Methode Rainer Werner Fassbinder |
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Die zwei Accessoires des R.W.F.: Kamera und Kippe | ||
(Foto: Bonner Bundeskunsthalle) |
Von Peter Kremski
Die große Fassbinder-Ausstellung in der Bonner Bundeskunsthalle ist nach einem halben Jahr am 6. März zu Ende gegangen. Die Kuratoren Hans-Peter Reichmann & Isabelle Louise Bastian vom Deutschen Filminstitut Frankfurt mit Susanne Kleine von der Bundeskunsthalle Bonn haben Großartiges geleistet. Bei der Eröffnung am 10. September vorigen Jahres war ich der erhellenden Führung von Juliane Lorenz einmal durch die Ausstellung gefolgt, und mir war klar, für diese überwältigende Rückschau auf Fassbinders Leben und Werk würde ich ganz für mich alleine noch ein zweites Mal brauchen. Wie das häufig so ist, schafft man das dann erst kurz vor Toresschluss. Jetzt bin ich froh, dass es mir noch gelungen ist, zwei volle Tage in der Ausstellung abzutauchen.
Interessant zu sehen, unter welchen, manchmal regelrecht aberwitzigen Arbeitstiteln Fassbinders Filme entstanden. Götter der Pest hieß ursprünglich mal »Morgenstund hat Gold im Mund«. Der amerikanische Soldat, die Filmversion von Fassbinders gleichnamigem Theaterstück, wurde gleich unter zwei sonderbaren Arbeitstiteln in Angriff genommen; alternativ war einmal von »So viel Zärtlichkeit«, ein anderes Mal von »Heilige Nacht« die Rede. »Kalter Stahl« war anfangs angedacht für Liebe ist kälter als der Tod. Und Warnung vor einer heiligen Nutte sollte zunächst »Zero Ville« heißen, was den Godard-Bezug sehr transparent gemacht hätte (selbst Eddie Constantine spielt mit in diesem Film). Aus »Alle Türken heißen Ali« wurde später Angst essen Seele auf und aus »Fox – der sprechende Kopf« zuletzt Faustrecht der Freiheit. Meist kann man froh sein, dass die Arbeitstitel keinen Bestand hatten.
Interessant natürlich auch, aus Fassbinders Briefen zu ersehen, mit wem er per Du und mit wem er per Sie war. Per Du war er mit Alt-Produzent Horst Wendlandt und mit Romy Schneider, mit der er drei Projekte hatte, in einer ersten gemeinsamen Verständigung 1975 Die Ehe der Maria Braun, drei Jahre später dann stattdessen mit Hanna Schygulla realisiert. Per Sie war er, zumindest am Anfang, mit seinem WDR-Produzenten Peter Märthesheimer, der in einem Brief an Fassbinder von dessen »kühler Distanz« spricht. Und bis zum Schluss per Sie blieb er auf jeden Fall mit Bavaria-Chef Günter Rohrbach, dem er in einem Brief von 1980 an den Kopf wirft, der neue Luggi Waldleitner geworden zu sein. Mit diesen Worten schmiss er ihm dann auch ein Filmprojekt vor die Füße, für das er schon das Drehbuch fertig hatte: »Hurra, wir leben noch«, auserkoren für die Hauptrolle war Götz George. Bezeichnend aber auch, in wie vielen Briefen an Fassbinder über die Jahre hinweg immer wieder die ignorante Schreibweise »Faßbinder« verwendet wird.
In der Ausstellung auch zu finden: eine lange Liste von Musiktiteln, die Fassbinder in seinen Filmen verwendet hat. Englische und amerikanische Rock- oder Popmusik, französische Chansons, deutsche Schlager und Werke klassischer Musik werden von ihm regelmäßig zitiert, das scheint ihm auch alles gleichbedeutend gewesen zu sein. Fleetwood Mac, Velvet Underground oder Kraftwerk finden sich neben Georges Moustaki und Gilbert O’Sullivan, genauso wie neben Rocco Granata und Freddy Quinn oder Roy Black, nicht zu vergessen Ludwig van Beethoven und Gustav Mahler. Fünf Titel von Elvis Presley sind dabei, aber mit Abstand am häufigsten taucht immer wieder Leonard Cohen auf, der ihm anscheinend besonders nahe war. Zehn Titel von Cohen sind in der Liste zu finden, darunter »Bird on a Wire«, »Sisters of Mercy« und »Lover, Lover, Lover«.
Imponierend die Gesangsauftritte von Fassbinders Diven, die sich in langen Loops aneinanderreihen, zu bewundern in Blackbox-Räumen auf großen Monitoren. Es treten auf: Carla Aulaulu, Ingrid Caven, Hanna Schygulla, Barbara Sukowa und zuletzt als krönender Abschluss die Nouvelle-Vague-Diva Jeanne Moreau. Auch Peer Raben hat für manche Filme Gesangstitel beigesteuert. Die gefühlvolle Musik von Fassbinders Stammkomponisten verleiht den Fassbinder-Filmen überhaupt erst ihre so ganz eigene Magie, wusste man irgendwie schon immer. Peer Raben hat sogar mal eine Doppel-LP zusammengestellt, die sich »Antiteater’s Greatest Hits« nannte und 1972 herauskam, mit Musik aus Bühnenwerken und Filmen der frühen Fassbinder-Zeit.
Erstaunlich allerdings, wie wenige Ehrungen Fassbinders Filmen von Seiten der Filmkritik zuteil wurden. Nur zwei seiner zahlreichen Filme wurden mit Kritikerpreisen bedacht. Immerhin gehörte da auch gleich sein zweiter langer Film dazu. Katzelmacher gewann den Fipresci-Preis der internationalen Filmkritik in Mannheim genauso wie ein Jahr später den Preis der deutschen Filmkritik als bester Film des Jahres 1969. Dass da ein großes neues Filmtalent auf sich aufmerksam machte, wurde also schnell erkannt. Den Fipresci-Preis gewann er dann noch einmal in Cannes, 1974 mit Angst essen Seele auf, das war der Film, der ihm den internationalen Durchbruch brachte.
Für mich persönlich war Rainer Werner Fassbinder mit seinen Filmen in einer bestimmten Phase meines Lebens eine Art ständiger Begleiter geworden, schon allein durch seine ununterbrochene Präsenz im täglichen Kulturgeschehen aufgrund seines immensen filmischen Outputs innerhalb der relativ kurzen Zeitspanne von gut 14 Jahren zwischen 1969 und 1982. Über Fassbinder habe ich auch immer wieder gearbeitet, so viel wie vermutlich über keinen anderen Regisseur, in Texten, Fernsehbeiträgen oder auch in einer Werkschau, die ich 1992, zehn Jahre nach seinem Tod, zusammen mit Werner Biedermann für das kommunale Kino in Essen kuratiert habe. Darin haben wir mit Hilfe einer 16mm-Kopie aus dem Atlas-Filmverleih sogar noch seinen heute fast schon sagenumwobenen, weil unter Verschluss befindlichen Film Wildwechsel aus dem Jahre 1972 präsentieren können. Franz Xaver Kroetz, auf dessen Theaterstück der Film basiert, blockiert bis heute Aufführungen des Films mit der bedauernswerten Auswirkung, dass es immer noch keine Restaurierung und keine DVD-Veröffentlichung gibt.
Rührend für mich, an der letzten Station zu sehen, wie auf diversen Monitoren Statements von Weggefährten Fassbinders aufleuchten, darunter auch Margarethe von Trotta und Hans Günther Pflaum mit Redezitaten aus meinem Film, den ich Anfang der 1990er Jahre über Fassbinder gemacht habe. In meinem Film war es nur um Fassbinders Die Ehe der Maria Braun gegangen. Auch Peter Märthesheimer und Hanna Schygulla hatten darin Fassbinders Schlüsselwerk kommentiert.
Mit Margarethe von Trotta hatte ich in Paris in einer separierten Sesselecke des Hotels du Cygne gedreht. Dort saß sie, komplett umgeben von Spiegelwänden, von meinem Kameramann Raymond Grosjean nicht einfach zu drehen, weil wir natürlich Gefahr liefen, uns selbst darin zu spiegeln. Aber es passte einfach zu gut zu Fassbinder und zu den Spiegel-Obsessionen, die er in seinen eigenen Filmen pflegte. Margarethe von Trotta reflektierte mit dem ihr eigenen Charme und Esprit Fassbinders Blick auf Deutschland und auf die deutsche, insbesondere die bundesrepublikanische Geschichte und war dafür auch geradezu prädestiniert, weil sie selbst sich in ihren eigenen Filmen immer wieder mit dieser Thematik auseinandersetzte.
Hans Günther Pflaum wiederum hatte ich in seiner Münchner Wohnung gedreht, wo ich ihn vor dieselbe Bücherwand in seinem Arbeitszimmer setzen wollte, vor der er früher in den 1980er Jahren im ZDF seinen »Ratschlag für Kinogänger« erteilte. Das war gewissermaßen als eine fernsehhistorische Zitat-Einstellung gedacht. Dagegen hat er sich dann aber vehement gewehrt. Bei seinen ZDF-Auftritten hatte er immer sehr adrett und wie aus dem Ei gepellt vor der Kamera sitzen müssen, und regelmäßig musste er sich redaktionelle Vorhaltungen machen lassen, ob er sich etwa wieder nicht gekämmt habe. Jetzt zog er es stattdessen vor, mitten im Raum zu sitzen, in einer abgewetzten schwarzen Windjacke und natürlich ungeschminkt und mit verwuschelten Haaren.
Mit Hans Günther Pflaum war ich komplett auf einer Wellenlänge, was unsere gemeinsamen Versuche anging, Fassbinders Die Ehe der Maria Braun als politische Allegorie zu deuten. In unserem Gespräch warfen wir einander die Bälle nur so zu, es war ein großes Vergnügen. Im Film, aus dem ich alle meine Redeanteile herausgelassen hatte, fungierte er daher in gewissem Sinne fast wie mein Alter Ego und führte seine Interpretationen mit leisem Nachdruck und mit analytischer Überzeugungskraft aus, beseelt von einem immer nur leicht angedeuteten freundlich-wachsamen Lächeln.
Hans Günther Pflaum und Margarethe von Trotta jetzt am Schlusspunkt der Ausstellung unerwartet aufblitzen zu sehen, gab mir dann das schöne Gefühl, am Ende doch noch einen ganz kleinen und bescheidenen Anteil zu dieser großartigen Museums-Revue beigetragen zu haben.
Peter Kremski ist Filmkritiker und Regisseur und Autor zahlreicher Fernsehdokumentationen für den WDR.