoda
(Foto: Filmfest Dresden / Pa Vend)

Das 34. Filmfest Dresden zeigte sich vielfältig, bunt und woke – und als Amalgam aus Rückschau und Aufbruch

Von Dunja Bialas

Animierte Porzel­lan­puppen, Zeich­nungen und Cut-ups, Aquarelle, CGI-gene­rierte Visuals und Stop Motion ergießen sich neben Kurz­spiel­filmen in bunter Mischung auf die Leinwand in der Dresdener Schauburg. Einmal ist da ein Auto­reifen darunter, in den sich ein Kind einge­klemmt hat, das mit seinem aben­teu­er­lus­tigen Papa zum Sonn­tags­rennen ausgebüxt ist – sehr zu Recht zum Miss­fallen der Mutter, wie man später sehen wird.

Der Anima­ti­ons­film hat einen festen Platz beim Filmfest Dresden. Wer Berüh­rungs­ängste mit Phan­tasmen, Unlogiken, Künst­lich­keit oder schein­barer Harm­lo­sig­keit hat, die auch mal schwere Themen zu verpacken weiß (wie eine Krebs­er­kran­kung), und sich mit einer »neuen Naivität« im Erwach­se­nen­film schwertut, der muss sich erst einmal selbst über­winden, um den Zugang in diese künst­li­chen Paradiese zu finden.

Animation hat in Dresden eine lange Tradition, die, wie das Festival insgesamt, bis in die DDR-Zeit zurück­reicht. Seine erste Ausgabe feierte es im März 1989, über ein halbes Jahr vor dem Mauerfall. Seit 1955 gab es in Dresden das DEFA-Studio für Trick­filme, das nach der Wende scho­nungslos treuhän­de­risch abge­wi­ckelt wurde, bevor es 1993 mit dem Deutschen Institut für Anima­ti­ons­film (DIAF) zur Gründung einer neuen film­wis­sen­schaft­li­chen Orga­ni­sa­tion kam.

Erin­ne­rungen an das Gestern: Steffen Reck

Bei der 34. Ausgabe des Filmfests Dresden tut man gut daran, sich auch an diese Anfänge zu erinnern, die in einem Heft zum 30. Jubiläum 2018 nach­lesbar sind. Claus Löser »aus Karl-Marx-Stadt«, wie er sich selbst spitz­bü­bisch dem Publikum vorstellte, heute Film­kri­tiker-Kollege und Betreiber des Berliner Kinos »In der Brot­fa­brik«, ist auf den Fotos zur ersten Ausgabe zu finden – sofort wieder­erkennbar und auch damals kaum jünger wirkend als dreißig Jahre später. Er ist immer noch mit dem Filmfest verbunden und lud für einen Nach­mittag in das Ling­ner­schloss hoch über der Elbe zu einem histo­ri­schen Programm ein. Dort erwartete einen das Frühwerk von Steffen Reck, darunter vier Super-8-Filme, die noch zu DDR-Zeiten entstanden waren und von einer großen Expe­ri­men­tier­freude erzählen, ebenso wie der 45-minütige Langfilm mit dem politisch viel­sa­genden Titel Gesi­cherte Ufer, der 1990 in Co-Finan­zie­rung mit dem SWF direkt am Elbeufer reali­siert worden war.

»Umbrüche« hatte Löser das Programm genannte, was Anlass zu anspie­lungs­rei­chen Süffi­sanzen wie »Zeilen­um­bruch« gab. Der aus Radebeul bei Dresden stammende Regisseur Reck wirkte sichtlich angefasst, als vierzig Jahre nach ihrer Entste­hungs­zeit seine Filme wieder zur Auffüh­rung kamen. Studiert hatte er Puppen­spiel, einen der erstaun­li­chen Berufe Osteu­ropas. In Gesi­cherte Ufer performen die Schau­spieler seiner »Zinnober«-Thea­ter­gruppe am Ufer der Elbe, schlagen ihr Lager auf, wandern weiter, und machen zwischen­durch nun mal Zinnober. Ein expe­ri­men­teller Spielfilm, der in seiner Mischung aus Impro­vi­sa­tion und Bühnen­haf­tig­keit auch an Aumühle (1979) des nieder­baye­ri­schen Thea­ter­ma­chers Alexeij Sagerer oder an Edith Walks (2017) des Briten Andrew Kötting erinnert.

Steffen Reck nennt seinen Film eine »Collage aus persön­li­chen Traum- und Doku­men­tar­bil­dern, die (…) die Stimmung dieser seltsamen Zeit konser­viert hat«. Sein auf Film gedrehtes Material wurde vom SWR stark herun­ter­gekürzt, und man kann sich gut vorstellen, dass hier nur der Rumpf eines Film­pro­jekts erhalten geblieben ist.

Und so legte sich unter­schwellig Wehmut nach der vergan­genen Zeit und Wendezeit-Verbit­te­rung über die Veran­stal­tung. Viel­leicht war das aber auch nur der allge­meinen Trauer geschuldet, die sich breit­macht, wenn man erkennt, dass die eigene Jugend vergangen ist, und mit ihr die Zeit unbeküm­merter Kreation.

Aus Tradition und zum Trotz: Gender­di­vers und politisch

Die geballte Jugend fand sich in der Schauburg in der Dresdener Neustadt ein. Wer etwa denkt, Dresden sei mit den immer noch prak­ti­zierten Montags-Pegida-Kund­ge­bungen allein eine Hochburg der AfD, wird hier eines anderen und besseren belehrt, denn das junge, bunte Publikum stammt direkt aus der Dresdener Nach­bar­schaft. Die Offenheit des Filmfests Dresden für andere Lebens­weisen lässt sich bereits seit seiner ersten Ausgabe finden. In frühen Jahren war Hella von Sinnen eine wichtige Festival-Mode­ra­torin, sie enga­gierte sich damals schon für die Homo-Ehe. Auf den Fotos im Jubiläums­heft findet sich auch der 1994 verstor­bene Manfred Salzgeber, damaliger Leiter der Berlinale-Sektion Panorama und Gründer des queeren Salz­ge­ber­ver­leihs.

Diese frühe Offenheit für schwul-lesbische Persön­lich­keiten ist neben dem Anima­ti­ons­film ein zentrales Merkmal des Filmfests Dresden und mitt­ler­weile Teil des Konzepts geworden. So gibt es den LUCA-Filmpreis für Geschlech­ter­ge­rech­tig­keit (auf Englisch noch tref­fender »GenderDi­ver­sity Film Award«), gestiftet vom Gender­kom­pe­tenz­zen­trum Sachsen, dem Frau­enBil­dungs­Haus Dresden und dem LAG Queeres Netzwerk Sachsen und den »voll politisch«-Kurz­film­preis der Säch­si­schen Landes­zen­trale für poli­ti­sche Bildung. Man merkt den Willen regio­naler Insti­tu­tionen, um den lokalen rechten Tendenzen entge­gen­zu­wirken.

Wie ein plaka­tiver Disclaimer fühlte sich jedoch der Festi­val­trailer der Künst­lerin Brenda Lien an, die nach einem Desktop-Film mit bunt bear­bei­teter Phantasie-Flora aus dem Off raunt: »This is not leftist propa­ganda.« Die Offen­ba­cher Künst­lerin fordert grund­le­gende Menschen­rechte ein, wenn sie Menschen nicht nach ihrer Herkunft und dem Geschlecht befragt, sondern nur, wie sie angeredet werden möchten. Eine über­deut­liche Botschaft, die sich ganz ohne Selbst­ironie leider viel zu ernst nimmt und damit womöglich auch den blinden Fleck der Wokeness-Bewegung performt. Im Natio­nalen Wett­be­werb zeigte Brenda Lien FIRST WORK, THEN PLAY über den Stress­pegel von frei­be­ruf­li­chen PoC-Musik­pro­du­zen­tinnen, der mit dem mit 20.000 Euro prämierten Spit­zen­preis der Säch­si­schen Film­för­de­rung ausge­zeichnet wurde.

Spit­zen­reiter*innen

Insgesamt wurden Goldene-Reiter-Trophäen im Wert von insgesamt 71.000 Euro über­reicht, zusätz­lich der undo­tierte Dresdner Kurz­film­preis des Verbands der deutschen Film­kritik im inter­na­tio­nalen Wett­be­werb. Er ging an das Rosa-von-Praunheim-Remake Nicht die brasi­lia­ni­schen Homo­se­xu­ellen sind pervers, sondern die Situation, in der sie leben der in Berlin ansäs­sigen Brasi­lianer Eduardo Mamede, Leandro Goddinho und Paulo Menezes, die selbst­iro­nisch ihre Body-Posi­ti­vity beim Nackt­baden am Müggelsee zur Schau stellen und sich dabei ganz beiläufig über ihre Situation als auslän­di­sche Filme­ma­cher unter­halten. Das augen­zwin­kernde Schel­men­s­tück wurde auf Handy-Kamera lippen­asyn­chron gedreht und »könnte der Aufbruch zu einem neuen, lust­vollen poli­ti­schen Filme­ma­chen sein«, so die Begrün­dung der Jury (der ich neben meinen Kolleg*innen Frédéric Jaeger und Tina Waldeck angehörte).

Anima­ti­ons­filme und Kurz­spiel­filme gemeinsam in den Wett­be­werb zu schicken und dabei zusätz­lich den Nachwuchs mit etablierten Filme­ma­cher*innen zu kombi­nieren, führte im Programm­ab­lauf immer wieder auch zu jähen Reibungs- und Schock­mo­menten. Die Meis­ter­schaft des Kosovaren Samir Karahoda machte seinen halb­do­ku­men­ta­ri­schen Film Pa vend (Displaced) über die absurde Schwie­rig­keit, in einem Dorf einen Platz zum Tisch­ten­nis­spielen zu finden, zum konkur­renz­losen Werk, und der öster­rei­chi­sche Expe­ri­men­tal­filmer Peter Tscher­kassky überfuhr mit seinem furiosen Train Again die übrigen Mitstrei­ter­filme fast schon buchs­täb­lich. Hier würde sich ein »Best of Festivals«- Programm anbieten, um die Unter­schiede im Wett­be­werb nicht zu deutlich ausfallen zu lassen – auch weil die etablierten Filme­ma­cher*innen kaum für einen Preis in Frage kommen, wenn sie schon auf den großen Festivals wie Toronto, Cannes oder Venedig ihre Premieren hatten.

Viel­leicht aber ist trotz Hoch­do­tie­rung das mit den Preisen gar nicht so wichtig. Das Festival hatte vor über dreißig Jahren als Publi­kums­fes­tival begonnen, bewusst wollte man in der Anfangs­zeit keinen Wett­be­werb. So verbreiten die Festi­val­lei­te­rinnen Anne Gaschütz und Sylke Gottliebe vor allem gute Stimmung und füllen die Leinwand mit den aller­ersten Werken eines neuen Film­schaf­fens. Damit setzt Dresden auch zum großen Sprung in die Zukunft an.